12Os65/24m – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 5. September 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Wachter in der Strafsache gegen * K* und andere Angeklagte wegen Verbrechen der terroristischen Straftaten nach §§ 12 dritter Fall, 278c Abs 1 Z 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten * K* und * Z* sowie die Berufung des Angeklagten * F* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendgeschworenengericht vom 24. April 2024, GZ 612 Hv 1/24z 1958, und die Beschwerden der Angeklagten * K* und * F* gegen den zugleich ergangenen Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Die Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden kommt dem Oberlandesgericht Wien zu.
Den Angeklagten * K* und * Z* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden – soweit hier von Bedeutung – * K* und * Z* im zweiten Rechtsgang (zum ersten siehe 12 Os 46/23s) jeweils eines Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (A./) sowie der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (B./) schuldig erkannt und unter Einbeziehung der im ersten Rechtsgang rechtskräftig gewordenen Schuldsprüche wegen mehrerer Verbrechen der terroristischen Straftaten nach §§ 12 dritter Fall, 278c Abs 1 Z 1 StGB zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt.
[2] Danach haben
A./ sich in W* und an anderen Orten des Bundesgebiets als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an der in der UN Sanktionsliste aufscheinenden, mehrere tausend Mitglieder umfassenden, international agierenden, aus den seit zumindest 2004 bestehenden Terrororganisationen Al Quaida im Irak und sodann Islamischer Staat im Irak (ISI) hervorgegangen, am 29. Juni 2014 gegründeten und bis heute bestehenden Terrororganisation „IS Islamic State“, somit an einem auf Jahre angelegten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, der darauf ausgerichtet war und ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung mehrere terroristische Straftaten gemäß § 278c Abs 1 StGB, nämlich unter anderem Morde (§ 75 StGB) sowie vorsätzliche strafbare Handlungen nach § 50 des Waffengesetzes 1996 oder § 7 des Kriegsmaterialgesetzes begangen werden, wobei die Taten geeignet waren, eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens oder eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens herbeizuführen, und mit dem Vorsatz begangen wurden, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen oder internationale Organisationen zu Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen zu nötigen und die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Grundstrukturen eines Staates ernsthaft zu erschüttern oder zu zerstören, im Rahmen der kriminellen Ausrichtung dieser terroristischen Vereinigung in dem Wissen (§ 5 Abs 3 StGB) beteiligt, diese terroristische Vereinigung in deren Ziel, nämlich vorerst in Syrien und im Irak und schließlich weltweit einen radikal islamischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten, und in deren strafbaren Handlungen, nämlich eine der zur Erreichung dieses Ziels als erforderlich angesehenen terroristischen Straftaten gemäß § 278c Abs 1 StGB, zu fördern, indem
I./ sie die Ausführung der terroristischen Straftaten im Sinn des § 278c Abs 1 Z 1 StGB, und zwar der Verbrechen des Mordes nach §§ 75 und 15 StGB, des im Zuge der Tatbegehung am 2. November 2020 getöteten * Fe*, der bewaffnet mit einem AK 47 Sturmgewehr und einer Pistole der Marke Tokarew, sohin mit Schusswaffen der Kategorie A und der Kategorie B (§ 2 Abs 1 Z 1 und Z 2 WaffG), in der Wiener Innenstadt wahllos auf Passanten schoss und dabei vier Personen tötete und zahlreiche weitere Personen teils lebensgefährlich verletzte, wobei diese Taten geeignet waren, eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens herbeizuführen, wobei diese mit dem Vorsatz begangen wurden, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern und die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Grundstrukturen Österreichs ernsthaft zu erschüttern oder zu zerstören, dadurch ermöglicht, erleichtert, abgesichert oder in anderer Weise gefördert haben, nämlich
1./ * K*, indem er * Fe* von Mai 2020 bis unmittelbar vor der Tat am 2. November 2020 bei der Vorbereitung des Anschlags und durch die Beschaffung gefälschter Identitätsdokumente sowie der Auswahl seines Anschlagsziels aktiv unterstützte und ihn durch die positive Kommentierung eines Verabschiedungspostings mit den Worten „JeJe“ in seinem Entschluss zur Tatbegehung bestärkte;
2./ * Z*, indem er * Fe* ab Mitte Juli 2020 bis zur Tat bestärkte sowie die Tatwaffen samt Munition und weiterer Anschlagsutensilien vorbereitete und * Fe* dadurch zumindest psychisch bestärkte;
II./ * K* am 24. Februar 2020 IS Propagandamaterial, und zwar eine PDF Datei zur Regelung des Enteignens des Besitzers der Kuffar in Dar al Harb, der in der IS Zeitschrift „Inspire“ veröffentlicht und von * A* verfasst wurde, in einer WhatsApp Gruppe mit mehreren Personen postete;
III./ * Z* am 27. August 2019 ein Video, in dem bewaffnete Männer in Uniform zu sehen sind und welches mit einem IS Nasheed unterlegt ist, an * G* übermittelte;
B./ sich * K* (I./) und * Z* (II./) jeweils durch ihre unter A./ beschriebenen Taten in W* und an anderen Orten des Bundesgebiets als Mitglied an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl an Personen, nämlich an der am 29. Juni 2014 gegründeten und bis heute bestehenden, international agierenden, hierarchisch organisierten, arbeitsteilig vorgehenden terroristischen Vereinigung „IS Islamic State“ mit mehreren tausend Mitgliedern, an deren Spitze der Kalif steht und welche aus unterschiedlichen Organisationseinheiten (zB für Medienarbeit, für die Durchführung von Terroranschlägen und von militärischen Aktionen sowie für das Aufbringen und Verwalten von Finanzmitteln) besteht, und die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, sowie schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten (US 9 und 10) Verkehrs mit Kampfmitteln, insbesondere dem tatsächlichen kriegerischen Einsatz erlangter Waffen, ausgerichtet ist, indem sie seit Sommer 2011 insbesondere in Syrien und im Irak unter Verwendung besonderer Grausamkeit durch terroristische Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB durch ihre Kräfte die Zerstörung des syrischen und irakischen Staates betreibt, in den eroberten Gebieten in Syrien und im Irak die sich nicht ihren Zielen unterordnende Zivilbevölkerung tötet und vertreibt, sich deren Vermögen aneignet, durch Geiselnahme große Geldsummen erpresst, die vorgefundenen Kunstschätze veräußert und Bodenschätze, insbesondere Erdöl und Phosphat, zu ihrer Bereicherung ausbeutet sowie weltweit terroristische Anschläge auf Andersgläubige verübt, sowie durch all diese Straftaten eine Bereicherung in großem Umfang durch Erzielung von Einnahmen sowie durch Ausstattung mit Waffen und Kampfmitteln anstrebt, die andere, insbesondere politische Verantwortungsträger und jegliche sonstige ideologische Gegner korrumpiert oder durch angedrohte und ausgeführte Terroranschläge, insbesondere in Syrien und im Irak, aber auch in Europa, einschüchtert und sich auf besondere Weise, nämlich durch Geheimhaltung ihres Aufbaus, ihrer Finanzstruktur, der personellen Zusammensetzung der Organisation und der internen Kommunikation, gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abschirmt, in dem Wissen beteiligt (§ 278 Abs 3 StGB), dass sie dadurch diese kriminelle Organisation in ihrem Ziel, im Irak, in Syrien, im Libanon, in Jordanien und in Palästina sowie schließlich weltweit einen radikal-islamistischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten, und deren terroristische Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB zur Erreichung dieses Ziels fördern .
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richten sich die von * K* auf § 345 Abs 1 Z 13 StPO sowie von * Z* auf § 345 Abs 1 Z 5 und 13 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des * K*:
[4] Die Sanktionsrüge (Z 13) orientiert sich mit ihrer Kritik, das Erstgericht habe der Strafbemessung allein die Strafbegründungs-, nicht aber die Strafbemessungsschuld (vgl dazu Riffel in WK 2 StGB § 32 Rz 3) zu Grunde gelegt, prozessordnungswidrig nicht an den – beide Faktoren berücksichtigenden – Erwägungen des Geschworenengerichts (US 19 ff).
[5] Der weiteren R üge zuwider bewirkt die – zudem ausdrücklich die Stellung als Beitragstäter berücksichtigende – Erwägung, dass „kaum schwerwiegendere Straftaten als die gegenständlichen terroristischen Straftaten des Mordes, bei welchen der Attentäter unter anderem mit einer automatischen Waffe wahllos auf völlig unbeteiligte Passanten schoss, vorstellbar“ seien, weshalb „wenngleich es sich jeweils 'nur' um Tatbeteiligungen handelt – bei allen Angeklagten lediglich die jeweilige Höchststrafe in Betracht“ komme (US 21), keinen unvertretbaren Verstoß gegen Bestimmungen über die Strafbemessung (Z 13 dritter Fall) und stellt daher den in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrund nicht her.
[6] Entgegen der Beschwerdeauffassung haben die Tatrichter die Abschreckung potentieller terroristischer Attentäter und ihrer Helfer keineswegs als Grund einer Strafschärfung, sondern als zusätzliches Argument gegen eine Reduzierung der als schuldangemessen erachteten Strafe angeführt (US 21; vgl allgemein zur Zulässigkeit der Berücksichtigung generalpräventiver Aspekte bei der Strafbemessung RIS Justiz RS0090592 [T1]; Riffel in WK 2 StGB § 32 Rz 24 ff).
[7] Mit der Forderung nach einer Gewichtung des jeweiligen Tatbeitrags wird bloß ein Berufungsvorbringen erstattet.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * Z* :
[8] Die Verfahrensrüge (Z 5) wendet sich gegen die Abweisung des Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens „vom Institut von Orientalistik bzw. Islamistik von der Universität Wien“ zum Beweis dafür, dass es sich bei den anlässlich der Hausdurchsuchung bei der Familie des Beschwerdeführers vorgefundenen Büchern um keinerlei IS Propaganda und radikalislamistische Schriften handeln würde ( ON 1950 S 52 f).
[9] Eine Verletzung von Verteidigungsrechten liegt insoweit schon deshalb nicht vor , weil der Antrag einen Konnex zur Schuld- oder zur Subsumtionsfrage nicht deutlich und bestimmt erkennen ließ (siehe aber RIS Justiz RS0118444).
[10] Im Übrigen galt das Beweisthema dem Erstgericht bereits als erwiesen (§ 55 Abs 2 Z 3 StPO; vgl ON 1950 S 53). Inwieweit darin die von der Beschwerde behauptete vorgreifende Beweiswürdigung zum Nachteil des Angeklagten gelegen sein soll (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 330, 341), bleibt unerfindlich.
[11] Die Sanktionsrüge (Z 13 zweiter Fall) richtet sich gegen die Annahme des besonderen Erschwerungsgrundes des Handelns aus religiös motivierten extremistischen Beweggründen (§ 33 Abs 1 Z 5a StGB; US 20) ohne bezughabende Fragestellung an die Geschworenen. Damit verkennt sie , dass Gegenstand dieser Fragestellung neben der Individualisierung der Tat nur für die Strafbarkeit und die Subsumtion entscheidende Tatsachen sein können, nicht jedo ch – mit den hier nicht relevanten, in § 314 Abs 1 erster und zweiter Fall StPO angesprochenen Ausnahmen – die Sanktionsfindung betreffende Tatsachen (RIS Justiz RS0100643; Ratz , WK StPO § 345 Rz 19 f; Lässig , WK-StPO § 316 Rz 3).
[12] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß §§ 344, 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[13] Die Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 344, 285i, 498 Abs 3 StPO).
[14] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.