5Ob131/24m – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Dr. Stephan Briem, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M*, vertreten durch Mag. Bernhard Kispert, Rechtsanwalt in Wien, wegen 70.050 EUR sA, über die Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. Mai 2024, GZ 15 R 203/23t 51, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 8. August 2023, GZ 13 Cg 86/21v 41, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.681,16 EUR (darin 446,86 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen, und die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.505,40 EUR (darin 250,90 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen, dies jeweils binnen 14 Tagen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin beauftragte den Beklagten am 23. März 2017 mit anwaltlichen Beratungs- und Vertretungsleistungen im Zusammenhang mit dem Verlassenschaftsverfahren nach ihrer Mutter, die am 10. März 2016 ohne Errichtung eines Testaments verstorben war.
[2] Die Klägerin hatte sich seit März 2009 um ihre Mutter, die nach mehreren Schlaganfällen einer Betreuung rund um die Uhr bedurfte, gekümmert und sie gepflegt. Sie war auch ihre Sachwalterin. In den ersten Jahren erbrachte sie ihre Pflegeleistungen aus reiner Fürsorge für ihre Mutter; nach rund dreieinhalb Jahren kam ihr der Gedanke, dass es gerecht wäre, wenn sie etwas für die Pflege erhalten würde. Dies erwähnte sie allerdings weder gegenüber ihrem Bruder noch beim Pflegschaftsgericht. Erst nach dem Tod der Mutter wollte die Klägerin für die erbrachten Pflegeleistungen ein Entgelt erhalten und meldete im Verlassenschaftsverfahren eine Honorarforderung für die im Zeitraum zwischen 23. Dezember 2008 und 10. März 2016 für ihre Mutter erbrachten Pflegeleistungen an, die ihr Bruder bestritt. Die Einantwortung wurde erst im November 2019 rechtskräftig. Der Beklagte wies die Klägerin während des aufrechten Mandatsverhältnisses nicht darauf hin, dass ihre Forderung für den Pflegeaufwand verjähren könnte.
[3] Die Klägerin begehrt vom Beklagten Schadenersatz wegen fehlerhafter Rechtsberatung, weil ihre Entgeltforderung für die für ihre Mutter erbrachten Pflegeleistungen verjährt sei. Der Beklagte hafte für den nicht fristgerecht geltend gemachten Anspruch auf Entgelt für die gesamte Pflege samt Zinsen seit 23. April 2014 und gesetzliche Zinseszinsen seit Zustellung der Klage.
[4] Der Beklagte wendete im Wesentlichen ein, die Klägerin habe ihre Pflegeleistungen im Rahmen der familiären Beistandspflicht erbracht und ihm keine Unterlagen zur Verfügung gestellt. Thema der Besprechungen seien insbesondere Einwände des Bruders der Klägerin, der ein Haus der Mutter unentgeltlich genutzt und zum Teil vermietet habe, gewesen. Die Klägerin habe außerdem für ihre Mutter Pflegegeld erhalten sowie als deren Sachwalterin auch eine Entschädigung. Entgeltansprüche, die für länger als drei Jahre vor dem Tod der Mutter zurückliegende Zeiträume erhoben würden, seien schon bei Mandatserteilung verjährt gewesen.
[5] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 18.240 EUR samt 4 % Zinsen (gestaffelt) und 4 % Zinseszinsen seit Klagezustellung statt und wies das Mehrbegehren von weiteren 51.810 EUR ab.
[6] Der Beklagte habe seine anwaltlichen Sorgfaltspflichten verletzt, indem er die Klägerin auf die Möglichkeiten der Durchsetzung sowie auf die drohende Verjährung der Pflegehonorarforderung nicht hingewiesen habe. Dieses Fehlverhalten sei allerdings nur für den Verlust des Pflegehonorars für den Zeitraum ab Mai 2014 kausal, weil sämtliche Ansprüche der Klägerin für die Zeit davor bereits vor der Beauftragung des Beklagten verjährt gewesen seien. Die Verjährungsfrist betrage drei Jahre, weil auch Ansprüche aus zweckverfehlenden Arbeitsleistungen inhaltlich nach § 1152 ABGB zu beurteilen seien. Da die Klägerin als Sachwalterin ihrer Mutter gewusst habe, dass diese zu einer Entlohnung (bzw einem Vertragsabschluss) nicht fähig gewesen sei, komme weder ein Anspruch nach § 1435 ABGB noch ein solcher nach § 877 iVm § 1424 ABGB in Betracht. Die Klägerin hätte sich aber auf eine Geschäftsführung ohne Auftrag als Anspruchsgrundlage stützen können, weshalb sie das Pflegegeld bei richtiger Beratung durch den Beklagten erfolgreich hätte einfordern können. Der Ersatzanspruch gegen den Beklagten für angemessenes Pflegeentgelt für die Zeit ab Mai 2014 bis zum Tod der Mutter sei daher berechtigt.
[7] Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien dagegen nicht Folge.
[8] Nach dem Sachverhalt sei ein Vertrag zwischen der Klägerin und ihrer Mutter über die Pflegeleistungen nicht denkbar. Ebenso wenig könne sich die Klägerin auf eine Zusage einer Abgeltung oder einer letztwilligen Verfügung zum Ausgleich für die erbrachte Pflege stützen. Eine nähere Qualifikation der Pflegeleistungen als dienst- oder (wie die Klägerin meine) werkvertraglich erübrige sich, weil in solchen Fällen kein „Erfolg“, sondern nur die jeweils zu erbringende Pflege geschuldet sei. Das Erstgericht habe zutreffend die Regelungen der Geschäftsführung ohne Auftrag herangezogen. Eine andere Anspruchsgrundlage komme nicht in Betracht, weil die Klägerin selbst die Sachwalterin ihrer geschäftsunfähigen Mutter gewesen sei. Auch die Berufung des Beklagten sei unberechtigt, weil seine Argumente gegen die Anwendbarkeit der Bestimmungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag nicht zuträfen; insbesondere liege nach dem Sachverhalt weder ein Einvernehmen zwischen Mutter und Tochter über die Pflege vor, noch stehe fest, dass die Klägerin die Leistungen (nur) deswegen erbracht habe, weil sie etwas dafür habe erhalten wollen.
[9] Die Revision sei zulässig, weil zur Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 1035 ff ABGB auf Pflegeleistungen naher Angehöriger noch keine gesicherte Rechtsprechung vorliege.
[10] Gegen die Bestätigung der Abweisung des Mehrbegehrens im Urteil des Berufungsgerichts wendet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, der Klage vollumfänglich stattzugeben.
[11] Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
[12] In seiner gegen den Zuspruch gerichteten Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragt der Beklagte, die Entscheidung dahin abzuändern, dass das gesamte Klagebegehren abgewiesen werde, hilfsweise begehrt er die Aufhebung.
[13] Die Klägerin beantragt, die Revision des Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[14] Die Revisionen beider Parteien sind entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (RS0042392) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, denn sie zeigen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.
I. Zur Revision der Klägerin:
[15] 1.1 Die Klägerin argumentiert zunächst, das Berufungsgericht weiche von der ständigen Rechtsprechung ab, nach der beim Vertragsabschluss mit einer geschäftsunfähigen Person über Pflegeleistungen dieser nach § 877 iVm § 1424 ABGB rückabzuwickeln sei. Dabei übersieht sie allerdings, dass nach den Feststellungen über den Gesundheitszustand der Mutter nach ihrer Entlassung nach rund dreimonatigem Krankenhausaufenthalt ein Vertragsabschluss über Pflegeleistungen nicht vorliegen kann, weil die Mutter bei Beginn ihrer Pflegebedürftigkeit bereits nicht mehr geschäftsfähig war (sie konnte zunächst nicht mehr sprechen und musste auch die Nahrungsaufnahme erst wieder erlernen; sie wehrte sich infolge der durch die starke Demenz ausgelösten Ängste und Wahnvorstellungen nach Kräften gegen jede Art der Körperhygiene). Sie konnte wegen ihrer schweren Demenzerkrankung keine Willensäußerung betreffend die Pflege durch ihre Tochter zum Ausdruck bringen. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, nach der im konkreten Fall ein (konkludenter) Vertragsabschluss über die Pflegeleistungen nicht angenommen werden kann, ist daher nicht zu beanstanden. Die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung zur Rückabwicklung eines infolge Geschäftsunfähigkeit der gepflegten Person nichtigen Vertrags über Pflegeleistungen nach § 877 iVm § 1424 ABGB (RS0033606 [T8]; 2 Ob 2/16g [insb Pkt 6.1. bis 6.3.] mwN) geht aber grundsätzlich davon aus, dass die Beteiligten zunächst eine – wenngleich unwirksame – Vereinbarung trafen. Das Erstgericht, dessen Entscheidung das Berufungsgericht bestätigte, ist – entgegen der Behauptung der Revision – davon nicht abgewichen, indem es unter Hinweis auf die Entscheidungsbesprechung von Stefula zu 2 Ob 2/16g in EF Z 2016/100 eine vertragliche Einigung über die Pflege mit der Begründung verneinte, dass die Klägerin die Geschäftsunfähigkeit ihrer Mutter gekannt habe. Eine – erstmals in der Revision als Argument gegen diese Differenzierung herangezogene – „sukzessive Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten“ (und damit ein Zweifel am Zeitpunkt des Eintritts der Geschäftsunfähigkeit) lag bei der Mutter der Klägerin nach dem Sachverhalt nicht vor.
[16] 1.2 Zur Fälligkeit des Entgelts für die von ihr erbrachten Pflegeleistungen meint die Klägerin, sie habe ihre Pflegeleistungen „auf werkvertraglicher Basis“ erbracht und ihr „Werk“ sei erst „vollbracht“ gewesen, als ihre Mutter verstorben sei. Das Entgelt sei aber grundsätzlich erst nach vollendetem Werk zu entrichten, weshalb die dreijährige Verjährung ihres gesamtem Honorars für sämtliche in den Jahren 2009 bis 2016 erbrachten Pflegeleistungen erst am Todestag der Mutter zu laufen begonnen habe. Auch damit vermag sie keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, nach der nicht die Beendigung der Pflegetätigkeit mit dem Tod der betreuten Mutter als „Vollendung“ des geschuldeten „Werks“ angesehen werden könne, sondern eine solche „Vollendung“ in der jeweils erbrachten Pflege liege, ist nicht korrekturbedürftig. Soweit eine Qualifikation von Pflegeleistungen als „Herstellung eines Werkes gegen Entgelt“ im Sinn des § 1151 Abs 1 ABGB denkbar wäre, könnte dies wohl nur für jede „Pflegeeinheit“ angenommen werden. Die in der Revision erwähnten organisatorischen Aufgaben und Tätigkeiten der Klägerin als Sachwalterin ihrer Mutter wurden unstrittig gesondert abgegolten und waren (daher) nicht Inhalt des gegen den Beklagten erhobenen Schadenersatzbegehrens.
[17] 1.3 Auf die vom Berufungsgericht genannte Frage der Anwendbarkeit des Rechtsinstituts der Geschäftsführung ohne Auftrag für Entgeltansprüche betreffend erbrachte Pflege für Angehörige geht die Revision der Klägerin nicht ein.
[18] 2. Zu dem in der Berufung beanstandeten Zinsenbeginn für die zuerkannten Einzelbeträge für ihre Pflegeleistungen argumentiert die Klägerin neuerlich (nur) mit der ihrer Ansicht nach erst am Todestag der Mutter beginnenden Fälligkeit ihres Honorars. Die ihr vom Erstgericht zuerkannte Zinsenstaffel, die das Berufungsgericht mangels einer entsprechenden Rechtsrüge dazu nicht abänderte, beanstandet sie damit nicht. Auch in diesem Punkt wird keine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität aufgezeigt.
II. Zur Revision des Beklagten:
[19] 3.1 Der Beklagte meint, nach den Feststellungen habe die Mutter auf die Betreuung durch die Klägerin „positiv reagiert“ und daher sei die Beurteilung des Berufungsgerichts, das die Anwendbarkeit der bereits vom Erstgericht herangezogenen Bestimmungen der §§ 1035 ff ABGB als Anspruchsgrundlage bestätigt habe, unzutreffend. Es fehle nach dem Sachverhalt an einem eigenmächtigen Handeln der Klägerin, dies auch deswegen, weil ein Vertrag, den die Klägerin „mit sich selbst als pflegende Geschäftsführerin“ geschlossen hätte, „allenfalls pflegschaftsgerichtlich genehmigt worden“ wäre.
[20] 3.2 Auch mit dieser Argumentation wird weder eine aufzugreifende Fehlbeurteilung noch eine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt. Die für eine Geschäftsführung ohne Auftrag im Sinn des § 1035 ABGB geforderte „Eigenmacht“ betrifft tatsächliches oder rechtliches Handeln für einen anderen ohne eine gesetzliche oder vertragliche Verpflichtung dazu ( Apathy/Wilfinger in Schwimann/Kodek , ABGB Praxiskommentar 5 § 1035 Rz 4 mwN). Den näheren Feststellungen zur Pflegetätigkeit sowie darüber, dass die Mutter auf die Pflege durch die Klägerin „positiv reagierte“, lässt sich – entgegen der Rechtsansicht des Beklagten – keine Willenserklärung entnehmen. Fest steht außerdem, dass die Klägerin bis zum Tod ihrer Mutter keine Ansprüche auf ein Entgelt für den von ihr selbst erbrachten Pflegeaufwand erhob und dies auch mit dem Pflegschaftsgericht nicht erörterte. Überlegungen dazu, ob eine Vereinbarung (mit Beteiligung eines Kollisionskurators) vom Pflegschaftsgericht hätte genehmigt werden können, sind daher rein theoretischer Natur.
[21] 3.3 Soweit der Beklagte als weiteres Argument gegen eine Anwendbarkeit der Bestimmungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag behauptet, die Klägerin sei tätig geworden, um für ihre Pflegeleistungen ein Honorar zu erhalten, geht die Revision nicht vom festgestellten Sachverhalt aus und ist insoweit nicht gesetzmäßig ausgeführt (RS0043603).
[22] 3.4 Darüber hinaus setzt sich die Revision mit der Argumentation des Berufungsgerichts zur Anwendbarkeit der §§ 1035 ff ABGB für den (unstrittig infolge des unterbliebenen Hinweises des Beklagten verjährten) Anspruch der Klägerin nicht näher auseinander, weshalb insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage aufgeworfen wird.
[23] III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Beide Parteien haben jeweils zutreffend auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision hingewiesen.