11Os53/24i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 27. August 2024 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Jetzinger als Schriftführer in der Strafsache gegen * T* und eine Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 16. Jänner 2024, GZ 316 Hv 79/23g 53.4, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Relevanz – * T * gemäß § 259 Z 3 StPO von der wider ihn erhobenen Anklage freigesprochen, „er habe in H* und an anderen Orten im Zeitraum von März 2015 bis März 2023 mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsberechtigte der Pensionsversicherungsanstalt durch Täuschung über Tatsachen, nämlich die Vorgabe, neben der mangelnden Sehleistung seines linken Auges auch das Sehvermögen auf dem rechten Auge weitgehend verloren zu haben und daher arbeitsunfähig und pflegebedürftig zu sein, zu Handlungen, nämlich zur monatlichen Auszahlung von Pension, Ausgleichszulagen und Kinderzuschuss bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres sowie Pflegegeld bis zum Ende der statistischen Lebenserwartung in Höhe von insgesamt EUR 967.146,78 verleitet bzw zu verleiten versucht, die die Pensionsversicherungsanstalt in einem EUR 300.000,-- übersteigenden Betrag in ihrem Vermögen schädigten bzw schädigen sollten, wobei die Tat hinsichtlich eines Betrags von EUR 748.797,17 beim Versuch geblieben ist, und zwar durch geleistete Zahlungen in der Gesamthöhe von EUR 218.349,61 beinhaltend Pflegegeldleistungen in der Höhe von EUR 50.804,50“ (B/I/).
Rechtliche Beurteilung
[2] Diesen Freispruch bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
[3] Die Tatrichter gelangten zu der Überzeugung, dass eine für die Auszahlung der in Rede stehenden Sozialversicherungsleistungen (US 6) kausale Vortäuschung mangelnden Sehvermögens (auch) am rechten Auge durch T* und eine Schädigung der Pensionsversicherungsanstalt durch Auszahlung solcherart nicht zustehender Leistungen sowie ein Handeln des Angeklagten mit Täuschungs-, Schädigungs- und Bereicherungsvorsatz nicht erwiesen werden konnte (US 6, US 8).
[4] Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider (zu § 281 Abs 3 zweiter Satz StPO: vgl ON 53.3 S 25) wurde der von der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung am 16. Jänner 2024 gestellte Antrag auf „Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens, ob es möglich ist, dass der Erstangeklagte sich subjektiv für blind hält“ (ON 53.3 S 24) zu Recht abgewiesen (ON 53.3 S 25). Denn der Antrag war schon seinem Wortlaut nach bloß auf eine (unzulässige) Erkundungsbeweisführung gerichtet (RIS Justiz RS0118123).
[5] Mit Kritik an der erstgerichtlichen Begründung für die Abweisung des Beweisantrags (vgl ON 53.3 S 25) entfernt sich die Beschwerde vom Prüfungsmaßstab der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO (RIS-Justiz RS0116749). Im Rechtsmittel nachgetragene Ausführungen zur Antragsfundierung haben mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (RIS-Justiz RS0099618).
[6] Die Mängelrüge behauptet in Ansehung der Negativfeststellungen zur subjektiven Tatseite Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) sowie eine unvollständige, unzureichende und aktenwidrige Begründung (Z 5 zweiter, vierter und fünfter Fall):
[7] Die unter Verweis auf die Formulierung „nicht festgestellt werden kann daher“ (vgl US 6) aufgestellte Behauptung einer Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) nimmt prozessordnungswidrig nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS-Justiz RS0119370; US 6 ff).
[8] Dem weiteren Beschwerdevorwurf (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben die Tatrichter das Gutachten (ON 21.2) der augenfachärztlichen Sachverständigen nicht unberücksichtigt gelassen (US 8). Soweit die Rüge aus den – vom Schöffengericht erörterten (US 8) – Ausführungen der Sachverständigen zum Ausmaß der Sehbeeinträchtigung des Angeklagten am rechten Auge, zur Objektivierbarkeit und Beurteilbarkeit der Sehleistung des rechten Auges sowie zu ihrer Einschätzung des Sehvermögens des Angeklagten (ON 53.3 S 17 ff) für den Standpunkt der Staatsanwaltschaft günstigere Feststellungen zur subjektiven Tatseite ableitet, argumentiert sie nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung.
[9] Auch die Aussage des Zeugen * S* blieb – entgegen der Rügekritik (Z 5 zweiter Fall) – nicht unberücksichtigt (US 8). Die persönliche Einschätzung des Zeugen vom Vorliegen einer Sehbeeinträchtigung beim Angeklagten stellt überdies kein erörterungsbedürftiges Beweisergebnis dar (RIS Justiz RS0097545).
[10] Indem die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) eine Passage der Urteilsbegründung (US 8) zur Verneinung der subjektiven Tatseite isoliert herausgreift, nämlich in Betreff der Sehbeeinträchtigungen von Angehörigen des Angeklagten, unterlässt sie es erneut, die Gesamtheit der diesbezüglichen Entscheidungsgründe in den Blick zu nehmen (neuerlich RIS Justiz RS0119370). Im Übrigen hat das Schöffengericht die Negativfeststellungen zum Täuschungs-, Schädigungs- und Bereicherungsvorsatz aus dem Gutachten der augenfachärztlichen Sachverständigen sowie den Angaben der Zeugen * Z* und * S* – unter Berücksichtigung der leugnenden Verantwortung des Angeklagten – mängelfrei erschlossen (US 8 f).
[11] Die Behauptung von Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) zeigt eine – den Gegenstand des Nichtigkeitsgrundes bildende (RIS Justiz RS0099431) – unrichtige oder unvollständige Wiedergabe des Inhalts von Aussagen oder anderer Beweismittel nicht auf, sondern kritisiert bloß die von den Tatrichtern aus den Ausführungen der Sachverständigen gezogenen Schlüsse zur subjektiven Tatseite und argumentiert insofern wiederum unzulässig nach Art einer Schuldberufung. Sie spricht im Übrigen mit der Frage des Einsetzens der Netzhautentzündung beim Angeklagten keine entscheidende Tatsache an.
[12] Angesichts der solcherart erfolglosen Bekämpfung der Negativfeststellungen zur inneren Tatseite erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen.
[13] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war d ie Nichtigkeitsbeschwerde daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).