JudikaturOGH

502Präs26/24d – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. August 2024

Kopf

Der Personalsenat des Obersten Gerichtshofs (Innensenat) hat durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Wurzer, Dr. Oberressl und MMag. Sloboda als weitere Mitglieder den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Verfahren 6 Ob 102/24d fällt in die Zuständigkeit des Senats 6.

Text

Begründung:

Zu 6 Ob 102/24d ist beim Obersten Gerichtshof ein Verfahren über die Revision des Klägers gegen ein zweitinstanzliches Urteil anhängig, mit dem die erstinstanzliche Abweisung eines Klagebegehrens gegen den beklagten Schulleiter einer Volksschule auf vollständige Auskunftserteilung über die konkret vom Beklagten verarbeiteten personenbezogenen (im Einzelnen präzisierten) Daten über den Kläger sowie Übergabe einer Kopie dieser personenbezogenen Daten an diesen und auf Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von 800 EUR sA bestätigt worden war.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen organisiert der Beklagte als Schulleiter der Volksschule für die Lehrer seiner Schule im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Fortbildungsverpflichtung der Lehrer Fortbildungsprogramme und reichte in diesem Zusammenhang bei der Pädagogischen Hochschule K* einen Antrag auf Zulassung für ein bestimmtes Fortbildungsprogramm ein. Nach Bewilligung und Zuteilung des Beklagten für das Programm als „Prozessbegleiter“ wandte sich der Kläger mit E Mail von seinem Dienstcomputer aus an den zuständigen Mitarbeiter der Hochschule und ersuchte um Zuteilung eines anderen „Prozessbegleiters“ an Stelle des Beklagten. Der Kläger strebt nunmehr Auskunft über die vom Beklagten verarbeiteten personenbezogenen Daten an, wobei es ihm erkennbar vor allem darum geht, zu erfahren, von wem der Beklagte die Auskunft erhalten hatte, der Kläger sei „im Bildungsbereich kein unbeschriebenes Blatt“, stelle „das öffentliche Schulwesen infrage“ und sei „mit der Bildungsdirektion K* im Dauerstreit“.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtssache wurde beim Obersten Gerichtshof für den 6. Senat als (ordentliche) Fachsache (Datenschutz) eingetragen.

Mit Note vom 10. 6. 2024 bot der Vorsitzende des 6. Senats dem Vorsitzenden des 1. Senats die Übernahme des Akts mit der Begründung an, es liege nach Punkt I.1.1.1. eine Rechtssache vor, die Fragen der Amtshaftung und damit zusammenhängende Ersatzansprüche betreffe. Mit Note vom 26. 6. 2024 lehnte der Vorsitzende des 1. Senats die Übernahme ab und regte gleichzeitig die Vorlage des Akts an den Personalsenat wegen Vorliegens eines negativen Kompetenzkonflikts an.

Daraufhin beantragte der Vorsitzende des 6. Senats, der Personalsenat des Obersten Gerichtshofs möge aussprechen, dass das Verfahren 6 Ob 102/24d nicht vom 6. Senat, sondern vom 1. Senat als Fachsenat zu erledigen sei.

Hierzu wurde erwogen:

Nach herrschender Auffassung entscheidet in Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen einzelnen Senaten der Personalsenat über die Zuständigkeit (ausführlich Schramm , Geschäftsverteilung der ordentlichen Gerichte – Personalsenat und Kompetenzkonflikte, in Neumayr [Hrsg], Liber Amicorum für Peter Bauer [2019] 25 ff; Lassmann , Probleme der Geschäftsverteilung 88; Piska , Das Prinzip der festen Geschäftsverteilung 328; Danzl , Kommentar zur Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz [1999] § 17 Geo Anm 24 lit e; Kodek in Fasching/Konecny ³ § 260 ZPO Rz 83).

Dies entspricht – bei vergleichbarer Rechtslage (vgl § 21 GVG) – auch der Auffassung in Deutschland. Dort entscheidet nach herrschender Ansicht das (dem Personalsenat vergleichbare) Präsidium (§ 21a GVG) geschäftsverteilungsplanbedingte Kompetenzkonflikte. Nach der Rechtsprechung des BGH gehört es nach den anerkannten Rechtsgrundsätzen zu der dem Präsidium in § 21e GVG übertragenen Aufgabe der Geschäftsverteilung notwendigerweise, bei internen Meinungsverschiedenheiten über die Anwendung des aufgestellten Geschäftsverteilungsplans, insbesondere auch bei negativen Kompetenzkonflikten, eine Entscheidung zu treffen (BGH 1 StR 138/75 = NJW 1975, 1.424). Solche Auseinandersetzungen beträfen eine Frage der Verteilung der Geschäfte unter den Mitgliedern des Gerichts durch den jeweiligen Geschäftsverteilungsplan, der in die Zuständigkeit des Präsidiums falle (BGH X ARZ 247/99 = NJW 2000, 80; BGH X ARZ 175/03 = NJW 2003, 3.636).

Diese Rechtsprechung wird von der herrschenden Meinung im (deutschen) Schrifttum geteilt; das Abstraktionsprinzip, das Vorauswirkungsprinzip und der Bestimmtheitsgrundsatz stünden einer Zuständigkeit des Präsidiums zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten nicht entgegen (ausführliche Nachweise bei Schramm aaO 29 FN 29).

Hingegen vertrat die Entscheidung 14 Os 72/04 = SSt 2004/52 die Auffassung, ein bloß deklarativer, weil die Geschäftsverteilung nicht verändernder Beschluss eines Personalsenats sei weder in einem Gesetz noch in der Geo vorgesehen. Die Entscheidung 13 Ns 44/09p bezeichnet im Anschluss daran die Praxis der Auslegung einer Geschäftsverteilung durch den Personalsenat als „gesetzesfremd“.

Demgegenüber hat Schramm (aaO 31) gezeigt, dass auch ein geschäftsverteilungsbedingter Kompetenzkonflikt notwendigerweise in die Entscheidungszuständigkeit des Personalsenats fällt. Ein solcher Zuständigkeitsstreit betrifft eine Frage der Verteilung der Geschäfte unter den Richtern des Gerichts durch die jeweilige Geschäftsverteilung. Die bindende Entscheidung des Personalsenats in einem derartigen Fall dient der Beseitigung einer sonst verbleibenden objektiven Rechtsverweigerung durch einen (insbesondere negativen) Kompetenzkonflikt und stellt sich nur als Verwirklichung (und Präzisierung) allgemeiner Geschäftsverteilungsregeln dar.

Der Hinweis der Gegenauffassung auf die Möglichkeit eines Disziplinarverfahrens zur Klärung von Geschäftsverteilungskonflikten ist nicht stichhaltig. Das Disziplinarverfahren ist schon aufgrund seiner abweichenden Zielsetzung für die Sicherstellung von Rechtsschutz im Einzelfall nicht geeignet (vgl Kodek in Fasching/Konecny ³ § 260 ZPO Rz 83). Zudem muss selbst eine unrichtige Auslegung der Geschäftsverteilung noch lange nicht disziplinär sein ( Schramm aaO 32).

Gegen die herrschende Auffassung spricht auch nicht, dass über Fragen der Gerichtsbesetzung auch – sei es von Amts wegen, sei es über Antrag der Parteien – ein eigener Beschluss gefasst werden kann, der gegebenenfalls im Instanzenzug überprüft werden kann (vgl für das Strafverfahren § 281 Abs 1 Z 1 StPO; dazu 14 Os 72/04 = SSt 2004/52; weiters etwa 11 Os 25/17m; 11 Os 125/19w; für das Zivilverfahren §§ 260 ff ZPO; zu Einschränkungen der Anfechtbarkeit vgl jedoch RS0132654).

Die Möglichkeit eines derartigen Beschlusses erübrigt jedoch nicht eine Kompetenz des Personalsenats, (gerichtsinterne) Auffassungsunterschiede über die Auslegung der Geschäftsverteilung bindend zu entscheiden. Dies ermöglicht nicht nur eine Vorabklärung, bevor die Parteien überhaupt von der konkreten Besetzung des Gerichts Kenntnis erlangen, sondern dient vor allem auch dazu, negative Kompetenzkonflikte zu vermeiden. Die Gegenauffassung würde dazu führen, dass gerade in Verfahren, in denen – wie im vorliegenden Fall – kein weiterer Rechtszug (mehr) offen steht, ein negativer Kompetenzkonflikt nicht bereinigt werden könnte, obwohl die Rechtsordnung sonst detaillierte Vorschriften zur Entscheidung derartiger Konflikte – selbst zwischen Höchstgerichten (vgl Art 138 Abs 1 Z 2 B-VG) –vorsieht. Dass gerade für einen derartigen Konflikt, wenn er innerhalb eines Gerichts auftritt, keine Möglichkeit der Klärung bestehen sollte, wäre wertungswidersprüchlich.

Zusammenfassend kommt daher dem Personalsenat – ungeachtet des (derzeitigen) Fehlens einer bis 2016 ausdrücklich in der Geschäftsverteilung enthaltenen Bestimmung, wonach in Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen einzelnen Senaten der Personalsenat über die Zuteilung des Akts entscheidet – die Zuständigkeit zur Entscheidung derartiger Auslegungskonflikte zu.

Zur Klarstellung ist festzuhalten, dass eine gerichtsinterne Klärung der Zuständigkeit durch den Personalsenat die Möglichkeit der Parteien, nach Maßgabe der Verfahrensgesetze die Gerichtsbesetzung zu rügen und gegebenenfalls (vgl abermals § 281 Abs 1 Z 1 StPO; für das Zivilverfahren §§ 260 ff ZPO; zu Einschränkungen der Anfechtbarkeit vgl jedoch RS0132654) diese Frage auch im Rechtsmittelverfahren zu thematisieren, nicht beschränkt. Die Parteien sind am Verfahren vor dem Personalsenat nämlich nicht beteiligt und daher an dessen Zuständigkeitsbeurteilung nicht gebunden (vgl zum in gewissem Sinn vergleichbaren Problem von a-limine ergangenen Zuständigkeitsentscheidungen im Zivilverfahren Präs 488/54 Jud 61 neu = SZ 27/290; 3 Ob 307/01w; 4 Ob 251/01t; 8 Ob 5/03y; 8 ObA 46/06g; RIS-Justiz RS0039200; aus der Literatur Schneider in Fasching/Konecny ³ § 46 JN Rz 8 und 16 mwN).

Im konkreten Fall haben die Vorinstanzen ein auf Datenschutzrecht gestütztes Klagebegehren mit Urteil abgewiesen. Insofern besteht nach Punkt I.6.1.4. der Geschäftsverteilung die Fachzuständigkeit des 6. Senats. Der vom Erstgericht (wenn auch nur) in den Gründen gefasste Beschluss über die Zulässigkeit des Rechtswegs betrifft eine Prozessvoraussetzung, die beim Obersten Gerichtshof nach allgemeinen Grundsätzen von dem in der Hauptsache zuständigen Senat zu prüfen ist. Ungeachtet des Umstands, dass eine derartige Prüfung im konkreten Fall allenfalls die (unmittelbare oder analoge) Anwendung von § 9 Abs 5 AHG erfordern könnte, obliegt die Überprüfung dieses Beschlusses nach allgemeinen Grundsätzen dem in der Hauptsache zuständigen Senat. Dieser Frage wäre zudem im Anlassfall die (allgemein-prozessuale) Frage vorgelagert, ob bereits eine bindende Entscheidung im Sinn des § 42 Abs 3 JN vorliegt, was gleichfalls vom für die Hauptsache zuständigen Senat zu beurteilen ist.

Die Geschäftsverteilung weist dem 1. Senat „Fragen der Amtshaftung und damit zusammenhängende Ersatzansprüche“ zu, jedoch nicht schlechthin Klagen gegen Rechtsträger im Zusammenhang mit Aufgaben der Hoheitsverwaltung. Im konkreten Fall stellt sich auch in Bezug auf die Zulässigkeit des Rechtswegs zudem keine Frage des (allgemeinen) Amtshaftungsrechts. Vielmehr geht es darum, ob dieses (allgemeine) Amtshaftungsrecht vom Europäischen Datenschutzrecht überlagert wird. Darüber sollte bei wertender Betrachtung jener Senat entscheiden, in dessen Zuständigkeit das Datenschutzrecht als speziellere Materie fällt. In diese Richtung weist auch Punkt I.6.1.4. der Geschäftsverteilung, der „Rechtssachen über Ansprüche nach dem Datenschutzgesetz und nach der Datenschutzgrundverordnung“ auch dann dem 6. Senat zuweist, wenn diese Arbeitsrechtssachen iSd § 50 ASGG sind. Das gilt im konkreten Fall umso mehr, als der Schadenersatzanspruch mit einem jedenfalls nicht unter das Amtshaftungsrecht fallenden (datenschutzrechtlichen) Auskunftsanspruch verbunden ist.

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