8ObA32/24z – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann Prentner als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka und Dr. Stefula und die fachkundigen Laienrichterinnen Mag. Sabrina Klauser (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und FI Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. W*, vertreten durch Dr. Andreas Köb, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen 520.484,63 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 271.936,63 EUR brutto) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. April 2024, GZ 9 Ra 99/23d 51, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen .
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1. Eine aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffene abschließende Regelung über die gegenseitigen Ansprüche ist als Vergleich anzusehen, dessen Bereinigungswirkung sich im Zweifel auf alle aus diesem Dauerschuldverhältnis entstehenden oder damit zusammenhängenden Rechte und Pflichten erstreckt ( RS0028337 ; RS0032589 [T8]). Diese Bereinigungswirkung tritt selbst dann ein, wenn in den Vergleich keine Generalklausel aufgenommen wurde; sie umfasst auch solche Ansprüche, an welche die Parteien im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses zwar nicht gedacht haben, an die sie aber denken konnten ( RS0032589 [T11]; RS0032470 ; RS0032453 ; RS0044358 [T5]).
[2] 1.2. Bei der Auslegung im Sinne des § 914 ABGB von Vergleichen ist so wie bei allen Verträgen ausgehend vom (schriftlichen) Wortlaut der Vereinbarung die Absicht der Parteien zu erforschen ( RS0044358 ). Lässt sich ein vom objektiven Erklärungswert abweichender Wille der Parteien nicht feststellen ( RS0017915 [T28]; RS0017834 ; vgl auch RS0017911 ), ist der Vergleich unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs ( RS0017817 [T3]; RS0017902 ) und der Übung des redlichen Verkehrs ( RS0017781 ) so auszulegen, wie er für einen redlichen und verständigen Empfänger zu verstehen war ( RS0113932 ). Auf eine nicht erkennbar geäußerte Absicht einer Partei bei Vergleichsabschluss kommt es dabei nicht entscheidend an ( RS0044358 [T4]). Wenn mit diesen Auslegungsregeln nach § 914 ABGB das Auslangen gefunden wird, kommt die subsidiäre Anwendung des § 915 ABGB nicht in Betracht (vgl RS0017752 ).
[3] 1.3. Die der rechtlichen Beurteilung zuzurechnende Auslegung einer Vereinbarung nach den Grundsätzen des § 914 ABGB , insbesondere unter Erforschung der im konkreten Fall verfolgten Parteienabsicht, wirft ebenso wenig wie die Auslegung eines Vergleichs aufgrund seiner spezifischen Vorgeschichte (vgl RS0044358 [T4]) erhebliche Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf, sofern – wie hier – kein grobes Abweichen von den allgemeinen Auslegungsregeln vorliegt ( RS0113785 ; RS0044358 [insb T17, T18]; RS0044298 ; RS0042776 ; RS0042936 ).
[4] 2. Der Kläger war seit 1991 bei der Beklagten zuletzt als Flugkapitän beschäftigt und wurde im Mai 2012 über einen Betriebsübergang am 1. 7. 2012 auf ein anderes Flugunternehmen ohne Übernahme der leistungsorientierten Pensionskassenzusagen informiert, ohne dass er dem Betriebsübergang in der Folge rechtzeitig und wirksam widersprochen hätte. Er wurde vom den Betrieb übernehmenden Flugunternehmen (dessen spätere Gesamtrechtsnachfolgerin zufolge Fusion zum 1. 4. 2015 in der Folge wiederum die Beklagte wurde) zum 31. 12. 2012 gekündigt. Nachdem zwischen den Parteien mehrere Gerichtsverfahren anhängig gemacht worden waren, trafen sie am 5. 5. 2014 einen außergerichtlichen Vergleich folgenden auszugsweisen Wortlauts:
„1. [Der Kläger] erhält aus dem zum 31. 12. 2012 durch Dienstgeberkündigung beendeten Dienstverhältnis eine Abschlagszahlung in Höhe von € 430.000,- brutto (darin enthalten kollektivvertragliche Abfertigung in Höhe des 33 fachen Bruttomonatsgehaltes), unter Anrechnung der bereits mit der Endabrechnung zur Auszahlung gebrachten Abfertigung.
[…]
6. Für den Fall, dass [einem namentlich genannten anderen früheren Piloten der Beklagten] im Verfahren zu […] des Landesgerichtes […] rechtskräftig oder rechtswirksam eine Pensionsabfindung nach § 5 Abs 2 AVRAG (Teilwert) oder eine sonstige Zahlung aus einer Betriebspensionszusage [der Beklagten] zugesprochen wird, erhält [der Kläger] ebenfalls eine Zahlung aus seiner Betriebspensionszusage, die sich dem Grund und der Höhe nach, nach den gleichen oder vergleichbaren Parametern errechnet. Sollte es im Verfahren [des anderen Piloten] zu keiner rechtskräftigen oder rechtswirksamen Erledigung kommen, werden die Parteien dieser Vereinbarung eine Alternative finden, die dem wirtschaftlichen Gehalt dieser Regelung entspricht.
7. Mit dieser Vereinbarung und ihrer Erfüllung sind sämtliche Ansprüche gegenüber [der Rechtsvorgängerin der Beklagten sowie dieser selbst] aus und im Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis und dessen Beendigung, gleich welcher Art, welchen Rechtsgrundes, ob bekannt oder unbekannt, abschließend geregelt, bereinigt und verglichen. Über diese Vereinbarung hinaus bestehen – mit Ausnahme des vo [m Kläger] behaupteten und von [der Beklagten bzw ihrer Gesamtrechtsvorgängerin] bestrittenen Anspruchs auf Pensionsabfindung gemäß § 5 Abs 2 AVRAG (der hier ausgeklammert wird) und mit Ausnahme der Pensionsansprüche gegenüber [einer namentlich genannten Pensionskasse] lt P 63 des bis 30. 06. 2012 normativ in Geltung gestandenen Kollektivvertrages [...] – keinerlei Ansprüche [des Klägers] gegen [die Beklagte bzw ihre Gesamtrechtsvorgängerin] oder mit diesen verbundene Unternehmen oder auf Abfertigungen, Zulagen jeglicher Art, Bonuszahlungen, Kommissionszahlungen, Aufwandsentschädigungen, Kranken- und Sozialversicherungsbeiträge, Jubiläumsgeldes und Wohnbeiträge oder auf sonstige Zahlungen oder Leistungen welcher Art auch immer. [Der Kläger] bestätigt hiermit, nach Erfüllung dieser Vereinbarung hinsichtlich sämtlicher Ansprüche aus dem Dienst- und Anstellungsverhältnis sowie aus dessen Beendigung voll befriedigt worden zu sein. Mit Unterzeichnung dieser Vereinbarung bestätigt [der Kläger] , dass er keine Ansprüche gegenüber [der Beklagten bzw ihrer Gesamtrechts- vorgängerin] oder mit diesen verbundenen Unternehmen sowie deren Organe und Mitarbeiter geltend machen wird, die über diese Vereinbarung hinausgehen.
[…] “
[5] D as Hauptbegehren des anderen Piloten auf Pensionsabfindung gemäß § 5 Abs 2 AVRAG wurde 2015 rechtskräftig abgewiesen ( 9 ObA 69/15k ); 2018 wurde jenes Verfahren bezüglich zweier dort offen gebliebener Eventualbegehren (Nachschuss, Unverfallbarkeitsbetrag) vorerst bis zur Erledigung anderer Gerichtsverfahren unterbrochen und in der Folge durch eine beidseitige Ruhensvereinbarung beendet .
[6] 3. Das Berufungsgericht legte den Vergleich nach § 914 ABGB – vom Wortlaut von Punkt 6. ( „Für den Fall, dass ...“) ausgehend – dahin aus, dass eine aufschiebende Bedingung im Sinne des § 696 ABGB vorliege. Bei Eintritt der Bedingung solle der Kläger eine „dem Grund und der Höhe nach“ nach den gleichen oder vergleichbaren Parametern zu ermittelnde Zahlung wie der andere Pilot erhalten, während bei Nichteintritt der vereinbarten Bedingung, wenn dem anderen Piloten keine Zahlung rechtskräftig oder rechtswirksam zugesprochen werde, die genannten Rechtswirkungen nicht eintreten sollten und der Kläger keine Zahlung erhalte; dabei sei jede rechtskräftige Erledigung, also insbesondere ein stattgebendes oder abweisendes Urteil und jeder rechtswirksame Vergleich umfasst: Bei einem stattgebenden Urteil (oder einem entsprechenden Vergleich) im Verfahren des anderen Piloten solle daher ein Anspruch des Klägers entstehen, bei einem abweisenden Urteil oder Vergleich jedoch nicht. I m zweiten Satz des Punktes 6. sei nur für andere Fälle, also etwa Klagsrückziehung, Unterbrechung ohne Fortsetzung oder Ruhen des Verfahrens, die Sonderregelung getroffen worden, dass eine dem wirtschaftlichen Gehalt dieser Regelung entsprechende Alternative gefunden würde. Für dieses Auslegungsergebnis spreche auch die Entstehungsgeschichte des Vergleichsabschlusses. Auch die Formulierung des Punktes 7. stehe dem nicht entgegen, weil dort bloß erneut betont werde, dass nur der allfällige Anspruch nach § 5 Abs 2 AVRAG sowie Pensionsansprüche gegenüber der Pensionskasse als Ausnahmen vom Generalvergleich nicht umfasst seien und diese Ansprüche allenfalls zusätzlich zur dem Kläger im Vergleich zugestandenen Summe von 430.000 EUR be stehen könnten. Ob und unter welchen Voraussetzungen so lche Ansprüche bestünden , sei in Punkt 6. und nicht in Punkt 7. geregelt. Für eine vom Kläger angestrebte Anwendung des § 915 ABGB sei kein Raum.
[7] 4.1. Diese Auslegung hält sich im Rahmen der dargelegten Auslegungsregeln und des den Gerichten im Einzelfall notwendigerw eise zukommenden Beurteilungsspielraums. Die Formulierung von Punkt 7. fand sich nach den Feststellungen bereits in Vorentwürfen des Vergleichs, wohingegen der Pensionsabfindungsanspruch, den die Parteien mit der Regelung in Punkt 6. an das Ergebnis des Verfahrens des anderen Piloten koppelten, in den früheren Entwürfen gänzlich ausgespart geblieben wäre, und erst in der letzten Besprechung vor Erstellung des endgültigen Entwurfs der Versuch unternommen wurde, auch hierfür eine praktikable Lösung zu finden. Vor diesem Hintergrund die relevante Regelung in Punkt 6. des Vergleichs zu erblicken, ist zumindest vertretbar.
[8] 4.2. Die Revision des Klägers verkennt, dass die Auslegungsregel , wonach die Absicht der Parteien zu erforschen sei, dahin zu verstehen ist, dass – vom Fall eines erwiesenen, vom Wortlaut abweichenden übereinstimmenden natürlichen Konsenses abgesehen (falsa demonstratio non nocet: vgl RS0014005 ; RS0017839 ) – auf den objektiven Erklärungswert einer Willensäußerung abzustellen ist, jedoch weder auf den Willen des Erklärenden noch auf die subjektive Auslegung des Erklärungsempfängers. Im Sinne der Vertrauenstheorie ist eine Erklärung vielmehr so zu verstehen, wie sie ein redlicher, verständiger Erklärungsempfänger unter Berücksichtigung des Geschäftszwecks und der gegebenen Umstände verstehen durfte (vgl RS0014160 [insb T11]).
[9] Wie aus einer von der Revision ins Treffen geführten Negativfeststellung betreffend das Bestehen von (zum Vergleichstext) zusätzlichen mündlichen Vereinbarungen anlässlich der Besprechung, bei der der vorliegende unstrittige Vergleichstext akkordiert wurde, auf einen von dessen objektiven Erklärungswert abweichenden natürlichen Konsens der Parteien geschlossen werden sollte, vermag die Revision nicht nachvollziehbar darzulegen. Zudem trifft d ie Behauptungs- und Beweislast für den Nichteintritt der Bereinigungswirkung eines Vergleichs denjenigen, der ihr entgegentritt ( RS0032504 ); eine Negativfeststellung, wie sie hier vom Kläger ins Treffen geführt wird, ginge daher ohnehin zu seinen Lasten. Er zeigt auch sonst nicht auf, dass dem Berufungsgericht ein grobes Abweichen von den allgemeinen Auslegungsregeln anzulasten wäre; d ass auch eine andere Auslegung des Vergleichs möglich wäre, hat dagegen keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (vgl RS0042555 [T4]; RS0112106 [T4] ).
[10] 4.3. Die Anwendung des § 5 Abs 2 AVRAG setzt den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber (mangels Widerspruchs des Arbeitnehmers gemäß § 3 Abs 4 AVRAG ) bei gleichzeitiger Nichtübernahme der betrieblichen Pensionszusage durch den Erwerber voraus; der Arbeitnehmer muss den Betriebsübergang „mitmachen“, um in den Genuss der privilegierten Anwartschaftsabfindung nach § 5 Abs 2 AVRAG zu gelangen ( RS0130250 ). Auch daraus ist jedoch kein zwingendes Argument gegen das hier vom Berufungsgericht erzielte Auslegungsergebnis zu gewinnen. Zwar hat der andere Pilot, auf den im Vergleich Bezug genommen wird, den Betriebsübergang – anders als nach den bisherigen Verfahrensergebnissen der Kläger – gerade nicht „mitgemacht“ und gelangte schon deshalb nicht in den Genuss der Leistungen nach § 5 Abs 2 AVRAG ( 9 ObA 69/15k ; vgl auch 8 ObA 40/15p; 8 ObA 49/15m ). Aus den erstgerichtlichen Feststellungen ergibt sich jedoch, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses selbst den Standpunkt vertrat, auch er habe den Betriebsübergang (ebenso wie jener andere Pilot) nicht „mitgemacht“. Auch in diesem Lichte ist gegen das Auslegungsergebnis, wonach die Parteien übereinstimmten, die gerichtliche Entscheidung im Fall jenes anderen Piloten als auch für das Rechtsverhältnis zum Kläger relevant anzusehen, und sie daher das Schicksal seiner Pensionsabfindungsforderung an jenes Verfahrensergebnis „koppelten“, kein zwingendes Gegenargument zu gewinnen.
[11] 4.4. Soweit die Revision unter Verweis auf einzelne Beweisergebnisse argumentiert oder sie einen natürlichen Konsens unterstellt, geht sie unzulässigerweise nicht vom festgestellten Sachverhalt aus (vgl RS0043312 ; RS0043603 ).
[12] 5. Da das Berufungsgericht somit die Vertragsurkunde – wie dargelegt im Einklang mit den Auslegungsregeln vertretbar – auslegte, ist auch nicht nachvollziehbar, inwiefern es in aktenwidriger oder Verfahrensgrundsätze verletzender Weise von Feststellungen des (gemeint wohl:) Erstgerichts abgewichen sein oder den Unmittelbarkeitsgrundsatz verletzt haben sollte, indem es – worauf die Revision wohl abzielt – den Negativfeststellungen zu mündlichen Vereinbarungen keine auslegungsrelevante Bedeutung beimaß. Die Revisionsgründe der Aktenwidrigkeit und des Mangels des Berufungsverfahrens liegen somit nicht vor.
[13] 6.1. Zusammengefasst ist im Weiteren auch die Rechtsansicht des Berufungsgerichts vertretbar, dass der Kläger mangels Eintritts der in Punkt 6. des Vergleichs normierten Bedingung keinen Anspruch auf eine über den Vergleichsbetrag von 430.000 EUR hinausgehende Zahlung nach § 5 Abs 2 AVRAG hat; folglich ist daher auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht das – nach bereits durch das Erstgericht erfolgter und unangefochten gebliebener Abweisung eines Begehrensteils von 248.548 EUR brutto sA – verbliebene und alleine Gegenstand seines Teilurteils und damit auch (ungeachtet des anscheinend das gesamte Klagebegehren ansprechenden Revisionsantrags) des Revisionsverfahrens bildende restliche Hauptbegehren von 271.936,63 EUR abwies. Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.
[14] 6.2. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO in Verbindung mit § 2 Abs 1 ASGG).