JudikaturOGH

11Os20/24m – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Juli 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Juli 2024 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl in Gegenwart des Richteramtsanwärters Loibl LL.M., BSc als Schriftführer in der Strafsache gegen * W* wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 und Abs 4 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 10. Oktober 2023, GZ 18 Hv 56/23g 35, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * W* des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, [„2“], Abs 3, Abs 4 zweiter Fall StGB (1/) und der Vergehen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a Abs 1 StGB (2/) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in M* und anderen Orten

1/ im Zeitraum von Anfang 2019 bis Frühjahr 2021 gegen seine Ehefrau K* W* durch Misshandlungen, Körperverletzungen (§ 83 Abs 1 und Abs 2 StGB) und Freiheitsentziehungen (§ 99 Abs 1 StGB) eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er ihr zumindest sechs Mal Schläge mit der flachen Hand gegen den Kopf und Tritte gegen den Ober bzw Unterschenkel versetzte, wodurch sie teilweise Hämatome erlitt, und sie regelmäßig zumindest drei Mal pro Woche für 45 bis 90 Minuten in der Wohnung einsperrte, wobei er durch die Taten eine umfassende Kontrolle des Verhaltens der K* W* hergestellt und eine erhebliche Einschränkung der autonomen Lebensführung der Genannten bewirkt und diese Gewalt länger als ein Jahr ausgeübt hat,

2/ im Zeitraum von Oktober 2019 bis Frühjahr 2021 in zumindest vier Angriffen mit K* W* gegen deren Willen den Beischlaf und dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen vorge nommen, indem er jeweils trotz ihrer zum Ausdruck gebrachten Ablehnung (US 6) zwei Finger in ihre Vagina einführte und den vaginalen Geschlechtsverkehr vollzog.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a, 9 lit a, 10 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung am 10. Oktober 2023 gestellten Antrags auf „Auswertung der Handydaten der K* W*“ zum Beweis dafür, dass „sie im Mai 2021 ihre Mutter mit der gleichen Handynummer wie immer kontaktiert habe und ihre Aussage nicht stimmen könne, wonach sie kein eigenes Handy gehabt hätte“, woraus sich „auch die Unglaubwürdigkeit der Angaben der Zeugin K* W*“ ergebe (ON 34 S 23), Verteidigungsrechte nicht verletzt. Denn der – solcherart auf Erkundungsbeweisführung gerichtete – Antrag ließ nicht erkennen, anhand welcher Daten welchen Mobiltelefons oder welcher Mobiltelefonnummer Rückschlüsse auf die Verwendung eines Mobiltelefons durch K* W* im Tatzeitraum (Anfang 2019 bis Frühjahr 2021) gezogen werden könnten (RIS Justiz RS0099353). Sollte sich das Begehren auf die Auswertung von Verkehrsdaten (§ 160 Abs 3 Z 6 TKG 2021 [§ 92 Abs 3 Z 4 TKG 2003]) beziehen, verabsäumte der Antragsteller überdies darzulegen , weshalb eine solche mit Blick auf d en im Antragszeitpunkt (10. Oktober 2023) bereits über zwei Jahre zurückliegenden Tatzeitraum trotz gesetzlich normierter Löschungspflichten der Telefonanbieter (vgl § 167 Abs 1 und 2 TKG 2021 [bzw 99 Abs 1 und 2 TKG 2003]) noch hätte durchgeführt werden können.

[5] U nter dem Aspekt einer Erschütterung der Glaubwürdigkeit der Zeugin (vgl RIS Justiz RS0028345) zeigte er zudem keine – für den Erfolg eines solchen Begehrens indes erforderlichen (RIS Justiz RS0120109 [T3]) – konkreten Anhaltspunkte dafür auf, dass K* W* in Bezug auf eine entscheidende Tatsache die Unwahrheit gesagt hätte.

[6] In der Beschwerde nachgetragene Argumente zur Antragsfundierung sind prozessual verspätet und daher unbeachtlich (RIS Justiz RS0099618).

[7] Soweit die Verfahrensrüge (Z 4) das Unterbleiben der Beischaffung der Mietverträge, der Vernehmung der Vermieter sowie einer „Nachschau“ bei den Wohnungen vermisst, scheitert sie schon daran, dass sie sich auf keinen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag bezieht (RIS Justiz RS0099250) .

[8] Mit der Behauptung, die Feststellungen zu Schlägen und Tritten sowie deren Häufigkeit gegen K* W* (US 4 f, 7 iVm ON 11 S 3 f ) stünden im Widerspruch zu deren Angaben in der kontradiktorischen Vernehmung, wird keine Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 5 dritter Fall StPO dargetan (RIS Justiz RS0117402 [T1, T8, T16]).

[9] Das V orbringen, die vom Erstgericht angenommenen „sechs Misshandlungsvorfälle im festgestellten Zeitraum“ bzw die von K* W* konkret geschilderten „zwei Vorfälle in einem Zeitraum von nahezu 3 Jahren“ würden den Tatbestand des § 107b StGB nicht erfüllen, vernachlässigt prozessordnungswidrig (RIS Justiz RS0099810) die Urteilsfeststellungen zu den darüber hinaus über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren zumindest drei Mal pro Woche gesetzten Freiheitsentziehungen (US 4 f).

[10] Mit der Behauptung, für die getroffenen Feststellungen fänden sich keine Beweisergebnisse, wird ein formaler Begründungsmangel im Sinn der Z 5 nicht aufgezeigt. Aktenwidrigkeit (Z 5 letzter Fall) läge nur vor, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS Justiz RS0099431 [T1]).

[11] Inwiefern sich die erstrichterlichen Konstatierungen zu 1/ (US 3 ff) in einer bloßen Verwendung der verba legalia erschöpfen sollen, macht die Beschwerde nicht klar.

[12] Soweit der Beschwerdeführer behauptet , die Feststellungen zu den Freiheitsentziehungen (US 4 f iVm ON 11 S 6) fänden „in der Aussage der K* W* […] keine Deckung“ bzw stünden in Widerspruch zu deren Angaben sowie jenen der Zeugin * P*, spricht er abermals keinen Begründungsmangel im Sinne des Z 5 an.

[13] Mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird Nichtigkeit aus Z 5 und 5a nicht aufgezeigt (RIS Justiz RS0102162, RS0117561 ).

[14] D er Tatsachenrüge (Z 5a) gelingt es mit der Behauptung, dass „kein einziges objektives Beweismittel vorhanden“ sei und die „belastenden Feststellungen […] einzig und allein auf die Angaben der Zeugin K* W*“ beruhen würden, sowie eigenständiger Würdigung der Aussagen der Zeuginnen K* W* und * P* und der – dem Beschwerdevorwurf zuwider nicht unerörtert gebliebenen (vgl US 11 f) – Angaben der Zeugen A* und G* W* nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen zu wecken.

[15] Die Rechtsrüge bestreitet die Tatbestandsmäßigkeit der dem Beschwerdeführer angelasteten Übergriffe auf seine Ehefrau nach § 107b StGB. Sie erklärt jedoch nicht, weshalb die – von der Rüge prozessordnungswidrig weitgehend übergangenen (RIS Justiz RS0099810) – Konstatierungen zu den vom Angeklagten über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren zumindest drei Mal wöchentlich begangenen Freiheitsentziehungen und insgesamt zumindest sechs Mal gesetzten Tätlichkeiten (US 4 f) bei der gebotenen einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung der Faktoren Dauer, Dichte und Intensität (RIS Justiz RS0127377) die rechtliche Annahme einer fortgesetzten Gewaltausübung nicht tragen sollten, und entzieht sich damit einer inhaltlichen Erwiderung (RIS Justiz RS0116565).

[16] Auch das gegen die Annahme der Qualifikationen des § 107b Abs 3 StGB und des § 107b Abs 4 zweiter Fall StGB gerichtete V orbringen (Z 10, nominell auch Z 9 lit a) leitet nicht methodisch vertretbar aus dem Gesetz (RIS Justiz RS0116569) ab, weshalb die Feststellungen, wonach der Angeklagte seine Ehefrau über mehr als zwei Jahre wiederholt körperlich angriff und sie zumindest drei Mal pro Woche für 45 bis 90 Minuten in der Wohnung einsperrte, weil er Kontakte seiner Frau verhindern wollte, wobei er auch das gemeinsame Mobiltelefon mitnahm und K* W* Schläge androhte, sollte sie bei seiner Rückkehr nicht in der Wohnung sein oder er von Nachbarn etwas hören (US 4 f, siehe weiters US 3 ff, wonach er die Genannte sonst nie alleine ließ, sie ständig kontrollierte und verhinderte, dass sie unbeaufsichtigt ist und alleine etwas unternimmt, ihr den Kontakt zu ihrer Familie, ihren Freunden und der Außenwelt verbot), und sein Vorsatz dabei auf Einschränkung der Selbstbestimmungsfähigkeit der K* W*, umfassende Kontrolle ihres Verhaltens und schwerwiegende Beeinträchtigung ihrer autonomen Lebensführung über einen länger als ein Jahr dauernden Zeitraum gerichtet war (US 4 f, 13), die Subsumtion unter § 107b Abs 3 und Abs 4 zweiter Fall StGB in objektiver und subjektiver Hinsicht nicht tragen sollten.

[17] Weshalb der Umstand, dass im Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung (1/) der bloß eine deliktsspezifische Definition des Gewaltbegriffs enthaltende Abs 2 des § 107b StGB (überflüssigerweise; siehe etwa 15 Os 29/24i [Rz 4], 11 Os 31/24d [Rz 1], 11 Os 89/22f [Rz 1], 11 Os 31/22g [Rz 1], 15 Os 35/23w [Rz 2], 11 Os 102/22t [Rz 1]) mitzitiert wurde, Nichtigkeit begründen sollte, erklärt die Beschwerde nicht (vgl im Übrigen RIS Justiz RS0116669).

[18] Das gegen den Schuldspruch zu 2/ gerichtete Rügevorbringen (Z 9 lit a), es habe weder ein Ausnützen einer Zwangslage noch eine vorangegangene Einschüchterung stattgefunden, erklärt nicht, weshalb die angeführten Umstände fallkonkret für die rechtliche Unterstellung unter § 205a Abs 1 StGB erforderlich sein sollten (RIS Justiz RS0116565; vgl im Übrigen Philipp in WK² StGB § 205a Rz 3 ff). Soweit die Beschwerde darauf verweist, dass „das bloß innere Vorliegen einer allfälligen Ablehnung, ohne dass diese nach außen hin erkennbar geworden wäre“, für die Verwirklichung des Tatbestands des § 205a Abs 1 StGB nicht ausreiche, argumentiert sie nicht auf Basis der Urteils aussagen zur Erkennbarkeit der deutlich bekundeten Ablehnung der K* W* sowie zum Vorsatz des Angeklagten auf Handeln gegen deren Willen (US 6, 9, 13; RIS Justiz RS0099810).

[19] Die Diversionsrüge (Z 10a) verfehlt die prozessordnungsgemäße Darstellung (vgl RIS Justiz RS0124801), indem sie unter Hinweis auf den nach de m Tat zeitraum geäußerten Wunsch der K* W* nach einer Familienbetreuung (US 6, 9 f) und die vom Erstgericht angenommenen Milderungsgründe (US 13) das Vorliegen der Voraussetzungen für eine diversionelle Verfahrensbeendigung schlicht behauptet, jedoch nicht erklärt, weshalb (trotz der fallkonkret angedrohten Freiheitsstrafe von fünf bis fünfzehn Jahren [US 13 und § 107b Abs 4 StGB]) der Ausschlussgrund des § 198 Abs 2 Z 1 StPO nicht zum Tragen kommen sollte .

[20] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war die Nichtigkeitsbeschwerde daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

[21] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rückverweise