5Ob94/24w – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M*, 2. H*, ebenda, beide vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. A* GmbH, *, 2. V* AG, *, beide vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 8.000 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 11. Jänner 2024, GZ 11 R 26/23g 55, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 25. September 2023, GZ 38 Cg 64/21f 51, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die in Ansehung der Erstbeklagten und der Abweisung des Feststellungsbegehrens gegen die Zweitbeklagte mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsen sind, werden im Übrigen, somit hinsichtlich der Abweisung des Zahlungsbegehrens und im Kostenpunkt betreffend die Zweitbeklagte aufgehoben.
Dem Erstgericht wird in diesem Umfang die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind Kosten des weiteren Verfahrens.
Text
Begründung:
[1] Die Kläger waren Eigentümer eines VW Passat und führten wegen einer darin verbauten unzulässigen Abschalteinrichtung ein Verfahren gegen die erstbeklagte Händlerin. Sie schlossen einen außergerichtlichen Vergleich, wonach sie bei der Erstbeklagten den nun Gegenstand des Verfahrens bildenden VW Passat Alltrack TDI SCR kauften und das Vorgängerfahrzeug um 16.000 EUR eintauschten. Die Kläger verpflichteten sich im Zug des Vergleichs zur Zahlung von 11.000 EUR und Rückziehung der von ihnen eingebrachten außerordentlichen Revision. Darüber stellte die Erstbeklagte den Klägern am 11. 8. 2017 eine Rechnung über 41.950 EUR aus.
[2] Die Erstzulassung des Fahrzeugs erfolgte am 3. 8. 2017, die Übergabe im August 2017. Die Zweitbeklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs, in dem ein Dieselmotor des Typs EA288 verbaut ist. Das Fahrzeug entspricht laut EU Betriebsgenehmigung der Euro Abgasn orm 6b. Es verfügt über einen SCR Katalysator und eine Abgasrückführung zur Emissionsminderung. Der SCR Katalysator verwendet zur Reduktion der NO x Emissionen das Mittel „AdBlue“, wobei der Wirkungsgrad (unter anderem) vom Temperaturniveau des SCR Katalysators, dem Füllstand des SCR Katalysators mit Ammoniak und den zur Konvertierung anstehenden NO x Emissionen abhängt. Die Anpassung der AdBlue Dosierung an den Füllstand des Ammoniakspeichers ist technisch erforderlich und keine Abschalteinrichtung. Die Abgasrückführung wird durch eine Steuerungssoftware in Form eines „Thermofensters“ geregelt. Nicht fest stellbar war , in welcher Ausprägung dieses Thermofenster im Fahrzeug umgesetzt ist, ob die emissionsmindernden Einrichtungen eine Haltbarkeit unter 160.000 km aufweisen und auch nicht, ob für das F ahrzeug ein freiwilliges Software Update zur Verfügung steht. Fest steht weiters nicht, welches Emissionsniveau das Fahrzeug im Normalbetrieb erreicht. Eine Abgasstrategie, bei der die Abgasreinigung bei auf Prüfständen durchgeführten Fahrten von Fahrten unter realen Bedingungen abweicht, konnte das Erstgericht nicht feststellen.
[3] Die Kläger begehrten – soweit für das Revisionsverfahren noch wesentlich (ihr Feststellungsbegehren wurde ebenso rechtskräftig abgewiesen wie alle ihre Begehren gegenüber der Erstbeklagten) – von der Zweitbeklagten (zuletzt) 8.000 EUR aus dem Titel des deliktischen Schadenersatzes wegen listiger, hilfsweise fahrlässiger Irreführung. Sie brachten im Wesentlichen vor, das Fahrzeug schalte unter Erkennung der Prüfstandsituation in eine Aufwärmstrategie, die im normalen Fahrbetrieb nicht aktiviert werde, und habe eine weitere Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters. D ie abgasmindernden Einrichtungen seien nur am Prüfstand voll funktionsfähig, weil nur in diesem Betrieb eine hohe Abgasrückführrate programmiert sei und die nötige Menge AdBlue eingespritzt werde. Außerhalb des Prüfstands werden die Abgasrückführrate und die AdBlue Einspritzung erheblich reduziert, sodass die gesetzlichen Grenzwerte überschritten werden. Die Abgasrückführung sei nur im Temperaturbereich von 15 Grad Celsius bis 33 Grad Celsius voll funktionsfähig, außerhalb dieses Temperaturbereichs und über 120 km/h Fahrgeschwindigkeit werde die AdBlue Einspritzung unzulässigerweise reduziert oder abgeschaltet. Da ein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zumindest 30 % weniger wert sei, ermittle sich ihr Schaden mit 8.000 EUR. Hätten die Kläger von den Mängeln und dem damit einhergehenden Wertverlust des Fahrzeugs gewusst, hätten sie es nicht gekauft.
[4] Die Beklagten wendeten – soweit noch wesentlich – ein, Fahrzeuge mit dem Dieselmotor des Typs EA288 seien nicht Gegenstand des vom Kraftfahrt Bundesamt (KBA) im Jahr 2015 angeordneten Rückrufs zur Beseitigung der Umschaltlogik in Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 gewesen. Einen Bescheid des KBA mit dem Vorwurf der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gebe es nicht. Das „Thermofenster“ sei sehr weit gefasst und reiche von 24 Grad Celsius bis + 75 Grad Celsius. In diesem Bereich würden 100 % der normierten AGR Rate eingeregelt, sodass diese praktisch bei allen Fahrten aktiv sei. In Temperaturbereichen außerhalb von 24 Grad Celsius bis + 75 Grad Celsius müsse die AGR Rate aus Motorschutzgründen reduziert werden. D er SCR Katalysator vermindere bereits entstandene NO x Emissionen weiter, sodass der gesetzliche Grenzwert eingehalten werde. Dass das Ausmaß der AdBlue Dosierung an den Speicherfüllstand angepasst werde, sei physikalisch notwendig. Auch die Umschaltung auf eine niedrigere AGR Rate bei voll funktionsfähigem SCR Katalysator sei keine unzulässige Abschalteinrichtung.
[5] Das Erstgericht wies die Klage ab, weil die Kläger das Vorliegen eines Mangels nicht bewiesen hätten.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Zwar sei bei Vorliegen einer (unzulässigen) Abschalteinrichtung eine allfällige Verbotsausnahme von den Beklagten zu beweisen. Hier stehe aber nicht fest, dass es sich beim unstrittig bestehenden Thermofenster überhaupt um eine Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 der Verordnung 715/2007/EG hand le , zumal nicht festgestellt werden konnte, in welcher Ausprägung das Thermofenster im Fahrzeug umgesetzt sei. Es stehe daher auch nicht fest, ob bzw dass dieses die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalen Fahrbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert.
[7] Die Revision ließ das Berufungsgericht in Ansehung der Abweisung des Zahlungsbegehrens gegen die Zweitbeklagte nachträglich zu, weil aufgrund der nach der Berufungsentscheidung veröffentlichten Entscheidung 4 Ob 171/23k die Rechtslage zur Frage, wer den Temperaturbereich eines unstrittig bestehenden Thermofensters zu beweisen habe, möglicherweise noch ungeklärt sei. Überdies habe der Oberste Gerichtshof zu 6 Ob 177/23g ausgeführt, dass neben den Grundsätzen zur Behauptungs und Beweislast im Zivilprozess die nach § 184 ZPO befragte Partei eine Mitwirkungspflicht bei Erforschung der Wahrheit treffe, insbesondere bei nicht zu überwindenden Beweisschwierigkeiten und Informationsdefiziten.
[8] In ihrer ordentlichen Revision beantragen die Kläger, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass dem Zahlungsbegehren gegen die Zweitbeklagte kostenpflichtig stattgegeben werde, hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.
[9] Die Zweitbeklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und im Sinn des Eventualantrags auch berechtigt.
[11] 1. Dass auf den gegenständlichen Motor die VO 715/2007/EG anwendbar ist, ist im Revisionsverfahren nicht strittig. Mittlerweile besteht zur Frage von Abschalteinrichtungen reichhaltige Rechtsprechung des Europäischen sowie des Obersten Gerichtshofs, die der 4. Senat zu 4 Ob 171/23k (ebenfalls den Motortyp EA288 betreffend) wie folgt zusammengefasst hat:
„2.1. Es ist grundsätzlich geklärt, dass nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, generell unzulässig ist. Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition nach Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
2.2. Ein 'Thermofenster', aufgrund dessen die volle Abgasrückführung nur innerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs erfolgt, wohingegen sie bei Temperaturen darüber oder darunter sukzessive reduziert wird, ist eine Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 56; 6 Ob 155/22w Rz 37; 10 Ob 16/23k Rz 24, 6 Ob 158/22m Rz 45; 9 Ob 53/23v Rz 11).
3.1. Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EG normiert nur drei Ausnahmetatbestände von diesem grundsätzlichen Verbot von Abschalteinrichtungen.
Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen dann nicht unzulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Kraftfahrzeugs zu gewährleisten. Dabei ist eine Abschalteinrichtung nur dann 'notwendig' im Sinn von Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG, wenn zum Zeitpunkt der EG Typengenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (EuGH C 145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen Rn 73; C 128/20, GSMB Invest Rn 62; C 134/20, IR gegen Volkswagen Rn 74; C 873/19, Deutsche Umwelthilfe Rn 94 f; ÖJZ 2023/16 [Brenn]; 10 Ob 31/23s Rz 28; 2 Ob 5/23h Rz 26; 6 Ob 155/22w Rz 38 f; 10 Ob 2/23h vom 21. 2. 2023 Rz 59 f).
Die Ausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit b VO 715/2007/EG (dass die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlass des Motors erforderlich ist) ist hier nicht einschlägig.
Nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit c VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, (ausnahmsweise) nicht unzulässig, wenn 'die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind'.
3.2. Da jedenfalls die Ausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG eng auszulegen ist, kann eine solche Abschalteinrichtung nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführsystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, wobei diese Risiken so schwer wiegen müssen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs bilden (vgl 10 Ob 31/23s Rz 27 f).
Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, fällt – ungeachtet des Vorliegens der sonst in Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG normierten Voraussetzungen – nicht unter diese Verbotsausnahme (vgl 10 Ob 31/23s Rz 31 mwN). Dasselbe gilt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für eine Abschalteinrichtung, deren einziger Zweck darin besteht, die Einhaltung der in der VO 715/2007/EG vorgesehenen Grenzwerte allein während der Zulassungstests sicherzustellen; auch eine solche Einrichtung läuft der Verpflichtung zuwider, bei normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs eine wirkungsvolle Begrenzung der Emissionen sicherzustellen (C 693/18, CLCV Rn 98; ÖJZ 2021/38, 299 [Kumin/Maderbacher]). Daher kann eine Abschalteinrichtung, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Emissionskontrollsystems verbessert, damit in der VO 715/2007/EG festgelegten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden können und so die Zulassung dieser Fahrzeuge erreicht wird, nicht unter die Ausnahmebestimmung des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG fallen (C 693/18, CLCV Rn 115; 6 Ob 155/22w Rz 36; 3 Ob 146/22z Rz 13).
4. Grundsätzlich hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (RS0106638, RS0037797).
Die Beweislast für eine mangelhafte Erfüllung nach Übergabe der Sache trifft grundsätzlich den Erwerber (RS0018687 [T2]; 1 Ob 149/22a Rz 27). Der Kläger, der den Mangel am Kaufgegenstand und einen ihm dadurch entstandenen Schaden behauptet, hat daher zunächst zu beweisen, dass eine – wie dargelegt grundsätzlich verbotene – Abschalteinrichtung vorliegt.
Soweit sich ein Beklagter auf eine Ausnahme vom Verbot des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG stützen wollte, läge es dann an ihm, die für die Verbotsausnahme erforderlichen Voraussetzungen zu behaupten und zu beweisen (6 Ob 155/22w Rz 66; 1 Ob 149/22a Rz 43, 46; 10 Ob 31/23s Rz 25; RS0134458); verbleibende Unklarheiten gehen zu seinen Lasten.
5.1. [...]
5.2. [...]
5.3. [...]
6.1. Die Erwägung, wonach ein individueller Käufer, der ein Fahrzeug erwirbt, das zur Serie eines genehmigten Fahrzeugtyps gehört und somit mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist, vernünftigerweise erwarten könne, dass die VO 715/2007/EG und insbesondere deren Art 5 bei diesem Fahrzeug eingehalten werden, ist allerdings auch für das – im vorliegenden Fall in Ansehung der Zweitbeklagten relevante – außervertragliche Verhältnis zwischen einem Fahrzeugerwerber und dem Fahrzeughersteller maßgeblich (vgl 10 ObS 2/23a vom 25. 4. 2023 Rz 28). Das Vorhandensein einer verbotenen Abschalteinrichtung kann daher auch außerhalb eines Vertragsverhältnisses einen Schadenersatzanspruch des Käufers seines Fahrzeugs gegen dessen Hersteller begründen (vgl C 100/21, QB gegen Mercedes Benz Group AG; 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 Rz 10 ff; 10 Ob 16/23k Rz 25 ff).
Daraus folgt, dass ein individueller Fahrzeugkäufer die Person oder Stelle für den deliktischen Schadenersatzanspruch aus der (bloß schuldhaften) Verletzung des als Schutzgesetz zu qualifizierenden Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG in Anspruch nehmen kann, die im Typengenehmigungsverfahren als Herstellerin des Fahrzeugs aufgetreten ist und die Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat (stRSp zB 6 Ob 161/22b Rz 20 ff; 3 Ob 40/23p Rz 32 ff; 8 Ob 88/22g Rz 15 ff; vgl 6 Ob 114/23t; vgl auch BGH VIa ZR 1119/22).
6.2. Eine unionsrechtliche Vorgabe eines Schadenersatzanspruchs ist das Vorliegen eines Schadens: Der Europäische Gerichtshofs betont, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs ein Schadenersatzanspruch zusteht, wenn ihm ein Schaden entstanden ist (C 100/21, QB gegen Mercedes Benz Group AG Rn 91). Als nachteilige Folge – vor der ein Fahrzeugkäufer durch das Unionsrecht geschützt werden soll – sieht der Europäische Gerichtshof dabei an, dass durch die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung die Gültigkeit der EG Typengenehmigung und daran anschließend die der Übereinstimmungsbescheinigung in Frage gestellt werden, was wiederum (unter anderem) zu einer Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit (Anmeldung, Verkauf oder Inbetriebnahme des Fahrzeugs) und 'letztlich' zu einem Schaden führen kann (C 100/21, QB gegen Mercedes Benz Group AG Rn 84). Damit stellt der Europäische Gerichtshof klar, dass ein deliktischer Schadenersatzanspruch nicht als ein von einem Schadenseintritt losgelöster Akt der privaten Durchsetzung von Emissionsnormen zu sehen ist. Vielmehr geht es um den Ausgleich der objektiven Unsicherheit hinsichtlich der Fahrzeugnutzung, mit der der individuelle Fahrzeugerwerber konfrontiert ist.
Der Schadensbegriff des ABGB wird diesen unionsrechtlichen Voraussetzungen gerecht: Als Schaden im Sinn des § 1293 ABGB ist jeder Zustand zu verstehen, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht (RS0022537). Im Fall des Erwerbs eines mit einer im Sinne des Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs besteht dieses geringere rechtliche Interesse – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend – in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit. Ein Schadenseintritt wäre lediglich dann zu verneinen, wenn das den objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprach, indem er die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs (C 100/21, QB gegen Mercedes Benz Group AG Rn 84) in Kauf genommen und das gegenständliche Fahrzeug dennoch erworben hätte (10 Ob 2/23h vom 25. 4. 2023 Rz 20 ff; 10 Ob 16/23k Rz 35 ff [insbesondere Rz 45]; 9 Ob 17/22y Rz 12).“
[12] 2.1 In den eben so den Motortyp EA288 betreffenden Entscheidungen 9 Ob 53/23v und 6 Ob 154/23z hielt der Oberste Gerichtshof an diesen Grundsätzen zur Beweislastverteilung fest. In diesen Verfahren war dem Kläger der Nachweis eines Thermofensters und damit einer Abschalteinrichtung gelungen, das Verfahren aber mangels ausreichend konkreter Feststellungen ergänzungsbedürftig (vgl zu diesem Motor auch 3 Ob 17/23f; 9 Ob 17/22y; 8 Ob 90/22a; 5 Ob 159/23b).
[13] 2.2 In der von der Revisionsgegnerin zitierten Entscheidung 4 Ob 17/24i (ebenfalls Motor EA288 betreffend) war weder außer Streit gestellt noch festgestellt, dass überhaupt eine Abschalteinrichtung in Form eines auf die Abgasrückführung einwirkenden Thermofensters vorhanden war . Dort ging der 4. Senat ( mit den Vorinstanzen) davon aus, dem Kläger sei der ihm obliegende Beweis der Abschalteinrichtung nicht gelungen.
[14] 2 .3 I n der den Dieselmotor OM651 betreffenden Entscheidung 8 Ob 116/23a konnte das Erstgericht nicht feststellen, ob eine Abschalteinrichtung „in den von der Klägerin vorgetragenen Punkten“ (gemeint offenbar in der von der Klägerin vorgetragenen technischen Form) im Fahrzeug eingebaut war. D er 8. Senat ging davon aus, der Klägerin sei der Beweis des Vorhandenseins einer Abschalteinrichtung nicht gelungen.
[15] 2 .4 In der – einen Motor des Typs EA288 betreffenden – Entscheidung 3 Ob 215/23y ging der 3. Senat eben so davon aus, dass dann, wenn feststeht oder unstrittig ist, dass im Fahrzeug des Übernehmers eine (grundsätzlich verbotene) Abschalteinrichtung verbaut ist, den Übergeber die Beweislast dafür trifft, dass eine solche Einrichtung unter eine Verbotsaufnahme fällt. Die sich in 1 Ob 146/22k (Rz 23) und 9 Ob 17/22y (Rz 15) findende Aussage, es treffe den Kläger (Fahrzeugerwerber) die Beweislast dafür, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt, ist danach lediglich – wie bereits von 8 Ob 109/23x in Rz 20 festgehalten – eine komprimierte Kurzfassung. Die im dortigen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts geäußerte A nsicht, der festgestellte Sachverhalt sei nicht ausreichend, um die Frage beurteilen zu können, ob im Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut und bejahendenfalls, ob die Klägerin mit einer objektiven Unsicherheit der Fahrzeugnutzung konfrontiert sei, hatte der 3. Senats nicht zu beantworten . Zur Zulassungsfrage fehlender Rechtsprechung zur Beurteilung eines Thermofensters bei Emissionskontrollsystemen, die verschiedene ineinandergreifende Technologien – Abgasrückführung einerseits und Abgasnachbehandlung in Form eines SCR Katalysators anderseits – zur Einhaltung der Emissionsgrenzwerte verwenden, äußerte sich der 3. Senat aber dahin, dass auf der Hand liegt, das bei ineinandergreifenden technischen Systemen auf das Gesamtergebnis abzustellen ist, somit auf das Emissionskontrollsystem in seiner Gesamtheit (unter Verweis auf BGH VIa ZR 335/21 Rn 51).
3. Für den hier zu beurteilenden Fall ergibt sich daraus:
[16] 3 .1 Entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen ist den Klägern der Beweis gelungen, dass ein „Thermofenster“ und damit eine nach der Grundregel des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene Abschalteinrichtung verbaut ist.
[17] 3 .2 Im Gegensatz zu den zu 4 Ob 17/24i und 8 Ob 116/23a getroffenen Feststellungen stellte hier das Erstgericht ausdrücklich fest, dass die Abgasrückführung durch eine Steuerungssoftware in Form eines „Thermofensters“ geregelt wird. Ebenso festgestellt ist, dass der SCR Katalysator – der zur Reduktion der NO x Emissionen das Mittel „AdBlue“ verwendet – in seinem Wirkungsgrad (unter anderem) vom Temperaturniveau abhängt. Nur der Umstand, dass die Anpassung der AdBlue Dosierung aufgrund des Füllstands des Ammoniakspeichers erfolgt, wurde aus technischer Sicht nicht als Abschalteinrichtung gewertet. Im Übrigen traf das Erstgericht umfangreiche Negativfeststellungen, so auch zur Ausprägung des Thermofensters im Fahrzeug.
[18] 3 .3 Die Auffassung der Vorinstanzen, aufgrund dieser Negativfeststellungen (die auch die Frage betrafen, ob ausgehend vom Klagevorbringen die Abgasrückführung nur außerhalb eines Bereichs von + 15 Grad Celsius bis + 33 Grad Celsius uneingeschränkt funktioniert oder aber in einem Temperaturbereich von 24 Grad Celsius bis zu + 70 Grad Celsius, wie von der Beklagten behauptet) sei eine Abschalteinrichtung nicht bewiesen, ist – entsprechend den Ausführungen der Entscheidung 4 Ob 171/23k folgend – nicht zu teilen.
[19] 3 .4 Ist nämlich nicht feststellbar, in welchem Temperaturbereich die Abschalteinrichtung wirksam ist, kann nicht beurteilt werden, ob sie den überwiegenden Teil des Jahres (nicht) wirksam ist (so schon 10 Ob 31/23s Rz 31 ff). Auch ein „Abstellen auf das gesamte Emissionskontrollsystem“ hilft angesichts der hier getroffenen Feststellungen nicht, ist doch eine Temperaturabhängigkeit des Wirkungsgrades auch des SCR Katalysators den Feststellungen durchaus zu entnehmen. Damit lässt sich aus den Feststellungen nicht gesichert ableiten, dass das Emissionskontrollsystem in seiner Gesamtheit im überwiegenden Teil des Jahres wirksam wäre. Die Beklagten konnten daher tatsächlich nicht nachweisen, dass die konkrete Abschalteinrichtung – die hier festgestellt wurde – unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG fällt. Es ist daher für das weitere Verfahren von einer nach Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen.
[20] 4. Dennoch ist das Verfahren gegen die Zweitbeklagte ergänzungsbedürftig.
[21] 4 .1 Es mangelt nämlich an Feststellungen dazu, ob die Kläger ein mit einer solchen unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug nicht wollten und bei entsprechender Kenntnis (über eine allfällige Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs) nicht erworben hätten, oder ob das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch ihrem Willen entsprach (vgl 10 Ob 16/23k Rz 38; 9 Ob 65/22g Rz 45; 4 Ob 171/23k Rz 40). Dem Argument der Revisionswerber, es fehle dazu an Prozessvorbringen der Beklagten, ist deren Vorbringen zur fehlenden Kausalität der behaupteten Täuschung für den konkreten Vertragsabschluss im Schriftsatz vom 29. Jänner 2021 (Punkt 3.2.3) entgegenzuhalten, wonach es Sache der Kläger sei zu beweisen, dass das Abgasverhalten des Fahrzeugs unter Labor- oder Alltagsbedingungen oder die Software deren Kaufentscheidung beeinflusst habe. Bestreitungsvorbringen zur mangelnden Kausalität der (allfälligen) Irreführung lag daher vor.
[22] 4 .2 Soweit sich die Zweitbeklagte schon in erster Instanz darauf berufen hat, dass ihr im Vertrauen auf Auskünfte des KBA gesetzte Gesetzesverstöße nicht als Verschulden angerechnet werden dürften (was sie in der Revisionsbeantwortung weiter ausführt), ist sie darauf hinzuweisen, dass eine Haftung wegen einer Schutzgesetzverletzung ein „Verschulden“ im Sinn (zumindest) einer vorzuwerfenden Sorgfaltswidrigkeit voraussetzt (RS0026351; vgl 4 Ob 171/23k), es aber zu einer Beweislastumkehr kommt (RS0026351 [T7]): Der Schädiger hat nachzuweisen, dass ihn an der Übertretung kein „Verschulden“ trifft (RS0026351 [T1]). Allfällige Negativfeststellungen würden daher zulasten der Zweitbeklagten gehen. Ein Rechtsirrtum wäre nach der Rechtsprechung dann nicht vorwerfbar, wenn eine Behörde demselben Rechtsirrtum unterlag und die Beteiligten auf die Richtigkeit dieser Entscheidung vertrauen durften (RS0008651 [T9]). Im hier zu beurteilenden Zusammenhang wäre überdies erforderlich, dass der relevante Sachverhalt (hier: die konkrete Abschalteinrichtung) der Behörde – aus Sicht der Zweitbeklagten – bekannt war (4 Ob 171/23k Rz 41; 2 Ob 152/21y Rz 57), und zwar ungeachtet allfälliger Offenlegungspflichten vor ihrer Entscheidung, weil nur dann ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Richtigkeit ihrer Entscheidung bestehen kann (vgl 10 Ob 27/23b Rz 34).
[23] 4 .3 Die bisherigen Behauptungen der Zweitbeklagten lassen nicht ausreichend erkennen, in Kenntnis welcher Fakten die zuständige Typengenehmigungsbehörde – allenfalls rechtsirrig – welche vorhandene Einrichtung konkret gebilligt hat, und ob die Zweitbeklagte einem der Rechtsansicht der Behörde entsprechenden Rechtsirrtum unterlegen ist. Die Zweitbeklagte hätte daher ihr in erster Instanz pauschal gehaltenes Vorbringen und Beweisanbot zu konkretisieren, zu welchem Zeitpunkt (bis zum Inverkehrbringen des gegenständlichen Fahrzeugs) aufgrund welcher konkreter Prüfschritte und/oder Ereignisse welche ihr zurechenbare Person legitimerweise darauf hätte vertrauen dürfen und auch konkret darauf vertraut hat, dass und warum die verbaute Abschalteinrichtung nach den unionsrechtlichen Normen ausnahmsweise zulässig gewesen wäre (vgl 4 Ob 171/23k mwN). Entsprechende Feststellungen wären dann gegebenenfalls nachzutragen.
[24] 4 .4 Dass die Entscheidung 10 Ob 27/23b (die vom 28. 9. 2023 datiert) die Erfordernisse an Prozessvorbringen zum mangelnden Verschulden konkretisierte, kann der Zweitbeklagten schon deshalb nicht zum Nachteil gereichen, weil die Verhandlung erster Instanz hier bereits am 6. 12. 2022 geschlossen wurde. Ihre Berufungsbeantwortung bedurfte keiner rechtlichen Argumentation zum mangelnden Verschulden, zumal das Erstgericht das Klagebegehren mangels nachgewiesener Abschalteinrichtung abgewiesen hatte (vgl RS0041588 [T2]).
[25] 5. Damit ist die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Anfechtungsumfang auf Grundlage der dargelegten Rechtslage unvermeidlich.
[26] 6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.