10ObS36/24b – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Vollmaier sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Arno Sauberer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Anton Starecek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei W*, vertreten durch Mag. Martin Reihs, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Dr. Simone Metz, LL.M., Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Rehabilitationsgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 27. Februar 2024, GZ 10 Rs 147/23w 15, mit dem das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom 13. September 2023, GZ 8 Cgs 68/23g 9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 26. 8. 2020 wurde festgestellt, dass beim Kläger ab 1. 8. 2020 vorübergehende Invalidität im Ausmaß von voraussichtlich mindestens sechs Monaten vorliegt und ab 1. 8. 2020 für die Dauer der vorübergehenden Invalidität Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung besteht.
[2] Zuvor war der Kläger von 26. 8. 2019 bis 13. 3. 2020 bei der P* GmbH beschäftigt gewesen. Auf dieses Dienstverhältnis war der Kollektivvertrag für Arbeitskräfteüberlasser anzuwenden. Der Kläger war als Elektriker in ein Unternehmen überlassen worden, auf das der Kollektivvertrag für Arbeiter im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe zur Anwendung gelangte.
[3] Mit Bescheid vom 5. 5. 2023 wies die beklagte Österreichische Gesundheitskasse den Antrag des Klägers auf Zuerkennung eines höheren Rehabilitationsgeldes als 63,83 EUR brutto täglich (57,06 EUR netto täglich) für den Zeitraum von 1. 8. 2020 bis 31. 12. 2022 und als 67,52 EUR brutto täglich (60,02 EUR netto täglich) für den Zeitraum von 1. 1. 2023 bis 30. 4. 2023 ab.
[4] In seiner dagegen erhobenen Klage macht der Kläger im W esentlichen geltend, bei der – im Übrigen richtig erfolgten – Berechnung des Rehabilitationsgeldes seien zu Unrecht die Lohnerhöhungen aufgrund der Änderungen des Kollektivvertrags der Arbeiter im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe zum 1. 1. 2021, 1. 1. 2022 und 1. 1. 2023 nicht berücksichtigt worden. Nach § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG wären diese jedoch zu berücksichtigen gewesen, und zwar zusätzlich oder kumulativ zu der ab 1. 1. 2023 vorgesehenen Valorisierung nach § 108i ASVG.
[5] Die Beklagte hält dem entgegen, mit der im Rahmen der Novelle BGBl 1991/676 statuierten Bestimmung des § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG habe der Gesetzgeber nicht generelle nachträgliche Erhöhungen der Bemessungsgrundlage einführen wollen. Ziel der damaligen Reform sei lediglich gewesen, Lohnerhöhungen, die während des Anspruchs auf volle Entgeltzahlung anfallen, dem Leistungsberechtigten auch zugutekommen zu lassen. Erst mit Wirksamkeit ab 1. 1. 2023 sei eine allgemeine jährliche Valorisierung (auch) des Rehabilitationsgeldes anhand des Anpassungsfaktors eingeführt worden (§ 108i ASVG), die im vorliegenden Fall auch berücksichtigt worden sei. Einer Anpassung der Bemessungsgrundlage an die behaupteten Kollektivvertragsänderungen stehe schon entgegen, dass das Dienstverhältnis bereits zuvor geendet habe.
[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Zuerkennung eines höheren Rehabilitationsgeldes als 63,82 EUR brutto täglich (57,06 EUR netto täglich) im Zeitraum von 1. 1. 2021 bis 31. 12. 2022 und als 67,52 EUR brutto täglich (60,02 EUR netto täglich) im Zeitraum von 1. 1. 2023 bis 30. 4. 2023 ab.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Aus den Materialien und dem Textzusammenhang ergebe sich deutlich, dass das in § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG geregelte Gebot zur Berücksichtigung von Lohn und Gehaltserhöhungen aufgrund von Normen kollektiver Rechtsgestaltung ausschließlich die Bildung der Bemessungsgrundlage für das Krankengeld bei Anfall der Leistung betreffe; eine laufende Valorisierung sei nicht vorgeschrieben. Nichts anderes könne – schon aufgrund des Gleichklangs mit dem Krankengeld (insbesondere in Bezug auf die Bemessungsgrundlage) – für das Rehabilitationsgeld gelten. Die mit 1. 1. 2021, 1. 1. 2022 und 1. 1. 2023 eingetretenen kollektivvertraglichen Lohnerhöhungen seien nicht zu berücksichtigen, weil das letzte Dienstverhältnis des Klägers mit 13. 3. 2020 beendet worden sei und sie somit nicht in den Zeitraum einer arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungspflicht (während des maßgeblichen Beitragszeitraums) fielen. Solche Lohnerhöhungen könnten mangels einer Entgeltfortzahlung seitens des Dienstgebers keine Auswirkungen auf die Bemessungsgrundlage mehr entfalten. Die mit Blick auf die anhaltende Teuerungswelle erfolgte Einführung einer Valorisierung des Rehabilitationsgeldes (§ 108i ASVG) wäre nicht notwendig gewesen, wenn der Gesetzgeber ohnehin von einer laufenden Anpassung entsprechend de n kollektivvertraglichen Lohn- und Gehaltserhöhungen ausgegangen wäre. Wenn in den Materialien davon die Rede sei, dass nur jene Bemessungsgrundlagen valorisiert werden sollen, deren Bemessungszeitraum im vorangegangenen Jahr liegt, um eine nicht erwünschte „Doppelvalorisierung“ zu vermeiden, so bestätige dies die Auslegung, dass eine kollektivvertragliche Lohnerhöhung nur dann zu berücksichtigen sei, wenn sie im Bemessungszeitraum – und nicht während des laufenden Bezugs – eintritt.
[8] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil zur Frage der Anwendung des § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG auf die Bemessungsgrundlage des Rehabilitationsgeldes noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
[9] Mit seiner Revision begehrt der Kläger, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
[10] In ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, jedoch nicht berechtigt.
[12] 1. Der Kläger macht in der Revision geltend, für die einschränkende Auslegung des § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG dahin, dass nur während der Zeit der Entgeltfortzahlung eingetretene Lohn und Gehaltserhöhungen aufgrund von Normen kollektiver Rechtsgestaltung bei der Bildung der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen seien, sprächen weder der Wortlaut und die Systematik der Bestimmung noch die Gesetzesmaterialien. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen stehe nicht nur im Widerspruch zum sozialrechtlichen Schrifttum, sondern auch zur höchstgerichtlichen Entscheidung 10 ObS 151/93, wonach sich auch kollektivvertragliche Lohnerhöhungen, die erst während des Bezugs von Krankengeld eintreten, auf dessen Höhe auswirken. Zwar habe der Gesetzgeber mit der Implementierung des § 108i Abs 1 ASVG klar bestimmt, dass eine jährliche gesetzliche Valorisierung des Rehabilitationsgeldes erstmals ab 1. 1. 2023 zu erfolgen habe. Rechtlich sei diese jährliche Anpassung anhand des Anpassungsfaktors jedoch von den Erhöhungen nach § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG zu unterscheiden, die gerade nicht allen Beziehern einer entsprechenden Geldleistung zugute kämen, sondern vom Einzelfall, nämlich vom konkreten Dienstverhältnis und der darauf bezogenen kollektivvertraglichen Regelung, abhängig seien. Der vom Gesetzgeber im Rahmen der Einführung des § 108i ASVG intendierten Vermeidung einer „Doppelvalorisierung“ sei dadurch Rechnung zu tragen, dass § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG ab 1. 1. 2023 teleologisch dahin zu reduzieren sei, dass Normen kollektiver Rechtsgestaltung nur dann eine aliquote Erhöhung der Bemessungsgrundlage bewirken, wenn diese die Anpassung gemäß § 108i ASVG übersteigt.
[13] 2. Dem ist nicht zu folgen.
[14] 2.1. Das mit dem Sozialrechtsänderungsgesetz (SRÄG) 2012 (BGBl I 2013/3) geschaffene Rehabilitationsgeld, das die weggefallene befristete Invaliditätspension ersetzt (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 20), ist dem Krankengeldbezug nachgebildet und funktional als dessen Fortsetzung anzusehen (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 18). Während die Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension eine Leistung mit Pensionscharakter ist, liegt beim Rehabilitationsgeld – entsprechend der Systematik des Krankengeldes – der Fokus auf der Einkommensersatzfunktion (10 ObS 107/17h; 10 ObS 136/20b ua). Der durch die vorübergehende Arbeitsunfähigkeit erlittene Entgeltverlust soll zumindest teilweise ersetzt werden und eine finanzielle Absicherung des Versicherten während der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit gewährleistet sein (vgl 10 ObS 98/16h; 10 ObS 136/20b Rz 12, je mwN).
[15] 2.2. Dass das Rehabilitationsgeld als eine dem Krankengeld ähnliche Leistung konzipiert ist, zeigt sich auch in den Regelungen über seine Bemessung in § 143a ASVG (10 ObS 129/21z Rz 17; 10 ObS 159/21m Rz 10). § 143a Abs 2 ASVG verweist zum Ausmaß des Rehabilitationsgeldes auf § 141 Abs 1 und 2 ASVG, worin die Gewährung von Krankengeld im Ausmaß von 50 % bzw 60 % der Bemessungsgrundlage für einen Kalendertag geregelt ist.
[16] 2.3. Die Bemessungsgrundlage für das Krankengeld ergibt sich aus § 125 ASVG. Nach § 125 Abs 1 erster Halbsatz ASVG ist Bemessungsgrundlage für das Krankengeld der für die Beitragsermittlung heranzuziehende und auf einen Kalendertag entfallende Arbeitsverdienst (Bruttoentgelt), der dem/der Versicherten in jenem Beitragszeitraum (§ 44 Abs 2 ASVG) gebührte, der dem Ende des vollen Entgeltanspruchs voranging. Nach § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG sind Lohn- und Gehaltserhöhungen aufgrund Normen kollektiver Rechtsgestaltung zu berücksichtigen.
[17] 2.4. Dieser letzte Satz wurde im Rahmen der 50. ASVG Novelle (BGBl I 1991/676) in den Abs 1 des § 125 ASVG aufgenommen. Auch der zuvor angeführte erste Halbsatz der Bestimmung geht in seiner heutigen Fassung auf diese Novelle zurück. Davor war noch auf den Arbeitsverdienst in dem dem Versicherungsfall zuletzt vorangegangenen Beitragszeitraum abgestellt worden.
[18] Zu diesen Gesetzesänderungen findet sich in den Materialien zur 50. ASVG Novelle der Hinweis, gemäß § 125 Abs 1 ASVG hänge die Höhe des Krankengeldes von der Höhe des beitragspflichtigen Entgelts ab, das im Beitragszeitraum vor der Erkrankung bezogen wurde. Eine während der Zeit der Entgeltfortzahlung aufgrund des Angestelltengesetzes oder des Entgeltfortzahlungsgesetzes eingetretene Lohnerhöhung wirke sich auf die Höhe des Krankengeldes nicht aus, obwohl vom höheren Entgelt Sozialversicherungsbeiträge geleistet worden seien. Um diese als ungerecht empfundene Rechtslage zu beseitigen, solle § 125 Abs 1 ASVG dahingehend novelliert werden, dass die Bemessungsgrundlage auf das Ende jenes Beitragszeitraums abstelle, in dem das letzte „volle“ (also nicht durch die Krankheit geschmälerte) Entgelt gezahlt werde (ErläutRV 284 BlgNR 18. GP 29).
[19] 2.5. Vor dem Hintergrund des ausdrücklich angeführten gesetzgeberischen Motivs, auch noch nach der Erkrankung erfolgte Entgelterhöhungen bis zum Beginn des Krankengeldbezugs in die Bemessungsgrundlage einfließen zu lassen, wurde in der Literatur zum neu eingeführten letzten Satz des § 125 Abs 1 ASVG die Ansicht vertreten, dass sich eine während der Zeit der arbeitsrechtlichen Lohn und Gehaltsfortzahlung eingetretene kollektivvertragliche Erhöhung des Arbeitsverdienstes in Zukunft positiv auf die Höhe des Krankengeldes auswirken wird (so ausdrücklich Ivansits , 50. Novelle zum ASVG, DRdA 1992, 74 [75]; i dS weiters Geppert ua , Änderungen im Sozialversicherungsrecht, SozSi 1992, 3 [16]).
[20] In der Entscheidung 10 ObS 151/93 legte der Senat dieser Novellierung – wenngleich nur obiter – erkennbar dasselbe Verständnis zugrunde. Dass sich demgegenüber auch erst während des Krankengeldbezugs eintretende kollektivvertragliche Entgelterhöhungen auf die Leistungshöhe auswirken sollen, ist den Entscheidungsgründen dieses Urteils entgegen dem Standpunkt des Klägers nicht zu entnehmen (unklar dazu Schober in Sonntag , ASVG 15 § 125 Rz 3).
[21] 2.6. Demgegenüber vertritt Burger (Entscheidungsanmerkung zu 10 ObS 123/17m, DRdA 2019/4) – unter Verweis auf Drs in Mosler/Müller/Pfeil , Der SV Komm § 141ASVG Rz 10, die allerdings bloß den Gesetzeswortlaut wiedergibt –, aus § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG folge die viel zu wenig beachtete Valorisierung der Bemessungsgrundlage des Kranken und Rehabilitationsgeldes. Die Bemessungsgrundlage der Geldleistung sei also nicht eingefroren; sie solle sich, so der Wortlaut des Gesetzes, dynamisch mitentwickeln, wobei die wohl von Amts wegen vorzunehmende Anpassung der Leistung insbesondere für BezieherInnen von Rehabilitationsgeld, dessen maximale Bezugsdauer nicht eingeschränkt sei, von Bedeutung sei.
[22] In diesem Sinn ist womöglich auch Windisch Graetz (in Mosler/Müller/Pfeil , Der SV Komm § 125 ASVG Rz 4) zu verstehen, die aus § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG ableitet, dass das Krankengeld entsprechend zu erhöhen ist, wenn im anzuwendenden Kollektivvertrag Lohnerhöhungen vereinbart werden, die sich auf den das Krankengeld beziehenden Dienstnehmer auswirken würden.
[23] 2.7. Diesem Normverständnis eines Teils der jüngeren Lehre, auf dem auch der Rechtsstandpunkt des Klägers aufbaut, ist aus folgenden Erwägungen nicht beizutreten:
[24] Wie sich aus der bereits zuvor skizzierten Genese der Bestimmung des § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG ergibt, bezog sich diese im Zeitpunkt ihrer Implementierung alleine auf das Krankengeld. Das Rehabilitationsgeld wurde erst etwa zwei Jahrzehnte später anstelle der befristeten Invaliditätspension als eine an das Krankengeld angenäherte und dessen Systematik folgende Sozialleistung geschaffen.
[25] Schon angesichts der begrenzten Dauer des Krankengeldanspruchs von im Allgemeinen maximal 52 Wochen (§ 139 ASVG) liegt nun aber die Annahme nicht nahe, dass es dem Gesetzgeber bei der Statuierung der in Rede stehenden Gesetzespassage gerade um die nachträgliche Anpassung der Bemessungsgrundlage des Krankengeldes an die laufende Entwicklung der kollektivvertraglichen Löhne und Gehälter im Bezugszeitraum ging. Teleologische Erwägungen lassen eine periodische Anpassung des typischerweise nicht länger als ein Jahr bezogenen Krankengeldes an kollektivvertragliche Änderungen des Arbeitsverdienstes nämlich nicht geboten erscheinen.
[26] Einen Anhaltspunkt für ein solches Verständnis des Regelungsinhalts liefern auch nicht der Gesetzeswortlaut in seiner systematischen Einbettung oder die zuvor angeführten Materialien zur 50. ASVG Novelle.
[27] Für den Fall, dass mit der betreffenden Regelung tatsächlich das gesetzgeberische Motiv verfolgt worden wäre, die zu gewährende Krankengeldleistung im Sinne einer „dynamischen Mitentwicklung“ laufend entsprechend den im Bezugszeitraum erfolgten Entgelterhöhungen durch Kollektivvertrag anzupassen, sodass eine Kollektivvertragsänderung nach Ende des Bemessungszeitraums – unabhängig vom Aufrechtbestehen eines Dienstverhältnisses – zu einer Neuberechnung der Bemessungsgrundlage führen muss, wäre zu erwarten gewesen, dass eine solche rechtspolitische Zielsetzung in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich Niederschlag gefunden hätte.
[28] Auch die Materialien zum SRÄG 2012, mit dem, wie erwähnt, das Rehabilitationsgeld geschaffen wurde, geben keinen Hinweis darauf, dass diese nach ihrer Zweckrichtung zwar nur vorübergehend zu gewährende (vgl 10 ObS 142/15b; 10 ObS 102/20b Rz 10), allerdings – anders als das Krankengeld – in ihrer Bezugsdauer nicht von vornherein begrenzte Sozialleistung (s 10 ObS 129/21z Rz 16) einer Anpassung an die Entwicklung der kollektivvertraglichen Löhne und Gehälter bedarf (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 1 ff). Weder erfolgte im Rahmen dieser Novelle eine Änderung der Bestimmung des § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG, noch bringen die Erläuterungen zur Regierungsvorlage ein geändertes Verständnis dieser Regelung zum Ausdruck, wonach sich daraus – im Sinne der Rechtsposition des Klägers – das Gebot einer laufenden Anpassung der Bemessungsgrundlage ableiten ließe.
[29] Die Frage einer periodischen Anpassung des – mitunter über einen mehrjährigen Zeitraum hinweg zu gewährenden – Rehabilitationsgeldes wurde vom Gesetzgeber auch erkennbar bedacht, aber aus Gründen der Existenzsicherung offenbar (nur) dann als notwendig erachtet, wenn das Rehabilitationsgeld lediglich die Höhe des Richtsatzes nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG erreicht (§ 143a Abs 2 AS V G; s dazu bereits 10 ObS 107/17h).
[30] Dies steht der Annahme entgegen, dass die (formal unveränderte) Regelung des § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG nach Einführung des Rehabilitationsgeldes unter anderen als den bisherigen Zweck und Wertungsgesichtspunkten zu sehen ist (allgemein zum sogenannten Funktionswandel statt vieler F. Bydlinski , Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff 2 [1991] 577 ff; G. Kodek in Rummel/Lukas , ABGB 4 § 6 Rz 206 ff, insb 208).
[31] Erst im Jahr 2022 sah sich der Gesetzgeber angesichts der Prognose einer anhaltenden Teuerungswelle dazu veranlasst, im Rahmen des Teuerungs-Entlastungspakets III (BGBl I 2022/174) eine – erstmalig mit 1. 1. 2023 vorzunehmende – jährliche gesetzliche Valorisierung unter anderem des Rehabilitationsgeldes einzuführen; und zwar dergestalt, dass mit Wirksamkeit ab 1. Jänner eines jeden Jahres die Bemessungsgrundlage für das Rehabilitationsgeld für jene Personen, die zu diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf eine solche Leistung haben, mit dem Anpassungsfaktor zu vervielfachen ist, sofern der Bemessungszeitraum im vorangegangenen Jahr liegt (§ 108i Abs 1 Satz 1 ASVG).
[32] Durch die Einschränkung der Valorisierung auf jene Bemessungsgrundlagen, deren Bemessungszeitraum im vorangegangenen Jahr liegt, sollte nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1663 BlgNR 27. GP 2) eine unerwünschte Doppelvalorisierung vermieden werden.
[33] Wie bereits vom Berufungsgericht zutreffend erkannt, verdeutlicht nicht zuletzt auch dieser Umstand die Vorstellung des Gesetzgebers, wonach § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG die Berücksichtigung von kollektivvertraglichen Entgelterhöhungen nur insoweit vorsieht, als sie schon im Bemessungszeitraum eintreten: Wären auch nachfolgende Kollektivvertragsänderungen während des laufenden Bezugs von Rehabilitationsgeld erfasst, würde die angesprochene Einschränkung im neu eingeführten § 108i Abs 1 Satz 1 ASVG ihren Zweck verfehlen. Es würde dann nämlich dennoch zu einer doppelten Anpassung der Bemessungsgrundlage – einerseits durch eine gebotene Neuberechnung auf Basis eines erhöhten Kollektivvertragslohns, andererseits durch Vervielfachung mit dem Anpassungsfaktor (§ 108 f ASVG) – kommen.
[34] 3. Zusammenfassend wird festgehalten:
[35] Eine kollektivvertragliche Lohnerhöhung ist beim Rehabilitationsgeld (§ 143a ASVG) gemäß § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG nur dann zu berücksichtigen, wenn sie im Bemessungszeitraum – nicht jedoch während des laufenden Bezugs – eintritt.
[36] Die Entscheidungen der Vorinstanzen entsprechen dieser Rechtslage, sodass der Revision nicht Folge zu geben ist.
[37] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.