JudikaturOGH

11Os154/23s – OGH Entscheidung

Entscheidung
Strafrecht
03. Juni 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Juni 2024 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Nordmeyer und Dr. Oberressl in der Strafsache gegen M* C* und A* C* wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall, 15 StGB, AZ 80 Hv 13/19d des Landesgerichts Klagenfurt, über die Anträge der Verurteilten auf Erneuerung des Verfahrens in Bezug auf das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 22. August 2023, AZ 10 Bs 134/23s, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Text

Gründe:

[1] M* C* und A* C* wurden – soweit für die Erledigung der Anträge auf Erneuerung relevant – mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 23. Juni 2021, GZ 80 Hv 13/19d 485, jeweils des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall, 15 StGB schuldig erkannt und (ausgehend von als angemessen erachteten Freiheitsstrafen von je 36 Monaten nach Abzug von je drei Monaten aufgrund „durchaus langer Verfahrensdauer“) zu Freiheitsstrafen von je 33 Monaten verurteilt.

[2] Die dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 14. April 2023, GZ 15 Os 13/22h, 14/22f 7, zurück; den gegen den Strafausspruch gerichteten Berufungen der Angeklagten gab das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht mit Urteil vom 22. August 2023, AZ 10 Bs 134/23s, nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen diese Entscheidung des Oberlandesgerichts richten sich die – nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gestützten – (rechtzeitigen) in einem gemeinsamen Schriftsatz ausgeführten Anträge von M* C* und A* C* auf Erneuerung des Strafverfahrens, womit Verletzungen von Art 6 Abs 1 MRK behauptet werden.

[4] Für einen – wie hier – nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag (RIS Justiz RS0122228), bei dem es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt, gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und Art 35 MRK sinngemäß (RIS Justiz RS0122737, RS0128394). Demnach hat – weil die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 7 § 13 Rz 16) – auch ein Erneuerungsantrag deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine (vom Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende) Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS Justiz RS0122737 [T17]). Dabei hat er sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS Justiz RS0124359, RS0128393) und – soweit er (auf Grundlage der Gesamtheit der Entscheidungsgründe) nicht Begründungsmängel aufzuzeigen oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu wecken vermag – seine Argumentation auf Basis der Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung zu entwickeln (RIS Justiz RS0125393 [T1]).

[5] Diesen Erfordernissen wird das gegen das Urteil des Oberlandesgerichts als Berufungsgericht gerichtete Vorbringen nicht gerecht.

[6] Die Erneuerungswerber kritisieren, dass das Berufungsgericht ausgehend von einer als schuldadäquat erachteten Strafe von drei Jahren und drei Monaten – somit einer höheren als der vom Erstgericht verhängten – die unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer mit einer Reduktion der Unrechtsfolge von sechs Monaten berücksichtigte (RIS Justiz RS0114926 [T3]), sodass das Strafmaß im Ergebnis keine Veränderung fand.

[7] Dieses Vorgehen des Oberlandesgerichts, dessen originäre Entscheidung in der Straffrage jene des Erstgerichts ersetzt ( Ratz , WK StPO Vor §§ 280–296a Rz 13 ff, § 295 Rz 2 f) und dem es daher zusteht, Strafzumessungstatsachen selbst zu beurteilen, begegnet keinen grundrechtlichen Bedenken (11 Os 78/20k mwN). Denn das Berufungsgericht hat die Grundrechtsverletzung anerkannt und ausdrücklich, messbar und im Licht der Judikatur des EGMR ausreichend ausgeglichen. Dem Sinn des Art 6 MRK Rechnung tragend durfte als Ausgangspunkt für den Ausgleich die als angemessen angesehene Strafe angenommen werden, während prozessuale Aspekte des Rechtsmittelverfahrens (hier: mangelnde Straferhöhungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts) außer Betracht bleiben konnten, weswegen es den Verurteilten an der fortdauernden Opfereigenschaft im Sinn des Art 34 MRK (RIS Justiz RS0125374 [T2]) fehlt.

[8] Nicht nachvollziehbar ist der weitere Einwand des A* C*, er selbst habe „keine Verfahrensverzögerung gesetzt“, weshalb ihm „die aufgrund der Krankheit eines Mitangeklagten“ erlittene Verfahrensverzögerung nicht zugerechnet werden dürfe.

[9] Die offenbar erhobene Forderung nach einer im Vergleich zu M* C* stärkeren Gewichtung des Milderungsgrundes der unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer (§ 34 Abs 2 StGB) verkennt, dass die Sanktionsfrage betreffende Umstände, die wie hier nicht Gegenstand einer Sanktionsrüge sein könnten (§ 281 Abs 1 Z 11 StPO; vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 724), ohne vorherige Anrufung des EGMR mit Erneuerungsantrag nicht geltend gemacht werden können (RIS Justiz RS0125371). Im Übrigen ist in einer unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer (§ 34 Abs 2 StGB) nicht schon per se auch ein Konventionsverstoß zu erblicken (RIS Justiz RS0132858; Riffel in WK 2 StGB § 34 Rz 56 ff).

[10] Die Anträge waren demnach zurückzuweisen.

Rückverweise