JudikaturOGH

2Ds1/24f – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Mai 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat am 29. Mai 2024 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Nordmeyer, Mag. Wurzer und Dr. Oberressl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Wessely Kristöfel als weitere Richter in Gegenwart in der Disziplinarsache gegen den Leitenden Staatsanwalt in Ruhe * wegen Pflichtverletzung nach § 57 Abs 1 und 3 RStDG nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Disziplinaranzeige des Bundesministeriums für Justiz vom 6. März 2024 wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

[1] Am 6. März 2024, erstattete das Bundesministerium für Justiz (kurz: BMJ) als Dienstbehörde zu GZ 2024 0.048.783 Disziplinaranzeige beim Obersten Gerichtshof als Disziplinargericht gegen den Leitenden Staatsanwalt in Ruhe * wegen des Verdachts eines als Dienstpflichtverletzung nach § 57 Abs 1 und 3 RStDG beurteilten Verhaltens.

[2] Der Angezeigte wurde 1997 auf die Planstelle eines Leitenden Staatsanwalts im BMJ ernannt und hatte diese – mit unterschiedlichen Aufgaben betraut – bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand mit Ablauf des 31. Oktober 2023 inne.

[3] Der Oberste Gerichtshof ist zur Führung des Disziplinarverfahrens gegen den Angezeigten aus folgenden Gründen nicht zuständig:

[4] Gemäß § 111 Z 5 RStDG ist der Oberste als Disziplinargericht (erster Instanz) für die Richterinnen und Richter des Obersten Gerichtshofs und für die Präsidentinnen oder Präsidenten und Vizepräsidentinnen oder Vizepräsidenten der Oberlandesgerichte sowie für die Mitglieder der Generalprokuratur und die Leiterinnen und Leiter sowie die Ersten Stellvertreterinnen und Stellvertreter der Leiterinnen und Leiter der Oberstaatsanwaltschaften zuständig.

[5] Der durch die 2. Dienstrechts Novelle, BGBl I 2007/96, geschaffene und mit 31. Dezember 2011 außer Kraft getretene § 204 Abs 1 Z 5 RStDG sah darüber hinaus eine Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs als Disziplinargericht (erster Instanz) auch für „die in § 205“ RStDG „genannten Staatsanwälte“ vor. In den Gesetzesmaterialien findet sich zu dieser Zuständigkeit (des Obersten Gerichtshofs) keine Erläuterung. Allgemein wird zu § 204 RStDG bloß ausgeführt, dass „das Disziplinar- und Disziplinarverfahrensrecht der Richterinnen und Richter für die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte“ angepasst werden solle, wobei – wie bei Richterinnen und Richtern – „nicht jenes Oberlandesgericht als Disziplinargericht (bzw. jene Oberstaatsanwaltschaft als Disziplinaranwalt) zuständig sein“ soll, „mit welchem laufend dienstlicher Kontakt besteht“ (AA 88 XXIII. GP, Stenographisches Protokoll 42. Sitzung, 46).

[6] Mit der Dienstrechts Novelle 2011, BGBl I 2011/140, wurden die Zuständigkeiten der Disziplinargerichte für Richterinnen und Richter einerseits (§ 111 RStDG aF) sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte andererseits (§ 204 RStDG aF) in § 111 RStDG zusammengeführt. § 111 Z 5 RStDG wurde dabei insoweit geändert, als die Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs um jene für die Mitglieder der Generalprokuratur und die Leiterinnen und Leiter sowie die Ersten Stellvertreterinnen und Stellvertreter der Leiterinnen und Leiter der Oberstaatsanwaltschaften, nicht aber für die in § 205 RStDG genannten Organe (vgl § 173 RStDG), erweitert wurde. Dazu findet sich in den Gesetzesmaterialien (bloß) der knappe Hinweis: „Die Regelungen betreffend die Zuständigkeit der Disziplinarsenate werden in einer Bestimmung zusammengefasst“ (AB 1610 BlgNR XXIV. GP, 17). Dass bei dieser Novellierung des § 111 Z 5 RStDG ein Teil der vorher in § 204 Abs 1 Z 5 RStDG enthaltenen Regelung, nicht aber jener über die hier maßgebliche Zuständigkeit übernommen wurde, lässt den in der Disziplinaranzeige – gestützt auf eine Literaturmeinung ( Fellner/Nogratnig , RStDG, GOG, StAG I 5 § 111 Rz 10) – vertretenen Schluss auf eine (planwidrige) Lücke nicht zu. Vielmehr ist von gewollter Streichung der Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs als Disziplinargericht (erster Instanz) für die § 205 RStDG genannten Organe auszugehen.

[7] Dies legt auch eine Interpretation der in Art IIa Abs 1 RStDG enthaltenen Begriffsdefinition nahe, nach welcher „Staatsanwältinnen und Staatsanwälte im Sinne dieses Bundesgesetzes“ die „in Art 90a B VG genannten Organe“ sind. Diesem zufolge nehmen Staatsanwälte als Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit „in Verfahren wegen mit gerichtlicher Strafe bedrohter Handlungen … Ermittlungs- und Anklagefunktion wahr“ (Art 90a zweiter Satz B VG). Schon mit Blick auf den völlig anders gearteten Aufgabenbereich der in § 205 RStDG genannten Organe ist mit der ganz herrschenden Meinung davon auszugehen, dass diese keine Staatsanwälte im Sinn des Art 90a B VG sind ( Burgstaller , Art 90a B VG, in Korinek/Holoubek et al [Hrsg], Österreichisches Bundesverfassungsrecht Rz 15; Rill Art 90a B VG, in Kneihs/Lienbacher [Hrsg], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht Rz 3; Lukan in Kahl/Khakzadeh/Schmid [Hrsg], Kommentar zum Bundesverfassungsrecht Art 90a B VG Rz 2; Thienel , Die Stellung der Staatsanwälte nach Art 90a B VG – eine Zwischenbilanz, in GS Walter , 823 [824]). Demnach sind diese Organe auch nicht von der Begriffsdefinition des Art IIa Abs 1 RStDG erfasst, weshalb zwar – soweit ausdrücklich geregelt (vgl insbesondere § 205 RStDG) – einzelne Vorschriften des RStDG, nicht aber etwa das im 2. Teil geregelte Disziplinarrecht (vgl Art IIa Abs 2 Z 3 RStDG) auf sie Anwendung findet (zur Aufsplitterung des Dienstrechts für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte allgemein vgl Fellner/Nogratnig , RStDG, GOG, StAG I 5 § 173 Rz 7 f; vgl im Übrigen auch § 39 StAG idF vor BGBl I 2007/96 [der ab Inkrafttreten des StAG eine dienstrechtliche Differenzierung zwischen bei staatsanwaltschaftlichen Behörden einerseits und auf Planstellen im Bundesministerium für Justiz andererseits ernannten Staatsanwälten normierte]).

[8] Davon ausgehend liegt es im System und bedeutet gerade keine (planwidrige) Lücke, dass das RStDG keine Regelung (mehr) über die Zuständigkeit eines Disziplinargerichts für die in § 205 RStDG genannten Organe enthält.

[9] Im Übrigen wäre – selbst unter der Prämisse einer planwidrigen Lücke – diese systemkonform nicht mit einer Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs als Disziplinargericht (erster Instanz) zu schließen. Denn diese besteht – wie oben ausgeführt – nur für wenige, besonders hochrangige Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Die ursprünglich in Bezug auf Richterinnen und Richter weitere Zuständigkeit wurde mit Inkrafttreten des BGBl I 1999/5 um jene für Präsidenten und Vizepräsidenten der Gerichtshöfe erster Instanz sowie beim Oberlandesgericht ernannte Richter (mit Ausnahme deren Präsidenten und Vizepräsidenten) weiter eingeschränkt. Von dieser gesetzlichen Wertung ausgehend läge es daher näher, eine (hier gerade nicht angenommene) Lücke durch die Zuständigkeit eines Oberlandesgerichts als Disziplinargericht (erster Instanz) für die in § 205 RStDG genannten Organe zu schließen, zumal keines der vier Oberlandesgerichte in einem (besonderen Nahe )Verhältnis zur Zentralstelle des Bundesministeriums für Justiz (vgl § 205 Abs 1 RStDG) steht, das strukturell (vgl EBRV 1467 BlgNR XX. GP, 29 und AA 88 XXIII. GP, Stenographisches Protokoll 42. Sitzung, 46) gegen eine Befassung als Disziplinargericht spräche.

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