JudikaturOGH

11Os31/24d – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Mai 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Mai 2024 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Weißmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen * H* wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 2. Oktober 2023, GZ 115 Hv 54/23p 58, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * H* eines Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB „idF BGBl Nr. 116/2013“ (I/), je mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II/A/) und der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (II/B/), der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (III/), des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, „Abs 2“ StGB (IV/A/), des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, „Abs 2“, Abs 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB (IV/B/) und der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB „idF BGBl Nr. 15/2004, BGBl Nr. 116/2013 sowie in der geltenden Fassung BGBl Nr. 105/2019“ (V/) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W* – soweit für d as Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant gekürzt wiedergegeben –

I/ zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt zwischen * 2019 und Mai 2020 seine Tochter S* mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht, indem er sie auf ein Bett warf, ihre Unterbekleidung auszog und, während er sie festhielt, versuchte, mit seinem Finger in ihre Vagina zur Penetration einzudringen, wobei es beim Versuch blieb, weil S * sich wehrte und M * nach Hause kam;

IV/ in den nachstehenden Zeiträumen eine längere Zeit hindurch, gegen Nachgenannte fortgesetzt Gewalt ausgeübt, und zwar

A/ ...

B/ durch fortdauernde Misshandlungen, vorsätzliche Körperverletzungen und Nötigungen im Zeitraum zwischen einem nicht mehr exakt feststellbaren Zeitpunkt nach dem 11. Oktober 2013 bis zu einem nicht mehr exakt feststellbaren Zeitpunkt im Herbst 2022 gegen seine am * 2005 geborene Tochter S*, wobei er die Taten teils gegen eine unmündige Person beging und die Gewalt länger als ein Jahr ausgeübt wurde, nämlich indem er sie regelmäßig monatlich ohrfeigte sowie ihr Schläge mit der flachen Hand gegen die Rippen, den Rücken, die Arme und den Kopf versetze und sie in zwei Angriffen würgte, sowie einmal einen zerbrochenen Kleiderbügel gegen ihren Oberschenkel stach, wodurch sie regelmäßig Schwellungen und Rötungen und eine Stichverletzung am Oberschenkel mit bleibender Narbe erlitt, ihr mit dem rechten Handrücken gegen die Nase schlug, wodurch sie eine Nasenbeinprellung erlitt sowie indem er in wiederholten Angriffen nach den unter Punkt II/ genannten Tathandlungen äußerte, er werde ihre Mutter umbringen, wenn sie etwas erzähle, wodurch er diese zu einer Unterlassung, die besonders wichtige Interessen der genötigten Person verletzte, nötigte;

V/ M* im Zeitraum 2012 bis 20. August 2021 in einer Vielzahl von Angriffen mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Duldung des Beischlafs bzw dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er sie unter Überwindung ihrer Gegenwehr entkleidete, ihr Schläge gegen den Körper versetzte, sie mit bloßen Händen, Kabelbindern, einem Springseil oder Gürteln würgte, mit Kabelbindern fesselte und anschließend mit ihr den vaginalen und auch analen Geschlechtsverkehr vollzog, sie mehrfach zwang, ihn oral zu befriedigen und ihr mehrfach auch die Faust in die Vagina einführte (A/).

Rechtliche Beurteilung

[3] Inhaltlich nur gegen den Schuldspruch zu IV/B/ und V/ richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gerichtete Nic htigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Der gegen den Schuldspruch zu IV/B/ und das festgestellte Vorliegen der Voraussetzungen des § 107b Abs 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB gerichteten Kritik der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider waren die Tatrichter nicht dazu gehalten, sich mit einem – überdies vom Rechtsmittelwerber aus dem Zusammenhang gerissenen – Detail der Aussage der Zeugin S* (die Schläge seien [anfangs] „nichts Schlimmes“ gewesen; ON 34 S 8 ff) gesondert auseinanderzusetzen, weil mit der persönlichen ex post Einschätzung der Zeugin kein gesondert erörterungsbedürftiges Beweisergebnis angesprochen wird (RIS Justiz RS0097540 [T9, T18], RS0097545). Im Übrigen wird durch diese isolierte Betrachtung und eigenständige Bewertung der Aussagepassage die Gesamtheit der Entscheidungsgründe außer Acht gelassen (RIS Justiz RS0119370; vgl auch RS0098400; US 23–30). D ie Tatrichter haben die Angaben dieses Opfers bei de n Vernehmungen – mit logisch und empirisch mängelfreier Begründung – für glaubhaft erachtet und dazu festgehalten, dass die Zeugin einen um die Wahrheit bemühten Eindruck machte, den jeweils dem Angeklagten zur Last gelegten Sachverhalt nicht dramatisierte und es auch nicht den Anschein hatte, dass die Zeugin den Angeklagten überschießend belasten wollen würde (ON 34, 10; US 23 f).

[5] Die Tatsachenrüge (Z 5a) zum Schuldspruch zu V/ übergeht die zur Anzahl und Häufigkeit der Angriffe angestellten umfänglichen beweiswürdigenden Erwägungen der Tatrichter, die ohnehin von einer diesbezüglich geringeren Verlässlichkeit der Angaben der Zeugin M* ausgingen und daher „im Zweifel (…) 'nur'“ mehrmals im Jahr stattgefundene Vergewaltigungen konstatierten (US 16 iVm US 6).

[6] Mit der Behauptung der Unschlüssigkeit einer – den Urteils feststellungen gar nicht zugrundegelegten – „Zunahme der Häufigkeit“ seit Beginn der Tathandlungen wird keine entscheidende Tatsache angesprochen, we il der Beschwerdeführer bloß die Tatzeiten einzelner Angriffe und d eren Anzahl in Frage stellt (vgl RIS Justiz RS0116736; Ratz , WK StPO § 281 Rz 33). E bensowenig vermag der Hinweis auf die Bewertung von Zeugenaussagen in einem früheren – wegen anderer Straftaten geführten – Hauptverfahren gegen den Rechtsmittelwerber (vgl dazu auch US 16 f) erhebliche Bedenken an der Richtigkeit der Feststellungen des Erstgerichts wecken (RIS Justiz RS0118780, RS0119583). Insgesamt wendet sich die Rüge bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung gegen die dem Schöffengericht vorbehaltene Beweiswürdigung (RIS Justiz RS0098336, RS0117445 [T2]).

[7] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Zum Schuldspruch zu I/ bleibt anzumerken:

[8] Das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB war (soweit hier relevant) idF BGBl I 2013/116 bis 31. Dezember 2019 mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bedroht. Seit 1. Jänner 2020 beträgt die Mindeststrafdrohung (idgF BGBl I 2019/105) zwei Jahre. Das Schöffengericht konstatierte einen nicht exakt feststellbaren (Tat )Zeitpunkt „im Zeitraum * 2019 und Mai 2020“ (US 10) und ging – zwar richtigerweise – von der Verwirklichung des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2013/116 aus (US 32). Die von den Tatrichtern auf Basis dieser insofern undeutlichen Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen gefundene „Zweifelslösung“ (erst) auf Ebene der rechtlichen Beurteilung findet im Gesetz keine Deckung (vgl Schmoller , WK StPO § 14 Rz 68). Ist die Tatzeit im rechtlich relevanten Umfang (vgl RIS Justiz RS0098557 [T16] zur Frage des nach dem Günstigkeitsvergleich anzuwendenden materiellen Rechts) nicht exakt feststellbar, ist der Tatzeitraum – unter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes (§ 14 zweiter Halbsatz StPO; vgl Lendl , WK-StPO § 258 Rz 36) – nämlich (bereits) auf Feststellungsebene einzugrenzen und der Entscheidung sodann jener Zeitpunkt zugrunde zu legen, der für den Angeklagten in concreto am günstigsten iSd § 61 StGB ist (RIS Justiz RS0131758).

[9] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rückverweise