JudikaturOGH

8ObA43/23s – OGH Entscheidung

Entscheidung
Arbeitsrecht
25. April 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat MMag. Matzka als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Philipp Brokes (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R* G*, vertreten durch Mag. Dr. Johannes Winkler, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Land Oberösterreich, Bildungsdirektion, 4020 Linz, Sonnensteinstraße 20, vertreten durch Saxinger Chalupsky Partner Rechtsanwälte GmbH in Wels, wegen 64.045,33 brutto sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. April 2023, GZ 12 Ra 15/23x 35, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.779,08 EUR (darin 463,18 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger absolvierte von 1986 bis 1990 bei der A* GmbH eine Doppellehre als Werkzeugmacher und Kunststoffverarbeiter. Danach war er bis 1995 bei diesem Dienstgeber parallel im Werkzeugbau und in der Kunststofftechnik eingesetzt. Zu seinen Aufgaben gehörten die Fertigung von Spritzgussformen, Extrusionswerkzeugen, Kunststoffteilen und Extrusionsprodukten, ferner Abstimmungsarbeiten an Spritzguss- und Extrusionsmaschinen.

[2] Im Jahr 1995 wechselte der Kläger bei seinem Dienstgeber in die Abteilung Forschung und Entwicklung, ab 2001 war er in der Anwendungstechnik tätig, wo er mit der Markteinführung neuer Produkte befasst war. Ab 2007 war der Kläger Produktmanager mit den Aufgaben Projektabwicklung, Schulungen von Kunden, Weiterentwicklung von Produkten, Prüf- und Zulassungen sowie Bauwerksberechnungen.

[3] Das Arbeitsverhältnis zur A* GmbH endete am 30. 9. 2008. Mit 10. 11. 2008 trat der Kläger auf Basis eines Sondervertrags vom 18. 11. 2008 als Berufsschullehrer in den Schuldienst ein. Seit 1. 5. 2016 befindet er sich in einem unbefristeten Dienstverhältnis als Vertragslehrer und unterrichtet an einer Berufsschule vorwiegend angehende Kunststofftechniker und Kunststoffformgeber.

[4] Mit Schreiben vom 28. 7. 2016 teilte ihm die Beklagte erstmals sein Besoldungsdienstalter mit, wobei sie unter anderem seine Tätigkeit bei der A* GmbH im Ausmaß von zehn Jahren (1. 5. 1996 bis 30. 4 2006) als Vordienstzeit berücksichtigte.

[5] Mit Schreiben vom 19. 8. 2019 beantragte der Kläger die Anrechnung zusätzlicher Vordienstzeiten, einerseits Präsenzdienstmonate und andererseits Zeiten nach § 26 Abs 3 VBG, die ihm vorher nur wegen Überschreiten des damals gesetzlich vorgesehenen Höchstausmaßes von zehn Jahren nicht angerechnet worden seien. Die Beklagte gab seinem Antrag hinsichtlich zusätzlicher zwei Monate des Präsenzdienstes statt. Die Anrechnung weiterer Vordienstzeiten der Berufstätigkeit lehnte das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung mit Schreiben vom 29. 11. 2021 ab.

[6] Der Kläger begehrt die Feststellung, dass seine gesamte Vordienstzeit bei der A* GmbH anzurechnen sei, sowie die sich daraus ergebende Nachzahlung von 64.045,33 EUR samt Anhang.

[7] Die Beklagte wandte ein, die zehn Jahre übersteigende Berufserfahrung des Klägers habe zu keiner wesentlichen Erhöhung seines Arbeitserfolgs als Berufsschullehrer geführt.

[8] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger sei bei Beginn des streitgegenständlichen Dienstverhältnisses bereits über sieben Jahre als Vertragslehrer tätig gewesen und habe dort entsprechende Unterrichtserfahrung gesammelt. Es sei nicht ersichtlich, inwieweit der nicht angerechnete Teil seiner Vortätigkeit in einem Industriebetrieb von zusätzlicher wesentlicher Bedeutung für seine Lehrtätigkeit gewesen sein könnte.

[9] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Nach § 26 Abs 3 VBG idgF seien nützliche Vordienstzeiten nur im Ausmaß von höchstens zehn Jahren anzurechnen, wobei diese Höchstgrenze nach § 100 Abs 94 Z 8 VBG auch für Vertragsbedienstete gelte, deren Vordienstzeiten erneut festzustellen sind, wie dies beim Kläger aufgrund seines Antrags vom 19. 8. 2019 der Fall sei. Selbst wenn im Fall des Klägers aber noch von der Geltung des § 26 Abs 3 VBG idF der 2. Dienstrechts-Novelle 2019 auszugehen wäre, die keine solche Höchstgrenze vorsah, und man zeitlich auf den Beginn der Tätigkeit als Sondervertragslehrer abstellen würde, könne dies zu keinem anderen Ergebnis führen, weil nicht dargelegt worden sei, inwiefern die noch nicht angerechneten Zeiten zu einem erheblich höheren Verwendungserfolg geführt hätten.

[10] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Auslegung der Übergangsbestimmung des § 100 Abs 94 Z 8 VBG keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege und Fragen der Geltendmachung von Vordienstzeiten nach § 26 Abs 3 VBG über den Einzelfall hinaus von Bedeutung seien.

[11] Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die Abänderung der Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn anstrebt.

[12] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, jedenfalls aber ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[14] 1. Der Oberste Gerichtshof hat zur Frage der Interpretation der Übergangsbestimmung des § 100 Abs 94 Z 8 VBG bereits in der Entscheidung 8 ObA 42/23v Stellung genommen, der ein völlig vergleichbarer Sachverhalt zugrundelag. Danach ist die geltende Fassung des § 26 Abs 3 VBG, mit der eine Höchstgrenze von zehn Jahren für die Anrechnung einer „nützlichen“ Berufstätigkeit (neuerlich) eingeführt wurde, mangels Rückwirkungsanordnung tatsächlich nicht auf solche Dienstverhältnisse anzuwenden, bei denen die Feststellung der anrechenbaren Vordienstzeiten bereits vor Inkrafttreten der Neufassung am 1. 1. 2021 erfolgen hätte müssen ( RS0134598 ).

[15] Dies trifft auf das Dienstverhältnis des Klägers zu, weil er seinen Antrag am 19. 8. 2019 gestellt hat. Dem Anspruch des Klägers auf Anrechnung seiner einschlägigen Vordienstzeiten steht daher keine gesetzliche Höchstgrenze entgegen.

[16] 2. Dennoch zeigt die Revision im Ergebnis keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[17] Das Berufungsgericht hat nämlich – in Übereinstimmung mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur teilweisen Einschlägigkeit von Vordienstzeiten ( RS0059620 [T4]) – seine Entscheidung auch damit begründet, dass der Kläger nicht hinreichend dargelegt habe, dass seine noch nicht angerechneten Beschäftigungszeiten und die dabei erworbene fachliche Berufserfahrung zu einer weiteren Erhöhung seines Arbeitserfolgs als Berufsschullehrer geführt hätten. Ob diese Beurteilung zutrifft, ist eine Frage des Einzelfalls ( RS0059620 , RS0082096 [T2, T6]; 8 ObA 42/23v Rz 17).

[18] Wenn die Revisionsausführungen auf die Aufgliederung der einzelnen beruflichen Stationen des Klägers bei seinem Vordienstgeber verweisen, ist das Berufungsgericht ohnehin von diesem Vorbringen ausgegangen. Inwiefern diese Zeiten und die beim Vordienstgeber absolvierten Schulungen und Prüfungen auch über das angerechnete Maß von zehn Jahren hinaus seinem späteren Verwendungserfolg als Berufsschullehrer wesentlich erhöht hätten, legt auch die Revision nicht dar.

[19] Der Umstand, dass die nicht angerechnete Zeit gerade die Tätigkeit des Klägers in der Anwendungstechnik und als Produktmanager umfasst, steht damit nicht in Widerspruch. Es mag zutreffen, dass diese Aufgaben nicht „weniger wertvoll“ waren als die Facharbeitertätigkeiten, die der Kläger in den Jahren davor vorwiegend ausgeübt hat. Auf eine solche Bewertung kommt es aber für die Frage, ob und weshalb gerade diese Tätigkeiten von besonderer Bedeutung für den Verwendungserfolg beim Unterrichten von Lehrlingen gewesen wären, nicht an.

[20] Ausgehend vom Vorbringen des Klägers und den darauf gegründeten Feststellungen hat das Berufungsgericht den ihm zustehenden Ermessensspielraum nicht überschritten (vgl RS0042828 ; 8 ObA 42/23v).

[21] 3. Wird die Entscheidung der zweiten Instanz auf eine das Ergebnis selbständig tragende Hilfsbegründung gestützt, die im Rahmen des Beurteilungsspielraums zutreffend gelöst wurde, so ist die mit der Hauptbegründung allenfalls verbundene erhebliche Rechtsfrage nicht präjudiziell (vgl Lovrek in Fasching/Konecny ³ § 502 ZPO Rz 119 f; 8 ObA 42/23v). Der Auslegung der Übergangsbestimmung des § 100 Abs 94 Z 8 VBG im Urteil des Berufungsgerichts, zu der mittlerweile auch – wenngleich nach Erhebung der Revision veröffentlichte – höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliegt, kam hier im Ergebnis keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu. Die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen.

[22] 4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen, sodass sie Anspruch auf Kostenersatz erworben hat (vgl RS0035979 ).

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