9ObA49/23f – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Maria Buhr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Gerlach Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen 336.868,58 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 20. April 2023, GZ 8 Ra 105/22b 23, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Der Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem – wie hier – eine Berufung wegen Nichtigkeit verworfen wird, ist zufolge der Rechtsmittelbeschränkung des § 519 Abs 1 ZPO unanfechtbar (RS0043405).
[2] 2. Behauptete Mängel des Verfahrens und der Beweiswürdigung erster Instanz, die das Berufungsgericht behandelt und für nicht berechtigt erachtet hat, können im Revisionsverfahren nicht neuerlich geltend gemacht werden (RS0043111). Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung umgangen werden, das Berufungsverfahren sei – weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben (RS0042963 [T58]).
[3] Soweit der Kläger das Fehlen von Feststellungen und die unterlassene Beweisaufnahme zu dem entsprechenden Vorbringen rügt, macht er tatsächliche sekundäre Feststellungsmängel geltend, die der Rechtsrüge zuzuordnen sind.
[4] 3. Der Oberste Gerichtshof hat zur Auslegung der auch hier verfahrensgegenständlichen Regelungen des Pensionskassenmodells des Kollektivvertrags für das Bordpersonal der A* und L* („OS KV Bord“) bereits in der Entscheidung 8 ObA 58/16m Stellung genommen. Die dort vertretene Rechtsauffassung wird von der Revision ausdrücklich nicht in Zweifel gezogen.
[5] Die wesentlichen Aussagen dieser Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen:
[6] Das Pensionskassenmodell des OS KV Bord ist nicht ausschließlich leistungsorientiert. Die dynamische Formel für die laufenden Beiträge ändert nichts daran, dass eine leistungsorientierte Zusage nur für jene Anwartschaftsberechtigten besteht, deren Dienstverhältnis nach zumindest 15 Dienstjahren und Vollendung des 55. bzw 56,5. Lebensjahres entweder durch Arbeitgeberkündigung, wegen unverschuldeten Lizenzverlusts oder durch einvernehmliche Auflösung endet. Alle Leistungsberechtigten, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, erhalten eine Pension, die sich aus der Verrentung des bis zum Leistungsanfall angesparten Kapitals errechnet.
[7] Über die Einhaltung der Formeln des § 4 Abs 2 des Anh VII OS KV Bord hinaus trifft die Beklagte keine laufende Beitragspflicht. Insbesondere trifft sie keine Pflicht, die laufenden Beiträge derart zu gestalten, dass die Deckungsrückstellung dem Barwert der zukünftigen Leistungen abzüglich Barwert der zukünftigen Beiträge unter der generellen Annahme einer privilegierten (Punkt 10 Zusatzkollektivvertrag 2 Punkt I) vorzeitigen Alterspension ab dem 55. Lebensjahr entspricht. Wäre die Regelung über die Beitragspflicht in Anh VII § 4 OS KV Bord derart zu verstehen, dann wäre die in Anh VII § 4 Abs 3 OS KV Bord geregelte Nachschusspflicht gar nicht erforderlich gewesen.
[8] Der Unverfallbarkeitsbetrag setzt sich sowohl aus den 8 % des laufenden Bezugs als auch aus den anteiligen Mehrzahlungen aufgrund der Formel des Anh VII § 4 Abs 2 lit b) und c) OS KV Bord zusammen.
[9] 4. Der Kläger erfüllt unstrittig die Voraussetzungen für die leistungsorientierte Zusage nicht. Aufgrund seines vorzeitigen Ausscheidens aus dem Dienstverhältnis berechnet sich der Unverfallbarkeitsbetrag auf Basis der geleisteten Beiträge.
[10] 5. Die Höhe der vom/von der Arbeitgeber/in zu entrichtenden Beiträge, die im Falle beitragsorientierter Vereinbarungen mit der Pensionskasse betragsmäßig oder in fester Relation zu laufenden Entgelten oder Entgeltbestandteilen festzulegen sind, ist im Kollektivvertrag (oder der Betriebsvereinbarung) zu regeln (§ 3 BPG).
[11] Diese Festlegung erfolgte – wie in der Vorentscheidung ausgeführt – in § 4 des Anh VII zum OS KV Bord. Die dem entsprechenden Beiträge wurden nach den im vorliegenden Fall getroffenen Feststellungen von der Beklagten auch geleistet. Weiters steht fest, dass die Beitragskalkulation den Bestimmungen des Kollektivvertrags entsprach. Über diese Feststellung setzt sich der Revisionswerber mit seinem Vorbringen hinweg, im vorliegenden Fall sei – anders als im Fall 8 ObA 58/16m zu Grunde gelegt – die vorgegebene Berechnungsweise des § 4 Abs 2 des Anh VII des OS KV Bord nicht eingehalten bzw deren Parameter unrichtig angenommen worden.
[12] Soweit bei einer Übertragung der Leistungspflicht an die Pensionskasse der Arbeitgeber seine Pflicht zur Beitragsleistung erfüllt, wird er von der direkten Leistungsverpflichtung gegenüber dem Arbeitnehmer befreit. Ein – abgesehen von der Beitragszahlung – weiterer Erfüllungsanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber kann grundsätzlich nur mehr im Fall einer Nachschusspflicht bestehen (9 ObA 92/10k).
[13] Die Verpflichtung zur Anpassung der in § 4 des Anh VII zum OS KV Bord vorgesehenen Beiträge lässt sich weder aus dem Gesetz noch dem Kollektivvertrag ableiten.
[14] 6. Das zur Erreichung der angestrebten Pensionskassenleistung erforderliche Deckungserfordernis ist von der Pensionskasse nach versicherungsmathematischen Grundsätzen anhand der Rechnungsgrundlagen im Geschäftsplan zu berechnen ( Schrammel/Kietaibl , BPG und PKG 2 § 48 PKG Rz 15).
[15] Wenn die Revision mit einer Verpflichtung der Beklagten argumentiert, auf eine Änderung des Geschäftsplans der Pensionskasse hinzuwirken, soweit die Parameter nicht geeignet sind, die leistungsorientierte Pensionszusage zu gewährleisten, so verkennt sie die Funktion eines Geschäftsplans.
[16] Nach § 20 PKG hat die Pensionskasse einen Geschäftsplan zu erstellen. Der Geschäftsplan sowie jede Änderung des Geschäftsplans bedürfen der Bewilligung der FMA. Sie sind weiters vom Prüfaktuar zu prüfen. Dem Antrag auf Bewilligung ist der Bericht des Prüfaktuars über das Prüfungsergebnis anzuschließen. Die Bewilligung ist zu erteilen, wenn der Geschäftsplan den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik entspricht, wenn die Belange der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten ausreichend gewahrt werden und insbesondere die Verpflichtungen aus den Pensionskassenverträgen als dauernd erfüllbar anzusehen sind. Die Pensionskasse hat der FMA das Vorliegen dieser Umstände nachzuweisen.
[17] Ein Einfluss des Arbeitgebers auf den Geschäftsplan der Pensionskasse besteht daher entgegen der Revision nicht. Wie bereits in der Entscheidung 9 ObA 38/20h dargelegt, ist der Geschäftsplan vielmehr ein Geschäfts- und Betriebsgeheimnis der Pensionskasse. Auch den Anwartschafts- und Leistungsberechtigten sind die Angaben aus dem Geschäftsplan der Pensionskasse nicht zugänglich. Vor dem Hintergrund der gegenläufigen Interessenlage hat der Gesetzgeber § 19 Abs 5c PKG geschaffen, nach dem die Pensionskasse einer kollektivvertragsfähigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer auf Anfrage jene leistungsrelevanten Teile des Geschäftsplans zur Verfügung zu stellen hat, die im Einzelfall und auf Antrag eines Anwartschafts- oder Leistungsberechtigten für die Überprüfung der Angaben gemäß Abs 3 bis 5 und 5b erforderlich sind (9 ObA 76/18v), wobei die jeweilige Interessenvertretung ihrerseits zur Verschwiegenheit über den Inhalt des Geschäftsplans verpflichtet ist.
[18] Dass von der Beklagten keine „Änderung des Geschäftsplan“ verhandelt oder erwirkt wurde, kann der Beklagten nicht als Verschulden angelastet werden.
[19] 7. Entgegen der Revision lässt sich auch aus § 16 AngG nicht ableiten, dass die beitragsorientierte Pension einem aliquoten Anteil einer unter bestimmten, vom konkreten Arbeitnehmer nicht erfüllten Voraussetzungen abhängigen Leistungspension zu entsprechen hat. Zusätzlich hat schon das Berufungsgericht darauf verwiesen, dass §§ 5 und 7 BPG eigene Vorschriften für ein vorzeitiges Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Dienstverhältnis vorsehen und § 16 AngG daher schon deshalb keine Anwendung findet.
[20] 8. Richtig verweist die Revision darauf, dass es sich bei dem Pensionskassenvertrag um einen Vertrag zu Gunsten Dritter handelt (vgl 8 ObA 34/13h). Allerdings ist unklar, welche Rechtsfolgen der Kläger daraus ableiten will. Ein Anspruch gegen die Pensionskasse wird nicht geltend gemacht.
[21] 9. Mit der Richtlinie 2003/41/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Juni 2003 über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung wurden Regeln für die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung festgelegt.
[22] Eine Umsetzung dieser Richtlinie erfolgte durch eine Novellierung des PKG und des BPG. Inwieweit aus dieser Richtlinie eine andere Auslegung der der Betriebspension zugrunde liegenden kollektivvertraglichen Regelungen oder gesetzlicher Bestimmungen resultieren soll, ist nicht nachvollziehbar.
[23] 10. Soweit der Kläger vermeint, dass die Auslegung der kollektivvertraglichen Regeln durch die Vorinstanzen dem Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit widersprechen, übergeht er, dass gerade die Regeln über die Unverfallbarkeit den Arbeitnehmern ermöglichen, ohne Verlust des zu diesem Zeitpunkt bestehenden Anspruchs das Dienstverhältnis zu beenden. Einen Widerspruch zur Richtlinie 2014/50/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Mindestvorschriften zur Erhöhung der Mobilität von Arbeitnehmern zwischen den Mitgliedstaaten durch Verbesserung des Erwerbs und der Wahrung von Zusatzrentenansprüchen, die auch nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte anwendbar ist, behauptet der Kläger nicht. Ein Anspruch auf eine jederzeitige anteilige Finanzierung einer Leistungsverpflichtung lässt sich aus dieser Richtlinie nicht ableiten.
[24] 11. Da die vom Kläger vermissten zusätzlichen Feststellungen von einer Anpassungspflicht der Beiträge bzw des Geschäftsplans ausgehen, sind sie zu einer abschließenden rechtlichen Beurteilung nicht erforderlich. Ein sekundärer Feststellungsmangel liegt daher ebenfalls nicht vor.
[25] 12. Insgesamt gelingt es dem Kläger nicht das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision des Klägers ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).