11Os10/24s – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 23. April 2024 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart des Mag. Novak als Schriftführer in der Strafsache gegen * K* wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 24. Oktober 2023, GZ 318 Hv 15/23k 39.4, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * K* der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (II) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er von Anfang 2017 bis Oktober 2019 in W* und Wa* mit der am * 2007 geborenen * Kl*, sohin einer unmündigen Person,
I) in zahlreichen Angriffen dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er (zusammengefasst) seinen Finger in ihre Scheide einführte und jeweils im Anschluss daran einmal an ihrer Scheide leckte sowie ein- bis zweimal von ihr den Handverkehr an seinem Penis vornehmen ließ,
II) durch die zu I) beschriebenen Tathandlungen mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person (US 3 f) geschlechtliche Handlungen vorgenommen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Die Mängelrüge behauptet Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) mit der Begründung, die Tatrichter hätten bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage des Opfers auf eine „schwere Persönlichkeitsstörung“ vom Typ Borderline hinweisende Verfahrensergebnisse unberücksichtigt gelassen.
[5] Dem ist zu erwidern, dass das ins Treffen geführte Gespräch zwischen Privatbeteiligtenvertreterin und Verteidiger in der Hauptverhandlung am 8. August 2023 (ON 37.2, 73) kein erörterungsbedürftiges „Verfahrensergebnis“ darstellt (vgl 13 Os 100/23i [Rz 26]).
[6] Die über Vorhalt eines „angeblich“ existierenden Gutachtens (aus einem anderen Verfahren) abgelegte Aussage der mit dem Opfer und dem Angeklagten bekannten Zeugin * S*, dem Opfer sei eine Borderline-Störung diagnostiziert worden (ON 39.3, 11 f), und die im Rechtsmittel referierten Ausführungen im aktuell erstatteten psychologischen Gutachten betreffend Hinweise auf das Zustandsbild einer Anpassungsstörung (ON 22.2, 43 f) belegen keine die Aussagefähigkeit oder Aussagetüchtigkeit des Opfers potenziell beeinträchtigende Persönlichkeits störung, die bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit zu erörtern gewesen wäre (RIS Justiz RS0119422 [T4]).
[7] Mit dem Vorbringen zu allfälligen Differenzen zwischen den Aussagen des Opfers, von dessen Bruder und dessen Mutter über die jeweiligen Erinnerungen zum typischen Schlafplatz des Opfers (Wohnzimmercouch oder Kinderzimmer) werden keine Umstände aufgezeigt, die die Aufrichtigkeit des Opfers ernsthaft infrage gestellt hätten und deshalb bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit von dessen Aussage erörterungspflichtig gewesen wären (erneut RIS Justiz RS0119422). Auch welche konkrete Feststellung einer entscheidenden Tatsache (vgl 11 Os 66/22y [Rz 8], 13 Os 73/21s [Rz 11 f]) davon betroffen sein sollte, wird nicht erklärt (RIS Justiz RS0130729).
[8] Das weitere Beschwerdevorbringen, das Details der Aussagen des Opfers, von dessen Bruder und dessen Mutter zu Schlaf- und Fernsehgewohnheiten im rund zweieinhalbjährigen Tatzeitraum gegenüberstellt, analysiert und eigenständig bewertet und eine über die ohnedies erfolgte Würdigung (US 7) hinausgehende Auseinandersetzung mit Aussagen von Zeugen zum Auftreten des Opfers nach außen vermisst, zeigt keine Unvollständigkeit der – deutlich und bestimmt, aber gedrängt abzufassenden (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO – RIS Justiz RS0098778, RS0106295) – Beweiswürdigung der Tatrichter auf, sondern übt daran Kritik nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung.
[9] Das Schöffengericht stützte die Feststellungen entscheidender Tatsachen zum Hergang der Taten auf die Aussage des Opfers über dessen Wahrnehmungen (US 5 ff). Damit wurden diese Konstatierungen – entgegen der weiteren Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) – mit einem tauglichen Beweismittel begründet (RIS Justiz RS0097540), ohne gegen Regeln der Logik oder grundlegende Erfahrungssätze zu verstoßen (RIS Justiz RS0118317, RS0116732). Sämtliches dazu erstattetes Rechtsmittelvorbringen kritisiert erneut nur in unzulässiger Weise die freie Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) der Tatrichter zur Überzeugungskraft der Aussage des Opfers und verlässt damit den Rahmen dieser Anfechtungskategorie (RIS Justiz RS0099419, RS0106588).
[10] Die Tatsachenrüge (Z 5a) soll nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Rügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780).
[11] Mit der Behauptung einer schweren Persönlichkeitsstörung, seiner eigenständigen Analyse und Bewertung der Aussage des Opfers und daran anschließender Kritik an den Beweiserwägungen der Tatrichter weckt der Beschwerdeführer jedoch keine erheblichen Bedenken im bezeichneten Sinn gegen die Richtigkeit getroffener Festellungen zu entscheidenden Tatsachen.
[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher b ereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
[13] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.