JudikaturOGH

15Os24/24d – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. April 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. April 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Weißmann in der Straf und Medienrechtssache des Privatanklägers und Antragstellers M* N* gegen die Angeklagte und Antragsgegnerin I* S* wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach §§ 12 dritter Fall, 111 Abs 1 und 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 5 Hv 9/22y des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die von der Generalprokuratur gegen die Urteile dieses Gerichts vom 8. April 2022, GZ 5 Hv 9/22y-7, und des Oberlandesgerichts Graz vom 18. April 2023, AZ 9 Bs 210/22h (ON 32 der Hv Akten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Sauter Longitsch, LL.M., zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 5 Hv 9/22y des Landesgerichts für Strafsachen Graz verletzen das Urteil dieses Gerichts vom 8. April 2022 und das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 18. April 2023, AZ 9 Bs 210/22h, § 33 Abs 1 zweiter Satz MedienG iVm § 446 StPO.

Text

Gründe:

[1] In der Straf- und Medienrechtssache des Privatanklägers und Antragstellers M* N* gegen die Angeklagte und Antragsgegnerin I* S*, AZ 5 Hv 9/22y des Landesgerichts für Strafsachen Graz, wurde – soweit hier von Bedeutung – die Angeklagte mit Urteil dieses Gerichts vom 8. April 2022, GZ 5 Hv 9/22y 7, gemäß § 259 Z 3 StPO vom – in der Privatanklage als Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und 2 StGB und der Beleidigung nach § 115 Abs 1 StGB subsumierten – Vorwurf freigesprochen, sie habe (zusammengefasst) in G* von 22. Februar bis Anfang September 2021 fünf näher genannte, auf den Privatankläger bezogene, diesen eines unehrenhaften und gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigende und ihn beleidigende Kommentare anderer Nutzer nicht unverzüglich gelöscht, die diese auf ihrem öffentlich einsehbaren Facebook-Profil zu einem von ihr zuvor geteilten Posting verfasst hatten, das aus einem Bild des uniformierten Polizeibeamten Bezirksinspektor M* N* mit dem Begleittext bestand „Lasst dieses Gesicht des Polizisten um die Welt gehen. Dieser Polizist eskalierte bei der Demo in I*. Ein 82jähriger unschuldiger Mann wurde zu Boden gerissen, verhaftet und Stundenlang verhört. Dieser Polizist ist schuldig“.

[2] Zugleich wurde der auf diese Veröffentlichungen bezogene Antrag des Privatanklägers auf Einziehung (Löschung) nach § 33 Abs 1 MedienG abgewiesen.

[3] Der Freispruch wurde auf das Fehlen der für die Subsumtion nach § 111 oder § 115 StGB erforderlichen subjektiven Tatseite gestützt (US 4). Die Abweisung des Einziehungsantrags wurde als Konsequenz des Freispruchs und des Umstands bezeichnet, dass ein Eventualantrag im Sinn des § 33 Abs 2 MedienG nicht gestellt worden sei (US 6).

[4] Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht gab mit Urteil vom 18. April 2023, AZ 9 Bs 210/22h, der Berufung des Privatanklägers und Antragstellers nicht Folge. Dabei teilte es – soweit hier relevant – in Bezug auf die Abweisung des Einziehungsantrags die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts (US 6).

Rechtliche Beurteilung

[5] Zutreffend zeigt die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes auf, dass diese Urteile in Betreff der darin jeweils zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht zum Einziehungsantrag nach § 33 Abs 1 MedienG mit dem Gesetz nicht im Einklang stehen:

[6] § 33 Abs 1 MedienG regelt – als Gegenstück zur Entscheidung über einen nicht mit einer Anklage verbundenen Einziehungsantrag im selbständigen Verfahren nach § 33 Abs 2 MedienG ( Rami in WK² MedienG § 33 Rz 14) – jene Fälle, in denen ein Antrag auf Einziehung mit einer Anklage verbunden wird und über den im Strafverfahren, sofern dieses mit Urteil erledigt wird, zu entscheiden ist ( Rami in WK² MedienG § 33 Rz 10; Heindl in Berka/Heindl/Höhne/Koukal , MedienG 4 § 33 Rz 16).

[7] Endet das Strafverfahren wegen eines Medieninhaltsdelikts (§ 1 Abs 1 Z 12 MedienG) mit einem verurteilenden Erkenntnis (einem „Strafurteil“), gründet sich die Einziehung auf § 33 Abs 1 erster Satz MedienG.

[8] Endet ein solches Strafverfahren dagegen mit einem freisprechenden Urteil, ist über den Einziehungsantrag nach § 33 Abs 1 zweiter Satz MedienG iVm § 446 StPO zu entscheiden (vgl EBRV 2 BlgNR 15. GP 45).

[9] Aus der Wendung „unbeschadet des § 446 StPO“ ergibt sich, dass auch in jedem freisprechenden Urteil auf Einziehung zu erkennen ist, wenn (zusätzlich zum Antrag eines Berechtigten; vgl 15 Os 79/22i) dafür die in § 33 Abs 2 MedienG normierte, für die Einziehung im selbständigen und unselbständigen Verfahren gleichermaßen geltende inhaltliche Voraussetzung der Verwirklichung des objektiven Tatbestands eines Medieninhaltsdelikts (aber kein Ausschlussgrund) vorliegt (vgl RIS Justiz RS0067824; Rami in WK² MedienG § 33 Rz 7, 12; Heindl in Berka/Heindl/Höhne/Koukal , MedienG 4 § 33 Rz 17a, 23).

[10] Der Hinweis auf § 29 Abs 3 MedienG stellt in diesem Zusammenhang klar, dass die Einziehung im unselbständigen Verfahren auch in einem wegen Einhaltung der journalistischen Sorgfalt freisprechenden Urteil ausgesprochen werden kann (vgl JAB 743 BlgNR 15. GP 12). Eine Beschränkung der Einziehungsmöglichkeit bei Freisprüchen auf solche Urteile ist darin nicht zu erblicken (vgl Rami in WK² MedienG § 33 Rz 12; Heindl in Berka/Heindl/Höhne/Koukal , MedienG 4 § 33 Rz 17).

[11] Ein Freispruch von der Anklage führt somit keineswegs automatisch zur Abweisung eines damit verbundenen Einziehungsantrags nach § 33 Abs 1 MedienG. Deshalb besteht auch keine Verpflichtung des Anklägers, einen Eventualantrag im Sinn des § 33 Abs 2 MedienG für den Fall des Freispruchs zu stellen, um die Möglichkeit eines Einziehungserkenntnisses zu wahren ( Rami in WK² MedienG § 33 Rz 14/2; Heindl in Berka/Heindl/Höhne/Koukal , MedienG 4 § 33 Rz 17 f, 22).

[12] Die in den Urteilen des Landesgerichts für Strafsachen Graz und des Oberlandesgerichts Graz vertretene gegenteilige Rechtsansicht verletzt daher § 33 Abs 1 zweiter Satz MedienG iVm § 446 StPO.

[13] Mangels nachteiliger Auswirkungen für die Angeklagte und Antragsgegnerin hat es mit der Festellung dieser Gesetzesverletzungen sein Bewenden (§ 292 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG).

Rückverweise