10ObS136/23g – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober als weitere Richter (Senat nach § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch Mag. Markus Steinacher, Rechtsanwalt in Villach, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, vertreten durch Hon. Prof. Dr. Bernhard Fink und andere, Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Rückforderung von Krankengeld, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. November 2023, GZ 6 Rs 38/23i 21, mit dem die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 24. Jänner 2023, GZ 43 Cgs 411/22m 6, zurückgewiesen wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 500,38 EUR (darin enthalten 83,40 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Mit Bescheid vom 17. November 2022 sprach die beklagte Österreichische Gesundheitskasse aus, dass der Kläger zu Unrecht Krankengeld in Höhe von 8.647,73 EUR erhalten habe, und verpflichtete ihn, diesen Betrag binnen vier Wochen zurückzuzahlen.
[2] Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab und verpflichtete den Kläger, der Beklagten das bezogene Krankengeld von 8.647,73 EUR in monatlichen Raten von je 100 EUR zurückzuzahlen. Soweit hier relevant führte es aus, dass zwar die Voraussetzungen für die Gewährung einer Ratenzahlung gegeben seien. Gründe, die Rückersatzpflicht ganz oder zum Teil entfallen zu lassen, lägen aber nicht vor.
[3] In seiner Berufung wandte sich der Kläger nur dagegen, dass das Erstgericht ihm die Rückzahlungspflicht nicht ganz oder zumindest teilweise nachgesehen habe.
[4] Das Berufungsgericht wies die Berufung zurück, weil nach § 90 Abs 1 Z 1 ASGG die ausschließliche Anfechtung der Aussprüche nach § 89 Abs 3 und 4 ASGG nicht zulässig sei. Zwar werde in § 90 Abs 1 Z 1 ASGG entsprechend der Rechtslage vor Änderung des § 89 ASGG durch die ZVN 2022 (BGBl I 2022/62) nur die Ratenzahlung ausdrücklich genannt. Durch den (Klammer )Verweis auf § 89 Abs 4 ASGG sei aber ausreichend klargestellt, dass der Rechtsmittelausschluss auch den Ausspruch über den Entfall der Rückersatzpflicht erfasse. Es sprächen auch keine teleologischen Gründe dafür, diesen anders zu behandeln als Aussprüche über die Ratenzahlung.
[5] Gegen diese Entscheidung richtet sich der von der Beklagten beantwortete Rekurs des Klägers mit dem Antrag, die Rückersatzpflicht ganz entfallen zu lassen und darauf aufbauend der Klage stattzugeben. Hilfsweise stellt er auch einen Aufhebungsantrag.
Rechtliche Beurteilung
[6] Der Rekurs ist ohne Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zulässig, weil das Berufungsgericht die Berufung ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen hat (RS0098745). Er ist aber nicht berechtigt.
[7] 1. Im Rekurs argumentiert der Kläger, dass die Rechtsmittelbeschränkung des § 90 Abs 1 Z 1 ASGG nach ihrem klaren Wortlaut nur die Anfechtung der Aussprüche über die Leistungsfrist und die Ratenanordnung erfasse. Die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für einen gänzlichen oder teilweisen Entfall der Rückersatzpflicht vorlägen, sei daher (e contrario) auch für sich allein bekämpfbar.
2. Ausgangslage
[8] 2.1. Gemäß § 90 Abs 1 Z 1 ASGG ist „die ausschließliche Anfechtung des Ausspruchs über die Leistungsfrist sowie die Ratenanordnung (§ 89 Abs 3 und 4) nicht zulässig“ . Die verwiesenen Bestimmungen des § 89 Abs 3 und 4 ASGG sehen in der derzeit geltenden Fassung der ZVN 2022 Folgendes vor:
[9] Nach § 89 Abs 3 ASGG hat das Gericht in einer Rechtsstreitigkeit nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG für die vom Beklagten zu erbringenden Leistungen aus der Krankenversicherung eine kürzere als die im § 409 ZPO angeordnete Leistungsfrist nach Billigkeit zu bestimmen.
[10] In § 89 Abs 4 ASGG wird zunächst angeordnet, dass in Rechtsstreitigkeiten nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG dem Kläger der Rückersatz an den Beklagten aufzuerlegen ist, wenn die (negative Feststellungs )Klage deshalb abgewiesen wird, weil eine Rückersatzpflicht des Klägers besteht (Satz 1). Das Gericht kann jedoch bei Vorliegen näher genannter Umstände die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Betrags in Teilbeträgen anordnen oder die Rückersatzpflicht zum Teil oder ganz entfallen lassen (Satz 2).
[11] 2.2. Betrachtet man den Wortlaut des § 90 Abs 1 Z 1 ASGG, bezieht sich dieser zwar zunächst nur auf die Leistungsfrist und die Ratenanordnung. Im Anschluss enthält er aber auch einen nicht eing eschränkten Klammerverweis auf § 89 Abs 3 und 4 ASGG, ohne Aufschluss darüber zu geben, in welchem Verhältnis dieser zur vorherigen Anordnung steht. Während in Bezug auf § 89 Abs 3 ASGG keine Divergenzen bestehen, weil darin nur die Bestimmung der Leistungsfrist geregelt wird, lässt sich hinsichtlich § 89 Abs 4 ASGG an hand des Wortlauts allein nicht definitiv klären, ob die Rechtsmittelbeschränkung nur die ausdrücklich genannte Ratenanordnung (Standpunkt des Klägers) oder im Wege des Klammerverweises alle in § 89 Abs 4 ASGG vorgesehenen Zahlungserleichterungen und damit auch den Entfall der Rückersatzpflicht (Standpunkt der Beklagten und des Berufungsgerichts) erfasst.
Dazu ist zu erwägen:
3. Historische Entwicklung
[12] 3.1. Die Regelungen der § 89 Abs 3 und 4 sowie des § 90 Abs 1 Z 1 ASGG gehen in ihrem Kern auf die Stammfassung des ASGG (BGBl 1985/104) zurück. Während § 90 Abs 1 Z 1 (damals § 90 Z 1) ASGG seither unverändert ist, sah der hier interessierende § 89 Abs 4 Satz 2 ASGG ursprünglich vor, dass in einer Rechtsstreitigkeit nach § 65 Abs 1 Z 2 oder über die Kostenersatzpflicht des Versicherten nach § 65 Abs 1 Z 5 ASGG (im Fall der nach Satz 1 erfolgten Anordnung des Rück- bzw Kostenersatzes infolge Bestehens einer Ersatzpflicht) die Leistungsfrist unter Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers nach Billigkeit zu bestimmen war; insoweit konnte das Gericht auch die Zahlung in Raten anordnen.
[13] Nach den Materialien (ErläutRV 7 BlgNR 16. GP 59) sollten durch § 89 Abs 4 Satz 2 ASGG die Befugnisse der Gerichte jenen der Versicherungsträger nach § 107 Abs 3 Z 2 ASVG angeglichen werden, weil sich Versicherte gegen Bescheide, mit denen ihnen ein Rückersatz unter gleichzeitiger Einräumung von Zahlungserleichterungen auferlegt wurde, erfahrungsgemäß deshalb nicht zur Wehr setzten, weil die Schiedsgerichte der Sozialversicherung vergleichbare Zahlungserleichterungen nicht gewähren konnten. Um nicht sachgerechte Verfahrensverzögerungen hintanzuhalten, sollte allerdings aus „einleuchtenden verfahrensökonomischen Gründen“ die Bekämpfung eines Urteils nur wegen der festgesetzten Leistungsfrist oder der Nicht- oder zu geringen Gewährung von Zahlungserleichterungen nicht möglich sein (§ 90 Z 1 ASGG).
[14] Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber den Sozialgerichten in § 89 Abs 4 ASGG nur die Möglichkeit der Ratengewährung (§ 107 Abs 3 Z 2 ASVG) nicht jedoch einer gänzlichen oder teilweisen Nachsicht der Rückzahlungspflicht (§ 107 Abs 3 Z 1 ASVG) eingeräumt hatte, folgerte der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass ihnen eine solche Kompetenz nicht zustand (RS0085706; 10 ObS 27/10h ua). Zu (damals) § 90 Z 1 ASGG wurde betont, dass dadurch aus verfahrensökonomischen Gründen die Möglichkeit der Überprüfung allein der näheren Rückzahlungskonditionen (iSd § 89 Abs 3 und 4 ASGG) im Instanzenweg ausgeschlossen w erden sollte (10 ObS 58/09s; vgl RS0114691).
[15] 3.2. Mit Erkenntnis vom 11. Dezember 2020, G 264/2019, hob der Verfassungsgerichtshof die Regelung betreffend die Zahlungserleichterungen in Leistungssachen in § 89 Abs 4 ASGG mit Ablauf des 31. Dezember 2021 als verfassungswidrig auf. Er hielt zunächst fest, dass zu den (von § 65 Abs 1 Z 2 ASGG erfassten) Leistungssachen iSd § 354 Z 2 ASVG auch die Feststellung der Verpflichtung zum Rückersatz zu Unrecht empfangener Versicherungsleistungen zähle, ohne davon den Verzicht auf die Rückforderung auszunehmen. Angesichts der inneren Verbundenheit dieser Angelegenheiten falle daher auch dieser unter § 354 Z 2 ASVG und nicht unter die Verwaltungssachen nach § 355 ASVG. Im Hinblick auf diese Grundsatzentscheidung des ASVG setze die Verfassungsmäßigkeit der Ausgestaltung der sukzessiven Kompetenz der ordentlichen Gerichte in Rückforderungsangelegenheiten voraus, dass ihnen im Rahmen ihrer Entscheidung über Rückforderungsansprüche auch die Kognition über den gänzlichen oder teilweisen Verzicht nach § 76 Abs 3 Z 1 GSVG (bzw § 107 Abs 3 Z 1 ASVG) offenstehe. Diesen Anforderungen genüge § 89 Abs 4 ASGG nicht, weil dem Arbeits- und Sozialgericht nur eine vollumfängliche Auferlegung der Rückersatzpflicht oder die vollumfängliche Verneinung dieser eingeräumt sei, ohne die Rückersatzpflicht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 76 Abs 3 Z 1 GSVG (bzw § 107 Abs 3 Z 1 ASVG) in einer dem Vorgehen des V ersicherungsträgers entsprechenden Weise mindern zu können. Das belaste den vor den Arbeits- und Sozialgerichten Rechtsschutzsuchenden in rechtsstaatswidriger Weise einseitig mit dem Rechtsschutzrisiko (G 264/2019 Rz 40 und 41).
[16] 3.3. Die Novellierung des § 89 ASGG durch die ZVN 2022 erfolgte vor dem Hintergrund dieses Erkenntnisses. Die Gesetzesmaterialien führen dazu aus:
„Nach dem Erkenntnis [zu G 264/2019] setzt die Verfassungsmäßigkeit der Ausgestaltung der sukzessiven Kompetenz in Rückforderungsangelegenheiten voraus, dass den ordentlichen Gerichten auch die Kognition über den (gänzlichen oder teilweisen) Verzicht nach § 76 Abs 3 Z 1 GSVG offensteht. Es soll daher eine Rechtsgrundlage für die Festlegung einer Rückzahlungsverpflichtung durch die Sozialgerichte geschaffen werden, die diesen Anforderungen entspricht: Ab 1. Jänner 2022 soll nach Abs 4 zweiter Satz auf Grund von Urteilen über Streitigkeiten nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG die festzulegende Rückzahlungsverpflichtung des unterlegenen Klägers bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände auch zum Teil oder zur Gänze entfallen können […]
Die bestehende Regelung zu Streitigkeiten nach § 65 Abs 1 Z 5 ASGG wird in einen neuen Abs 5 übernommen und aus diesem Anlass in einem Punkt sprachlich an die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen angepasst“ (ErläutRV 1291 BlgNR 27. GP 15).
[17] Auf mögliche Auswirkungen der Novellierung des § 89 ASGG auf § 90 Abs 1 Z 1 ASGG gehen die Materialien nicht ein.
4. Beurteilung
[18] 4.1. Der unmittelbare historische Zusammenhang des § 89 Abs 4 ASGG und des § 90 (Abs 1) Z 1 ASGG lässt in Verbindung mit den erklärten Motiven des Gesetzgebers und dem Umstand, dass in § 89 Abs 3 und 4 ASGG in der Fassung vor der ZVN 2022 tatsächlich nur die Leistungsfrist und die Ratenanordnung geregelt wurden, im Grunde nur den Schluss zu, dass es sich ursprünglich um zwei korrespondierende Bestimmungen handelte: Mit Schaffung der Möglichkeit, Zahlungserleichterungen zu gewähren, sollte der Rechtsschutz für die Versicherten erweitert, parallel dazu jedoch der allein dafür notwendige Verfahrensaufwand der Gerichte minimiert werden. Dieser (historische) Zusammenhang wird ungeachtet des weiter bestehenden Klammerverweises in § 90 Abs 1 Z 1 ASGG aufgelöst, wenn die Befugnisse in § 89 Abs 4 Satz 2 ASGG um den Entfall der Rückersatzpflicht erweitert sowie um Aussprüche über die Leistungsfrist und die Befugnisse in Streitigkeiten nach § 65 Abs 1 Z 5 ASGG (nunmehr § 89 Abs 5 ASGG) eingeschränkt werden, gleichzeitig aber die Beschränkung auf Aussprüche „über die Leistungsfrist sowie die Ratenanordnung“ in § 90 Abs 1 Z 1 ASGG unverändert bleibt. Die historische Auslegung ergibt daher, dass der Gesetzgeber bei Einführung des § 90 (Abs 1) Z 1 ASGG nur die Anfechtung der damals in § 89 Abs 4 ASGG vorgesehenen Aussprüche (über die Leistungsfrist und die Ratenanordnung) beschränken wollte.
[19] 4.2. Zwar sind Ausnahmevorschriften, vor allem Rechtsmittelbeschränkungen, grundsätzlich nicht ausdehnend auszulegen (RS0008903; 6 Ob 698/88 ua). Das schließt ebenso wie eine taxative Aufzählung (vgl RS0008839) einen Ähnlichkeitsschluss aber keineswegs aus, sofern die Voraussetzungen dafür gegeben sind und der Rahmen der engeren Ratio der Ausnahmeregel eingehalten wird (RS0008903 [T2]; RS0008910 [T3]). Eine Analogie ist daher möglich und geboten, wenn der nicht besonders angeführte Fall alle motivierenden Merkmale des geregelten Falls enthält und das Prinzip der Norm auch in einem ihren Tatbeständen ähnlichen Fall Beachtung fordert (vgl RS0008839 [insb T7]; RS0008928; RS0008841).
[20] 4.3. Das ist hier der Fall.
[21] Bei Streitigkeiten nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG ist zunächst zu klären, ob die jeweilige Leistung überhaupt zu Unrecht erbracht wurde, ob die Voraussetzungen für ihren Rückersatz nach § 107 Abs 1 ASVG erfüllt sind und ob das Rückforderungsrecht aufgrund einer der in § 107 Abs 2 ASVG genannten Gründe nicht oder nicht mehr besteht. Erst wenn der Rückersatzanspruch aufgrund dieser Prüfung bejaht wird, stellen sich in einem anschließenden zweiten Schritt die in § 89 Abs 4 Satz 2 ASGG angesprochenen Fragen, ob der Rückersatz nur in Raten zu erfolgen hat oder nachzusehen ist. Dieser Trennung in eine inhaltliche Entscheidung über das Bestehen des Rückersatzanspruchs und eine darauf aufbauende Ermessensentscheidung über die Art und Weise seiner Begleichung entspricht der vormalige § 90 Z 1 ASGG, die Anfechtbarkeit bloß dieser Beurteilung zu beschränken. Die dem zugrundeliegende Wertung, der mit Bekämpfung der „bloßen“ Ermessensentscheidung verbundene Aufwand sei aus verfahrensökonomischer Sicht „unsachgerecht“, wenn der Rückersatzanspruch prinzipiell besteht, trifft auch auf den nunmehr möglichen Ausspruch des Entfalls zu. Werden die Voraussetzungen dafür bejaht, führt das zwar zum Erfolg der Klage, weil ein Rückersatz (teilweise) zu unterbleiben hat. Es handelt sich aber dennoch „nur“ um eine der Hauptfrage nachgelagerte, amtswegig zu treffende „Annexentscheidung“ (vgl RS0085864) über die Modalitäten der Rückzahlung, weil eine gar nicht bestehende Rückersatzpflicht auch nicht nachgesehen werden kann.
[22] 4.4. Anhaltspunkte dafür, dass mit der ZVN 2022 das Konzept, die Anfechtbarkeit der Entscheidung über die Bedingungen der Rückzahlung zu beschränken, aufgegeben werden sollte, sind nicht vorhanden. Die Gesetzesmaterialien gehen darauf auch – was in diesem Fall zu erwarten gewesen wäre – mit keinem Wort ein. Der (vom Gesetzgeber klar formulierte) Zweck des § 90 Abs 1 Z 1 ASGG und die ihm zugrundeliegende Wertung legen vielmehr nahe, dass bei der Novellierung des § 89 ASGG durch die ZVN 2022 schlicht übersehen wurde, § 90 Abs 1 Z 1 ASGG entsprechend anzupassen (vgl RS0008866 [T9, T10 T27]). Dies dokumentiert sich nicht nur im nunmehr unklaren Klammerverweis, sondern insbesondere darin, dass die Aussprüche über die Leistungsfrist und die Ratenanordnung in Rechtsstreitigkeiten gemäß § 65 Abs 1 Z 5 ASGG nach Überführung der Regelung (vom vormaligen Abs 4) in einen neuen Abs 5 des § 89 ASGG vom Wortlaut (Klammerverweis) des § 90 Abs 1 Z 1 ASGG nicht mehr erfasst werden. Die Bekämpfung des Ausspruchs über Ratenzahlungen in Leistungssachen nach § 354 Z 2 ASVG iVm § 65 Abs 1 Z 2 ASGG zu beschränken, in letzten Endes bloßen Kostensachen (vgl § 359 ASVG) dagegen nicht, wäre wertungsmäßig nicht erklärbar und würde zu einem inkonsistenten Regelungssystem führen.
[23] 4.5. Aufgrund der Rechtsentwicklung erweist sich § 90 Abs 1 Z 1 ASGG daher (mittlerweile) als planwidrig lückenhaft, weil er gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie infolge Änderung des § 89 Abs 4 ASGG durch die ZVN 2022 nachträglich unvollständig und ergänzungsbedürftig ist, ohne dass eine Ergänzung einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht (RS0008866 [insb T35]; RS0098756 [T14]).
5. Ergebnis
[24] Die vorstehenden Erwägungen führen insgesamt zu folgendem Ergebnis: § 90 Abs 1 Z 1 ASGG weist infolge der Novellierung des § 89 Abs 4 ASGG durch die ZVN 2022 eine nachträglich entstandene Regelungslücke auf. Diese ist dadurch zu schließen, dass die in § 90 Abs 1 Z 1 ASGG normierte Rechtsmittelbeschränkung auch auf den dort nicht genannten Ausspruch über den Entfall der Rückersatzpflicht nach § 89 Abs 4 ASGG analog anzuwenden ist. Insofern ist in § 90 Abs 1 Z 1 ASGG ein Verweis auch auf diesen Ausspruch „hineinzulesen“.
[25] Vor diesem Hintergrund hat das Berufungsgericht die allein gegen die Nichtanordnung des gänzlichen oder teilweisen Entfalls der Rückersatzpflicht erhobene Berufung des Klägers zu Recht zurückgewiesen.
[26] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Aufgrund der rechtlichen Schwierigkeiten bzw der unklaren Rechtslage entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Kläger angesichts seiner aktenkundigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse den Ersatz der Hälfte der Rekurskosten zuzusprechen (vgl RS0085871). Dass er Verfahrenshilfe genießt, steht dem nicht entgegen (RS0126140). Für den Rekurs gebührt aber nur der einfache Einheitssatz.