JudikaturOGH

4Ob137/23k – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. März 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Hon.-Prof. PD Dr. Rassi als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. * GmbH, *, 2. * GmbH Co KG, *, beide vertreten durch die Ploil Boesch Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei * GmbH, *, vertreten durch Dr. Peter Burgstaller und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen Unterlassung (Streitwert im Provisorialverfahren 100.000 EUR), über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 21. Jänner 2021, GZ 4 R 5/21i 33, mit dem die einstweilige Verfügung des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 19. November 2020, GZ 1 Cg 34/20b 15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Sicherungsantrag zu Punkt 1.b) abgewiesen und die einstweilige Verfügung im Übrigen, nämlich zu den Punkten 1.a), c) und d) und im Kostenpunkt, bestätigt wird.

Die klagenden Parteien haben ihre Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen vorläufig und die beklagte Partei hat ihre diesbezüglichen Kosten endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerinnen sind Fernsehveranstalterinnen, die eine mit Sitz in Deutschland, die andere mit Sitz in Österreich.

[2] Die Beklagte bietet gegenüber gewerblichen Kunden (Netzbetreibern, Hotels, Stadien etc) individuelle IPTV Komplettlösungen (Internet-Fernsehen im geschlossenen Netz) an. Diese umfassen neben Content-Leistungen in Form von Senderpaketen unter anderem auch einen Online-Videorecorder, der zeitversetztes Fernsehen ermöglicht, sei es durch Anfertigung von Einzelaufnahmen, sei es durch Serienaufnahmen ganzer Programme. Der Dienst beinhaltet unter anderem auch eine Replay Funktion, bei der bis zu sieben Tage zurückliegende Sendungsinhalte erneut angesehen werden können. Aufnahmen durch den Online-Videorecorder erfolgen stets nur, wenn ein Endnutzer eine entsprechende Programmierung vornimmt. Auch die Replay Funktion muss vom Endnutzer aktiviert werden; dazu muss er im Menü des Dienstes einmalig die einzelnen Sender, hinsichtlich derer er die Aufzeichnung wünscht, durch einen Eingabebefehl auswählen und die Auswahl bestätigen. Aufgrund dieser (zumindest einmaligen) Programmierungen führt das System vollautomatisch die (Dauer-)Aufnahmen durch, soweit keine Änderung in den Menüeinstellungen erfolgt, und legt diese grundsätzlich für jeden aufzeichnenden Nutzer in einer eigenen Datei (Single Copy) ab. Im Hintergrund läuft allerdings – für den Endnutzer nicht ersichtlich – ein Deduplizierungsverfahren, das bewirkt, dass bei übereinstimmender Programmierung von Aufzeichnungen für mehrere Kunden nicht mehrere Kopien der Sendungsinhalte erstellt werden; vielmehr bleibt es bei der ersten angefertigten Kopie, auf die alle Endnutzer, die dieselbe Aufnahme programmiert haben, über eine ihnen eigens zugeteilte Referenz zugreifen können. Gelöscht wird die Kopie erst dann, wenn der letzte Nutzer die Programmierung der jeweiligen Aufzeichnung aufgehoben hat. Die IPTV Komplettlösung der Beklagten steht in zwei Varianten zur Verfügung, nämlich in Form einer On Premises Lösung sowie in Form einer unmittelbar von der Beklagten gehosteten Cloud Lösung. Im Rahmen der On Premises Lösung stellt die Beklagte Netzbetreibern Hard- und Software samt technischem Support (laufende Fehlerbehebung und Konfiguration des Dienstes) bereit und schließt mit ihnen Rahmenvereinbarungen, wonach die Netzbetreiber die IPTV Systemlösungen nutzen, um selbst oder für einen Vertragspartner IPTV Services an Endkunden zu erbringen, und dabei für die Einholung der entsprechenden Kabelweitersendungsrechte und der Content Rechte selbst zuständig sind. Nach dem Inhalt dieser Rahmenverträge hat der Netzbetreiber sicherzustellen, dass er für alle Inhalte, die er (mit Hilfe der von der Beklagten zur Verfügung gestellten technischen Lösungen) verbreitet oder vorhält, ausreichende Rechte besitzt. Zudem verpflichtet sich der Kunde der Beklagten, in eigener Verantwortung und auf eigene Kosten dafür zu sorgen, dass er für die Contents (zB TV-Programme) und Nutzungsformen sowie für die sonstigen verwendeten Werke, die er mit Hilfe des IPTV Systems verbreitet und zur Verfügung stellt, ausreichende Lizenzen und Kabelweitersendungsrechte besitzt. Von dieser Rahmenvereinbarung sind nicht nur lineare (analoge oder digitale) Leistungen, sondern auch non lineare Leistungen (wie Internet-TV) umfasst. Die von den Klägerinnen veranstalteten und gesendeten TV-Programme sind im Senderportfolio der Beklagten sowie diverser Netzbetreiber enthalten, die das IPTV Produkt der Beklagten als On Premises- oder als Cloud Lösung nutzen. Die Beklagte gibt gegenüber ihren Kunden an, dass sie über direkte Lizenzvereinbarungen mit Sendergruppen verfügt. Die Klägerinnen haben zur Weiterverbreitung über Internetstreaming keine Zustimmung erteilt.

[3] Zur Sicherung ihrer entsprechenden Unterlassungsbegehren begehren die Klägerinnen , der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu verbieten,

a) Fernsehprogramme, hinsichtlich derer einer der Klägerinnen die Rechte des Rundfunkunternehmers und/oder Werknutzungsrechte zustehen, insbesondere „*“ und/oder Teile davon, ohne Zustimmung des/der jeweils Berechtigten als Live Stream über (offenes) Internet – sei es auch nur für vertraglich berechtigte Kunden und/oder deren Kunden – öffentlich wiederzugeben, (weiter) zu senden und/oder zur Verfügung zu stellen, dies insbesondere im Rahmen der Cloud Lösung der „IPTV Komplettlösung“ oder vergleichbaren Angeboten und/oder mit Hilfe von Applikationen (Apps) für mobile Endgeräte über Mobilfunk zur Verfügung zu stellen;

b) ihren Kunden Dienste und/oder Produkte zur Verfügung zu stellen, insbesondere Soft- und Hardware Komplettlösungen, mit denen diesen ermöglicht wird, Fernsehprogramme, hinsichtlich derer einer der Klägerinnen die Rechte des Rundfunkunternehmers und/oder Werknutzungsrechte zustehen, insbesondere „*“ und/oder Teile davon ohne Zustimmung des/der jeweils Berechtigten als Live Stream über (offenes) Internet – sei es auch nur für vertraglich berechtigte Kunden und/oder deren Kunden – öffentlich wiederzugeben, (weiter) zu senden und/oder zur Verfügung zu stellen, dies insbesondere im Rahmen der On Premises Lösung der „IPTV Komplettlösung“ oder vergleichbaren Angeboten und/oder mit Hilfe von Applikationen (Apps) für mobile Endgeräte über Mobilfunk zur Verfügung zu stellen;

c) Fernsehprogramme, hinsichtlich derer einer der Klägerinnen die Rechte des Rundfunkunternehmers und/oder Werknutzungsrechte zustehen, insbesondere „*“ und/oder Teile davon ohne Zustimmung der Klägerinnen durch Speicherung zu vervielfältigen oder von Dritten vervielfältigen zu lassen und/oder Kopien der Fernsehprogramme der Klägerinnen den Kunden der Cloud-Lösung der „IPTV Komplettlösung“ oder deren Kunden zur Anfertigung von (Privat)Kopien zur Verfügung zu stellen oder in inhaltsgleicher Weise einen Online-Videorecorder/netzbasierenden persönlichen Videorecorder anzubieten, der den Kunden der Beklagten und/oder deren Kunden eine Speicherung oder zeitversetzte Nutzung der Fernsehprogramme der Klägerinnen oder von Teilen davon erlaubt, insbesondere durch Angebote wie die Funktionalität im Rahmen der Cloud Lösung der „IPTV Komplettlösung“ und/oder vergleichbaren Angeboten;

d) ihren Kunden Dienste und/oder Produkte zur Verfügung zu stellen, insbesondere Software und Hardware Komplettlösungen, mit welchen diesen ermöglicht wird, Fernsehprogramme, hinsichtlich derer einer der Klägerinnen die Rechte des Rundfunkunternehmers und/oder Werknutzungsrechte zustehen, insbesondere „*“ und/oder Teile davon ohne Zustimmung der Klägerinnen durch Speicherung zu vervielfältigen oder von Dritten vervielfältigen zu lassen und/oder Kopien der Fernsehprogramme der Klägerinnen Endkunden zur Anfertigung von (Privat)Kopien zur Verfügung zu stellen oder in inhaltsgleicher Weise einen Online-Videorecorder/ netzbasierenden persönlichen Videorecorder anzubieten, der den Kunden der Beklagten und/oder deren Kunden eine Speicherung oder zeitversetzte Nutzung der Fernsehprogramme der Klägerinnen oder von Teilen davon erlaubt, insbesondere durch Angebote wie die Funktionalität im Rahmen der On Premises Lösung der „IPTV Komplettlösung“ und/oder vergleichbaren Angeboten.

[4] Die Klägerinnen hätten der über die Dienste der Beklagten erfolgenden Weiterverbreitung über Internetstreaming keine Zustimmung erteilt, die Beklagte mehrfach abgemahnt und auf die Rechtswidrigkeit ihres Dienstes hingewiesen. Im Bereich des Online-Videorecorders wende die Beklagte ein Verfahren an, das über eine „Masterkopie“ laufe. Damit würden Sendungsinhalte nicht für jeden Endkunden individuell und auf dessen Bestellung hin in einem von diesem Endkunden kontrollierten Bereich gespeichert; vielmehr könnten alle Endkunden auf diese erste von der Beklagten erstellte Masterkopie auf Abruf zugreifen. Im Ergebnis biete der Dienst der Beklagten den Endkunden die Möglichkeit, die Programme der Klägerinnen über die Replay Funktion bis zu sieben Tage lang zeitversetzt beliebig oft anzusehen. Soweit die Beklagte nicht im Rahmen der Cloud Lösung selbst die Programme der Klägerinnen vervielfältige, beschränke sich ihre Rolle (bei der On Premises Lösung) jedoch auch nicht auf das bloße (körperliche) Bereitstellen von Einrichtungen, da sie von der Rechtswidrigkeit ihres Produkts und den Rechtsverletzungen, die ihre Kunden mit dessen Hilfe begingen, Kenntnis habe. Ohne den Dienst der Beklagten wäre es ihren Kunden nicht möglich, ihren eigenen (End )Kunden die linearen und non linearen Leistungen anzubieten. Darüber hinaus werde auch bei der On Premises Lösung das Produkt von der Beklagten an die Wünsche der Kunden individuell angepasst und laufend betreut. Bereits im Jänner 2020 habe die Erstklägerin klargestellt, dass das IPTV Angebot der Beklagten in ihre ausschließlichen Rechte eingreife und der Online-Videorecorder und die Replay Funktion nicht von der Privatkopieausnahme gedeckt seien. Hinsichtlich der On Premises Lösung liege eine öffentliche Wiedergabe im Sinn von Art 3 Abs 1 Richtlinie 2001/29/EG vor.

[5] Die Beklagte hält dem entgegen, die durch ihren Dienst erstellten Vervielfältigungen seien zulässige digitale Privatkopien im Sinn des § 42 UrhG. Endkunden werde nur Infrastruktur samt Datenspeicher zur Verfügung gestellt, sodass nur die Endkunden einzelne Aufnahmen starten und beenden könnten. Die Organisationshoheit für die Kopierfunktion liege nicht bei der Beklagten und sie erstelle keine urheberrechtsrelevante Masterkopie. Das im Hintergrund laufende Verfahren der Deduplizierung diene nur der Ressourcenoptimierung. Im Ergebnis werde bloß das System des lokalen Videorecorders bzw Festplattenrecorders umgesetzt. Die Nutzung der Funktionalitäten ihrer On Premises Lösung durch ihre Kunden liege außerhalb ihres rechtlichen Einflussbereichs. Sie selbst stelle nur die nötige Hard- und Software bei und habe nicht einmal mittelbar Herrschaft über die Nutzung ihres Systems.

[6] Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag mit Ausnahme des Begehrens zu Punkt a) statt. In diesem Punkt ging es vom Wegfall der Wiederholungsgefahr aus. Im Übrigen hätten die Klägerinnen als Rundfunkunternehmerinnen gemäß § 76a Abs 1 UrhG ein Leistungsschutzrecht an ihrem jeweiligen Sendersignal und das ausschließliche Recht, Sendungen auf einem Bild- oder Schallträger festzuhalten, diese zu vervielfältigen oder zur öffentlichen Zurverfügungstellung zu benutzen. Die von der Beklagten im Rahmen des Personal Videorecordings und der 7-Tage-Replay-Funktion veranlasste Speicherung von Sendungen der Klägerinnen greife in deren Recht ein, und zwar unabhängig, ob dies in der On Premises Lösung oder aber in der Cloud Lösung erfolge. Mit dem hier in Rede stehenden Online-Videorecorder werde eine digitale Vervielfältigung der Fernsehprogramme der Klägerinnen vorgenommen, die unter § 15 Abs 1 UrhG falle. Daran ändere auch das angewandte Deduplizierungsverfahren nichts, da die dabei technisch erstellte Kopie der Programme der Beklagten zuzurechnen sei. Diese könne sich auch nicht auf die Privatkopieausnahme des § 42 Abs 4 UrhG berufen. Auch die Anwendung des Bildschlüsselverfahrens durch sie ändere nichts an dieser Beurteilung, da die Beklagte den Endkunden auch den Schlüsselcode zur Verfügung stelle. Soweit die Beklagte ihre Hard- und Software im Rahmen der IPTV Komplettlösung an ihre Kunden vertreibe, sodass sämtliche dieser Personen Zugang zu den geschützten Werken haben, richte sich die Wiedergabe an eine unbestimmte Anzahl potentieller Adressaten, weshalb von öffentlicher Wiedergabe auszugehen sei.

[7] Das Rekursgericht änderte die von beiden Seiten angefochtene Entscheidung dahin ab, dass es dem Sicherungsantrag zur Gänze stattgab. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichts, wonach die in Rede stehenden Vervielfältigungen durch den Online-Videorecorder der Beklagten nach der konkreten technischen Ausgestaltung des Kopiervorgangs der Beklagten und nicht den Endkunden zuzurechnen seien, weshalb die Privatkopieausnahme des § 42 Abs 4 UrhG nicht eingreife. Mit dem Erstgericht ging es weiters rechtlich davon aus, dass die Beklagte im Rahmen der von ihr angebotenen On Premises Lösung nicht bloß Technologie bereitgestellt habe, sondern ihren Kunden wissentlich ermöglicht habe, auf die Sendungen der Klägerinnen zuzugreifen, sodass eine öffentliche Wiedergabe im Sinn des Art 3 Abs 1 Richtlinie 2001/29/EG vorliege. Abweichend vom Erstgericht bejahte das Rekursgericht die Wiederholungsgefahr zu Punkt a) des Begehrens. Ausreichende Anhaltspunkte für eine echte Sinnesänderung der Beklagten und deren ernstlichen Willen, von künftigen Störungen Abstand zu nehmen, sei aus einer bloß derzeit geplanten zukünftigen Vorgehensweise, nämlich die beanstandete Funktion ihren Kunden nicht mehr anzubieten, als nicht ausreichend belegt zu bewerten, zumal die Beklagte die Unmöglichkeit einer neuerlichen Verletzung auch nicht auf andere Weise bescheinigt habe. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zu einer 7-Tage-Replay-Funktion mit einem Deduplizierungsverfahren samt zusätzlichem Bildschlüsselverfahren noch nicht Stellung genommen habe.

[8] Mit ihrem – von den Klägerinnen beantworteten – Revisionsrekurs beantragt die Beklagte die gänzliche Abweisung des Sicherungsantrags.

[9] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig ; er ist auch teilweise berechtigt .

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Senat hat zunächst gemäß Art 267 AEUV an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ein Vorabentscheidungsersuchen mit folgenden Fragen gerichtet:

1. Ist eine nationale Vorschrift mit dem Unionsrecht vereinbar, die auf Grundlage des Art 5 Abs 2 lit b Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl L 167, S 10) den Betrieb eines von einem kommerziellen Anbieter bereitgestellten Online-Videorecorders erlaubt, der

a) aufgrund des technisch angewandten Deduplizierungsverfahrens nicht bei jeder von einem Nutzer initiierten Aufzeichnung eine eigenständige Kopie des programmierten Sendungsinhalts erstellt, sondern, soweit der betreffende Inhalt bereits auf Initiative eines erstaufzeichnenden anderen Nutzers gespeichert wurde, bloß – zur Vermeidung redundanter Daten – eine Referenzierung vornimmt, die es dem nachfolgenden Nutzer erlaubt, auf den bereits gespeicherten Inhalt zuzugreifen;

b) eine Replay Funktion hat, in deren Rahmen das gesamte Fernsehprogramm aller ausgewählten Sender rund um die Uhr aufgenommen und über sieben Tage hinweg zum Abruf bereitgestellt wird, soweit der Nutzer einmalig im Menü des Online-Videorecorders bei den jeweiligen Sendern durch Anklicken eines Kästchens eine entsprechende Auswahl trifft; und

c) dem Nutzer (entweder eingebettet in einen Cloud Dienst des Anbieters oder im Rahmen der vom Anbieter bereitgestellten on premises IPTV Komplettlösung) auch Zugang zu geschützten Sendungsinhalten ohne Zustimmung der Rechteinhaber vermittelt?

2. Ist der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ in Art 3 Abs 1 Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl L 167, S 10) dahin auszulegen, dass diese von einem kommerziellen Anbieter einer (on premises) IPTV-Komplettlösung vorgenommen wird, in deren Rahmen er neben Soft- und Hardware zum Empfang von TV-Programmen über das Internet auch technischen Support leistet sowie laufende Anpassungen des Dienstes vornimmt, der Dienst aber zur Gänze auf der Infrastruktur des Kunden betrieben wird, wenn der Dienst dem Nutzer Zugriff nicht nur auf Sendungsinhalte vermittelt, deren Online-Nutzung die jeweiligen Rechtsinhaber zugestimmt haben, sondern auch auf solche geschützten Inhalte, bei denen eine entsprechende Rechteklärung unterblieben ist, und der Anbieter

a) Einfluss darauf nehmen kann, welche TV Programme vom Endnutzer über den Dienst empfangen werden können,

b) weiß, dass sein Dienst auch den Empfang von geschützten Sendungsinhalten ohne Zustimmung der Rechteinhaber ermöglicht, allerdings

c) nicht mit dieser Möglichkeit zur unerlaubten Nutzung seines Dienstes wirbt und dadurch einen wesentlichen Anreiz zum Erwerb des Produkts schafft, sondern vielmehr seine Kunden bei Vertragsabschluss hinweist, dass sie sich eigenverantwortlich um die Rechteeinräumung kümmern müssen, und

d) durch seine Tätigkeit keinen speziellen Zugang zu Sendungsinhalten schafft, die ohne sein Zutun nicht oder nur schwer empfangen werden könnten?

[11] Der EuGH hat zu C 426/21 wie folgt für Recht erkannt:

1. Art 2 und Art 5 Abs 2 Buchst b der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft sind dahin auszulegen, dass ein von einem Online-Fernsehübertragungsbetreiber kommerziellen Kunden angebotener Dienst, der es über eine Cloud-Hosting-Lösung oder mittels der vor Ort zur Verfügung gestellten erforderlichen Hard- und Software und jeweils auf Initiative seiner Endnutzer ermöglicht, Sendungen fortlaufend oder gezielt aufzunehmen, nicht unter die Ausnahme vom ausschließlichen Recht der Urheber und Sendeunternehmen, die Vervielfältigung geschützter Werke zu erlauben oder zu verbieten, fällt, wenn die von einem ersten Nutzer, der eine Sendung ausgewählt hat, erstellte Kopie vom Betreiber einer unbestimmten Zahl von Nutzern, die denselben Inhalt ansehen möchten, zur Verfügung gestellt wird.

2. Art 3 Abs 1 der Richtlinie 2001/29 ist dahin auszulegen, dass es keine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn ein Online-Fernsehübertragungsbetreiber seinem kommerziellen Kunden die erforderliche Hard- und Software zur Verfügung stellt sowie technische Unterstützung leistet, was es dem kommerziellen Kunden ermöglicht, seinen eigenen Kunden zeitversetzt Zugang zu Fernsehsendungen über das Internet zu gewähren, wobei dies auch dann gilt, wenn der Online-Fernsehübertragungsbetreiber Kenntnis davon hat, dass sein Dienst Zugang zu geschützten Sendungsinhalten ohne Zustimmung ihrer Urheber ermöglicht.

Nach der solcherart erfolgten Klärung der Rechtslage ist Folgendes auszuführen:

1. Zur öffentlichen Wiedergabe:

[12] 1.1. Mit dem Begehren zu 1.a) fordern die Klägerinnen die Unterlassung der öffentlichen Wiedergabe ihrer Fernsehprogramme, deren Weitersendung oder Zurverfügungstellung über (offenes) Internet, insbesondere im Rahmen der Cloud Lösung der „IPTV Komplettlösung“ oder mit Hilfe der Applikationen für mobile Endgeräte. Das Begehren zielt auf die OTT Übertragung der Programme der Klägerinnen ab. Die Beklagte wendete diesbezüglich (bloß) ein, dass eine solche Übertragung nicht (mehr) angeboten werde und daher keine Wiederholungsgefahr bestehe. Aus dem Bescheinigungsverfahren ergibt sich, dass die Beklagte zunächst diese Übertragungen vornahm, dann aber aufgrund eines Hinweises der Klägerinnen vom Jänner 2020 (erst) im August dieses Jahres die Funktion ausschaltete und nicht beabsichtigt, sie wieder aufzunehmen. Das Rekursgericht ging aufgrund eines nicht eindeutigen Sinneswandels jedoch vom Fortbestehen der Wiederholungsgefahr aus.

[13] 1.2. Der dagegen im Revisionsrekurs angestellten Behauptung des Wegfalls der Wiederholungsgefahr ist nicht zu folgen, denn wenngleich ein derartiger Nachweis nicht nur in Form des Angebots eines umfassenden, vollstreckbaren und unbedingten Unterlassungsvergleichs geführt werden kann, reicht die bloße Behauptung des Beklagten, von künftigen Störungen Abstand nehmen zu wollen, zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr dann nicht aus, wenn er die Unmöglichkeit einer neuerlichen Verletzung nicht auf andere Weise bewiesen hat (RS0079782; RS0079692). Der Belastete hat demnach besondere Gründe zu behaupten, die eine solche Wiederholung in Zukunft als völlig ausgeschlossen oder doch zumindest als äußerst unwahrscheinlich erscheinen lassen (RS0037673 [T3]). Das war hier nicht der Fall. Es ist daher mit dem Rekursgericht vom Fortbestehen der Wiederholungsgefahr auszugehen.

[14] 2.1. Das Begehren zu 1.b) zielt auf die Untersagung der Zurverfügungstellung von Diensten und/oder Produkten ab, mit denen den Kunden der Beklagten oder deren Kunden ermöglicht wird, die Fernsehprogramme der Klägerinnen öffentlich wiederzugeben, weiter zu senden und/oder zur Verfügung zu stellen (On Premises Angebote der Beklagten).

[15] 2.2. Gemäß der zitierten Entscheidung des EuGH ist die auf den unionsrechtlichen Grundlagen im UrhG geregelte öffentliche Wiedergabe dahingehend auszulegen, dass eine solche nicht vorliegt, wenn ein Anbieter wie die Beklagte den Endnutzern keinen Zugang zu einem geschützten Werk gewährt. Der Dienst der Beklagten kann in Ermangelung jeglicher Verbindung zwischen dem Anbieter der erforderlichen Hard- und Software und den Endnutzern nicht als eine von der Beklagten vorgenommene Handlung der Wiedergabe im Sinn von Art 3 Abs 1 der InfoRL angesehen werden. Tatsächlich gewährt nur der Netzbetreiber den Zugang (Rn 63). Zudem nimmt die Beklagte keine zentrale Rolle ein (Rn 64). Die etwaige Kenntnis des Anbieters davon, dass sein Dienst Zugang zu geschützten Sendungsinhalten ohne Zustimmung ihrer Urheber ermöglicht, ist für sich genommen nicht ausreichend, um davon auszugehen, dass er eine Handlung der Wiedergabe vornimmt (Rn 65).

[16] 2.3. Damit liegt keine öffentliche Wiedergabe der Fernsehprogramme durch die Beklagte vor, weshalb das Unterlassungsbegehren zu 1.b) abzuweisen ist.

3. Zum Online Videorecorder:

[17] 3.1. Das Begehren zu 1.c) zielt darauf ab, der Beklagten zu untersagen, die Fernsehprogramme der Klägerinnen durch Speicherung zu vervielfältigen oder von Dritten vervielfältigen zu lassen und/oder den Kunden Kopien der Fernsehprogramme zur Anfertigung von Privatkopien zur Verfügung zu stellen oder in inhaltsgleicher Weise einen Online-Videorecorder/netzbasierenden persönlichen Videorecorder anzubieten, der den Kunden der Beklagten und/oder deren Kunden eine Speicherung oder zeitversetzte Nutzung der Fernsehprogramme erlaubt.

[18] 3.2. Mit dem Begehren zu 1.d) soll der Beklagten untersagt werden, Dienste und/oder Produkte den Kunden zur Verfügung zu stellen, mit welchen diesen ermöglicht wird, Programme der Klägerinnen durch Speicherung zu vervielfältigen oder von Dritten vervielfältigen zu lassen oder Kopien der Fernsehprogramme der Klägerinnen Endkunden zur Anfertigung von Kopien zur Verfügung zu stellen oder einen Online-Videorecorder anzubieten, der den Kunden der Beklagten und/oder deren Kunden die Speicherung der Fernsehprogramme erlaubt.

[19] 3.3. Das Begehren 1.c) betrifft somit das OTT Angebot, während das Begehren 1.d) auf das On Premises Angebot der Beklagten abstellt. Den Feststellungen folgend wird sowohl beim OTT Angebot, als auch bei der On Premises-IPTV-Lösung ein Online-Videorecorder angeboten. Bei dessen Betrieb wird aufgrund des technisch angewandten Deduplizierungsverfahrens bei jeder von einem Nutzer initiierten Aufzeichnung keine eigenständige Kopie des programmierten Sendungsinhalts erstellt, sondern, soweit der betreffende Inhalt bereits auf Initiative eines erstaufzeichnenden anderen Nutzers gespeichert wurde, bloß – zur Vermeidung redundanter Daten – eine Referenzierung vorgenommen, die es dem nachfolgenden Nutzer erlaubt, auf den bereits gespeicherten Inhalt zuzugreifen. Wird bei einem Online-Videorecorder vom Betreiber bloß eine Kopie der Sendung erstellt und einer Mehrzahl von Nutzern Zugriff darauf gewährt („Deduplizierung“), ist die Vervielfältigung dem Betreiber zuzurechnen (RS0133330; 4 Ob 149/20w; 4 Ob 185/20i). Auch in den den Entscheidungen 4 Ob 149/20w und 4 Ob 185/20i zugrunde liegenden Fällen waren die Daten von Ende zu Ende verschlüsselt. Wenn die Beklagte darauf verweist, dass die Verschlüsselung nur dazu diene, dass die Daten alleine mit dem passenden Schlüsselcode wahrnehmbar sind, zeigt sie nicht auf, weshalb durch die Speicherung der verschlüsselten Datensätze keine Vervielfältigung vorliegen sollte.

[20] 3.4. Die Beklagte begründet ihre These von der urheberrechtlichen Irrelevanz von verschlüsselten Daten auch mit einem Verweis auf § 17a UrhG und die Behandlung von verschlüsselten Satellitensendungen. § 17a UrhG regelt für den Bereich der Rundfunksendungen, dass eine solche auch dann vorliegt, wenn die Mittel zur Entschlüsselung der Sendung durch den Rundfunkunternehmer selbst oder mit seiner Zustimmung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Im vorliegenden Fall macht aber die Beklagte den Nutzern die Mittel zur Entschlüsselung zugänglich. Somit ist im Bereich des Senderechts das Senden und Weitersenden von verschlüsselten Signalen eine zustimmungspflichtige Handlung ( Raitz von Frentz/Masch , Öffentlichkeit trotz Verschlüsselung – Auch die Weitersendung verschlüsselter Sendesignale ist nur mit Zustimmung der Rechteinhaber zulässig, ZUM 2020, 212; siehe auch Burgstaller/Hermann , Urheberrechtliche Relevanz von KI generierten sowie verschlüsselten Inhalten, ÖBl 2020, 148 [154 ff]).

[21] 3.5. Schließlich hat der EuGH zu C-426/21 klargestellt (Rn 50), dass ein von einem Online-Fernsehübertragungsbetreiber kommerziellen Kunden angebotener Dienst, der es über eine Cloud Hosting Lösung oder mittels der vor Ort zur Verfügung gestellten erforderlichen Hard- und Software und jeweils auf Initiative seiner Endnutzer ermöglicht, Sendungen fortlaufend oder gezielt aufzunehmen, nicht unter die Ausnahme vom ausschließlichen Recht der Urheber und Sendeunternehmen, die Vervielfältigung geschützter Werke zu erlauben oder zu verbieten, fällt, wenn die von einem ersten Nutzer, der eine Sendung ausgewählt hat, erstellte Kopie vom Betreiber einer unbestimmten Zahl von Nutzern, die denselben Inhalt ansehen möchten, zur Verfügung gestellt wird. Damit kann sich die Beklagte nicht auf die Ausnahmebestimmung des § 42 Abs 4 UrhG (Privatkopieausnahme) berufen.

[22] Dem Revisionsrekurs ist daher hinsichtlich der Unterlassungsbegehren 1.c) und 1.d) – ebenso wie zum Begehren 1.a) – nicht Folge zu geben und die einstweilige Verfügung insoweit zu bestätigen und das Begehren zu 1.b) abzuweisen.

[23] Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 43 Abs 2, 50 ZPO. Die Abweisung betraf – unter Zugrundelegung der Bewertung der einzelnen Begehren in der Klage – einen geringfügigen Teil (10 %) des Streitgegenstands, dessen Geltendmachung keine besonderen Verfahrenskosten veranlasst hat. Es ist daher auszusprechen, dass die Klägerinnen die gesamten Kosten vorläufig selbst zu tragen haben und die Beklagte ihre diesbezüglichen Kosten endgültig selbst zu tragen hat.

Rückverweise