9Ob63/23i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner, die Hofrätin Mag. Korn und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*, vertreten durch Dr. Christoph Klauser, Rechtsanwalt in Deutschlandsberg, gegen die beklagte Partei Ö*gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch Dr. Robert Wiesler, Rechtsanwalt in Graz, wegen 1.) 1.266,60 EUR sA und 2.) Feststellung (Streitwert: 1.861,20 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 30. August 2023, GZ 5 R 67/23v 19, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 502,10 EUR bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin enthalten 83,68 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Beklagte ist Eigentümerin eines Hauses, die Klägerin Mieterin der Wohnung Nr. 8 in diesem Haus, zu der auch ein Abstellraum im Stiegenhaus gehört. Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage (nach Ausdehnung) die Zahlung von 1.266,60 EUR sA an – ihrem Rechtsstandpunkt nach – zu viel bezahlten Betriebskosten sowie die Feststellung, „dass sich der Anteil der Wohnung der Klägerin Top Nr. 8 an den Betriebskosten des Gesamtobjekts [ Adresse ] auf 6,5392 % beläuft“. Gegenstand des Rekursverfahrens ist die Frage der Zulässigkeit des streitigen Rechtswegs für das Feststellungsbegehren.
[2] Das Erstgericht gab dem Leistungs- und dem Feststellungsbegehren statt.
[3] Das Berufungsgericht hob aus Anlass der Berufung das Urteil des Erstgerichts und das ihm vorangegangene Verfahren, soweit es das Feststellungsbegehren betrifft, als nichtig auf und wies die Klage im Umfang des Feststellungsbegehrens zurück. Zum Leistungsanspruch stellte es gemäß § 40a JN unangefochten fest, dass dieses auf dem streitigen Rechtsweg zu erledigen sei.
[4] Die Klägerin begehre nicht die Feststellung, dass die Beklagte aufgrund einer Vereinbarung nicht berechtigt wäre, mehr als 6,5392 % gegenüber der Klägerin geltend zu machen, sondern, dass der Anteil der Wohnung Nr 8 an den Betriebskosten des Gesamtobjekts 6,5392 % betrage. Aus diesem Begehren ergebe sich eindeutig, dass die Klägerin ihren Anteil an den Betriebskosten des Gesamtobjekts festgestellt haben will und nicht, welchen Betrag die Beklagte berechtigt sei, ihr im Innenverhältnis vorzuschreiben. Für dieses Begehren sei der streitige Rechtsweg nicht zulässig.
[5] Gegen den Beschluss des Berufungsgerichts im Umfang der Nichtigerklärung des Verfahrens des Erstgerichts über das Feststellungsbegehren und die Zurückweisung der Feststellungsklage richtet sich der Rekurs der Klägerin, mit dem sie die meritorische Behandlung auch des Feststellungsbegehrens im streitigen Rechtsweg anstrebt.
[6] Die Beklagte beantragt die Zurück , hilfsweise die Abweisung des Rekurses.
Rechtliche Beurteilung
[7] Der Rekurs ist nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO unabhängig vom Wert des Entscheidungsgegenstands und vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zulässig, weil sich das Berufungsgericht mit dem zur Klagezurückweisung führenden Nichtigkeitsgrund erstmals auseinandergesetzt hat (2 Ob 232/22i vom 17. 1. 2022; RS0116348). Er ist jedoch nicht berechtigt.
[8] 1. Ob über einen konkreten Rechtsschutzantrag im streitigen oder außerstreitigen Verfahren zu entscheiden ist, richtet sich nicht nach der Bezeichnung durch die Partei, sondern nach dem Inhalt des Begehrens und dem Parteivorbringen (§ 40a JN). Maßgebend für die Bestimmung der Art des Rechtswegs sind also der Wortlaut des Begehrens und die zu seiner Begründung vorgebrachten Behauptungen der das Verfahren einleitenden Partei (RS0005896 [T17]; RS0005861; RS0013639 ua). Von Bedeutung ist die Natur bzw das Wesen des erhobenen Anspruchs (RS0045584; RS0045718 [T40]), nicht aber die Behauptungen des Gegners oder ob der Anspruch begründet ist (RS0013639 [T20]; RS0005896 [T12] ua). Ohne Einfluss sind auch vom Gericht getroffene Feststellungen (RS0013639 [T8, T9]; RS0005861 [T1] ua).
[9] 2.1 Diese allgemeinen Grundsätze werden auch durch § 22 WGG nicht berührt. Der streitige Rechtsweg ist in den Angelegenheiten ausgeschlossen, die von § 22 Abs 1 WGG erfasst sind (RS0130568). Den Anteil eines Miet- oder sonstigen Nutzungsgegenstands an den Gesamtkosten des Hauses regelt Art 1 § 16 WGG. Damit zusammenhängende Fragen gehören nach Art I § 22 Abs 1 Z 7 WGG in das Verfahren außer Streitsachen (5 Ob 245/15p; 5 Ob 4/16y).
[10] 2.2 Von § 22 Abs 1 WGG erfasste Ansprüche sind ausnahmsweise im streitigen Rechtsweg durchzusetzen, wenn es um die Durchsetzung vertraglicher Ansprüche geht, die über die in den gesetzlichen Bestimmungen des WGG normierten Rechte oder Pflichten hinausgehen. Dafür werden konkrete bindende Absprachen gefordert, die über die im Gesetz genormten Inhalte eines jeden Mietvertrags hinausgehen. Stellt eine vertragliche Bestimmung hingegen nur die Ausformung ohnedies bestehender gesetzlicher Grundlagen dar, wird das Begehren in Wahrheit auf gesetzliche Grundlagen gestützt (5 Ob 4/16y mwH; RS0069665 [T15]).
[11] 3.1 Die Klägerin hat in der Klage vorgebracht, dass ihr Anteil an den Betriebskosten „seit jeher“ 6,5392 % betragen habe. Diesen Anteil habe die Beklagte mit Vorschreibung ab 1. 1. 2021 auf 7,1221 % erhöht und habe dies mit einer Änderung des Nutzflächenschlüssels aufgrund einer zusätzlichen Vermietung einer Allgemeinfläche begründet. Der Abstellraum 8 – den die Klägerin vorübergehend einer Nachbarin zur Verfügung gestellt habe – sei jedoch immer an die Klägerin vermietet gewesen, zu einer zusätzlichen Vermietung sei es nicht gekommen. In einem zwischen den Parteien geführten Vorverfahren sei festgestellt worden, dass sich die Mietrechte der Klägerin über die von ihr gemietete Wohnung hinaus auf den im selben Stockwerk des Hauses gelegenen Abstellraum erstrecken.
[12] 3.2 Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass die Klägerin entgegen ihren Rekursausführungen mit diesem Vorbringen gerade keine Vereinbarung zwischen ihr und der Beklagten behauptet, die über die in den gesetzlichen Bestimmungen des WGG normierten Rechte oder Pflichten hinausginge. Da sie selbst ausführt, keine von den gesetzlichen Vorgaben des § 16 Abs 1 oder 3 WGG abweichende Vereinbarung eines Aufteilungsschlüssels mit allen Mietern zu behaupten, stützt sie sich im Ergebnis für ihren Anspruch auf die gesetzlichen Grundlagen (vgl 5 Ob 4/16y; 5 Ob 245/15p). Mit ihrem in ein Feststellungsbegehren gekleideten Sachantrag strebt die Klägerin nichts anderes an, als die Feststellung des Aufteilungsschlüssels für die Betriebskosten, den die Beklagte künftigen Abrechnungen zugrunde zu legen hat. Dafür ist der streitige Rechtsweg nicht zulässig.
[13] 3.3 Die Zulässigkeit des Rechtswegs ist eine absolute, in jeder Lage des Verfahrens bis zur Rechtskraft der Entscheidung auch von Amts wegen wahrzunehmende Prozessvoraussetzung (RS0046249 [T4]). Eine Verletzung der Grenzen des streitigen Rechtswegs bewirkt Nichtigkeit (RS0046861). Die bloß implizite Bejahung der Zulässigkeit des Rechtswegs durch die meritorische Behandlung des Begehrens (durch das Erstgericht) reicht für die Annahme einer Entscheidung mit bindender Wirkung nach § 42 Abs 3 JN nicht aus (RS0046249 [T7]). Vor diesem Hintergrund ist auf den von der Rekurswerberin behaupteten „unauflöslichen Konnex“ zwischen Leistungs und Feststellungsbegehren nicht weiter einzugehen.
[14] 4. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Klage zurückzuweisen ist, weil eine Überweisung der Sache an die Schlichtungsstelle nicht in Frage kommt (RS0108772), stellt die Rekurswerberin nicht in Frage.
[15] Dem Rekurs war daher nicht Folge zu geben.
[16] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.