1Ob19/24m – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Verfahrenshilfesache des Antragstellers K* R*, über dessen Rekurs gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 19. Juni 2023, AZ 14 R 84/23k, mit dem aus Anlass der Behandlung des gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 25. Jänner 2023, GZ 68 Nc 20/22k 10, erhobenen Rekurses des Antragstellers über diesen eine Ordnungsstrafe verhängt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Das mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 13. Juli 2023, 1 Ob 125/23y, unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.
2. Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.
Die über K* R* verhängte Ordnungsstrafe wird auf 200 EUR herabgesetzt.
Text
Begründung:
[1] Mit dem angefochtenen Beschluss verhängte das Rekursgericht in Spruchpunkt 2. über den Antragsteller wegen beleidigender Äußerungen in seinem – gegen die Zurück und Abweisung seines Verfahrenshilfeantrags gerichteten – Rekurs eine Ordnungsstrafe von 350 EUR.
[2] Für den Obersten Gerichtshof ergaben sich Anzeichen dafür, dass der Antragsteller aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung in seiner Entscheidungs- und insbesondere Prozessfähigkeit eingeschränkt sein könnte und ihm durch sein Prozessverhalten Nachteile am Vermögen drohen könnten. Eine Prozessunfähigkeit des Antragstellers hätte wegen Nichtigkeit der Prozesshandlungen der verhängten Ordnungsstrafe die Grundlage entzogen.
[3] Mit Beschluss vom 13. 7. 2023 übermittelte der Oberste Gerichtshof daher gemäß § 6a ZPO die Akten dem zuständigen Pflegschaftsgericht und unterbrach das Rekursverfahren bis zu dessen Entscheidung.
[4] Mit rechtskräftigem Beschluss vom 30. 10. 2023, bestätigt durch das Rechtsmittelgericht, stellte das Pflegschaftsgericht das Verfahren zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters ein.
Rechtliche Beurteilung
[5] Der Rekurs des Antragstellers ist zulässig (RS0036270) und teilweise berechtigt .
[6] 1. In dem nach Vorliegen der Entscheidung des Pflegschaftsgerichts fortzusetzenden Verfahren über den Rekurs des Antragstellers ist von seiner Prozessfähigkeit auszugehen. Er ist daher für sein Verhalten gegenüber Gerichten persönlich verantwortlich ([12. 9. 2006] 1 Ob 80/05d).
[7] 2. § 86 ZPO ordnet an, dass gegen eine Partei, welche die dem Gericht schuldige Achtung durch beleidigende Ausfälle verletzt oder den Gegner, einen Vertreter, Bevollmächtigten, Zeugen oder Sachverständigen beleidigt, eine Ordnungsstrafe zu verhängen ist.
[8] Der Regelungszweck dieser Bestimmung liegt in der Wahrung einer sachlichen und unpersönlichen Ausdrucksweise (RS0036327 [T1, T3]). Selbst eine sachlich berechtigte Kritik – die hier allerdings nicht zu sehen ist – kann wegen ihrer beleidigenden und/oder ausfälligen Form die dem Gericht schuldige Achtung verletzen und eine Beleidigung im Sinn der genannten Bestimmung darstellen (RS0036308), wobei nach einem objektiven Maßstab zu beurteilen ist, ob eine solche vorliegt (RS0036256; RS0036303).
[9] 3. Der Antragsteller bezeichnete in seinem Rekurs die Erstrichterin einige Male herabsetzend und warf ihr (und zahlreichen anderen involvierten Richterinnen und Richtern) systematische „Rechtsbeugung“ (also bewusste oder grob fahrlässige Gesetzesverstöße), „Unterdrückung“ von Rechtsnormen und „erwiesenen Tatsachen“ sowie Rechtsmissbrauch, Amtsmissbrauch und Scheinbegründungen vor.
[10] 4. Diese Äußerungen des Rekurswerbers gehen über die zur Dartuung der Rekursgründe notwendigen Ausführungen deutlich hinaus und erfüllen den Tatbestand des § 86 ZPO. Zutreffend führte das Oberlandesgericht Wien aus, sowohl die Unterstellung, die involvierten Entscheidungsorgane hätten ihre Entscheidungen rechtsmissbräuchlich und rechtsbeugend getroffen, als auch der Vorwurf, wissentlich und willentlich (also absichtlich) Beweismittel (und Rechtsgrundlagen) „zu unterdrücken“ oder unbeachtet zu lassen, bewegten sich auf der Ebene unsachlicher Beleidigungen, die darauf abzielten, das jeweilige Entscheidungsorgan persönlich herabzusetzen.
[11] Zur Verhängung einer Ordnungsstrafe wegen beleidigender Ausfälle in Rechtsmittelschriften ist sowohl das Erstgericht als auch – wie hier und anders als der Rekurswerber meint – das Rechtsmittelgericht zuständig (RS0036332 [T1]).
[12] 5. Die Strafe ist unter Berücksichtigung der Schwere der Tat und der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Bestraften auszumessen. Dabei ist zu beachten, dass der mit der Strafe verfolgte Präventionszweck nur erreicht werden kann, wenn sie von ihm als empfindlich wahrgenommen wird (1 Ob 94/05p; 1 Ob 69/12x; Annerl in Fasching/Konecny 3 II/3 § 220 ZPO Rz 7).
[13] Eine Ordnungsstrafe darf gemäß § 220 Abs 1 ZPO den Betrag von 2.000 EUR nicht übersteigen. Das Rekursgericht hat diesen Rahmen zwar bei weitem nicht ausgeschöpft. Angesichts der letztgenannten Kriterien kann diesmal noch mit einer Strafhöhe von 200 EUR das Auslangen gefunden werden, die angesichts der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Bestraften (vgl dazu 2 Ob 23/18y) immer noch empfindlich ausfällt, aber doch in deren Rahmen bleibt.