3Ob27/24b – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei T*, Deutschland, vertreten durch Dr. Georg Gorton und DDr. Birgit Gorton, Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die verpflichtete Partei Dr. S* K*, vertreten durch Dr. Bernhard Fink ua Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, wegen 25.000 EUR sA, infolge des Revisionsrekurses der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 23. Oktober 2023, GZ 32 R 12/23v 21, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Judenburg vom 1. März 2023, GZ 4 E 479/22x 15, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art 21 Abs 2 iVm Art 25 der Verordnung 805/2004/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (im Folgenden: EuVTVO) dahin auszulegen, dass eine von der zuständigen Stelle im Ursprungsmitgliedstaat – unter Verwendung des Formblatts in Anhang III der Verordnung – erteilte Bestätigung einer vollstreckbaren öffentlichen Urkunde (hier eines vollstreckbaren Notariatsakts eines deutschen Notars) als Europäischer Vollstreckungstitel im Vollstreckungsmitgliedstaat auch dann nicht nachgeprüft werden darf, wenn – ausgehend vom Datum der Errichtung der öffentlichen Urkunde – der zeitliche Anwendungsbereich der Verordnung offensichtlich nicht eingehalten ist?
II. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlagen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Text
Begründung:
Zu I.:
A Sachverhalt und bisheriges Verfahren
[1] Mit Exekutionsantrag vom 14. 2. 2022 begehrte die betreibende Partei (im Folgenden: die Betreibende), ihr aufgrund der „Grundschuldbestellung“ eines öffentlichen Notars aus Berlin vom 28. 5. 1999 (über 6.488.600 DM = 3.317.568,50 EUR samt Zinsen) zur Erbringung einer vollstreckbaren Teilforderung von 25.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 28. 5. 1999 gegen die verpflichtete Partei (im Folgenden: den Verpflichteten) die Fahrnis- und Forderungsexekution nach § 295 der österreichischen Exekutionsordnung (im Folgenden: EO) zu bewilligen. Dazu legte sie – zunächst in Kopie, später auch im Original – unter anderem den Exekutionstitel (den deutschen vollstreckbaren Notariatsakt vom 28. 5. 1999 mit Datum der Vollstreckbarkeit vom 1. 6. 1999) und eine (unbestritten von den zuständigen deutschen Stellen erteilte) Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel vom 19. 1. 2021 unter Verwendung des Formblatts in Anhang III der EuVTVO vor. Das Verfahren befindet sich – nach der aufhebenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 15. 12. 2022 zu 3 Ob 202/22k – im zweiten Rechtsgang.
[2] Das Erstgericht bewilligte die Exekution im vereinfachten Bewilligungsverfahren nach § 54b EO antragsgemäß und wies – im nunmehrigen zweiten Rechtsgang – den vom Verpflichteten gegen die Exekutionsbewilligung erhobenen Einspruch vom 24. 3. 2022 (§ 54c Abs 1 EO) ab. Die Angaben im Exekutionsantrag stimmten mit dem Inhalt des Exekutionstitels überein. Der deutsche Exekutionstitel sei vollstreckbar und decke die bewilligte Exekution.
[3] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Verpflichteten Folge und änderte die angefochtene Entscheidung (Abweisung des Einspruchs) dahingehend ab, dass die mit Beschluss vom 24. 3. 2022 bewilligte Exekution eingestellt und alle vollzogenen Exekutionsakte aufgehoben wurden. Zudem fasste das Rekursgericht eine Kostenentscheidung. In seiner Begründung führte das Rekursgericht aus, dass die Betreibende den zugrunde liegenden Exekutionstitel als Europäischen Vollstreckungstitel im vereinfachten Bewilligungsverfahren nach § 54b EO vollstrecken lassen wolle. Der bereits im Jahr 1999 errichtete Notariatsakt falle jedoch nicht in den zeitlichen Anwendungsbereich der EuVTVO, weil diese nur für Exekutionstitel gelte, die nach dem 21. 1. 2005 entstanden seien. Die Anerkennung und Vollstreckung des vollstreckbaren Notariatsakts vom 28. 5. 1999 richte sich daher nach dem Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. 9. 1968 (EuGVÜ), das für Österreich am 1. 12. 1998 in Kraft getreten sei. Nach dieser Rechtsgrundlage sei ein Exequaturverfahren erforderlich, weshalb erst nach Vorliegen einer Vollstreckbarerklärung Exekution geführt werden könne. Mangels Vorliegens einer Vollstreckbarerklärung liege kein tauglicher Exekutionstitel vor und stehe auch das vereinfachte Bewilligungsverfahren nicht zur Verfügung. Der Umstand, dass eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel nach der EuVTVO vorliege, könne an diesem Ergebnis nichts ändern. Nach Art 21 Abs 2 EuVTVO dürften die Entscheidung und die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel im Vollstreckungsstaat zwar nicht nachgeprüft werden. Es gebe jedoch Literaturstimmen, die zumindest bei offensichtlicher Überschreitung des Anwendungsbereichs der EuVTVO dafür plädierten, dass die Einhaltung des Anwendungsbereichs der EuVTVO im Vollstreckungsstaat selbständig geprüft werden dürfe. Diese Prüfung ergebe, dass ein die Exekution deckender Exekutionstitel nicht existiere und die Bestätigung der Vollstreckbarkeit fehle. Aus diesem Grund sei der Einspruch des Verpflichteten berechtigt und das Exekutionsverfahren einzustellen. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage, ob bei einer offensichtlichen Unrichtigkeit des Anwendungsbereichs der EuVTVO das Vollstreckungsgericht dennoch an eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel gebunden sei, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
[4] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Betreibenden, die auf eine Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts abzielt.
Rechtliche Beurteilung
[5] Mit seiner Revisionsrekursbeantwortung beantragte der Verpflichtete, dem Revisionsrekurs der Gegenseite den Erfolg zu versagen.
B Relevante Rechtsvorschriften
[6] Die EuVTVO lautet auszugsweise wie folgt:
„Artikel 5
Abschaffung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens
Eine Entscheidung, die im Ursprungsmitgliedstaat als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt worden ist, wird in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann.
Artikel 6
Voraussetzungen für die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel
(1) Eine in einem Mitgliedstaat über eine unbestrittene Forderung ergangene Entscheidung wird auf jederzeitigen Antrag an das Ursprungsgericht als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt, wenn
a) die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar ist, und
…
Artikel 9
Ausstellung der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel
(1) Die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel wird unter Verwendung des Formblatts in Anhang I ausgestellt.
…
Artikel 10
Berichtigung oder Widerruf der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel
(1) Die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel wird auf Antrag an das Ursprungsgericht
a) berichtigt, wenn die Entscheidung und die Bestätigung aufgrund eines materiellen Fehlers voneinander abweichen;
b) widerrufen, wenn sie hinsichtlich der in dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen eindeutig zu Unrecht erteilt wurde.
(2) Für die Berichtigung oder den Widerruf der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel ist das Recht des Ursprungsmitgliedstaats maßgebend.
(3) Die Berichtigung oder der Widerruf der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel können unter Verwendung des Formblatts in Anhang VI beantragt werden.
(4) Gegen die Ausstellung einer Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel ist kein Rechtsbehelf möglich.
KAPITEL IV
VOLLSTRECKUNG
Artikel 20
Vollstreckungsverfahren
(1) Unbeschadet der Bestimmungen dieses Kapitels gilt für das Vollstreckungsverfahren das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats. Eine als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidung wird unter den gleichen Bedingungen vollstreckt wie eine im Vollstreckungsmitgliedstaat ergangene Entscheidung.
(2) Der Gläubiger ist verpflichtet, den zuständigen Vollstreckungsbehörden des Vollstreckungsmitgliedstaats Folgendes zu übermitteln:
…
Artikel 21
Verweigerung der Vollstreckung
…
(2) Weder die Entscheidung noch ihre Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel dürfen im Vollstreckungsmitgliedstaat in der Sache selbst nachgeprüft werden.
Artikel 25
Öffentliche Urkunden
(1) Eine öffentliche Urkunde über eine Forderung im Sinne von Artikel 4 Absatz 2, die in einem Mitgliedstaat vollstreckbar ist, wird auf Antrag an die vom Ursprungsmitgliedstaat bestimmte Stelle unter Verwendung des Formblatts in Anhang III als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt.
(2) Eine öffentliche Urkunde, die im Ursprungsmitgliedstaat als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt worden ist, wird in den anderen Mitgliedstaaten vollstreckt, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf und ohne dass ihre Vollstreckbarkeit angefochten werden kann.
(3) Die Bestimmungen von Kapitel II (mit Ausnahme von Artikel 5, Artikel 6 Absatz 1 und Artikel 9 Absatz 1) sowie von Kapitel IV (mit Ausnahme von Artikel 21 Absatz 1 und Artikel 22) finden entsprechende Anwendung.“
[7] Die österreichische Exekutionsordnung (EO) enthält auszugsweise folgende Bestimmungen:
„Ausländische Exekutionstitel
§ 2.
...
(2) Den in § 1 genannten Akten und Urkunden stehen auch solche Akte und Urkunden gleich, die zwar im Ausland errichtet wurden, aber aufgrund einer völkerrechtlichen Vereinbarung oder eines Rechtsakts der Europäischen Union ohne gesonderte Vollstreckbarerklärung zu vollstrecken sind.
Vereinfachtes Bewilligungsverfahren
§ 54b.
(1) Das Gericht hat über einen Exekutionsantrag im vereinfachten Bewilligungsverfahren zu entscheiden, wenn
1. der betreibende Gläubiger Exekution wegen Geldforderungen auf das bewegliche Vermögen beantragt,
2. die hereinzubringende Forderung an Kapital 50.000 Euro nicht übersteigt; ...
3. die Vorlage anderer Urkunden als des Exekutionstitels nicht vorgeschrieben ist,
4. sich der betreibende Gläubiger auf einen inländischen, einen diesem gleichgestellten (§ 2) oder einen rechtskräftig für vollstreckbar erklärten ausländischen Exekutionstitel stützt und
5. der betreibende Gläubiger nicht bescheinigt hat, dass ein vorhandenes Exekutionsobjekt durch Zustellung der Exekutionsbewilligung vor Vornahme der Pfändung der Exekution entzogen würde.
(2) Im vereinfachten Bewilligungsverfahren gilt folgendes:
1. Der Exekutionsantrag hat die Angaben nach § 7 Abs. 1 zu enthalten; es ist auch der Tag zu nennen, an dem die Bestätigung der Vollstreckbarkeit erteilt wurde.
2. Der betreibende Gläubiger braucht dem Exekutionsantrag keine Ausfertigung des Exekutionstitels anzuschließen.
3. Das Gericht hat nur auf Grund der Angaben im Exekutionsantrag zu entscheiden. Bestehen auf Grund der Angaben im Exekutionsantrag oder gerichtsbekannter Tatsachen Bedenken, ob ein die Exekution deckender Exekutionstitel samt Bestätigung der Vollstreckbarkeit besteht, so hat das Gericht den betreibenden Gläubiger vor der Entscheidung aufzufordern, binnen fünf Tagen eine Ausfertigung des Exekutionstitels samt Bestätigung der Vollstreckbarkeit vorzulegen.
Einspruch
§ 54c.
(1) Gegen die im vereinfachten Bewilligungsverfahren ergangene Exekutionsbewilligung steht dem Verpflichteten der Einspruch zu. Mit diesem kann nur geltend gemacht werden, dass ein die bewilligte Exekution deckender Exekutionstitel samt Bestätigung der Vollstreckbarkeit fehlt oder dass der Exekutionstitel nicht mit den im Exekutionsantrag enthaltenen Angaben darüber übereinstimmt. Rechtsbehelfe und Rechtsmittel, mit denen diese Mängel innerhalb der Einspruchsfrist geltend gemacht werden, sind als Einspruch zu behandeln.
…
Einstellung der Exekution
§ 54e.
(1) Das Exekutionsverfahren ist unter gleichzeitiger Aufhebung aller bis dahin vollzogenen Exekutionsakte auch dann einzustellen, wenn
…
2. der Exekutionstitel nicht mit sämtlichen im Exekutionsantrag enthaltenen Angaben darüber, insbesondere auch mit jenen über Zinsen, beanspruchte Nebengebühren oder Kosten, übereinstimmt.
…
Dritter Teil
Internationales Exekutionsrecht
Erster Abschnitt
Allgemeine Bestimmungen
Allgemeines
§ 403.
Akte und Urkunden, die im Ausland errichtet wurden (ausländische Exekutionstitel), bedürfen zur Vollstreckung einer Vollstreckbarerklärung im Inland, soweit sie nicht aufgrund einer völkerrechtlichen Vereinbarung oder eines Rechtsakts der Europäischen Union ohne gesonderte Vollstreckbarerklärung zu vollstrecken sind.
Vierter Abschnitt
Keine Vollstreckbarerklärung
Frist für Versagungsanträge
§ 418.
(1) Setzt die Bewilligung der Exekution aufgrund von ausländischen Exekutionstiteln nicht eine Vollstreckbarerklärung voraus, so kann die verpflichtete Partei Gründe, die der Vollstreckung im Inland entgegenstehen (Versagungsgründe), mit Einstellungsantrag geltend machen.
(2) Die Einstellung nach Abs. 1 kann nur innerhalb von acht Wochen nach Zustellung der Exekutionsbewilligung beantragt werden.
...“
[8] Die deutsche Zivilprozessordnung lautet auszugsweise wie folgt:
„§ 1079
Zuständigkeit
Für die Ausstellung der Bestätigungen nach
1. Artikel 9 Abs. 1, Artikel 24 Abs. 1, Artikel 25 Abs. 1 und
2. Artikel 6 Abs. 2 und 3
der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 sind die Gerichte, Behörden oder Notare zuständig, denen die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Titels [Erteilung der Vollstreckungsklausel] obliegt.
§ 797
Verfahren bei vollstreckbaren Urkunden
(1) Die vollstreckbare Ausfertigung wird erteilt bei
1. gerichtlichen Urkunden von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des die Urkunde verwahrenden Gerichts,
2. notariellen Urkunden von
a) dem die Urkunde verwahrenden Notar,
b) der die Urkunde verwahrenden Notarkammer oder
c) dem die Urkunde verwahrenden Amtsgericht.
…“
C Vorbemerkungen
[9] Das Erstgericht hat die Exekutionsbewilligung aufgrund einer ausländischen notariellen Urkunde (deutscher vollstreckbarer Notariatsakt) auf Basis der EuVTVO im vereinfachten Bewilligungsverfahren nach § 54b EO erteilt. § 54b EO sieht die Entscheidung über einen Exekutionsantrag im vereinfachten Bewilligungsverfahren dann vor, wenn sich der Betreibende auf einen inländischen oder auf einen diesem gleichgestellten oder einen rechtskräftig für vollstreckbar erklärten ausländischen Exekutionstitel stützt. Eine Vollstreckbarerklärung liegt im Anlassfall nicht vor. Vielmehr soll die Vollstreckung als Europäischer Vollstreckungstitel erfolgen. Inländischen Exekutionstiteln gleichgestellte ausländische Exekutionstitel (Akten und Urkunden nach § 2 EO) sind insbesondere solche, die nach der EuVTVO, der Europäischen Mahnverordnung (EuMahnVO), der Europäischen Unterhaltsverordnung (EuUVO) oder der Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVVO 2012) ergangen und ohne Exequaturverfahren zu vollstrecken sind (§ 418 EO; 3 Ob 202/22k).
[10] Die hier zugrunde liegende Exekutionsbewilligung wurde somit nur dann zu Recht im vereinfachten Bewilligungsverfahren erteilt, wenn der Exekutionstitel (der deutsche vollstreckbare Notariatsakt vom 28. 5. 1999) als Europäischer Vollstreckungstitel nach der EuVTVO zu vollstrecken ist. Dies hängt davon ab, ob das österreichische Vollstreckungsgericht an die im Ursprungsmitgliedstaat (Deutschland) von der zuständigen Stelle erteilte Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel gebunden ist. Diese Frage ist im Anlassfall davon abhängig, ob die Einhaltung des zeitlichen Anwendungsbereichs der EuVTVO im Vollstreckungsmitgliedstaat nachgeprüft werden darf.
[11] Die Entscheidung hängt damit maßgebend von der Auslegung von Art 21 Abs 2 iVm Art 25 EuVTVO ab. Nach der Beurteilung des Obersten Gerichtshofs besteht im Hinblick auf die Vorlagefrage kein „acte clair“, weshalb die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung geboten ist.
D Begründung der Vorlage
[12] 1.1 Bei einem Europäischen Vollstreckungstitel handelt es sich um einen nationalen Exekutionstitel, der als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt wurde (Art 6 Abs 1, Art 24 Abs 1, Art 25 Abs 1 EuVTVO). Als Exekutionstitel kommen sowohl gerichtliche Entscheidungen und Vergleiche als auch vollstreckbare öffentliche Urkunden in Betracht. Die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel erfolgt durch das Ursprungsgericht oder (bei öffentlichen Urkunden) die sonst zuständige Stelle im Ursprungsmitgliedstaat, und zwar unter Verwendung eines Formblatts (Art 9 Abs 1, Art 24 Abs 1 und Art 25 Abs 1 EuVTVO). Gegen die Ausstellung einer Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel ist kein Rechtsbehelf zulässig (Art 10 Abs 4 EuVTVO).
[13] 1.2 Weichen Exekutionstitel und Bestätigung voneinander ab, so hat auf Antrag eine Berichtigung der Bestätigung zu erfolgen. Liegen die Voraussetzungen der EuVTVO für die Bestätigung nicht vor, wurde diese also irrtümlich oder rechtswidrig erteilt, so ist diese auf Antrag zu widerrufen. Die Berichtigung und der Widerruf der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel haben ebenfalls ausschließlich im Ursprungsmitgliedstaat zu erfolgen, und zwar wiederum unter Verwendung eines Formblatts (Art 10 EuVTVO). Auf diese Weise soll der Rechtsschutz des Schuldners sichergestellt werden.
[14] 2.1 Eine öffentliche Urkunde, die im Ursprungsmitgliedstaat als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt worden ist, wird in den anderen Mitgliedstaaten vollstreckt, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung und ohne dass ihre Vollstreckbarkeit angefochten werden kann (Art 25 Abs 2 EuVTVO).
[15] 2.2 Nach Art 21 Abs 2 EuVTVO dürfen weder d ie Entscheidung noch ihre Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel im Vollstreckungsmitgliedstaat in der Sache selbst nachgeprüft werden darf. Dies gilt entsprechend für öffentliche Urkunden (Art 25 Abs 3 EuVTVO) .
[16] 3.1 Aus den genannten Bestimmungen der EuVTVO folgt, dass die Voraussetzungen für die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel ausschließlich im Ursprungsmitgliedstaat zu prüfen sind. Im Vollstreckungsmitgliedstaat darf etwa nicht nachgeprüft werden, ob tatsächlich eine unbestrittene Forderung vorliegt, ob die prozessualen Mindeststandards der EuVTVO für Zustellungen an den Schuldner und dessen Belehrung eingehalten wurden, ob der Exekutionstitel gegen den ordre public des Vollstreckungsmitgliedstaats verstößt ( vgl dazu OGH 3 Ob 253/06m; Höllwerth in Geroldinger/Neumayr , Internationales Zivilverfahrensrecht, Art 21 EuVTVO Rz 2; Burgstaller , Der Europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen, ÖJZ 2006/13, 179; Garber in Angst/Oberhammer 3 Vor § 79 EO Rz 228 und 275; Brenn , Europäischer Vollstreckungstitel, Zak 2005/4, 3) . Die Nichtüberprüfbarkeit der Bestätigung im Vollstreckungsmitgliedstaat begründet auch kein Rechtsschutzdefizit für den Schuldner, weil allfällige Fehler, die zur Erteilung der Bestätigung geführt haben, mit den in der EuVTVO verpflichtend vorgesehenen Rechtsbehelfen im Ursprungsstaat wahrgenommen werden können (Art 10 EuVTVO).
[17] 4. In der Literatur wird die Nichtüberprüfbarkeit der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel im Vollstreckungsmitgliedstaat jedoch teilweise einschränkend beurteilt.
[18] Neumayr (in Mayr , Europäisches Zivilprozessrecht 2 Rn 8.67; auch Burgstaller/Neumayr , ÖJZ 2006/13, 179 [183]) vertritt dazu die Ansicht, dass eine offensichtliche Überschreitung des sachlichen oder des zeitlichen Anwendungsbereichs der EuVTVO, etwa wenn ein Gericht entgegen Art 26 EuVTVO eine vor dem (richtig) 21. 1. 2005 ergangene Entscheidung als Europäischen Vollstreckungstitel bestätige, im Vollstreckungsmitgliedstaat aufgegriffen werden können müsse. Schließlich sei die Einhaltung des Anwendungsbereichs in den meisten Normkomplexen immanent vorausgesetzt. So sei beispielsweise im Rahmen der EuGVVO unbestritten, dass eine nicht in ihren Anwendungsbereich fallende Entscheidung nicht nach ihren Regeln vollstreckt werden dürfe, obwohl nach dem Wortlaut des Art 34 EuGVVO 2001 bzw des Art 45 EuGVVO 2012 eine Überprüfung des Anwendungsbereichs nicht ausdrücklich vorgesehen sei.
[19] Rechberger (in Fasching/Konecny 2 Art 2 EuVTVO Rz 9) meint unter Hinweis auf Burgstaller/Neumayr ebenfalls, dass eine offensichtliche Überschreitung des Anwendungsbereichs der EuVTVO im Vollstreckungsstaat auf Antrag oder von Amts wegen wahrzunehmen sein werde. So brauche auch im Rahmen der EuGVVO ein Urteil nicht anerkannt zu werden, wenn dem Urteilsstaat die Gerichtsgewalt über den Beklagten gefehlt habe, obwohl dies von Art 34 EuGVVO 2001 nicht erwähnt werde. Als Begründung dafür werde angeführt, dass die EuGVVO das Völkerrecht nicht unterlaufen wolle. Dies gelte auch für die EuVTVO. Schon aus völkerrechtlichen Gründen könne Art 21 Abs 2 EuVTVO dem Vollstreckungsmitgliedstaat nicht die Nachprüfung verbieten, ob der Urteilsstaat Gerichtsgewalt über den Beklagten besessen habe. Burgstaller/Neumayr nannten dazu das anschauliche Beispiel, dass entgegen Art 2 Abs 1 Satz 2 EuVTVO eine Amtshaftungsentscheidung gegen einen Mitgliedstaat ergehe.
[20] Auch Garber (in Angst/Oberhammer 3 Vor § 79 EO Rz 236) führt unter Hinweis insbesondere auf Rechberger aus, dass die Frage, ob der Anwendungsbereich der EuVTVO eröffnet sei, im Vollstreckungsstaat selbständig zu prüfen sei.
[21] 5. Im Hinblick auf diesen Meinungsstand , kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Europäische Gerichtshof die in der Literatur erhobenen Vorbehalte teilt und zum Ergebnis gelangt, dass die Einhaltung des Anwendungsbereichs der EuVTVO als übergeordneter allgemeiner Grundsatz beachtet werden muss und diese Frage zumindest bei offensichtlicher Überschreitung des Anwendungsbereichs im Vollstreckungsmitgliedstaat nachgeprüft werden darf. Aus diesem Grund kann nicht von einem „acte clair“ ausgegangen werden.
[22] 6.1 Die EuVTVO ist am 21. 1. 2005 in Kraft getreten und gilt grundsätzlich ab dem 21. 10. 2005 (Art 33). Im Verein mit der Übergangsbestimmung in Art 26 EuVTVO ist eine Bestätigung eines Exekutionstitels als Europäischer Vollstreckungstitel ab 21. 10. 2005 zulässig, bezieht sich aber auf Exekutionstitel, die nach dem 21. 1. 2005 geschaffen wurden. Bei öffentlichen Urkunden kommt es in dieser Hinsicht auf deren Aufnahme (Errichtung) oder Registrierung an und nicht – wie die Betreibende meint – auf die Ausstellung der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel.
[23] 6.2 Daraus folgt, dass der am 28. 5. 1999 errichte vollstreckbare Notariatsakt des deutschen Notars nicht in den zeitlichen Anwendungsbereich der EuVTVO fällt. Wenn die Frage der Einhaltung des zeitlichen Anwendungsbereichs der EuVTVO im Vollstreckungsstaat selbständig nachgeprüft werden darf, liegt im Anlassfall keine wirksame Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel vor, weshalb mangels Vollstreckbarerklärung dieser Exekutionstitel nicht Gegenstand der Vollstreckung und auch nicht des vereinfachten Bewilligungsverfahrens sein kann (§ 54b Abs 1 Z 4 EO). In diesem Fall wäre die Exekution – entsprechend der Entscheidung des Rekursgerichts – einzustellen (§ 54e Abs 1 Z 2 EO).
Zu II.:
[24] Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens gründet sich auf § 90a Abs 1 GOG.