1Ds1/21v – OGH Entscheidung
Rückverweise
Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat am 26. Februar 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Jensik, Prof. Dr. Lässig und Hon. Prof. Dr. Gitschthaler und die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in der Disziplinarsache gegen *, nach Anhörung der Generalprokuratorin als Disziplinaranwältin in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
* hat
(I) in Bezug auf den Einleitungsbeschluss vom 6. April 2021 (ON 10) am 25. Februar 2021 aus einem von der * geführten Ermittlungsakt den am 19. Februar 2021 zu AZ 21 Bs 28/20a ergangenen Beschluss des *, den er wenige Minuten davor der Verfahrensautomation Justiz (VJ) entnommen hatte, an * übermittelt, obwohl dieser nach einer Organisationsänderung im Bundesministerium für Justiz (BMJ) seit 1. September 2020 nicht mehr für die Fachaufsicht in Einzelstrafsachen zuständig war (1 in ON 10),
(II) in Bezug auf den Ausdehnungsbeschluss vom 12. April 2022 (ON 20)
A) am 11. Dezember 2020 zwei Seiten des von ihm als Behördenleiter zu revidierenden Aktes AZ 8 OStA 372/20h der * an den seit 1. September 2020 im BMJ nicht mehr für die Fachaufsicht in Einzelstrafsachen zuständigen * übermittelt (1/a in ON 20), weiters
(III) in Bezug auf den Ausdehnungsbeschluss vom 3. Juli 2023 (ON 27)
A) vom 26. Februar 2019 bis zum 11. März 2019
3) es pflichtwidrig unterlassen, hinsichtlich des Verfahrens AZ 4 St 59/19x der * seine Befangenheit im Sinn des § 47 Abs 1 Z 3 StPO anzuzeigen (I/A/3 in ON 27), sowie
B) ihm aus seiner amtlichen Tätigkeit bekannt gewordene Tatsachen ohne sachliche Rechtfertigung offenbart, indem er *
1) am 26. Februar 2019 über eine gegen ihn gerichtete Anzeige des Dr. * informiert (I/B/1 in ON 27) und
2) am 28. Februar 2019 einen Teil des als Verschlusssache geführten Aktes AZ Jv 1827/19i der * übermittelt (I/B/2 in ON 27) hat,
hiedurch insgesamt ein Verhalten gesetzt, welches das Vertrauen in die Rechtspflege sowie das Ansehen ihrer Berufsstände gefährdet (§ 57 Abs 3 RStDG), und solcherart mit Rücksicht auf die Wiederholung ein Dienstvergehen im Sinn des § 101 Abs 1 RStDG begangen.
Gemäß § 130 Abs 1 zweiter Satz RStDG iVm § 110 Abs 2 RStDG wird über ihn hiefür die Disziplinarstrafe des Verweises nach § 104 Abs 1 lit a RStDG verhängt.
Das Disziplinarverfahren gegen *, wegen der Vorwürfe, er habe
(I) in Bezug auf den Einleitungsbeschluss vom 6. April 2021 (ON 10) nach dem 1. September 2020 auch andere Teile eines von der * geführten Ermittlungsaktes als den am 19. Februar 2021 zu AZ 21 Bs 28/20a ergangenen Beschluss des * an * übermittelt, obwohl dieser nach einer Organisationsänderung im BMJ seit dem genannten Tag nicht mehr für die Fachaufsicht in Einzelstrafsachen zuständig war (1 in ON 10),
(II) in Bezug auf den Ausdehnungsbeschluss vom 12. April 2022 (ON 20)
A) am 11. Dezember 2020 dem seit 1. September 2020 im BMJ nicht mehr für die Fachaufsicht in Einzelstrafsachen zuständigen * mitgeteilt, dass die * beabsichtige, von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Journalistin Mag. * abzusehen (1/a in ON 20), sowie
B) am 10. März 2021 als Auskunftsperson im Verfahren vor einem Untersuchungsausschuss des Nationalrats
1) auf die Frage, ob er jemals Aktenteile über Messenger, zum Beispiel WhatsApp oder Signal, an andere Personen geschickt habe, wahrheitswidrig geantwortet, dies aus der Erinnerung heraus nicht beantworten und demnach weder ausschließen noch bestätigen zu können (1/b/erster Anstrich in ON 20),
2) auf die Frage, warum er eine E Mail, in der ihm * am 18. Mai 2019 geschrieben habe, dass der „* keine aktive Rolle“ zukommen solle, nicht dem Untersuchungsausschuss vorgelegt habe, tatsachenwidrig geantwortet, die E Mail nicht mehr gehabt und den in Rede stehenden E Mail Verkehr erst wieder durch Einsicht in den diesbezüglichen Ermittlungsakt der * erhalten zu haben (1/b/zweiter Anstrich in ON 20), und
3) tatsachenwidrig behauptet, die zu II/B/2 beschriebene E Mail gelöscht zu haben (1/b/dritter Anstrich in ON 20), weiters
(III) in Bezug auf den Ausdehnungsbeschluss vom 3. Juli 2023 (ON 27)
A) vom 26. Februar 2019 bis zum 11. März 2019 die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen * wegen des Verdachts des Vergehens der Verletzung des Amtsgeheimnisses nach § 310 Abs 1 StGB verhindert, und zwar durch
1) unrichtige Angaben in einem Gedächtnisprotokoll über ein Telefonat mit dem Journalisten Mag. * (I/A/1 in ON 27),
2) unsachliche Einflussnahme auf die Anfangsverdachtsprüfung der * und unsachliche Anordnung eines Vorgehens gemäß § 35c StAG (I/A/2 in ON 27) und
4) Verletzung des § 25 StPO (I/A/4 in ON 27),
B) ihm aus seiner amtlichen Tätigkeit bekannt gewordene Tatsachen ohne sachliche Rechtfertigung offenbart, indem er *
1) am 26. Februar 2019 über die von der * hinsichtlich einer gegen ihn gerichteten Anzeige des Dr. * geplante Vorgangsweise informiert habe (I/B/1 in ON 27), sowie
C) vom 26. Februar 2019 bis zum 28. Februar 2019 *, der durch die Weiterleitung einer nicht geschwärzten Entscheidung des * an Mag. * eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen habe, der Verfolgung absichtlich ganz entzogen, indem er die Anfangsverdachtsprüfung der * zu Gunsten von * beeinflusst habe (I/C in ON 27),
wird gemäß § 130 Abs 1 erster Satz RStDG eingestellt .
Text
Gründe:
[1] Nach Erörterung der Disziplinaranzeigen samt Beilagen (ON 1, 2, 4, 14 und 22), der Stellungnahmen der Generalprokuratur (ON 6, 16, 18, 24 [samt Beilage] und 38), der Äußerungen des Beschuldigten (ON 9, 17, 26 und 41), des zu AZ 7 Bs 124/23b ergangenen Urteils des * vom 24. August 2023 (ON 29), der zum Akt genommenen Teile der hier relevanten Ermittlungsakten der * (ON 33 und 34), des Protokolls über die Vernehmung des Beschuldigten durch den Untersuchungskommissär (ON 35), der Beiakten AZ 27 Hv 128/22t des * sowie des elektronischen Personalakts des Beschuldigten steht fest:
[2] Der am * geborene Beschuldigte wurde am 1. Februar 1993 zum Richter des Bezirksgerichts * ernannt. Vom 1. März 1993 bis zum 30. November 2003 war er Staatsanwalt der Staatsanwaltschaften * und *, danach bis zum 31. Mai 2011 Erster Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft *. Vom 1. Juni 2011 bis zum 31. Juli 2013 gehörte er der * Staatsanwaltschaft * an, und zwar zunächst als Oberstaatsanwalt, danach als Erster Stellvertreter der Behördenleiterin. Im Rahmen seiner Tätigkeit bei der * belohnte ihn die Bundesministerin für Justiz für weit über seinen unmittelbaren Aufgabenbereich hinausgehende besondere und ausgezeichnete Leistungen. In der Folge leitete der Beschuldigte selbst staatsanwaltschaftliche Behörden, nämlich ab dem 1. August 2013 die * und seit dem 1. September 2018 die *. Der Beschuldigte zeichnet sich durch umfangreiche Vortragstätigkeit aus und wirkte an zahlreichen internationalen Projekten mit. Er weist keine disziplinarrechtlichen Verurteilungen auf.
[3] * war im Bundesministerium für Justiz (BMJ) zunächst sowohl für die Straflegistik als auch für die Fachaufsicht in Einzelstrafsachen leitend zuständig, aufgrund einer Organisationsänderung seit 1. September 2020 ausschließlich für Erstere, was der Beschuldigte ab diesem Zeitpunkt wusste. * und den Beschuldigten verband ein jahrelanges freundschaftliches Verhältnis.
Zu den vom Einleitungsbeschluss (ON 10) umfassten Vorwürfen (Fakt enkomplex I):
Rechtliche Beurteilung
[4] Der Beschuldigte übermittelte am 25. Februar 2021 den in einem von der * geführten Ermittlungsverfahren am 19. Februar 2021 zu AZ 21 Bs 28/20a ergangenen Beschluss des * an *.
[5] Dass er nach dem 1. September 2020 weitere Teile dieses Ermittlungsaktes an * übermittelt hat, kann nicht festgestellt werden.
[6] Die * stellte das gegen den Beschuldigten insoweit wegen des Verdachts in Richtung des Vergehens der Verletzung des Amtsgeheimnisses nach § 310 Abs 1 StGB eingeleitete Ermittlungsverfahren am 29. März 2022 gemäß § 190 Z 2 StPO ein.
Zu den vom ersten Ausdehnungsbeschluss (ON 20) umfassten Vorwürfen (Faktenkomplex II):
[7] Der Beschuldigte übermittelte am 11. Dezember 2020 zwei Seiten des von ihm als Behördenleiter zu revidierenden Aktes AZ 8 OStA 372/20h der * an *. Gegenstand des diesbezüglichen Ermittlungsverfahrens war eine Anzeige mehrerer Oberstaatsanwälte der * gegen die Journalistin Mag. *.
[8] Dass der Beschuldigte * ergänzend zur Übermittlung der Aktenteile mitgeteilt hat, dass die * beabsichtige, von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Mag. * abzusehen, kann nicht festgestellt werden.
[9] Der Beschuldigte tätigte am 10. März 2021 als Auskunftsperson im Verfahren vor einem Untersuchungsausschuss des Nationalrats die zu II/B/1 bis 3 des Tenors dargestellten Äußerungen.
[10] Das * sprach den Beschuldigten vor der hinsichtlich des Faktenkomplexes II wegen des Verdachts in Richtung der Vergehen der Verletzung des Amtsgeheimnisses nach § 310 Abs 1 StGB (II/A) und der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 und 3 StGB (II/B) erhobenen Anklage am 14. März 2023 gemäß § 259 Z 3 StPO frei. Dieser Freispruch erwuchs mit Entscheidung des * vom 24. August 2023 in Rechtskraft.
Zu den vom zweiten Ausdehnungsbeschluss (ON 27) umfassten Vorwürfen (Faktenkomplex III):
[11] * Dr. * erstattete am 26. Februar 2019 Anzeige gegen * mit der Behauptung, dieser habe am 21. Dezember 2018 um 15:02 Uhr eine Weisung des Bundesministers für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz (BMVRDJ) unter Verletzung des Amtsgeheimnisses an den Journalisten Mag. * weitergeleitet.
[12] Noch am Tag der Anzeigeerstattung sandte der Beschuldigte eine Textnachricht an * mit der er ihn über die Anzeige informierte und wörtlich äußerte: „ME ist´s ja eh ein 35c StAG.“
[13] Am 28. Februar 2019 verfasste der Beschuldigte ein – wahrheitsgemäßes – Gedächtnisprotokoll, wonach aus einem zwischen ihm und Mag. * am 21. Dezember 2018 um 12:00 Uhr geführten Telefongespräch hervorgegangen sei, dass Mag. * im Zeitpunkt dieses Gesprächs den Inhalt der angesprochenen Weisung bereits gekannt habe.
[14] Am selben Tag übermittelte der Beschuldigte die Anzeige Dr. is * betreffende Teile des als Verschlusssache geführten Aktes AZ Jv 1827/19i an *.
[15] Am 4. März 2019 teilte die * der * zu AZ 4 St 59/19x ihr Vorhaben mit, hinsichtlich der genannten Anzeige gemäß § 35c StAG von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mangels Anfangsverdachts (§ 1 Abs 3 StPO) abzusehen. Diesen Vorhabensbericht legte der Beschuldigte am 11. März 2019 mit zustimmender Stellungnahme dem BMVRDJ vor.
[16] Dass der Beschuldigte auf die Prüfung des Anfangsverdachts oder die Entscheidung der *, im Sinn des § 35c StAG vorzugehen, Einfluss genommen hat, kann nicht festgestellt werden.
[17] Die * sah am 8. März 2023 in Bezug auf den gesamten Faktenkomplex III gemäß § 35c StAG von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ab.
[18] Die Feststellungen zum beruflichen Werdegang des Beschuldigten ergeben sich aus dem elektronischen Personalakt, jene zu seinem freundschaftlichen Verhältnis zu * und zum Wissen um die diesen betreffende Organisationsänderung im BMJ per 1. September 2020 aus der Vernehmung vor dem Untersuchungskommissär (ON 35) und dem aktenkundigen Chatverlauf (ON 22).
[19] Die Weiterleitung des Beschlusses des * vom 19. Februar 2021 sowie von Teilen der Akten AZ 8 OStA 372/20h und AZ Jv 1827/19i der * ist in den diesbezüglichen Anzeigen dokumentiert (ON 2, 14 und 22).
[20] Die Aussagen des Beschuldigten vor dem Untersuchungsausschuss des Nationalrats sind in den diesbezüglichen Protokollen festgehalten (ON 31 im Beiakt AZ 27 Hv 128/22t des *).
[21] Die Feststellung zum Faktenkomplex III sind durch die der Anzeige ON 22 beigelegten Urkunden objektiviert, wobei – worauf die Generalprokuratur zutreffend verweist – sich auch die inhaltliche Richtigkeit des Gedächtnisprotokolls des Beschuldigten schon aus den in der Anzeige dargestellten Angaben des Journalisten Mag. * und den dort wiedergegebenen Chatverläufen ergibt.
[22] Die urkundlich belegten Abläufe werden auch vom Beschuldigten nicht in Abrede gestellt.
[23] Verfahrensergebnisse, die den getroffenen Negativfeststellungen entgegenstehen, finden sich in den Akten nicht. Die diesbezüglichen Verdachtsmomente beruhen auf nicht objektivierten Schlussfolgerungen der jeweiligen Anzeiger.
[24] Die Erledigung der gegen den Beschuldigten initiierten Strafverfahren ist aus dem Beiakt AZ 27 Hv 128/22t (dort ON 1 S 183 ff, ON 94 und ON 106) sowie den aktenkundigen Erledigungen der * (ON 33 und 34) ersichtlich.
Zur Einstellung (§ 130 Abs 1 erster Satz RStDG):
[25] Die von I und II/A umfasste Teileinstellung ist zwingende Folge der insoweit getroffenen Negativfeststellungen.
[26] Hinsichtlich der Faktengruppe II/B schließt sich der Oberste Gerichtshof den zutreffenden rechtlichen Ausführungen der Generalprokuratur an:
[27] Die Verantwortung des Beschuldigten, er habe die Frage nach der Weitergabe von Aktenteilen über Messenger Dienste (II/B/1) als auf den Gegenstand des Untersuchungsausschusses bezogen aufgefasst, ist nicht nur nicht widerlegt (ON 94 S 10 in AZ 27 Hv 128/22t des *), sondern äußerst naheliegend. Ein in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss als Auskunftsperson Vernommener muss geradezu davon ausgehen, dass sich die von den Abgeordneten an ihn gerichteten Fragen auf den Untersuchungsgegenstand beziehen. Dass der Beschuldigte auf den Gegenstand des Untersuchungsausschusses bezogene Aktenteile über Messenger Dienste versendet hat, ist aber nicht erwiesen, womit insoweit schon objektiv keine Falschaussage vorliegt.
[28] In Bezug auf die Fragen zum E Mail Verkehr mit * (II/B/2 und 3) verweist die Generalprokuratur zu Recht auf den dem Beschuldigten im Strafverfahren zugute gehaltenen Schuldausschließungsgrund des Aussagenotstands nach § 290 Abs 1a StGB (siehe auch ON 94 S 28 ff in AZ 27 Hv 128/22t des *).
[29] Ausgehend von der Feststellung zum Faktenkomplex III, wonach das vom Beschuldigten über ein mit dem Journalisten Mag. * geführtes Telefongespräch angefertigte Gedächtnisprotokoll inhaltlich richtig ist, war das Verfahren hinsichtlich des die Unrichtigkeit dieses Protokolls voraussetzenden Vorwurfs (III/A/1) jedenfalls einzustellen.
[30] Die Teileinstellung zu den Vorwürfen der Einflussnahme auf die Erledigung der Anzeige des Dr. * gegen * durch die * (III/A/2 und III/C) folgt zwingend aus den diesbezüglichen Negativfeststellungen.
[31] Der Vorwurf der Verletzung des § 25 StPO (III/A/4) geht – wie die Generalprokuratur zutreffend darlegt – von vornherein ins Leere, weil es gemäß § 25a Abs 2 StPO Sache der * gewesen wäre, die Anzeige an die (nach § 25 StPO) zuständige Staatsanwaltschaft weiterzuleiten, und § 35c letzter Satz StAG eine sinngemäße Anwendung des § 28 StPO gerade nicht vorsieht.
[32] Hinsichtlich des in III/B/1 enthaltenen Vorwurfs, der Beschuldigte habe * (auch) über ein von der * geplantes Vorgehen nach § 35c StAG informiert, war schon mit Blick auf den Wortlaut des insoweit in der Disziplinaranzeige dargestellten Chatverlaufs („ ME ist´s ja eh ein 35c StAG“) mit einer Teileinstellung vorzugehen.
Zum Verweis (§ 130 Abs 1 zweiter Satz RStDG):
[33] Wenn (wie hier) bezüglich einzelner Beschuldigungspunkte eine Pflichtverletzung überhaupt verneint wird, sind diese aus der disziplinarrechtlichen Betrachtung – soweit hier von Interesse mittels Teileinstellung – auszunehmen . Sodann ist der nicht von der Teileinstellung umfasste Tatkomplex einer einheitlichen disziplinarrechtlichen Gesamtbeurteilung zu unterziehen ( Fellner/Nogratnig , RStDG, GOG und StAG I 5 [2021] § 101 RStDG Rz 9, § 130 RStDG Rz 8 und § 137 RStDG Rz 4).
[34] Hintergrund der am 1. September 2020 in Kraft getretenen Trennung der Leitungsfunktion der Sektion für Straflegistik von jener der Sektion für die Fachaufsicht in Einzelstrafsachen des BMJ war erhebliche mediale Kritik aufgrund des Anscheins möglicher Befangenheit, der auf die (zuvor gegeben gewesene) Vereinigung beider Leitungsfunktionen zurückgeführt wurde. Nach außen klar erkennbares – auch von Amts wegen zu berücksichtigendes (vgl Ds 25/13) – Ziel der Funktionstrennung war somit die Beseitigung dieses Anscheins und solcherart die Stärkung des Vertrauens der Allgemeinheit in die Rechtspflege. Dadurch, dass der Beschuldigte im Wissen um die Funktionstrennung nach deren Inkrafttreten dem dann eben nicht mehr für die Fachaufsicht in Einzelstrafsachen zuständigen * Einzelstrafsachen betreffende Aktenteile übermittelte (I und II/A), konterkarierte er – der Sache nach – dieses Ziel. Insoweit fällt insbesondere ins Gewicht, dass der Beschluss des * vom 19. Februar 2021 (I) ein Ermittlungsverfahren betraf, das nicht unwesentlich für das Aufkommen solcher medialer Kritik war. Die Verantwortung des Beschuldigten, er habe insoweit nur aufgrund eines von ihm gewünschten juristischen Austauschs mit dem ausgewiesenen Strafrechtsexperten * gehandelt, vermag hieran nichts zu ändern. Der kollegiale Meinungsaustausch zu Rechtsfragen ist freilich uneingeschränkt wünschenswert. Für die Übermittlung nicht anonymisierter Aktenteile hätte es aber (gerade in der vorliegenden Situation) konkreter Grundlagen etwa im Verfahrensrecht bedurft.
[35] Die Rolle als Beweisperson stellt bei Staatsanwälten – anders als bei Richtern (§ 43 Abs 1 Z 2 StPO) – nicht per se einen Befangenheitsgrund her. Treten jedoch weitere Umstände hinzu und weckt das so entstandene Gesamtbild Zweifel an der vollen Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit, ist allerdings der Befangenheitsgrund des § 47 Abs 1 Z 3 StPO gegeben ( Lässig , WK StPO § 47 Rz 3), was hier in Bezug auf das Faktum III/A/3 mit Blick auf das freundschaftliche Verhältnis zwischen dem Beschuldigten und * zumindest in Betracht zu ziehen ist. Selbst wenn man das Erfordernis, Befangenheit insoweit selbst wahrzunehmen (§ 47 Abs 1 StPO), in Zweifel zugunsten des Beschuldigten verneint, wäre es in Ansehung der Sensibilität der Sachlage geboten gewesen, eine diesbezügliche Entscheidung des Leiters der übergeordneten Dienstbehörde einzuholen (§ 47 Abs 3 StPO). Die insoweit gegebene Pflichtverletzung wird allerdings dadurch erheblich relativiert, dass die Gesamtheit der allenfalls Befangenheit begründenden Umstände der übergeordneten Dienstbehörde offenlag.
[36] Zur Information des * über die gegen ihn erhobene Anzeige Dr. is * (III/B/1 und 2) gesteht der Beschuldigte zwar zu, dass eine korrespondierende Informationspflicht in der StPO nicht vorgesehen ist, wendet aber ein, dass der Angezeigte nach datenschutzrechtlichen Vorgaben entsprechende Informationsrechte habe. Da ein diesbezügliches Verlangen von * nicht aktenkundig ist (und auch nicht behauptet wird), erfolgte die Information zum in Rede stehenden Zeitpunkt (Information als solche am Tag der Anzeige, Übermittlung von Aktenteilen am übernächsten Tag) aber jedenfalls ohne Rechtsgrund.
[37] Unterzieht man das Tatgeschehen der nach dem RStDG (wie dargelegt) gebotenen Gesamtbeurteilung, zeigt sich, dass der Beschuldigte durch sein Verhalten insbesondere mit Blick auf seine Position als Leiter der * ein zu geringes Maß an Sensibilität an den Tag gelegt und solcherart das Vertrauen in die Rechtspflege sowie das Ansehen ihrer Berufsstände gefährdet hat (§ 57 Abs 3 RStDG). Entscheidend ist der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in ständiger Judikatur geprägte Grundsatz „justice must not only be done, but also be seen to be done“ (zB EGMR Urteil 23. April 2015, Beschw Nr 29369/10, Morice gegen Frankreich , § 78). Dass dies im Bereich der Staatsanwaltschaften im Hinblick auf die politische Weisungsspitze (vgl hingegen zur Ablehnung auch außerdienstlicher parteipolitischer Tätigkeit von Richtern und Staatsanwälten Art IX der „Welser Erklärung der Vereinigung Österreichischer Richterinnen und Richter; ebenso Art VII Berufskodex der Österreichischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte) schwerer umzusetzen ist als für richterliche Entscheidungsträger, kann für den Leiter einer der wichtigsten Strafverfolgungsbehörden keine Entschuldigung, sondern nur Ansporn zu besonderen Bemühungen sein, die Unbefangenheit seiner Entscheidung auch nach außen sichtbar zu gewährleisten.
[38] Mit Rücksicht auf die Wiederholung insoweit standeswidrigen Verhaltens stellen die Verfehlungen insgesamt ein Dienstvergehen dar (§ 101 Abs 1 RStDG).
[39] Da der Beschuldigte seit mehr als 30 Jahren hervorragende Leistungen im Dienste der österreichischen Justiz erbringt, bisher nicht die geringsten disziplinarrechtlichen Verfehlungen begangen und im Anschluss an die gegenständlichen Vorfälle ganz offenbar auch die Problemlage (vgl im Zusammenhang RIS Justiz RS0031784) erkannt und Bemühungen unternommen hat, zur Stärkung des im kollegialen Umgang für eine effektive Zusammenarbeit erforderlichen Vertrauens beizutragen, konnte zur Ahndung dieses Dienstvergehens mit einem Verweis (§ 104 Abs 1 lit a RStDG) das Auslangen gefunden werden.
[40] Im Hinblick darauf, dass der objektive Sachverhalt zur Gänze durch unbedenkliche Urkunden dokumentiert ist und vom Beschuldigten nicht bestritten wird, erachtete der Oberste Gerichtshof die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 132 RStDG) als nicht erforderlich. D er Beschuldigte äußerte sich mehrmals schriftlich (ON 9, 17, 26 und 41), wurde vom Untersuchungskommissär (im Beisein eines Verteidigers) vernommen (ON 35) und verlangte in Beantwortung der Aufforderung zur Äußerung im Sinn des § 130 Abs 1 zweiter Satz RStDG iVm § 110 Abs 2 zweiter Satz RStDG (ON 40) nicht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (ON 41), worin der hier insoweit erforderliche (konkludente) Verzicht auf eine solche zu erblicken ist (2 Ds 1/19y, RIS Justiz RS0132745; Fellner/Nogratnig , RStDG, GOG und StAG I 5 [2021] § 110 RStDG Rz 4). Demzufolge hat der Oberste Gerichtshof den Verweis ohne mündliche Verhandlung erteilt (§ 130 Abs 1 zweiter Satz RStDG iVm § 110 Abs 2 erster Satz RStDG).
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