JudikaturOGH

14Os2/24m – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Februar 2024 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. De Rijk in der Strafsache gegen M* H* und eine Angeklagte wegen Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3 und 4 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten G* H* sowie die Berufung des Angeklagten M* H* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 21. November 2023, GZ 82 Hv 52/23a 77.2, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Der Angeklagten G* H* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit hier von Bedeutung – G* H* des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach (richtig:) § 107b Abs 1, 3 und 4 zweiter Fall StGB (zu richtig: II/) schuldig erkannt.

[2] Danach hat sie (zu II/) von 2013 bis zum 27. Mai 2023 in W* gegen ihre Tochter F* H* durch fortlaufende Misshandlungen, vorsätzliche Körperverletzungen, gefährliche Drohungen, Nötigungen und Freiheitsentziehungen fortgesetzt Gewalt ausgeübt, wobei sie durch die Tat eine umfassende Kontrolle deren Verhaltens herstellte und eine erhebliche Einschränkung deren autonomer Lebensführung bewirkte, indem sie F* H*

A/ zumindest dreimal pro Woche ohrfeigte oder mit Kabeln und diversen Gegenständen, wie einer Fernbedienung und einem Staubsauger, gegen Oberarme und Oberschenkel schlug sowie Gegenstände nach ihr warf, wodurch diese Hämatome und teils blutende Striemen erlitt;

B/ wiederholt durch Drohungen mit zumindest einer Verletzung am Körper und an der Freiheit zu Handlungen und Unterlassungen, nämlich dazu, das Haus nicht zu verlassen, sich anders zu kleiden und keine Piercings zu tragen, nötigte, wobei sie ihr gegenüber unter anderem sinngemäß angab, M* H* (der Vater des Opfers) werde sie erwürgen oder schlagen, wenn sie den Eltern nicht gehorche, und sie wiederholt unter Vorhalt eines Brotmessers mit zumindest einer Verletzung am Körper bedrohte;

C/ wiederholt in der Wohnung einsperrte und ihr so die persönliche Freiheit entzog, insbesondere Ende Juni/Anfang Juli 2017, wobei sie rund 48 Stunden in ihrem Zimmer eingesperrt war;

D/ am 27. Mai 2023, nachdem sie von ihrem Vater misshandelt und verletzt worden war, mehrere Ohrfeigen versetzte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die inhaltlich nur gegen (richtig:) Punkt II/ des Schuldspruchs aus den Gründen der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten G* H* ist nicht im Recht.

[4] Der von der Mängelrüge erhobene Einwand der Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) nimmt nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (vgl aber RIS Justiz RS0119370). Dem Rechtsmittelvorbringen zuwider führte das Erstgericht unmissverständlich aus, dass die Beschwerdeführerin sich nicht bloß darauf beschränkte, nichts gegen die inkriminierten Handlungen des Mitangeklagten zu unternehmen, sondern selbst Gewalthandlungen, insbesondere in Form von Misshandlungen, gegen ihre Tochter setzte (US 17). Die Feststellung der für die Subsumtion erforderlichen Häufigkeit und Regelmäßigkeit dieser Gewalthandlungen (vgl RIS Justiz RS0127377; Schwaighofer in WK 2 StGB § 107b Rz 23) der Beschwerdeführerin stützten die Tatrichter im Übrigen – von der Mängelrüge übergangen – insbesondere auf die für glaubhaft befundene Aussage des Tatopfers (US 6 f iVm US 9 ff). Ob diese Gewalthandlungen „meist im Anschluss“ an jene des Mitangeklagten stattfanden, betrifft keine entscheidende Tatsache, die allein den Bezugspunkt des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes bildet (RIS Justiz RS0117499).

[5] Die Behauptung, das Erstgericht „übergeht“, dass „die Handlungen“ der Beschwerdeführerin überwiegend „in einem anderen Zusammenhang standen und offenkundig nicht darauf abzielten, die Tochter einer umfassenden Kontrolle zu unterziehen“, bekämpft die gegenteiligen Urteilsannahmen (US 5, 7, 8 und 18) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung, ohne einen Mangel im Sinn der Z 5 aufzuzeigen.

[6] Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Urteil dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt lässt (RIS Justiz RS0118316; vgl im Übrigen zum Umfang der Erörterungspflicht RS0106642). Solche Verfahrensergebnisse zeigt das unter diesem Aspekt erstattete Vorbringen nicht auf, indem es unter anderem mit dem Hinweis auf Angaben des Tatopfers unsubstantiiert ausführt, die Beschwerdeführerin sei (ohne deutlich und bestimmt deren Zurechnungsunfähigkeit zu behaupten) „psychisch krank“ und habe das ihr angelastete Verhalten überwiegend nicht im Zusammenhang mit den Handlungen des Mitangeklagten gesetzt. Indem die Rüge aus einer irreführend verkürzt herausgegriffenen Aussage des Tatopfers eigenständige Schlussfolgerungen zur Häufigkeit der Gewaltausübung durch die Beschwerdeführerin zieht, übt sie ein weiteres Mal unzulässig Beweiswürdigungskritik.

[7] Gleiches trifft auf den im Rahmen der Tatsachenrüge (nominell Z 5a, der Sache nach Z 5 zweiter Fall) gegen die Feststellungen zur umfassenden Kontrolle des Verhaltens von F* H* und zur erheblichen Einschränkung ihrer autonomen Lebensführung (US 5 und 7) erhobenen Einwand zu, das Erstgericht habe die Aussage dieser Zeugin, ihre Eltern hätten „versucht“, sie „zu kontrollieren“ (ON 40, 3), nicht berücksichtigt. Davon abgesehen spricht das darauf aufbauende Argument, die Verwirklichung der Qualifikation des § 107b Abs 3 StGB sei bloß versucht worden, keine entscheidende Tatsache an (vgl 15 Os 39/22g; RIS Justiz RS0132412, RS0122138).

[8] Die weitere Kritik, diese Feststellungen (zur Herstellung umfassender Kontrolle des Verhaltens und Einschränkung autonomer Lebensführung auch durch die Beschwerdeführerin) seien mit Blick auf die – im Übrigen ausführlich erörterten (US 9 ff) – Angaben des Tatopfers aktenwidrig (Z 5 fünfter Fall), behauptet gar keine unrichtige Wiedergabe des Inhalts dieses Beweismittels (vgl RIS Justiz RS0099431), sondern bekämpft bloß die aus diesem gezogenen beweiswürdigenden Schlüsse der Tatrichter außerhalb des Anfechtungsrahmens dieses Nichtigkeitsgrundes.

[9] Welche Bedeutung der von der Beschwerdeführerin hervorgehobene Umstand, sie sei „Analphabetin und der deutschen Sprache nicht mächtig“, für die Feststellung entscheidender Tatsachen habe (vgl aber erneut RIS Justiz RS0117499), wird schließlich nicht klar.

[10] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[11] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

[12] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rückverweise