JudikaturOGH

9ObA39/23k – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau als Vorsitzende und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alexander Leitner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B*, vertreten durch Nusterer Mayer, Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagte Partei L* GmbH, *, vertreten durch Huber Dietrich, Rechtsanwalts Partnerschaft in Linz, wegen 3.432,82 EUR brutto sA, infolge der Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 28. März 2023, GZ 7 Ra 106/22t 20, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits und Sozialgericht vom 19. Juli 2022, GZ 25 Cga 3/22z 16, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] D ie Klägerin war bei der Beklagten von 14. 11. 2019 bis 14. 10. 2021 als Reinigungskraft beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis gelangt der Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel und Gastgewerbe (KV) zur Anwendung. Das Arbeitsverhältnis endete durch Arbeitgeberkündigung. Im Punkt 2. des Dienstvertrags wurde eine Kündigungsfrist von 14 Kalendertagen vereinbart.

[2] D ie Klägerin begehrt 3.423,82 EUR brutto als Kündigungsentschädigung, Urlaubsersatzleistung und Sonderzahlungen zu Kündigungsentschädigung und Urlaubsersatzleistung . Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei fristwidrig erfolgt. Die Beklagte betreibe keinen „Saisonbetrieb“, weshalb die gesetzliche Kündigungsfrist des § 1159 Abs 2 ABGB idF BGBl I 2017/153 zur Anwendung gelange.

[3] Die Beklagte wandte dagegen im Wesentlichen ein, dass die Kündigung unter Einhaltung der gemäß Pkt 21 lit a des anzuwendenden Kollektivvertrags vorgesehenen Frist von 14 Tagen zulässig erfolgt sei.

[4] Das Erstgericht gab der Klage statt. Beim Betrieb der Beklagten handle es sich um keinen Saisonbetrieb. Daher sei keine kollektivvertragliche Abweichung von § 1159 ABGB idF BGBl I 2017/153 zulässig und könne die Beklagte das Arbeitsverhältnis nur unter Einhaltung der Fristen nach § 1159 Abs 2 ABGB idF BGBl I 2017/153 auflösen.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Die Beweislast für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen treffe die jeweilige Partei. Die Beklagte habe sich darauf berufen, dass eine Branche vorliege, in der Saisonbetriebe im Sinn des § 53 Abs 6 ArbVG überwiegen, sodass durch Kollektivvertrag eine von § 1159 ABGB idF BGBl I 2017/153 abweichende Kündigungsfrist festgelegt werden könne. Damit sei aber das „Überwiegen der Saisonbetriebe“ von der Beklagten zu beweisen. Diesen Beweis habe die Beklagte nicht angetreten. Es sei daher von den Kündigungsfristen des § 1159 ABGB auszugehen.

[6] Die Revision sei mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[7] Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt.

[8] In der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin die Zurück , hilfsweise die Abweisung der Revision.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[10] Die Klägerin stützt ihre Ansprüche auf § 1159 Abs 2 Satz 1 ABGB idF BGBl I 2017/153. Dagegen beruft sich die Beklagte auch in der Revision auf die Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des § 1159 Abs 2 Satz 3 ABGB idF BGBl I 2017/153.

[11] 1. Nach § 1503 Abs 19 ABGB idF BGBl I 2023/182 tritt § 1159 ABGB idF BGBl I 2017/153 mit 1. 10. 2021 in Kraft und ist auf Beendigungen anzuwenden, die nach dem 30. 9. 2021 ausgesprochen wurden. Für die Anwendbarkeit der neuen Bestimmung kommt es daher nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung, nicht auf den Endtermin des Arbeitsverhältnisses an.

[12] 2. Im Verfahren sind beide Parteien davon ausgegangen, dass das Arbeitsverhältnis zum 14. 10. 2021 geendet hat. Die Beklagte hat sich dazu darauf berufen, dass eine 14 tägige Kündigungsfrist eingehalten wurde, was notwendigerweise bedeuten würde, dass die Kündigung vor dem 1. 10. 2021 ausgesprochen wurde und damit vor Inkrafttreten des § 1159 ABGB idF BGBl I 2017/153.

[13] 3. Sollte sich dieses Vorbringen als zutreffend erweisen, konnte das Arbeitsverhältnis auf Basis der früheren Rechtslage nach Pkt 21 lit a KV unter Einhaltung einer 14 tägigen Kündigungsfrist zulässig gelöst werden und würde sich die Frage der Auslegung des § 1159 ABGB idF BGBl I 2017/153 nicht stellen.

[14] Sollte die Kündigung erst nach dem 30. 9. 2021 ausgesprochen worden sein, wäre diese selbst nach der Rechtsauffassung des Beklagten fristwidrig erfolgt. In diesem Fall wäre richtigerweise auch § 1159 ABGB idF BGBl I 2017/153 anwendbar. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Oberste Gerichtshof in der Rechtssache 9 ObA 38/23p aufgrund von Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 1159 Abs 1 bis Abs 4 ABGB idF BGBl I 2017/153, diese Bestimmung beim Verfassungsgerichtshof angefochten hat.

[15] 4. Der Revision war daher Folge zu geben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückzuverweisen.

[16] 5. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.

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