11Os132/23f – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Februar 2024 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. De Rijk als Schriftführerin in der Strafsache gegen * H* wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch „nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1 und Abs 2 Z 1, 130 Abs 2 erster Fall, Abs 3 und 15 StGB“ und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 31. August 2023, GZ 55 Hv 122/22w 56.1, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion der dem Angeklagten zu A/I/ angelasteten Tat auch nach § 130 Abs 2 erster Fall und Abs 3 StGB und demzufolge in der zu A/ gebildeten Subsumtionseinheit und im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Mit seiner gegen die Qualifikationen nach § 130 StGB und gegen den Strafausspruch gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde wird der Angeklagte ebenso auf die aufhebende Entscheidung verwiesen wie mit seiner Berufung.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Text
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * H* des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch (richtig) nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, § 129 Abs 2 Z 1 iVm § 129 Abs 1 Z 1, §130 Abs 2 erster Fall (iVm § 130 Abs 1 erster Fall), Abs 3 (iVm § 130 Abs 1 erster Fall) und § 15 StGB (A/) und der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach §§ 15, 229 Abs 1 StGB (B/) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in W*
A/ fremde bewegliche Sachen, deren Wert 5.000 Euro übersteigt, „zu Punkt I. gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 1 StGB) [...] durch Einbruch in eine Wohnstätte“ mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen oder wegzunehmen versucht, und zwar
I/ am 2. Dezember 2022 ausländisches Bargeld, hochpreisige Armbanduhren, Krawatten, Brillen, Elektrogeräte, eine Laptoptasche und Schmuck im Gesamtwert von zumindest 8.000 Euro * V* wegzunehmen versucht, indem er die Wohnungstür zu dessen Wohnung durch Abreißen der Rosette und Abbrechen des Schließzylinders mittels „Stempel[s]“ gewaltsam aufbrach, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil V* den Einbruch aufgrund seiner Überwachungstechnik bemerkte und die Polizei verständigte;
II/ am 19. Februar 2020 Gewahrsamsträgern des Unternehmens M* ein Mobiltelefon im Wert von 369 Euro weggenommen, indem er das Handy aus der Sicherung nahm und ohne zu bezahlen das Geschäft verließ;
B/ anlässlich der zu A/I/ beschriebenen Handlung Urkunden, über die er nicht verfügen darf, nämlich den Personalausweis und den Reisepass des V*, mit dem Vorsatz zu unterdrücken versucht, deren Gebrauch im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache zu verhindern, indem er diese ebenfalls aus dessen Wohnung mitzunehmen versuchte.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die (ausschließlich zu A/I/ und A/II/ ausgeführte) nominell auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof davon (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass die Subsumtion der dem Angeklagten zu A/I/ angelasteten Tat auch unter § 130 Abs 2 erster Fall (iVm § 128 Abs 1 Z 5 und § 130 Abs 1 erster Fall) StGB und § 130 Abs 3 (iVm § 129 Abs 2 Z 1 iVm § 129 Abs 1 Z 1 und § 130 Abs 1 erster Fall) StGB mit nicht geltend gemachter Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 10 StP O behaftet ist:
[5] Gewerbsmäßigkeit verlangt neben bestimmten objektiven Kriterien die Absicht des Täters, sich durch die wiederkehrende Begehung der in Rede stehenden strafbaren Handlung längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges Einkommen zu verschaffen. Dem gewerbsmäßig handelnden Täter muss es also darauf ankommen, sich gerade durch (hier zu A/I/: im Sinn des § 130 Abs 2 und Abs 3 StGB entsprechend qualifizierte) wiederkehrende Tatbegehung eine zumindest für einen längeren Zeitraum wirksame Einkommensquelle zu erschließen, welche Voraussetzung die Rechtsprechung in einer Einzelfallbetrachtung anhand folgender Überlegungen beurteilt: Je höher die Frequenz der (bereits erfolgten oder geplanten) Angriffe ist, desto geringer sind die Anforderungen an die beabsichtigte zeitliche Ausdehnung des Einnahmeflusses und vice versa (RIS Justiz RS0107402 [T8a]; Jerabek/Ropper in WK² StGB § 70 Rz 7).
[6] Nach dem Urteilssachverhalt entschloss sich der Angeklagte, der am 19. Februar 2020 d en im Ersturteil zu A/II/ näher dargestellten Ladendiebstahl begangen hatte, vor dem 2. Dezember 2022 aufgrund seiner prekären finanziellen Situation (US 6: „aus Geldnot“), „einen“ Einbruch in eine Wohnstätte zu verüben und besorgte sich dafür notwendiges Werkzeug, unter anderem einen „Stempel“, wobei es sich um ein Profiwerkzeug für Schlüsseldienste handelt, Handschuhe und eine Tasch e nlampe (US 4). Am 2. Dezember 2022 begab er sich zu der zu A/I/ angeführten Wohnung, zog die Handschuhe an, brach die Wohnungstür unter Einsatz besonderer Mittel, die eine wiederkehrende Begehung nahelegen, nämlich durch Abreißen der Rosette und Abbrechen des Schließzylinders mittels „Stempels“ gewaltsam auf, verschaffte sich so Zugang zur Wohnung und bereitete im Ersturteil näher angeführte Gegenstände im Gesamtwert von 8.000 Euro mit im Urteil näher dargestelltem Tatbild- und Bereicherungsvorsatz zum Abtransport vor. Noch am Tatort wurde er schließlich von der Polizei gestellt (US 4).
[7] Dabei kam es ihm darauf an, sich durch die wiederkehrende Begehung „dieser Taten“ für „einen längeren Zeitraum von zumindest mehreren Wochen“ eine wirksame, nicht bloß geringfügige Einkommensquelle, nämlich einen – nach einer jährlichen Durchschnittsbetrachtung – monatlichen Betrag von über 400 Euro zu erschließen, „in dem Wissen, dass er bereits zweimal wegen Einbruchsdiebstahls verurteilt wurde“ (US 5; vgl auch US 3 f zu den Vorstrafen wegen Einbruchsdiebstahls mit Vollzugsd atum 15. Juli 2015 aus dem Jahr 2009 und mit Vollzugdatum 10. Jänner 2017 aus dem Jahr 2014).
[8] Vor dem Hintergrund eines einzigen (aus Geldnot geplanten und versuchten) schweren Einbruc h sdiebstahls in eine (in einem Gebäude gelegene) Wohnstätte im Jahr 2022 (A/I/), eines (unqualifizierten) Ladendiebstahls im Jahr 2020 (A/II/) und bereits viele Jahre zurückliegenden Einbruchsdiebstählen vermochte der Oberste Gerichtshof fallkonkret aus diesen Urteilsaussagen keine für die rechtliche Beurteilung in Richtung gewerbsmäßiger Begehung von schweren Diebstählen durch Einbruch in Wohnstätten ausreichend deutliche Sachverhaltsgrundlage (vgl dazu Ratz , WK StPO § 281 Rz 19 und 570 f) auszumachen. Denn (auch) bei einem unter Einsatz von besonderen Mitteln im Sinn des § 70 Abs 1 Z 1 zweiter Fall StGB (vgl dazu RIS Justiz RS0132006, RS0130766; Jerabek/Ropper in WK 2 StGB § 70 Rz 13/2 mwN; Stricker aaO § 130 Rz 45) verübten (schweren) Einbruchsdiebstahl in eine Wohnstätte bedarf es der Feststellungen zur Absicht des Täters, sich durch die wiederkehrende Begehung von gerade (hier) schweren Diebstählen (§ 130 Abs 2 erster Fall [iVm § 128 Abs 1] StGB) über einen längeren Zeitraum ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen (§ 70 Abs 2 StGB) zu verschaffen (RIS Justiz RS0107402 [T6]; Jerabek/Ropper in WK 2 StGB § 70 Rz 7 ff), um die Qualifikation nach § 130 Abs 2 (iVm § 130 Abs 1 erster Fall) StGB zu begründen ( Stricker in WK² § 130 Rz 60, 62 ff). Für die Qualifikation nach § 130 Abs 3 (iVm § 130 Abs 1 erster Fall) StGB bedarf es solcher Feststellungen zu einer entsprechenden Tendenz in Bezug auf Einbruchsdiebstähle in Wohnstätten ( Stricker in WK² § 130 Rz 65).
[9] D as angefochtene Urteil war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang aufzuh e ben (§ 285e StPO).
[10] Demnach erübrigt sich ein Eingehen auf die Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie (aus anderen Gründen) das Fehlen einer ausreichenden Sachverhaltsgrundlage für die rechtliche Annahme der Gewerbsmäßigkeit einwendet (der Sache nach Z 10) und sich gegen die Anwendung des § 39 StGB beim Strafausspruch (der Sache nach Z 11) richtet . Insoweit war der Angeklagte ebenso wie mit seiner Berufung auf die aufhebende Entscheidung zu verweisen.
[11] Soweit sich die (verbleibende) Nichtigkeitsbeschwerde hingegen gegen den Schuldspruch zu A/II/ wendet, war ihr kein Erfolg beschieden:
[12] D ie Rechtsrüge (Z 9 lit a) moniert zu A/II/ einen Rechtsfehler mangels Feststellungen, weil das Erstgericht keine Feststellungen zum Tatbildvorsatz getroffen habe. Mit Blick auf die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen (US 4: An-Sich-Nehmen eines Mobiltelefons im Wert von 369 Euro im Geschäft und Verlassen desselben ohne Bezahlung dieser Ware), die Urteilsaussage, wonach der Angeklagte „diesen Sachverhalt“ verwirklichen „wollte“ im „Wissen“, dass er „auf die dadurch bewirkte Vermehrung seines Vermögens keinen Anspruch hatte, dieses auf diese Weise zu vermehren“, den Hinweis auf die geständige Verantwortung des Angeklagten (US 6 [iVm ON 56 S 3 f]) und die rechtlichen Ausführungen zum Diebstahl (US 7) steht für den Obersten Gerichtshof aus der in den Blick zu nehmenden Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS Justiz RS0099810) fallbezogen unzweifelhaft fest, dass die Tatrichter damit ein Tatsachensubstrat zum Ausdruck bringen wollten ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 19 und 571), wonach das Wissen und Wollen des Angeklagten beim Verlassen des Geschäfts einen vo n Zueignungs und Bereicherungsvorsatz getragenen Gewahrsamsbruch an einer fremden beweglichen Sache mit Tauschwert umfasste . Der Wille, einen Sachverhalt zu verwirklichen, setzt denknotwendig voraus, dass sich der Täter diesen Sachverhalt vorstellt (RIS Justiz RS0088850).
[13] In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[14] Unter dem Aspekt des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO bleibt anzumerken: Zu Recht ging das Erstgericht (implizit) davon aus, dass die Strafbarkeit der von A/II/ erfassten Tat vom 19. Februar 2020 auf Grund den Fortlauf der Verjährungsfrist hemmender Umstände (§ 58 Abs 3 Z 2 StGB) nicht verjährt ist (§ 57 Abs 2, Abs 3 StGB; vgl RIS Justiz RS0128998). Erfolgte doch zu diesem Vorwurf bereits am 8. Dezember 2020 – also innerhalb der Verjährungsfrist – eine kriminalpolizeiliche Vernehmung als Beschuldigter (ON 32.4, 4–7). Der Wille der Tatrichter, die dazu nötige Feststellungsbasis (RIS Justiz RS0091794 [insbesondere T4]; RS0118545) zu schaffen, ist dem Urteil (siehe US 6 mit Bezug auf die kriminalpolizeilichen Ermittlungen in ON 32.4) – zu dessen Ausdeutung in diesem Umfang auch auf den Akteninhalt zurückgegriffen werden kann ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 19; RIS Justiz RS0116759 [T1]) – mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen (vgl etwa 11 Os 23/16s; 14 Os 86/19g).
[15] Im zweiten Rechtsgang wird bei der Bestimmung des (hier: mit Blick auf A/I/, A/II/ und B/) unter Anwendung der §§ 28 und 29 StGB (vgl dazu Ratz in WK² StGB Vor §§ 28–31 Rz 1, 14 ff, 82; § 28 Rz 1, 7 und § 29 Rz 1, 5 ff) zu ermittelnden Strafrahmens zu beachten sein, dass fallkonkret – worauf bereits die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zutreffend hinweist – die beiden (Vor )Strafen wegen Einbruchsdiebstahls im Verhältnis zur (für die Strafrahmenbildung ausschlaggebenden) Tat vom 2. Dezember 2022 (A/I/) außer Betracht zu bleiben haben, weil seit ihrer Verbüßung (US 3 f: mit 15. Juli 2015 bzw 10. Jänner 2017) bis zu dieser Anlasstat mehr als fünf Jahre vergangen sind (§ 39 Abs 2 StGB). Unter einer „folgenden Tat“ im Sinn des § 39 Abs 2 StGB ist nämlich nur eine solche zu verstehen, die (sämtliche) Kriterien der Rückfallsbegründung nach § 39 Abs 1 (oder Abs 1a) StGB in sich trägt. Die erst mit dem vorliegenden Urteil zu A/II/ abgeurteilte – unqualifizierte – Rückfallstat vom 19. Februar 2020 kann demnach den (hier jedenfalls nach einer bloß durch die spätere Tat begründeten Diebstahlsqualifikation zu bildenden) Strafrahmen nicht gemäß § 39 StGB erweitern (vgl 12 Os 99/82; Flora in WK² StGB § 39 Rz 32; Bruckmüller , SbgK § 39 Rz 110 f).
[16] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.