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18OCg1/23f – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny, den Hofrat Mag. Painsi, die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., und den Hofrat Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* GmbH, *, vertreten durch Dr. Gottfried Thiery, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei N* GmbH, *, vertreten durch Dr. Franz M. Unterasinger, Rechtsanwalt in Graz, wegen Aufhebung eines Schiedsspruchs (Streitwert 200.055,90 EUR) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Der Antrag der klagenden Partei auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

2. Die Eingaben der klagenden Partei vom 11. 7. 2023, 20. 7. 2023, 15. 9. 2023, 19. 9. 2023 und 20. 9. 2023 werden zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin brachte einen mit 9. 1. 2023 datierten Schriftsatz ein (Postaufgabe am 9. 1. 2023, Einlangen beim Obersten Gerichtshof am 11. 1. 2023, ON 11), der folgende Prozesshandlungen umfasste: I. Verfahrenshilfeantrag, II. Klage auf Aufhebung des Schiedsspruchs gemäß § 611 ZPO und III. Urkundenvorlage.

[2] Der Oberste Gerichtshof wies den Verfahrenshilfeantrag nach einem erfolglosen Verbesserungsversuch mit Beschluss vom 22. 5. 2023 (ON 19) ab und trug der Klägerin zugleich auf, ihre Aufhebungsklage vom 9. 1. 2023 (ON 11) binnen vier Wochen dadurch zu verbessern, dass sie diese vertreten durch einen Rechtsanwalt im Elektronischen Rechtsverkehr einbringen lässt. Im Akt findet sich ein Hinterlegungsnachweis für diesen Beschluss an die Klägerin per Adresse der Geschäftsführerin, *. Die Abholfrist für diese Sendung begann am 15. 6. 2023.

[3] Mit Beschluss vom 14. 9. 2023 wies der Oberste Gerichtshof die Aufhebungsklage mangels Verbesserung zurück (ON 24).

[4] Am 29. 9. 2023 nahm die Geschäftsführerin der Klägerin Akteneinsicht (ON 31). Da dem Obersten Gerichtshof noch kein Zustellnachweis für die Klagszurückweisung vorlag und der Verbesserungsauftrag als unbehoben zurückgekommen war, wurden diese beiden Beschlüsse der Geschäftsführerin anlässlich der Akteneinsicht auch persönlich übergeben.

Rechtliche Beurteilung

[5] Mit Eingabe im Elektronischen Rechtsverkehr vom 10. 10. 2023 gab die Klägerin die Bevollmächtigung des Klagevertreters bekannt, beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Verbesserungsfrist, brachte die Aufhebungsklage nochmals ein und legte Urkunden vor (ON 24). Die Zustellung des Verbesserungsauftrags sei nicht wirksam erfolgt. Die Geschäftsführerin halte sich berufsbedingt immer an verschiedenen Orten in Österreich auf, sodass die Zustelladresse eine reine Meldeadresse sei, wo in Wahrheit eine Familienangehörige von ihr wohne und ihr Poststücke weitergebe. Diese habe nie eine Hinterlegungsanzeige für den Verbesserungsauftrag erhalten. Zustellungen hätten außerdem richtigerweise an der Sitzadresse der Klägerin laut Firmenbuch erfolgen müssen. Dort finde zwar keine Verwaltungstätigkeit statt, jedoch habe die Klägerin die tatsächliche Nutzerin dieser Räume um Weiterleitung der Post ersucht.

I. Zum Wiedereinsetzungsantrag

[6] 1. Zwar wäre auch unverschuldete Unkenntnis einer Partei von einer ordnungsgemäßen Zustellung ein Wiedereinsetzungsgrund nach § 146 Abs 1 ZPO ( RS0107394 [T5]) – etwa, dass eine ordnungsgemäß angebrachte Hinterlegungsanzeige entfernt wurde oder verloren ging. Die Klägerin stützt ihren Antrag jedoch ausdrücklich nur auf eine Unwirksamkeit der Zustellung.

[7] Wird ein gerichtliches Schriftstück nicht wirksam zugestellt, löst es aber auch keine Frist aus. Eine Wiedereinsetzung der Frist in den vorigen Stand ist damit nicht möglich, weil die Partei keine Frist versäumt hat (vgl RS0044870).

[8] Der Wiedereinsetzungsantrag ist daher abzuweisen.

[9] 2. Welche Auswirkungen eine allfällige mangelhafte Zustellung des Verbesserungsauftrags auf den Zurückweisungsbeschluss haben könnte, kann hier dahinstehen, weil die Zustellung vom Obersten Gerichtshof überprüft wurde und sich dabei keine Hinweise auf eine Gesetzwidrigkeit zeigten.

[10] 2.1. Die Klägerin argumentiert, dass sie keine Zustellung an die Zustelladresse beantragt habe.

[11] Die klagende GmbH führte im Rubrum von Verfahrenshilfeantrag und Aufhebungsklage (per Fax und teils unvollständig eingegangen als ON 1, 5, 9; vollständig und geordnet sowie mit Unterschrift eingebracht schließlich als ON 11) separat die klagende Partei und die Geschäftsführerin (als Vertreterin, vgl § 18 Abs 1 GmbHG) jeweils samt unterschiedlichen Adressen an. Zustellungen hatten daher an die von der Klägerin im Rubrum für ihre Geschäftsführerin genannte Adresse zu erfolgen. Dies galt umso mehr, als die Klägerin auch vorbrachte, nur eine „virtuell tätige Gesellschaft ohne eigenem Personal und ohne eigene Geschäftsräumlichkeiten“ zu sein (ON 11 S 2 Abs 5).

[12] 2.2. Die Klägerin argumentiert, dass ihre Geschäftsführerin an der Zustelladresse zwar gemeldet gewesen sei, diese Wohnung jedoch noch nie betreten habe. Dort wohne eine Familienangehörige der Geschäftsführerin, die regelmäßig Post für sie entgegennehme und diese an die Geschäftsführerin weitergebe. Die Zustelladresse sei daher keine Abgabestelle im Sinn des Zustellgesetzes.

[13] Ändert eine Partei während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle, hat sie dies der Behörde gemäß § 8 Abs 1 ZustG unverzüglich mitzuteilen. Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist gemäß Abs 2 die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.

[14] Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist einem Gericht die Feststellung einer neuen Abgabestelle regelmäßig nicht „ohne Schwierigkeiten“ möglich, wenn die Partei ihre Mitteilungspflicht verletzt und dem Gericht die Änderung der Abgabestelle auch nicht auf andere Weise bekannt wird, weil das Gericht dann keinen Grund für Nachforschungen hat ( RS0115726; vgl zur Anwendung von § 8 Abs 1 ZustG auf den Fall des Nichterkennens der fehlenden Abgabestelle zB 4 Ob 174/01y, 2 Ob 107/13z, 5 Ob 28/23p ua). In diesem Fall kann weiterhin an die bisherige Abgabestelle zugestellt werden ( RS0115725 ). Die Partei trägt mit der Unterlassung der ihr obliegenden Mitteilung selbst die Gefahr, dass das Gericht die Änderung nicht ohne Schwierigkeiten erkennen kann und an der früheren Abgabestelle zugestellt wird ( 1 Ob 167/20w ).

[15] Dies gilt kraft Größenschlusses umso mehr, wenn eine Partei ein Verfahren selbst einleitet und dabei eine (oder wie hier sogar mehrere) Adresse(n) angibt, die von vornherein keine geeignete(n) Abgabestelle(n) im Sinn des Zustellgesetzes ist bzw sind.

[16] 2.3. Selbst wenn man davon ausgeht, dass von vornherein eine Abgabestelle vorlag, könnte sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass die Zustellung wegen Ortsabwesenheit der Geschäftsführerin an der Zustelladresse unwirksam sei.

[17] Nach der Rechtsprechung wirkt bei Verletzung der Mitteilungsobliegenheit nach § 8 ZustG eine Hinterlegung nach § 17 ZustG als Zustellung unabhängig davon, wo sich die Partei befindet und welche Abgabestelle für sie sonst in Betracht gekommen wäre (RS0115725). Auf die regelmäßige Anwesenheit der Partei an der Abgabestelle kommt es in diesem Sonderfall eben gerade nicht an.

[18] 2.4. Die Zustellung erfolgte hier durch einen Postmitarbeiter mit 45 Dienstjahren, von denen er seit 35 Jahren die Zustelladresse zu seinem Rayon zählt. Seine Einvernahme ergab keine Hinweise auf eine andere Gesetzwidrigkeit des Zustellvorgangs (Protokoll ON 49).

[19] Auch aus den zahlreichen sonstigen Schriftsätzen der Klägerin ergeben sich weder Hinweise für eine Gesetzwidrigkeit einer Zustellung noch für einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund.

II. Zu den übrigen Eingaben der klagenden Partei

[20] Im Akt finden sich außerdem folgende Eingaben der damals anwaltlich noch unvertretenen Klägerin: Urkundenvorlage vom 11. 7. 2023 (ON 21), Urkundenvorlage vom 20. 7. 2023 (ON 22a), Faxeingabe vom 19. 9. 2023 „Einspruch wegen Rechtsverletzung gem § 106 StPO“ (ON 26), mit 15. 9. 2023 datierte „Ergänzung zur Verbesserung vom 13. 04. 2023 des Verfahrenshilfeantrages vom 8. 1. 2023 laut dem Verbesserungsauftrag vom  5. 2. 2023“ (ON 26a – per Fax und Post), Urkundenvorlage vom 15. 9. 2023 (ON 26b – fünfmal per Fax und einmal per Post), Faxeingabe vom 20. 9. 2023 „Einspruch wegen Rechtsverletzung gem § 106 StPO“ (ON 27) sowie postalischer „Einspruch wegen Rechtsverletzung gem § 106 StPO“ vom 19. 9. 2023 (ON 28).

[21] Gemäß § 27 Abs 1 ZPO muss sich eine Partei vor allen höheren Gerichten als Bezirksgerichten durch Rechtsanwälte vertreten lassen (absolute Anwaltspflicht). Das gilt auch für das Verfahren über die Aufhebungsklage nach § 611 ZPO. Die von der Aufhebungsklägerin ohne anwaltliche Vertretung eingebrachten Schriftsätze weisen daher einen Formmangel auf.

[22] Ein Verbesserungsverfahren nach §§ 84, 85 ZPO konnte jedoch unterbleiben, weil die Eingaben auch nach Behebung dieses Formmangels aufgrund der inzwischen erfolgten Zurückweisung der Klage unzulässig sind (vgl RS0005946).

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