3Ob230/23d – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* GmbH, *, vertreten durch Hintermeier Brandstätter Engelbrecht Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagte Partei S* Gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch Nusterer Mayer Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen 70.427,75 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. September 2023, GZ 1 R 23/23v 35, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 19. Oktober 2023, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 2. Jänner 2023, GZ 33 Cg 20/22p 28, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.451,41 EUR (hierin enthalten 175,26 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Die A* GmbH (im Folgenden: Arbeitskräftegestellerin) mit Sitz in Deutschland erbrachte für die in Österreich ansässige Beklagte aufgrund eines Rahmenvertrags jahrelang Personalbereitstellungsleistungen, wobei Arbeitskräfte mit polnischer Staatsangehörigkeit und Wohnsitz in Polen überlassen wurden. Diese Geschäftsbeziehung endete im Dezember 2019.
[2] Bis 30. Juni 2018 wurden der Arbeitskräftegestellerin vom zuständigen österreichischen Finanzamt regelmäßig Quellensteuerbefreiungsbescheide ausgestellt. Ab 1. Juli 2018 verfügte sie über keinen aufrechten Quellensteuerbefreiungsbescheid mehr.
[3] Die Beklagte beglich die für den Zeitraum ab Juli 2018 ausgestellten Rechnungen der Arbeitskräftegestellerin zur Gänze, also ohne Abzug (und Abfuhr) der 20%igen Abzugssteuer. Die Rechnungen für den Leistungszeitraum 30. September bis 22. Dezember 2019 im Gesamtbetrag von 70.427,75 EUR bezahlte sie hingegen zur Gänze nicht; diese Forderungen wurden von der Arbeitskräftegestellerin an die Klägerin abgetreten.
[4] Mit Buchungsdatum 25. April 2022 (nach Einbringung der Klage) überwies die Beklagte den Betrag von 70.427,75 EUR an das Finanzamt G* und teilte dem Finanzamt für Großbetriebe gleichzeitig mit, dass „die Abzugssteuer gemäß § 99 EStG [Arbeitskräftegestellerin] mit dem Betrag von 70.427,75 EUR an das Finanzamt […] überwiesen“ worden sei.
[5] Mit Mitteilung vom 17. Mai 2022 verständigte die Beklagte das Finanzamt für Großbetriebe über den „Steuerabzug von beschränkt Steuerpflichtigen für den Kalendermonat 3, Jahr 2022“ und führte dazu aus: „Für den angeführten Zeitraum ist für unter § 99 Abs 1 fallende Einkünfte beschränkt Steuerpflichtiger […] Abzugssteuer gemäß § 99 abzuführen. Die Bemessungsgrundlage beträgt insgesamt 352.138,75 EUR. Die Abzugssteuer beträgt: 1. Für Einkünfte gemäß § 99 Abs 1 Z 1 bis 5 Bemessungsgrundlage 352.138,75 EUR x 20 % ergibt Abgabenbetrag von 70.427,75 EUR […]“.
[6] Der Betrag von 70.427,25 EUR wurde auf dem Steuerkonto der Beklagten beim Finanzamt für Großbetriebe mit Buchungstag 13. Juni 2022 erfasst. Bisher hat weder die Klägerin noch die Arbeitskräftegestellerin einen Antrag auf Rückerstattung gestellt.
[7] Die Klägerin begehrt den offenen Rechnungsbetrag von 70.427,75 EUR sA. Ab 1. Juli 2018 sei eine Quellensteuerbefreiung nicht mehr erforderlich gewesen, weil ab diesem Zeitpunkt die für Aufträge der Beklagten eingesetzten Monteure allesamt polnische Staatsbürger mit Wohnsitz in Polen gewesen seien, die sich jeweils nicht mehr als 183 Tage jährlich in Österreich aufgehalten hätten. Für diese Monteure sei daher weder in Österreich noch in Deutschland Lohnsteuer angefallen, weshalb an das österreichische Finanzamt keine Lohnsteuer abzuführen gewesen sei. Die darüber informierte Beklagte habe auch tatsächlich ab Juli 2018 die (an sich monatlich fällige) Quellensteuer nicht mehr abgeführt. Mangels jeglicher Forderung des Finanzamts gegen die Beklagte aus der Geschäftsbeziehung mit der Arbeitskräftegestellerin habe die Beklagte auch kein Zurückbehaltungsrecht.
[8] Die Beklagte wendet ein, der Umfang der insgesamt von der Arbeitskräftegestellerin an sie erbrachten Werkleistungen habe den eingeklagten Betrag um ein Vielfaches überstiegen. Ein Befreiungsbescheid, der sie zur direkten Berichtigung der noch offenen Verbindlichkeiten an die Arbeitskräftegestellerin berechtigen würde, sei ihr nicht vorgelegt worden. Sie habe deshalb gemäß § 99 EStG als mögliche Zahlungspflichtige eine 20%ige Quellensteuer einbehalten und an das Finanzamt abführen müssen.
[9] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Mangels Vorliegens eines aufrechten Befreiungsbescheids habe die Beklagte die 20%ige Abzugssteuer an das Finanzamt abführen müssen. Damit habe sie in diesem Umfang gegenüber der Klägerin schuldbefreiend geleistet.
[10] Das Berufungsgericht gab infolge Berufung der Klägerin dem Klagebegehren statt. Da der Beklagten für den Zeitraum ab 1. Juli 2018 kein Befreiungsbescheid vorgelegen sei, sei sie mangels „Entlastung an der Quelle“ ab diesem Zeitpunkt zum Abzug und zur Abfuhr der Abzugssteuer unabhängig davon verpflichtet gewesen, ob bzw in welcher Höhe dieser eine materielle Steuerverpflichtung der Arbeitskräftegestellerin oder der polnischen Arbeitnehmer im Inland gegenüber gestanden sei; vielmehr wäre es Sache der Arbeitskräftegestellerin gewesen, die Frage der Steuerpflicht im Inland mit den zuständigen Finanzbehörden im Rahmen eines Rückerstattungsverfahrens zu klären. Die Abzugsverpflichtung entstehe nicht schon im Fall einer berechtigten Forderung des Steuerpflichtigen, sondern erst zeitgleich mit der Auszahlung des (restlichen) Forderungsbetrags an diesen. Vor dieser Auszahlung könne nämlich dem Steuerpflichtigen noch gar keine Steuerschuld aus der entsprechenden Forderung erwachsen. Eine allfällige Tilgungswirkung der Abfuhr an das Finanzamt im „Deckungsverhältnis“ zwischen dem Abzugsverpflichteten und dem Steuerpflichtigen könne sich daher immer nur auf 20 % einer zu 80 % an den Steuerpflichtigen ausbezahlten Forderung beziehen, nicht aber auf eine Forderung, die dem Steuerpflichtigen mangels Zahlung noch gar keine steuerpflichtigen Einkünfte verschafft habe. Die Beklagte habe der Steuerpflichtigen unstrittig auf die hier eingeklagten Forderungen keine Zahlungen geleistet. Die Zahlung an das Finanzamt könne daher keine (auch nur teilweise) Tilgung der eingeklagten Forderungen bewirken. Die Beklagte hätte in diesem Umfang nur eine Regressforderung geltend machen können. Zu diesem Zweck hätte sie entweder eine schuldtilgende außergerichtliche Aufrechnung erklären oder aber eine Gegenforderung erheben müssen.
[11] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Frage zu, ob durch die Abfuhr eines als Abzugssteuer gewidmeten Betrags an das Finanzamt durch den Vertragspartner des beschränkt Steuerpflichtigen auch ohne Aufrechnung eine Tilgung von Forderungen bewirkt werde, für die mangels Zufließens von Einkünften aus diesem Forderungen an den Steuerpflichtigen noch keine Abzugs und Abfuhrverpflichtung bestanden habe.
[12] Mit ihrer Revision strebt die Beklagte die Wiederherstellung des Ersturteils an.
[13] In ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[14] Die Revision ist zur Klarstellung zulässig , aber nicht berechtigt .
[15] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. In der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte hätte die (außergerichtliche) Aufklärung erklären oder eine Aufrechnungseinrede erheben müssen, kann schon deshalb keine unzulässige Überraschungsentscheidung erblickt werden, weil die Klägerin in erster Instanz ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die Beklagte keine Gegenforderung erhoben hat.
[16] 2. Einkünfte aus der Gestellung von Arbeitskräften zur inländischen Arbeitsausübung unterliegen auch dann der beschränkten Einkommensteuerpflicht, wenn keine inländische Betriebsstätte unterhalten wird (§ 98 EStG 1988). Gemäß § 99 Abs 1 Z 5 EStG wird unter anderem bei Einkünften aus der Gestellung von Arbeitskräften zur inländischen Arbeitsausübung die Einkommensteuer beschränkt Steuerpflichtiger durch Steuerabzug erhoben (Abzugsteuer). Gemäß § 100 Abs 2 EStG ist Schuldner der Abzugsteuer der Empfänger der Einkünfte gemäß § 99 Abs 1, während der Schuldner dieser Einkünfte für die Einbehaltung und Abfuhr der Steuerabzugsbeträge iSd § 99 EStG haftet. Der Steuerabzug ist gemäß § 100 Abs 4 Z 1 EStG vom Schuldner unter anderem bei Einkünften iSd § 99 Abs 1 Z 5 in jenem Zeitpunkt vorzunehmen, in dem sie dem Empfänger zufließen. Dem Empfänger der Einkünfte ist die Abzugsteuer gemäß § 100 Abs 3 EStG nur ausnahmsweise vorzuschreiben, wenn 1. der Schuldner die geschuldeten Beträge nicht vorschriftsmäßig gekürzt hat und die Haftung nach Abs 2 nicht oder nur erschwert durchsetzbar wäre oder 2. der Empfänger weiß, dass der Schuldner die einbehaltene Abzugsteuer nicht vorschriftsmäßig abgeführt hat, und dies dem Finanzamt nicht unverzüglich mitteilt.
[17] 3. Die Haftung des Steuerschuldners sowie des dafür Haftenden ist in dieser Konstellation also ähnlich geregelt wie im Bereich der Lohnsteuer (§§ 82, 83 EStG 1988) und der KESt (§§ 93 ff EStG 1988). Der Arbeitgeber, von dem Nachzahlungen der Lohnsteuer eingefordert wurden, ist befugt, vom Arbeitnehmer den Ersatz der bezahlten Schuld gemäß § 1358 ABGB zu fordern; auch der Bank wird für den Fall einer Nachforderung von KESt ein aus § 1358 ABGB erfließendes Regressrecht gegen den Anleger als Steuerschuldner zuerkannt (3 Ob 88/18i mwN).
[18] 4. Die zwischen den Parteien strittige Frage, ob die Beklagte auch ab Juli 2018 zur Abfuhr der Abzugsteuer verpflichtet gewesen wäre und ihr demgemäß im Umfang des von ihr – nachträglich, also verspätet – an das Finanzamt abgeführten Betrags von 70.427,75 EUR ein Regressanspruch gegen die Klägerin zusteht, stellt sich hier nicht, weil diese Zahlung entgegen der Ansicht der Beklagten keinesfalls eine „automatische Schuldtilgung“ zur Folge haben konnte:
[19] 4.1. Wie sich aus der oben dargestellten Rechtslage eindeutig ergibt, tritt eine unmittelbare Schuldtilgung nur insoweit ein, als der Schuldner der Einkünfte (hier also die Beklagte) die 20%ige Abzugssteuer im Rahmen der Auszahlung des (restlichen) Entgelts einbehält und an das Finanzamt abführt. Tatsächlich hat die Beklagte allerdings beginnend mit Juli 2018 (mit Ausnahme der hier gegenständlichen Rechnungen) das jeweils in Rechnung gestellte Entgelt zur Gänze – also ohne Abzug der 20%igen Steuer – an die Klägerin gezahlt. Folglich konnte sie im Rahmen der nachträglichen Zahlung an das Finanzamt auch nicht mehr 20 % der jeweiligen Rechnungsbeträge einbehalten , sondern musste diese Summe nochmals leisten.
[20] 4.2. In dieser Konstellation könnte ihr aber für den Fall, dass sie, wie es ihrem Rechtsstandpunkt entspricht, zur Abfuhr der Abzugsteuer verpflichtet gewesen wäre, im Ausmaß der nachträglich an das Finanzamt gezahlten Abzugsteuer lediglich ein Regressanspruch gegen die Klägerin zustehen (vgl 3 Ob 88/18i).
[21] 4.3. Einen solchen Regressanspruch hätte die Beklagte, wie das Berufungsgericht richtig ausgeführt hat, im vorliegenden Prozess, dessen Gegenstand andere (spätere Leistungszeiträume betreffende), bis zur Klageeinbringung zur Gänze aushaftende Rechnungen waren, nur mittels Aufrechnung gegen die (ansonsten von ihr unbestrittene) Klageforderung bzw mit prozessualer Aufrechnungseinrede geltend machen können. Dass sie – im Einklang mit der Auslegung durch das Berufungsgericht – selbst davon ausgeht, ein solches Vorbringen in erster Instanz nicht erstattet zu haben, ergibt sich bereits daraus, dass sie das versäumte Vorbringen in ihrer Mängelrüge nachholt.
[22] 4.4. Richtig ist, dass in der Entscheidung 3 Ob 88/18i eine Aufrechnungserklärung nicht gefordert wurde. Daraus ist für die Beklagte allerdings nichts zu gewinnen, liegt dies doch nur daran, dass dort die Abzugsverpflichtete, die die Abzugsteuer aufgrund eines gegen sie erlassenen Haftungsbescheids an das Finanzamt gezahlt hatte, einen Regressanspruch einklagte, sodass sie nicht darauf verwiesen werden konnte, eine gegen sie klageweise erhobene Forderung durch Aufrechnung bzw Erhebung einer Gegenforderung zum Erlöschen zu bringen.
[23] 5. Die Revision muss daher erfolglos bleiben.
[24] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Leistungen eines österreichischen Rechtsanwalts für einen ausländischen Unternehmer unterliegen nicht der österreichischen Umsatzsteuer. Sie gelten als am Ort des Empfängers erbracht (Empfängerlandprinzip) und unterliegen jener Umsatzsteuer, die dort, wo der Empfänger sein Unternehmen betreibt, zu entrichten ist (RS0114955 [T1, T2]). Die in der Schweiz ansässige Klägerin hat die Höhe der von ihr an ihren österreichischen Rechtsvertreter zu leistenden Schweizer Umsatzsteuer (7,7 %) bescheinigt.