3Ob207/23x – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*, vertreten durch Mag. Gerlach Bachinger, Rechtsanwalt in Kremsmünster, gegen die beklagten Parteien 1. F* KG, und 2. P*, beide *, beide vertreten durch Dr. Artur Reisenberger, Rechtsanwalt in Ohlsdorf, wegen 36.523 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 28. August 2023, GZ 11 R 18/23f 27, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin erwarb von den Beklagten einen gebrauchten Pkw, nachdem ihr der Zweitbeklagte nach mehrfacher Frage danach, ob das Fahrzeug unfallfrei sei, jeweils erklärt hatte, dass es nie einen Verkehrsunfall gehabt habe. Tatsächlich wies es jedoch zwei – fachgerecht reparierte – Vorschäden (am Heck und an einer Seitentüre) auf, von denen der Zweitbeklagte wusste. D ie Klägerin hätte das Fahrzeug nicht gekauft, wenn sie von diesen Vorschäden Kenntnis erlangt hätte. Die Erstbeklagte KG war Eigentümerin des Fahrzeugs, der Zweitbeklagte ist ihr Komplementär und führte die Vertragsverhandlungen.
[2] Die Vorinstanzen gaben dem auf Irrtum gestützten Rückabwicklungsbegehren der Klägerin statt.
Rechtliche Beurteilung
[3] Den Beklagten gelingt es nicht, eine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität aufzuzeigen.
[4] 1.1 Bei Abschluss eines Kaufvertrags trifft den Verkäufer eine Aufklärungspflicht, wenn der Käufer zum Ausdruck brachte, dass er auf einen bestimmten Punkt besonderen Wert legt und daher informiert werden will oder wenn der Verkäufer wegen seiner überlegenen Fachkenntnisse zugleich als Berater des Käufers auftritt; er muss dann den Käufer über solche Umstände aufklären, deren Bedeutung dieser mangels Fachkenntnis nicht erkennt, deren Kenntnis aber für seine Entscheidung zum Vertragsabschluss von maßgeblichem Einfluss gewesen wäre (RS0014823). Art und Ausmaß der Aufklärungspflicht richten sich nach dem Vertragsgegenstand und nach dem vorauszusetzenden und tatsächlichen Wissensstand des Vertragspartners und damit nach den Umständen des Einzelfalls (RS0014823 [T11]). Die Frage, ob ein Vertrag aufgrund der behaupteten Verletzung von Aufklärungspflichten wegen Irrtums angefochten werden kann, lässt sich in der Regel nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantworten, sodass die Bedeutung dieser Frage nicht über den Einzelfall hinausreicht (RS0016184 [T8]).
[5] 1.2 Die Klägerin und ihr Ehemann fragten den Zweitbeklagten mehrfach, ob das Fahrzeug unfallfrei sei, und erhielten auf ihre Fragen die Auskunft, dass es damit nie einen Verkehrsunfall gegeben habe. In ihrer außerordentlichen Revision argumentieren die Beklagten, die Klägerin habe durch den Erwerb des fachgerecht reparierten Fahrzeugs keinen Nachteil erlitten, weshalb eine Irrtumsanfechtung von vornherein ausgeschlossen sei. Dabei übersehen sie jedoch, dass die Klägerin gerade nicht „genau jenes Auto erhalten“ hat, das sie wollte, weil sie ausdrücklich (nur) ein „unfallfreies“ Fahrzeug wollte. Sie hatte nach den Feststellungen darauf besonderen Wert gelegt. Der Zweitbeklagte wusste von den beiden (in einer Fachwerkstätte reparierten) Vorschäden am Heck und an der Seitentüre des Fahrzeugs und antwortete dennoch – wahrheitswidrig – mehrmals, dass das Fahrzeug bisher noch keinen Unfall gehabt habe. Aus dem Umstand, dass hier der Wert des Pkws infolge der fachgerechten Reparaturen nicht verringert ist, lässt sich – entgegen der Meinung der Beklagten – nicht ableiten, dass eine Irrtumsanfechtung nicht in Betracht kommt. Die Frage, ob ein Irrtum den Gegenstand des Geschäfts betrifft, ist durch Vertragsauslegung zu ermitteln (vgl RS0014902 [T2, T3]). Die Entscheidung des Berufungsgerichts, das auf Basis des Sachverhalts zu dem Ergebnis kam, die Parteien hätten die „Unfallfreiheit“ des Fahrzeugs zum Geschäftsinhalt gemacht, ist nicht unvertretbar.
[6] 1.3 Auch die von den Revisionswerbern aufgeworfene Frage einer erforderlichen näheren Definition des Wortes „Verkehrsunfall“ wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf: Die mehrfache Anfrage der Klägerin nach der „Unfallfreiheit“ des Fahrzeugs bestätigte der Zweitbeklagte zwar nur mit der Wendung, dass es keinen „Verkehrsunfall“ gehabt habe; dies konnte sie aber sehr wohl so verstehen, dass es „unfallfrei“ wäre. Die Beurteilung, nach der das zum reparierten Heckschaden festgestellte Ereignis, dass das Fahrzeug „offensichtlich in Rückwärtsfahrt gegen eine Art Säule gestoßen“ war, ein „Unfall“ sei, ist nicht zu beanstanden. Gleiches gilt auch für den weiteren „Parkschaden“ an der Seitentür.
[7] 2.1 Nach der Rechtsprechung bedeutet „Veranlassen“ im Sinn des § 871 ABGB nur eine adäquate Verursachung des Irrtums. Absichtliche oder zumindest fahrlässige Irreführung wird nicht vorausgesetzt. Es genügt jedes für die Entstehung des Irrtums ursächliche Verhalten (RS0016195; RS0016188).
[8] 2.2 Das Berufungsgericht kam zu dem Schluss, der Zweitbeklagte habe durch seine mehrfache Antwort auf die Frage nach der Unfallfreiheit den Irrtum der Klägerin darüber verursacht. Ein – im Rechtsmittel bloß behauptetes – Abweichen von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zum objektiv sorglosen oder verkehrswidrigen Verhalten des Anfechtungsgegners ist darin nicht erkennbar. Soweit die Beklagten zu Angaben des Zweitbeklagten über den Parkschaden nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgehen, ist ihr Rechtsmittel nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RS0043603; RS0043312).
[9] 3.1 Mit ihrem Versuch, die vom Berufungsgericht übernommenen Sachverhaltsfeststellungen des Erstgerichts zu widerlegen (hier zusammengefasst mit der Behauptung, dass Beweisergebnisse „willkürlich“ gewürdigt worden seien), werfen die Beklagten – entgegen der Behauptung im Rechtsmittel – keine „Rechtsfrage des Verfahrensrechts“ auf, sondern sie nehmen eine im Revisionsverfahren unzulässige Anfechtung der Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen (vgl RS0043371 [T24]) vor. Das Berufungsgericht hat sich ausführlich mit den Ausführungen in der Beweisrüge befasst, weshalb auch eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (dazu etwa RS0043371 [T16, T21, T23, T24]) nicht vorliegt.
[10] 3.2 Eine Aktenwidrigkeit im Sinn des § 503 Z 3 ZPO besteht nicht in einem Widerspruch zwischen einer Tatsachenfeststellung und irgend einem vorhandenen Beweismittel, sondern ausschließlich in einem Widerspruch zwischen dem Inhalt eines bestimmten Aktenstücks einerseits und der Zugrundelegung und Wiedergabe desselben durch das Berufungsgericht andererseits (RS0043284). Eine solche zeigt das Rechtsmittel nicht auf; die Behauptung einer „aktenwidrigen Uminterpretation der Falschaussagen“ läuft wiederum auf eine im Revisionsverfahren unzulässige Bekämpfung der Tatsachenfeststellungen hinaus.
[11] 4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).