504Präs1/24t – OGH Entscheidung
Kopf
Der Präsident des Obersten Gerichtshofs fasst in der Disziplinarsache gegen Dr. T*, Rechtsanwalt in Wels, AZ * des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer, über die Anzeige des Präsidenten des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer wegen Befangenheit, den
Beschluss:
Spruch
Der Präsident des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer ist in diesem Disziplinarverfahren befangen.
Text
Begründung:
Nach Bestellung eines Untersuchungskommissärs wurde gegen den Disziplinarbeschuldigten am 24. Oktober 2022 ein Einleitungsbeschluss gefasst. Dem liegt der Verdacht zugrunde, der Disziplinarbeschuldigte habe am 15. Februar 2022 einen von ihm vertretenen Ehemann dabei unterstützt, die Mitarbeiterin eines Frauenhauses entgegen einem gegen den Ehemann verhängten Betretungs und Annäherungsverbot zur Bekanntgabe des Aufenthaltsorts der Tochter des Ehemanns zu bewegen. Dabei sei er ungehalten und insistierend aufgetreten und habe erklärt, er werde seinem Mandanten seine Einschätzung mitteilen, dass sich dessen Tochter im Frauenhaus aufhalte, und habe ihm daraufhin geraten, zum Frauenhaus zu gehen.
Der Präsident des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer zeigte am 22. Jänner 2024 seine Befangenheit an. Er erachte sich persönlich als befangen. In den fallweisen prozessualen Auseinandersetzungen mit dem Disziplinarbeschuldigten komme es regelmäßig zu Differenzen, die von seiner Seite her ihren Grund in den oftmals ungerechtfertigten und auch überschießenden Einlassungen durch den Disziplinarbeschuldigten hätten, wobei für dessen Vorgangsweise auch das Schreiben des Disziplinarbeschuldigten vom 8. November 2023 zu Belangen des Disziplinarrats als Beispiel genannt werden könne. In diesem an zahlreiche Rechtsanwälte gerichteten Schreiben kritisierte der Disziplinarbeschuldigte den Disziplinarrat heftig. Das Schreiben schloss mit dem Rat, sich zu fragen, ob es für die Adressaten des Schreibens akzeptabel wäre, bei Verwicklung in ein Disziplinarverfahren nicht jenes objektive, faire, und gesetzlich bestimmte Disziplinarverfahren durch geeignete Organe zu erhalten, oder ob sich die Adressaten auch „mit weniger“ begnügen könnten.
Diese Auseinandersetzungen belasteten regelmäßig die Prozesssituation. Der Disziplinarbeschuldigte sei auch der einzige Rechtsanwalt, den der Präsident des Disziplinarrats in seiner bisherigen Tätigkeit disziplinär angezeigt habe.
Rechtliche Beurteilung
Die Befangenheitsanzeige, über die gemäß § 26 Abs 5 Satz 2 DSt der Präsident des Obersten Gerichtshofs zu entscheiden hat, ist berechtigt.
§ 26 DSt unterscheidet zwischen Ausgeschlossenheits und Befangenheitsgründen. Von der Teilnahme am Disziplinarverfahren ist ein Mitglied des Disziplinarrats gemäß § 26 Abs 1 DSt ausgeschlossen, wenn das Mitglied durch das Disziplinarvergehen selbst betroffen oder Anzeiger war, Rechtsfreund oder gesetzlicher Vertreter des Betroffenen oder Anzeigers ist oder der Beschuldigte, der Anzeiger oder der Betroffene Angehöriger des Mitglieds iSd § 157 Abs 1 Z 1 StPO ist. Daneben bestehen – im einzelnen nicht näher angeführte – Befangenheitsgründe, was sich schon daraus ergibt, dass nach § 26 Abs 4 DSt die Mitglieder des Disziplinarrats sie betreffende Ausschließungs und oder Befangenheitsgründe dem Präsidenten des Disziplinarrats unverzüglich bekanntzugeben haben.
Zur Annahme einer Befangenheit genügt grundsätzlich schon der Anschein, Organe des Disziplinarrats könnten an die von ihnen zu entscheidende Sache nicht mit voller Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit herantreten. Ein solcher Anschein setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass konkrete Umstände dargetan werden, die aus der Sicht eines objektiven Beurteilers bei diesem den Eindruck erwecken, das Entscheidungsorgan könnte sich aus persönlichen Gründen bei seiner Entscheidung von anderen als sachlichen Erwägungen leiten lassen. Befangenheit ist entweder eine tatsächliche Hemmung der unparteiischen Entschließung durch unsachliche psychologische Motive oder aber eine besondere Fallgestaltung, die einen unbefangenen Außenstehenden begründeterweise an der unparteiischen Entscheidungsfindung zweifeln lassen kann (504 Präs 27/22p mwN). Unter Beachtung des Interesses am Ansehen der Justiz ist bei der Prüfung der Befangenheit kein engherziger Prüfungsmaßstab anzulegen (RS0056053 [T8]).
Wenngleich zur Annahme einer Befangenheit grundsätzlich schon der Anschein genügt, der betreffende Richter (das betreffende Mitglied des Disziplinarrats) könnte an die vom ihm zu entscheidende Sache des Ablehnungswerbers nicht mit voller Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit herantreten, so setzt ein solcher Anschein aber nach ständiger Rechtsprechung jedenfalls voraus, dass konkrete Umstände dargetan werden, die aus der Sicht eines objektiven Beurteilers bei diesem den Eindruck erwecken, der Abgelehnte könnte sich aus persönlichen Gründen bei seiner Entscheidung von anderen als sachlichen Erwägungen leiten lassen (RS0056962).
Im Allgemeinen ist ein Befangenheitsgrund anzunehmen, wenn ein Richter selbst seine Befangenheit anzeigt (RS0046053). Es liefe dem Interesse der Parteien an einem objektiven Verfahren zuwider, wenn ihre Angelegenheit von einem Richter entschieden würde, der selbst Bedenken dagegen äußert, eine unvoreingenommene Entscheidung treffen zu können (RS0045943 [T5]; 504 Präs 27/22p).
Dies trifft grundsätzlich auch dann zu, wenn der seine Befangenheit anzeigende Richter bloß die Möglichkeit des objektiven Anscheins für gegeben erachtet (RS0046053 [T6]). Nur ausnahmsweise wird bei Selbstmeldung eines Richters (eines Mitglieds des Disziplinarrats) eine Befangenheit nicht gegeben sein, etwa bei Missbrauch oder wenn die angegebenen Umstände ihrer Natur nach nicht geeignet sind, eine Befangenheit zu begründen (4 Ob 186/11y; RS0046053 [T4]). Eine überhaupt nicht begründete Befangenheitserklärung eines Richters wäre untauglich (RS0046053 [T2]).
Das den Disziplinarrat kritisierende E Mail des Disziplinarbeschuldigten wäre für sich genommen zur Begründung der Befangenheit nicht geeignet. Die Erhebung von Vorwürfen gegen ein Entscheidungsorgan führt nicht zu dessen Befangenheit. So kann etwa von einem Richter erwartet werden, dass er auch dann unbefangen entscheidet, wenn eine Partei gegen ihn Klagen oder Aufsichtsbeschwerden erhebt bzw Strafanzeigen und Disziplinaranzeigen erstattet (RS0045970; 1 Präs 2688–2690/09v; Ballon in Fasching/Konecny 3 § 19 JN Rz 10 mwN). Ansonsten hätte eine Partei es in der Hand, ihr Ziel, ihr missliebig erscheinende Richter in ihren Rechtssachen vom Richteramt auszuschließen, durch wiederholte unbegründete und substanzlose Strafanzeigen zu erreichen (RS0045970 [T5]). Daher stellt auch die Tatsache, dass ein Richter dem Vorwurf des Amtsmissbrauchs ausgesetzt ist, keinen tauglichen Befangenheitsgrund dar. Ohne Hinzutreten weiterer Umstände kann nicht nur, sondern muss von einem Richter erwartet werden, dass er unbefangen Entscheidungen trifft. Ohne Hinzutreten weiterer Umstände ist daher in der Tatsache, dass Klagen gegen einen Richter aufgrund von dessen Amtsführung eingebracht werden, auch nicht der bloße Anschein einer Voreingenommenheit zu erkennen (RS0046053 [T1]). Dies muss umso mehr im vorliegenden Fall gelten, in dem der Disziplinarbeschuldigte nicht Anzeigen oder Klagen eingebracht hat, sondern lediglich die Tätigkeit des Disziplinarrats in einem E Mail – wenngleich in scharfer Form – kritisiert hat.
Auch „Differenzen“ anlässlich einer Verhandlung lassen als solche noch nicht den Schluss zu, der Vorsitzende des Disziplinarrats sei befangen. Hier kommt es stark auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls an. Befangenheit wird lediglich bei Unstimmigkeiten persönlicher Art mit einem Parteienvertreter, nicht jedoch bei sachlichen Unstimmigkeiten bejaht ( Ballon in Fasching/Konecny 3 § 19 JN Rz 9 mwN).
Nach dem Vorbringen des Präsidenten des Disziplinarrats hätten die Differenzen ihren Grund in den oftmals ungerechtfertigten und auch überschießenden Einlassungen des Disziplinarbeschuldigten. Wenn der Präsident des Disziplinarrats im Rahmen seiner Eigenschaft als Parteienvertreter in einer Gerichtsverhandlung derartigen Einlassungen des Disziplinarbeschuldigten entgegen tritt, so handelt es sich um die gesetzeskonforme Wahrnehmung seiner Pflichten als Rechtsanwalt. Dies könnte als solches gleichfalls keinen Vorwurf der Befangenheit begründen. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass nach der Rechtsprechung die gesetzeskonforme Wahrnehmung von Amtspflichten (in concreto §§ 232, 245 Abs 1 StPO) auch dann keinen Anschein der Befangenheit begründe, wenn sie von (an sich überflüssigen – § 52 Abs 1–3 Geo) persönlichen Bemerkungen begleitet wird (RS0096914 [T11]).
Auch der bloße Umstand, dass der Vorsitzende des Disziplinarrats früher einmal eine Disziplinaranzeige gegen den Disziplinarbeschuldigten erstattet hat, reicht für die Annahme der Befangenheit noch nicht aus (vgl auch 504 Präs 5/22b zur Disziplinaranzeige des Abgelehnten gegen einen Kanzleikollegen des Disziplinarbeschuldigten). Lediglich bei der dem konkreten Verfahren zugrundeliegenden Anzeige griffe der Ausschließungsgrund des § 26 Abs 1 Z 1 DSt.
Mögen die angeführten Umstände daher jeweils für sich genommen nicht ausreichen, die Befangenheit des Vorsitzenden des Disziplinarrats zu begründen, so kommt diesen in ihrem Zusammenhalt iVm der Selbsteinschätzung des Präsidenten des Disziplinarrats ausreichendes Gewicht zu, das Vorliegen eines Befangenheitsgrundes iSd § 26 Abs 4 DSt zu bejahen. Daher war spruchgemäß die Befangenheit des Präsidenten des Disziplinarrats auszusprechen.