2Ob190/23i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger sowie die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2021 verstorbenen I*, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der erbantrittserklärten Töchter 1. D*, und 2. A*, beide vertreten durch Dr. Harald Christandl, Rechtsanwalt in Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 11. August 2023, GZ 4 R 196/22f 148, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Fürstenfeld vom 27. Juli 2022, GZ 17 A 155/21s 117, in Folge Rekurses der Töchter abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Der Antrag auf Zuspruch der Kosten des Revisionsrekurses wird abgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Der 2021 verstorbene Erblasser hinterließ zwei Söhne und zwei Töchter (die nunmehrigen Revisionsrekurswerberinnen). Sämtliche Kinder gaben am 20. September 2021 bedingte Erbantrittserklärungen aufgrund eines Testaments vom 8. Februar 2019 zu jeweils einem Viertel des Nachlasses ab. Das Erstgericht bestellte mit Beschluss vom 16. Juni 2021 einen Rechtsanwalt gemäß § 173 Abs 1 AußStrG zum Verlassenschaftskurator.
[2] Der Erblasser (in der Folge auch: Kläger) brachte am 11. März 2019 eine auf Zahlung von 950.000 EUR sA gerichtete Klage gegen eine von ihm mitgestiftete Privatstiftung (in der Folge auch: Beklagte) beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz (in der Folge: Prozess) mit dem wesentlichen Vorbringen ein, dass er im Jahr 2012 zur Abwendung drohender Insolvenz der Beklagten deren Schulden durch Zahlung von 1.980.000 EUR beglichen habe. Er habe daher aufgrund Legalzession nach § 1358 ABGB einen Anspruch gegen die Beklagte in dieser Höhe, wobei er aus ökonomischen Gründen nur einen Teilbetrag einklage. Hilfsweise werde der Anspruch auch auf den Abschluss entsprechender Darlehensverträge gestützt.
[3] Die beklagte Privatstiftung wandte unter anderem ein, dass es sich bei den vom Kläger aufgewendeten Beträgen um eine „Nach bzw Zustiftung“ handle. Außerdem erhob sie den Einwand der verglichenen Rechtssache, weil es am 15. Dezember 2015 „im Rahmen einer Videokonferenz“ zum Abschluss eines endbereinigenden Generalvergleichs gekommen sei.
[4] Der Kläger bestritt, dass die prozessgegenständlichen Forderungen Gegenstand des Vergleichsabschlusses gewesen seien.
[5] In der Tagsatzung vom 18. November 2019 vereinbarten die Streitteile zur Führung außergerichtlicher Vergleichsverhandlungen Ruhen des Verfahrens.
[6] Der Erblasser vermachte in einer mit „Vermächtnis“ übertitelten letztwilligen Verfügung vom 3. Dezember 2019 seinem Sohn D* die „gesamte gegen die Stiftung zustehende Forderung von EUR 1.980,000 samt Zinsen und Kosten […] samt dem Recht den anhängigen Rechtsstreit als Vermächtnisnehmer und Einzelrechtsnachfolger fortzusetzen“. Die Töchter bestreiten die Gültigkeit dieser letztwilligen Verfügung.
[7] Der Verlassenschaftskurator stellte am 26. Juli 2022 den Antrag, den im Prozess einzubringenden (und auch tatsächlich am 29. Juli 2022 eingebrachten) Fortsetzungsantrag verlassenschaftsgerichtlich zu genehmigen. Neben durch Urkunden bescheinigten, oben bereits wiedergegebenen Angaben zum Gegenstand des Prozesses führte er aus, dass das der Beklagten zuzurechnende Vermögen im Wesentlichen aus zwei Liegenschaften im Wert von rund 950.000 EUR bestehe. Die Beklagte habe auf den Einwand der Verjährung wegen nicht gehöriger Fortsetzung nur bis 31. Juli 2022 verzichtet.
[8] Das Erstgericht gab dem Antrag statt. Es „erhob“ „aufgrund der mit dem Antrag übermittelten Urkunden“ das Vorbringen des Verlassenschaftskurators „zur Sachverhaltsgrundlage“ und nahm an, dass bei Inaktivität des Verlassenschaftskurators ein Verjährungseinwand der Beklagten drohe.
[9] Das Rekursgericht gab einem Rekurs der Töchter Folge und sprach aus, dass der Fortsetzungsantrag zu seiner Genehmigung keiner verlassenschaftsgerichtlichen Genehmigung bedürfe. Der Fortsetzungsantrag könne der Erhebung einer Klage nicht gleichgehalten werden, weil der Kurand weder erstmals einem Prozesskostenrisiko ausgesetzt werde noch über den Verfahrensgegenstand verfüge.
[10] Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
[11] Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Töchter mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Abweisung des Antrags; hilfsweise werden weitere Abänderungs und Aufhebungsanträge gestellt.
[12] Revisionsrekursbeantwortungen wurden nicht erstattet.
Rechtliche Beurteilung
[13] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt .
[14] Die Töchter argumentieren, dass im vorliegenden Einzelfall im Fortsetzungsantrag sehr wohl eine verfahrensrechtliche Dispositionshandlung zu erblicken sei. Es sei erstmals unter Berücksichtigung von Interessen der Verlassenschaft zu prüfen, ob die Verfahrensführung zum Vorteil der Verlassenschaft sei. Insoweit liege ein der Erhebung einer Klage vergleichbarer Fall vor. Das Erstgericht habe den Sachverhalt nicht erhoben und auch keine Interessenabwägung vorgenommen. Der Kurator hätte das Einverständnis der Erben einholen müssen.
Dazu hat der Fachsenat erwogen:
[15] 1. Den erbantrittserklärten Töchtern kommt Rechtsmittellegitimation gegen einen Beschluss über die Genehmigung einer Verfahrensführung durch den Verlassenschaftskurator zu, weil als Ergebnis dieser Genehmigung zu Lasten der Verlassenschaft allenfalls Prozesskosten erwachsen könnten ( 2 Ob 46/18f [2 Ob 100/18x] Punkt C.I.1. mwN). Diese Erwägungen gelten auch im hier zu beurteilenden Fall, in dem das Rekursgericht davon ausgegangen ist, dass die Rechtshandlung keiner verlassenschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf.
[16] 2. Der Verlassenschaftskurator ist Vermögensverwalter und Vertreter nur der Verlassenschaft, deren Interessen er zu wahren hat. Er handelt aber materiell für den oder die späteren wahren Erben (zuletzt 2 Ob 88/23i Rz 3 mwN). Als Ausfluss dieses Grundsatzes hat der Verlassenschaftskurator die Meinung der ihm bekannten potenziellen Erben zu berücksichtigen (vgl 2 Ob 45/15d Punkt 2.8. mwN). Allerdings ist entgegen den Ausführungen im Revisionsrekurs die Einstimmigkeit der potenziellen Erben nicht erforderlich, um dem Verlassenschaftskurator die Setzung einer Vertretungshandlung zu ermöglichen, was sich schon aus § 173 Abs 1 AußStrG ergibt, wonach unter anderem die Uneinigkeit der Erbantrittserklärten über Vertretungshandlungen zur Bestellung eines Verlassenschaftskurators führen kann. Der Kurator hat die Äußerungen der Erben vielmehr nur nach Möglichkeit und Tunlichkeit zu berücksichtigen (vgl Mondel , Das Recht der Kuratoren³ [2021] Rz 11.83; idS erkennbar auch 2 Ob 41/15s Punkt 4.2.).
[17] 3. Für Vertretungshandlungen des Verlassenschaftskurators ist nicht die auf die Vertretung durch die Erben (Gesamtrechtsnachfolger) zugeschnittene Regelung des § 810 ABGB einschlägig, sondern aufgrund der Verweisung in § 281 Abs 3 ABGB iVm § 258 Abs 4 ABGB die Regelung des § 167 Abs 3 ABGB anzuwenden ( RS0129074 ). Handlungen des Kurators können nur dann genehmigt werden, wenn sie im Interesse der Verlassenschaft liegen, für diese also von Vorteil sind. Hingegen genügt es nicht, wenn diese Handlungen für die Verlassenschaft nur „nicht offenbar nachteilig“ sind (2 Ob 26/21v Rz 11 mwN).
[18] 4. Nach § 167 Abs 3 ABGB bedürfen Vertretungshandlungen des Verlassenschaftskurators in Vermögensangelegenheiten der Genehmigung des Gerichts, sofern die Angelegenheit nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört. Unter dieser Voraussetzung gehören dazu insbesondere die „Erhebung einer Klage und alle verfahrensrechtlichen Verfügungen, die den Verfahrensgegenstand an sich betreffen“ ( 1 Ob 148/16w Punkt 4. mwN). Bei unverändertem Streitgegenstand gilt die (pflegschafts )gerichtliche Genehmigung einer Klage für das gesamte Verfahren bis zu dessen rechtskräftiger Beendigung, also insbesondere auch für das Rechtsmittelverfahren, weil nur dies als sinnvolle Verfahrenseinheit aufgefasst werden kann und so auch Unklarheiten über den Eintritt der Rechtskraft einer Entscheidung vermieden werden ( 7 Ob 36/11m mwN).
[19] 4.1. Nach der Rechtsprechung bedarf zwar eine positive Verfügung des (gesetzlichen) Vertreters über den Prozessgegenstand – wie etwa ein Vergleich, Anerkenntnis oder (Rechtsmittel )Verzicht – der gerichtlichen Genehmigung, nicht hingegen eine Außerstreitstellung oder das Unterlassen einer Prozesshandlung (1 Ob 148/16w Punkt 4. mwN). Genehmigungsbedürftig ist auch eine Ausdehnung des Klagebegehrens ( RS0049197 ). Das bloße Einlassen in einen Passiv prozess qualifiziert die Rechtsprechung hingegen als nicht genehmigungsbedürftige Angelegenheit des ordentlichen Wirtschaftsbetriebs (vgl RS0111603 ).
[20] 4.2. Ausgehend von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung ist im vorliegenden Einzelfall die Einbringung des Fortsetzungsantrags durch den Verlassenschaftskurator im vom Erblasser noch selbst eingeleiteten Aktivprozess mit hohem Streitwert als eine der Einbringung einer Klage gleichwertige Angelegenheit des außerordentlichen Wirtschaftsbetriebs anzusehen. Der Fortsetzungsantrag ermöglicht dem Verlassenschaftsgericht nämlich erstmals die Prüfung der Frage, ob die Verfahrensführung im Interesse der Verlassenschaft liegt, wobei sich eine allfällige Genehmigung der Verfahrensführung dann – sofern keine Ausdehnung des Klagebegehrens erfolgt – auf den gesamten weiteren Prozess erstreckt. Es mag zutreffen, dass auch der bis zur Stellung des Fortsetzungsantrags geführte Prozess die Verlassenschaft letztlich mit Verfahrenskosten belasten könnte, allerdings wird der Umfang der Kosten durch eine Fortsetzung des Prozesses in Anbetracht des hohen Streitwerts deutlich steigen.
[21] 4.3. Insgesamt ist damit entgegen der vom Rekursgericht vertretenen Rechtsansicht im konkreten Einzelfall davon auszugehen, dass die Einbringung eines Fortsetzungsantrags durch den Verlassenschaftskurator in einem noch vom Erblasser eingeleiteten, jedoch ruhenden Aktivprozess mit hohem Streitwert eine genehmigungsbedürftige Rechtshandlung darstellt.
[22] 5. Ob der Fortsetzungsantrag zu genehmigen sein wird, lässt sich aufgrund der rudimentären „Feststellungen“ des Erstgerichts derzeit noch nicht beurteilen.
[23] 5.1. Bei der Frage, wann die Erhebung einer Klage zu genehmigen oder die Genehmigung zu versagen ist, ist auf den Einzelfall abzustellen und eine grobe Vorprüfung der Erfolgsaussichten anzustellen. Es ist zu prüfen, ob die konkret zu beurteilende Klage mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird ( RS0048142 [insb auch T6]). Es ist nicht unter Vorwegnahme des Zivilprozesses zu untersuchen, ob der Anspruch besteht, sondern vielmehr unter Einbeziehung aller Eventualitäten (lediglich) das Prozessrisiko abzuwägen. Maßgebend ist, ob in vergleichbaren Fällen ein verantwortungsbewusster gesetzlicher Vertreter den Klageweg beschreiten würde. Zu diesem Zweck müssen die Tatsachengrundlagen und deren Beweisbarkeit möglichst vollständig erhoben und der so gewonnene Sachverhalt einer umfassenden rechtlichen Beurteilung unterzogen werden ( RS0108029 ). Wenn die Erfolgsaussichten gering sind und deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit ein erheblicher Vermögensnachteil durch die Belastung mit Prozesskosten droht, ist nicht davon auszugehen, dass ein verantwortungsbewusster gesetzlicher Vertreter den Klageweg beschreiten würde ( 2 Ob 120/17m mwN; vgl RS0048156 ).
[24] 5.2. Vor der Entscheidung über den Genehmigungsantrag wird den erbantrittserklärten Kindern – jedenfalls soweit deren Standpunkt nicht ohnehin bereits aktenkundig ist – Gelegenheit zur Stellungnahme zum geplanten Fortsetzungsantrag zu geben sein. Das Erstgericht wird – allenfalls nach Durchführung gebotener Erhebungen – auf Basis nachvollziehbar begründeter Feststellungen eine Prüfung der Erfolgsaussichten vorzunehmen haben.
[25] 5.3. Im Zusammenhang mit der im Raum stehenden Verjährung der eingeklagten Ansprüche wird zu beachten sein, dass Ansprüche nach § 1358 ABGB derselben Verjährung wie die eingelöste Schuld unterliegen ( RS0032304 ) und Forderungen aus Kreditgewährungen der dreißigjährigen Verjährung unterliegen ( RS0034157 ), was allerdings nicht für (gesetzliche oder vertraglich vereinbarte) Zinsen gilt ( RS0034253 ).
[26] 6. Dem außerordentlichen Revisionsrekurs war damit Folge zu geben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
[27] 7. Ein Kostenersatz findet nicht statt (§ 185 AußStrG).
[28] 8. Die Töchter haben im Anschluss an ihre Rechtsmittelanträge beantragt, dem Rechtsmittel aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Dieser Antrag geht ins Leere, weil Rechtsmittel in Außerstreitsachen die Entscheidungswirkungen schon grundsätzlich aufschieben (§§ 43 f AußStrG; RS0123257 ).