11Os146/23i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Jänner 2024 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Drach als Schriftführerin im Verfahren zur strafrechtlichen Unterbringung der C* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 12. Oktober 2023, GZ 91 Hv 32/23a 48.2, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde C* nach § 21 Abs 1 StGB in einem forensisch therapeutischen Zentrum untergebracht, weil sie in W* unter dem maßgeblichen Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, nämlich einer gemischt schizoaffektiven Störung (F 23.1), derentwegen sie im Zeitpunkt der Taten zurechnungsunfähig (§ 11 StGB) war, in der Klinik F* beschäftigte Pflegekräfte, somit Personen, die in einem gesetzlich geregelten Gesundheitsberuf tätig sind, während und wegen der Ausübung ihrer Tätigkeit am Körper zu verletzen versuchte, und zwar
I/ am 24. Mai 2023 M*, indem sie mehrfach auf dessen rechten Unterarm einschlug und ihm einen Tritt gegen den rechten Unterschenkel versetzte;
II/ am 4. Juni 2023 R* und J*, indem sie diese jeweils gezielt mit der flachen Hand auf den linken Gesichtsbereich bzw auf den Hinterkopf schlug,
und somit Taten begangen hat, die als die Vergehen der Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1, Abs 3 Z 2 erster Fall StGB jeweils mit einer ein Jahr, nicht jedoch drei Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.
Rechtliche Beurteilung
[2] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 und 9 lit a und b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Betroffenen.
[3] Die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 4 StPO setzt voraus, dass über einen in der Hauptverhandlung vom Beschwerdeführer gestellten Antrag nicht oder nicht im Sinn dieses Antrags mit Zwischenerkenntnis entschieden worden ist ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 302; RIS-Justiz RS0099250 ). Bereits daran scheitert die Verfahrensrüge (Z 4), die kritisiert, dass das Gericht „die Bitten“ der (durch eine Verteidigerin vertretenen) Betroffenen „Ich möchte nach Hause!“ (ON 48.1 S 5) und „Ich wohne seit meinem 14. Lebensjahr allein!“ (ON 48.1 S 6) nicht erledigt habe, weil ihr insoweit kein (in diesem Zusammenhang beachtlicher) Antrag an das Schöffengericht zu Grunde liegt.
[4] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a), die aus den Angaben der Zeugen M* (ON 48.1 S 7 f) und R* (ON 48.1 S 9 f) ableitet, dass die Betroffene zu den Tatzeitpunkten fixiert war, weshalb aufgrund der Verhältnisse ein absolut untauglicher Versuch (§ 15 Abs 3 StGB) vorliege, nimmt nicht am festgestellten Sachverhalt Maß (vgl aber RIS Justiz RS0099810 ), wonach die Betroffene erst nach den Tathandlungen fixiert wurde (US 4 f [I/]) bzw ihren linken Arm aus der Fixierung lösen konnte (US 5 [II/]).
[5] Dass die Tatbestandsverwirklichung des § 83 Abs 1, Abs 3 Z 2 StGB aufgrund der psychischen Störung, somit mangels persönlicher Eigenschaften der Betroffenen geradezu denkunmöglich sein und daher absolute Versuchsuntauglichkeit vorliegen sollte, leitet die weitere Rechtsrüge prozessordnungswidrig nicht aus dem Gesetz ab (vgl dazu Bauer/Plöchl in WK 2 StGB § 16 Rz 71; RIS Justiz R S0116565 ; s auch US 5).
[6] Nichtigkeit in Bezug auf die Gefährlichkeitsprognose (Z 11 zweiter Fall) liegt vor, wenn eine der in § 21 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person und Zustand des Rechtsbrechers sowie Art der Tat) vernachlässigt wird oder die aus diesen Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Prognoseentscheidung als willkürlich erscheinen lässt (RIS-Justiz , ; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 715 ff). Mit der Behauptung, es fehlten Annahmen dahingehend, ob und wie die Betroffene aufgrund ihrer psychischen Erkrankung und körperlichen Konstitution in der Lage wäre, eine als Prognosetat umschriebene strafbare Handlung zu begehen, und die davon betroffenen Personen sich bedroht fühlen würden, ihr könne es nicht ansatzweise gelingen, jemanden schwer zu verletzen, zieht die Beschwerde (nominell Z 9 lit b) im Ergebnis die Wahrscheinlichkeit einer Prognosetat in Zweifel und erstattet damit bloß ein Berufungsvorbringen.
[7] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war daher die Nichtigkeitsbeschwerde der Betroffenen bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über deren Berufung.