JudikaturOGH

6Ob29/23t – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Dezember 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer Zeni Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch zu FN * eingetragenen W* GmbH, mit Sitz in *, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft und des Geschäftsführers Dipl. Ing (FH) H* H*, beide vertreten durch Weh Rechtsanwalt GmbH in Bregenz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 28. November 2022, AZ 3 R 105/22y, 3 R 107/22t bis 3 R 116/22s, 3 R 125/22i bis 3 R 146/22b, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird, soweit er sich gegen die Abweisung des Antrags auf Unterbrechung der Rekursverfahren bis zur Erledigung des vom Bundesverwaltungsgericht zu I413 2250826 1/21Z eingeleiteten Vorabentscheidungsersuchens beim Gerichtshof der Europäischen Union, C 561/22, richtet, als unzulässig zurückgewiesen.

2. Im Übrigen wird d er außerordentliche Revisionsrekurs mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

3. Der Antrag, das Revisionsrekursverfahren bis zur Entscheidung über das vom Bundesverwaltungsgericht zu I413 2250826 1/21Z eingeleitete Vorabentscheidungsersuchen beim Gerichtshof der Europäischen Union, C 561/22, zu unterbrechen, wird abgewiesen.

4. Der Antrag, eine mündliche Revisionsrekursverhandlung anzuberaumen, wird abgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Nach § 192 Abs 2 ZPO können die nach den §§ 187 bis 191 ZPO erlassenen Anordnungen, soweit sie nicht eine Unterbrechung des Verfahrens verfügen, durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden. Die Abweisung eines Unterbrechungsantrags ist daher nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich unanfechtbar (RS0037071; RS0037003). Anderes gilt zwar dann, wenn die Unterbrechung zwingend vorgeschrieben ist (RS0037034; RS0037020). Das trifft hier aber nicht zu: Zwar kann eine Unterbrechung aus Anlass eines in einem anderen Verfahren gestellten Vorabentscheidungsersuchens zweckmäßig sein (RS0110583), eine generelle Unterbrechungspflicht besteht aber nicht (4 Ob 35/20f; RS0114648).

[2] Der Revisionsrekurs ist daher, soweit er sich gegen die Abweisung des im Rekurs gestellten Antrags auf Unterbrechung des Rekursverfahrens bis zur Erledigung des vom Bundesverwaltungsgericht zu I413 2250826 1/21Z eingeleiteten Vorabentscheidungsersuchens beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), C 561/22, richtet, als unzulässig zurückzuweisen.

[3] 2. Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 7. 10. 2015, G 224/2015, G 229 230/2015, ausgesprochen, Zwangsstrafen nach § 283 UGB seien keine Strafen im Sinn des Art 6 EMRK und des Art 92 B VG; vielmehr handle es sich um Vollstreckungsmaßnahmen, das heißt um Maßnahmen zur effektiven Durchsetzung der (auch unionsrechtlich gebotenen) Pflicht zur Vorlage von Jahresabschlüssen. Auch nach ständiger, mit Art 48 ff GRC im Einklang stehender Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sind Zwangsstrafen nach § 283 UGB keine Strafen im Sinn des Art 6 EMRK (RS0115894 [T11, T12, T13]; zuletzt ausführlich 6 Ob 136/21z [ErwGr 1.2.1. ff]). A uch der EuGH hat in diesem Zusammenhang kein Erfordernis der Gewährleistung einer mündlichen Verhandlung erblickt (EuGH C 418/11, Texdata [Rn 87]). Eine erhebliche Rechtsfrage zeigt der Revisonsrekurs mit seiner Forderung nach Durchführung einer solchen daher nicht auf. Weshalb Zwangsstrafen nach § 283 UGB mit einem „Disziplinarstrafverfahren“ vergleichbar sein sollen, legt der Revisionsrekurs nicht dar. Tatsächlich geht es dabei nicht primär um eine Bestrafung eines in der Vergangenheit liegenden Fehlverhaltens, sondern vielmehr um wiederkehrende Maßnahmen, um den (weiterhin) säumigen Offenlegungspflichtigen zu einem vorschriftsgemäßen Verhalten zu veranlassen (Beugemittel; 6 Ob 136/21z [ErwGr 1.2.1.2.]). Daran hat sich durch die Änderung des GEG mit der ZVN 2022, auf die der Revisionsrekurs ohne nähere Ausführungen hinweist, nichts geändert.

[4] 3. Nach ständiger Rechtsprechung (jüngst 6 Ob 233/21i) bestehen keine Bedenken gegen die Unionsrechtskonformität des § 283 UGB (RS0113089). Ebenso ist bereits in ständiger Rechtsprechung klargestellt, dass keine Bedenken gegen die gleichzeitige Verhängung mehrerer Zwangsstrafverfügungen für verschiedene (jeweils zweimonatige) Bestrafungszeiträume bestehen (RS0127331). Die Verhängung von Strafen sowohl gegen die Gesellschaft als auch gegen die Geschäftsführer stellt keine unzulässige Doppelbestrafung dar (6 Ob 129/11f; 6 Ob 32/12t). Die mehrfache Verhängung von Geldstrafen ist in diesem Fall bloß Folge des Umstands, dass mehrere handlungspflichtige Rechtssubjekte den sie nach dem Gesetz betreffenden Pflichten nicht nachkamen. Die A usführungen zum Kumulierungsverbot verkennen, dass es sich im vorliegenden Fall um Beugestrafen handelt (vgl 6 Ob 136/21z). Gerade durch das stufenweise Vorgehen, nämlich Bestrafung für jeweils zwei Monate (weiterer) Säumnis bei der Vorlage des Jahresabschlusses, wird dem vom Revisionsrekurs eingemahnten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen (6 Ob 233/21i). Auch die im Revisionsrekurs zitierte Judikatur des EuGH (insbesondere Rs C 64/18, C 140/18, C 146/18 und C 148/18, Maksimovic , und Rs C 870/19 und C 871/19, Prefettura Ufficio territoriale del governo di Firenze ) sowie das vorgelegte Gutachten einer ehemaligen Richterin des EuGH bieten keinen Anlass, von der gefestigten – nicht zuletzt durch die Entscheidung des EuGH in der Rs Texdata Software untermauerten – Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach gegen § 283 UGB keine unions- oder verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (6 Ob 136/21z [ErwGr 1.2.1. ff, 1.2.2. ff]; vgl 6 Ob 233/21i [Rz 3]), abzugehen, was auch durch die jüngst ergangene Entscheidung des EuGH zu C 561/22, Willy Hermann Service (Rn 35 f) bekräftigt wurde.

[5] 4. Der Oberste Gerichtshof hat sich auch mit den im Revisionsrekurs erhobenen Einwänden zur behaupteten Verletzung des Grundrechts auf Datenschutz durch die Offenlegungspflichten gemäß §§ 277 ff UGB bereits befasst ( 6 Ob 136/21z [ErwGr 1.3.]) und (wiederholt) ausgesprochen, dass insofern auch unter Bedachtnahme auf § 1 DSG und Art 8 GRC keine Bedenken bestehen ( 6 Ob 136/21z [ErwGr 1.3.]; 6 Ob 63/11z [ErwGr 3.]; 6 Ob 64/11x [ErwGr 2.3.]; vgl 6 Ob 307/99m; RS0113089 [T21]).

[6] 5. Eine Unterbrechung des Revisionsrekursverfahrens kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der EuGH über das vom Bundesverwaltungsgericht zu I413 2250826-1/21Z eingeleiteten Vorabentscheidungsersuchens zu C 561/22 bereits am 7. 3. 2023 entschieden hat (siehe 3.) . Die Revisionsrekursausführungen bilden aus den bereits dargelegten Gründen auch keinen Anlass zur neuerlichen Befassung des EuGH.

[7] 6. Die beantragte Durchführung einer Revisionsrekursverhandlung ist schon deshalb abzulehnen, weil der Oberste Gerichtshof auch im Außerstreitverfahren nicht als Tatsacheninstanz, sondern als Rechtsinstanz nur über Rechtsfragen zu entscheiden hat und daher Beweisaufnahmen oder -ergänzungen nicht in Betracht kommen. Die Antragsteller hatten in ihrem Rechtsmittel ausreichend Gelegenheit zur Darlegung ihres Rechtsstandpunkts ( 6 Ob 136/21z [ErwGr 4.]; vgl RS0043689 [T1, T2, T3, T4]).

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