4Ob175/23y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* GmbH, *, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei W* GmbH, *, vertreten durch die Krüger/Bauer Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung, Beseitigung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 62.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Juni 2023, GZ 1 R 73/23x 37, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1]
Rechtliche Beurteilung
1.1. Der Senat hat bereits im gegenständlichen Provisorialverfahren 4 Ob 182/22a festgehalten, dass die Frage, ob die Schwelle der Voraussetzung eines Anspruchs nach § 1 UWG bildende „Spürbarkeit“ eines Verstoßes durch eine nicht unerhebliche Nachfrageverlagerung (RS0121680; RS0117605) überschritten wird, von Fällen krasser Fehlbeurteilung abgesehen ebenso wenig eine erhebliche Rechtsfrage begründet (RS0121680 [T2]; RS0123243) wie die Frage , ob es über den aus dem (Wiederholungsgefahr indizierenden) Normverstoß als solchen hinausgehend noch weiterer vom Kläger zu behauptender und zu beweisender Sachverhaltselemente bedarf, aus denen auf die Eignung zur Beeinflussung des Wettbewerbs geschlossen werden kann (vgl 4 Ob 48/18i ).
[2] Der Senat hat dort weiters ausgeführt, dass aus EuGH C 422/16 , TofuTown , für den vorliegenden Fall nichts zu gewinnen ist, weil die hier gegebene prominente und prägende Kennzeichnung als „Eierlikör“ vertretbar als den wahren Sachverhalt (in Ansehung des Inhaltsstoffs Milch) gerade nicht verschleiernd angesehen werden könne; dasselbe gelte für den vorangestellten Zusatz „Creme“, der nicht nahelegen müsse, es handle sich um eine (zB Frucht-) „ creme“ iSd Anh I Z 34 der seit 25. 5. 2021 anzuwendenden VO (EU) 2019/787 („Spirituosen-VO“), oder etwas anderes als um einen Bezug auf eine cremige Konsistenz des Eierlikörs.
[3] 1.2. Der Senat hat in derselben Entscheidung im gegenständlichen Provisorialverfahren 4 Ob 182/22a weiters zum Irreführungstatbestand des § 2 UWG zusammengefasst ausgeführt, dass auch der Frage, ob nach den im konkreten Fall gegebenen Umständen die Relevanz der Irreführung zu bejahen ist, regelmäßig keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt ( RS0053112 [insb T2, T3, T5]; vgl RS0107771 ). Ausgehend von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (C 195/14, Teekanne Rn 36, 38–42), wonach es Sache des nationalen Richters ist, die verschiedenen Bestandteile der Etikettierung insgesamt zu prüfen, um festzustellen, ob ein normal informierter und vernünftig aufmerksamer und kritischer Verbraucher über das Vorhandensein von bestimmten Zutaten irregeführt werden kann , hat der Senat die Annahme für vertretbar erachtet, dass sich kein Durchschnittsverbraucher zu einer Kaufentscheidung den gegenständlichen Eierlikör betreffend hinreißen ließe, weil er nicht als „Cream Eierlikör“ bzw schlicht als „Eierlikör“ bezeichnet sei. Weiters sei die Annahme vertretbar, dass ein Verbraucher nicht allein aufgrund der Bezeichnung (unter anderem) als „Creme“ davon ausgehe, dass der Eierlikör keine Milch enthalte, zumal Eierlikör an sich Milch enthalten dürfe und auf die Verwendung von Milch auf der Flaschenrückseite zusätzlich hingewiesen werde, und dass die angesprochenen Verkehrskreise die unterschiedlichen Vorgaben der nach der Spirituosen VO zulässigen Zutaten bei Likören, die als „ creme“ und solchen, die als „Cream“ bezeichnet würden, nicht wüssten und sich dies nicht auf deren Erwartungshaltung auswirke.
[4] 2.1. Das Berufungsgericht hatte im Hauptverfahren bei im Kern gegenüber dem Sicherungsverfahren unverändertem Sachverhalt ein Unterlassungsbegehren zu beurteilen, das nunmehr nicht nur auf den Eierlikör der Beklagten, sondern auch auf deren „ Schoko-Maroni Creme-Likör “ abstellt, der laut Rückenetikett „ eine ausgewogene Cremelikör-Komposition “ sei und den Hinweis „ Enthält Milcherzeugnisse und Eier … Likör ... 15 % vol “ aufweist.
[5] Es wies das mit dem Provisorialbegehren weitgehend idente Unterlassungsbegehren (samt den davon abhängigen Begehren auf Beseitigung und Urteilsveröffentlichung) ab, der Beklagten zu verbieten, Spirituosen, die Milch oder Milcherzeugnisse als Ausgangsstoff oder Zutat beinhalten, mit der Bezeichnung 'Creme' zu versehen, wobei dem Begehren nunmehr der Zusatz „ insbesondere mit den Bezeichnungen 'Eiercreme' und/oder 'Zarte Eiercreme' und/oder 'Schoko Maroni Cremelikör' zu versehen, “ angefügt worden war, und weiters – nach der darauf folgenden unveränderten Wortfolge „ insbesondere das im Folgenden abgebildete Produkt anzubieten, zu bewerben und/oder zu vertreiben “ – zusätzlich zur Abbildung des Gegenstands des Provisorialverfahrens bildenden Eierlikörs auch die Wortfolge „und/oder ein wie folgt gekennzeichnetes Produkt anzubieten, zu bewerben und/oder zu vertreiben“ sowie Abbildungen von Vorder- und Rückseite des „Schoko-Maroni Creme-Likörs“ samt Etiketten in den begehrten Spruch zusätzlich aufgenommen worden waren.
[6] 2.2. Das Berufungsgericht hielt an seiner vom Obersten Gerichtshof zu 4 Ob 182/22a als vertretbar angesehenen, oben zusammengefasst dargelegten Rechtsauffassung im Provisorialverfahren fest. Es betonte zusätzlich, dass die Bezeichnung „Creme“ sowohl im Sicherungsverfahren als auch im Hauptverfahren von ihm und nunmehr auch vom Erstgericht ohnehin als Verstoß gegen Art 10 Abs 7 in Verbindung mit Anh I Z 34 Spirituosen-VO gewertet worden sei. Beide Vorinstanzen verneinten aber die Rechtsfragen, ob dieser konkrete Verstoß gegen die Kennzeichnungsvorschriften im Einzelfall auch eine nicht unerhebliche Nachfrageverlagerung im Sinne des § 1 UWG ( RS0121680 ; RS0117605 ) bewirken oder einen Durchschnittsverbraucher in seinem geschäftlichen Verhalten im Sinne des § 2 UWG beeinflussen könne. Nach der aufgrund der Lebenserfahrung zu beurteilenden Verkehrsauffassung sei nicht die auf die cremige Konsistenz hinweisende Bezeichnung „Creme“, sondern die Bezeichnung als Eierlikör prägend; außerdem werde auf Milch als Bestandteil auffällig hingewiesen. Auch die Einbeziehung des „Schoko-Maroni Creme-Likör“ in die Betrachtung ändere nichts an dieser Einschätzung, weil die Bezeichnung „Likör“ zulässig sei, der Inhaltsstoff „Milch“ auch hier nicht verschleiert werde und die vorangestellte Bezeichnung „Creme“ keinen Bezug auf (zB Frucht )„ creme“ nach Anh I Z 34 Spirituosen VO impliziere. Auch das Abstellen auf andere Verkehrskreise als Verbraucher wie etwa Fachkreise des Handels und der Einkäufer lege keine andere Einschätzung nahe.
[7] 3. Diese Beurteilung hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des Senats und des den Gerichten im Einzelfall zukommenden Beurteilungsspielraums.
[8] 4. Die Revision der Klägerin zeigt dagegen keine erhebliche Rechtsfrage auf:
[9] 4.1. Weiterhin stellt sich nicht die Frage, ob gegen die Spirituosen-VO verstoßen wurde, sondern ob ein solcher Verstoß wettbewerbliche Relevanz hätte, indem er die Nachfrage nach den Likören der Beklagten und den Kaufentschluss für sie steigern könnte (vgl RS0078296 [insb T34]). Soweit in der Revision wiederholt angesprochen wird oder anklingt, inwieweit die Beklagte der Spirituosen VO zuwiderhandle und die Vorinstanzen diese unzutreffend auslegen würden, geht sie ins Leere. Zudem kommt nach der Rechtsprechung des Senats für die Frage des Rechtsbruchtatbestands eine Selbstbeschränkung des Lauterkeitsrechts auf die Verletzung von „marktverhaltensregelnden“ Normen nicht in Frage (vgl 4 Ob 225/07b Pkt 4.2).
[10] 4.2. Eine Täuschung ist nämlich nur dann wettbewerbswidrig, wenn sie geeignet ist, den Entschluss des angesprochenen Interessenten, sich mit dem Angebot näher zu befassen, irgendwie zugunsten dieses Angebots zu beeinflussen ( RS0078296 ). Zwischen den Vorstellungen der angesprochenen Verkehrskreise und dem Entschluss, sich mit dem Angebot näher zu befassen, insbesondere zu kaufen, muss ein innerer Zusammenhang bestehen; die „irreführende“ Angabe muss gerade in dem Punkt und in dem Umfang, in welchem sie von den tatsächlichen Verhältnissen abweicht, die Kauflust eines nicht unbeträchtlichen Teils der umworbenen Verkehrskreise irgendwie beeinflussen ( RS0078202 ).
[11] Dass das bei Verbrauchern den Kaufentschluss prägende „Befassen“ nicht in der Bezeichnung „Creme“ liegen werde, sondern zusammengefasst in den Bezeichnungen „Likör“ in Verbindung mit „Eier“ bzw „Schoko-Maroni“ liege, ist zumindest vertretbar. Aus der Überlegung des Berufungsgerichts, (auch) Fachkreise würden das Etikett lesen, ist entgegen der in der Revision wohl vertretenen Auffassung im vorliegenden Einzelfall kein einen Kaufentschluss beeinflussendes „Befassen“ im Sinne der dargelegten Rechtsprechung ableitbar.
[12] 4.3. Soweit die Revisionswerberin nunmehr auf Art 7 Abs 2 und Erwägungsgründe der Verordnung (EU) Nr 1169/2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel (in der Folge „LMI-VO“) beruft, ist auch daraus nichts von der Beurteilung im Sicherungsverfahren Abweichendes zu gewinnen, weil sich gleichgerichtete Zweckerwägungen zum ergänzenden Schutz lauteren Wettbewerbs auch in den Erwägungsgründen zur Spirituosen VO (etwa ErwGr 2) finden. Die Revision zeigt damit nicht auf, dass dem Berufungsgericht entgegenzutreten wäre, wenn es die Wettbewerbsrelevanz verletzter Normen nicht an Hand ihres Zwecks oder ihres Regelungsgegenstands, sondern anhand ihrer tatsächlichen Auswirkungen auf den Markt beurteilte (vgl RS0123243 [T1]).
[13] Auch vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht es als nicht beweisbedürftig (vgl RS0040682 [T3]) und somit als reine Rechtsfrage ansah, dass dieselben Erwägungen auch für ein Fachpublikum gälten. Warum gerade ein solches leichter als Verbraucher zu einer den Kaufentschluss beeinflussenden Befassung mit dem Angebot der Beklagten verleitet oder in die Irre geführt werden könnte, wird in der Revision nicht nachvollziehbar dargelegt; im Übrigen ist die Beurteilung, welche Wirkung auf beteiligte Verkehrskreise ausgeübt wird, auch dann Rechtsfrage, wenn sich die Aussage zwar an Fachkreise richten würde, das Verständnis der Werbeaussage oder der Aufmachung aber – wie hier – keinerlei Fachkenntnisse voraussetzt (vgl RS0039926 [T33]). Eine Fokussierung auf Nichtkonsumenten wäre letztlich auch nicht mehr von der Zielsetzung des Verbraucherschutzes nach der Spirituosen VO oder der LMI VO umfasst.
[14] 4.4. Ebenfalls erstmals in der Revision wird die Behauptung aufgestellt, gegenüber dem englischen Begriff „Cream“ würden Konsumenten den „deutschen“ Begriff „Creme“ bevorzugen. Beide Bezeichnungen leiten sich jedoch ab vom französischen „crème“ (= Rahm / Obers / Sahne , aber unter anderem auch dickflüssiger, im Allgemeinen gezuckerter Likör – vgl https://dictionnaire.lerobert.com/definition/creme [Abfrage 13. 12. 2023]; vgl auch https://www.duden.de/ rechtschreibung/Creme_Salbe_Sueszspeise [Abfrage 13. 12. 2023]: Creme, Crème, die: […] 1. Salbe zur Pflege der Haut; 2. a. dickflüssige oder schaumige, lockere Süßspeise, b. süße Masse als Füllung für Süßigkeiten und Torten, c. dickflüssiger Likör; 3. Kaffeesahne […] ; 4. gesellschaftliche Oberschicht […]; Herkunft: französisch crème [altfranzösisch craime, cresme, Vermischung von vulgärlateinisch crama = Sahne und lateinisch chrisma] ).
[15] Abgesehen davon, dass es fragwürdig ist, wie gerade dem Ausschluss milchhaltiger Bestandteile aus „ creme“ nach der Spirituosen VO angesichts von Wortherkunft und -bedeutung sowie Sprachgebrauch eine das Publikum nachhaltig aufklärende Wirkung zugesprochen werden könnte, ist daraus jedenfalls kein zwingendes Argument gegen die Auffassung des Berufungsgerichts zu gewinnen, der Verbraucher orientiere sich nicht an derartiger Nomenklatur der Spirituosen VO und widme sich nicht der Frage, ob dieser entsprochen werde, sondern richte sich nach der im Einzelfall zu beurteilenden konkreten Gesamtaufmachung, in welcher hier die Begriffe „Eier“ bzw „Schoko-Maroni“ in Verbindung mit „Likör“ und die Hinweise auf den Etiketten, dass beide Produkte Milch enthalten, maßgeblich seien.
[16] 4.5. Wenn aber, wie das Berufungsgericht vertretbar meint, die einschlägigen unionsrechtlichen Festlegungen für die Erwartung des Publikums und dessen Kaufentschluss nicht maßgeblich sind, kommt den in der Revision angezogenen Überlegungen zur Erwartung eines „Original“-Souvenirs (vgl 4 Ob 2131/96b) oder zur sogenannten „verweisenden Verbrauchervorstellung“ auf die Gutheißung fraglicher Bezeichnungen durch Fachkreise und zuständige Stellen (vgl RS0078729 ) im hier vorliegenden Einzelfall keine maßgebende Bedeutung zu, aus der sich eine erhebliche Rechtsfrage ableiten lassen würde.
[17] 4.6. Die Behauptung, dass sich die Beklagte eine Umetikettierung erspart und einen Wettbewerbsvorteil erzielt habe, weil die verwendeten Bezeichnungen nach der „alten“ Spirituosen VO 110/2008 noch zulässig gewesen seien, wird erstmals in der Revision aufgestellt; davon abgesehen wäre dies auch nicht stichhältig, weil nach Art 50 Abs 1 Spirituosen VO vor dem 25. 5. 2021 hergestellte Spirituosen, welche die Anforderungen der „alten“ Spirituosen VO 110/2008 erfüllten, weiter bis zur Erschöpfung der Bestände ohnehin in Verkehr hatten gebracht werden dürfen, ohne dass es einer Umetikettierung bestehender Waren bedurft hätte. Dass die Produkte der Beklagten nach dem 25. 5. 2021 neu produziert wurden, wie in der Revision ausdrücklich vorausgesetzt wird, steht im Übrigen nicht fest.
[18] 5. Der gerügte Mangel des Berufungsverfahrens liegt nicht vor.
[19] Ein Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens, der im Rechtsmittel geltend gemacht, vom Gericht zweiter Instanz aber verneint wurde, kann im Revisionsverfahren nicht mehr gerügt werden ( RS0042963 [T45]). Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung, das Berufungsverfahren sei – weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben, umgangen werden (RS0042963 [T58]). Ein Mangel des Berufungsverfahrens läge nur dann vor, wenn sich das Berufungsgericht – anders als hier – mit der Mängelrüge des Berufungswerbers nicht befasst hätte ( RS0042963 [T9]).
[20] Im Übrigen hat die Klägerin mit der Behauptung, es liege eine Überraschungsentscheidung vor, nicht (durch Anführung jenes Vorbringens, das sie, über die relevante Rechtsansicht informiert, erstattet hätte) dargelegt, dass der behauptete Verfahrensmangel erheblich ist, sich also auf das Ergebnis des Verfahrens auswirken kann ( RS0037095 [T4, T5]). Hier kommt es – wie erläutert (vgl oben Pkt 4.3) – gerade nicht auf die Komplexität der Materie Lebensmittelrecht oder gar ein Beweisverfahren hierzu an.
[21] 6. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).