JudikaturOGH

11Os136/23v – OGH Entscheidung

Entscheidung
Strafrecht
18. Dezember 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Dezember 2023 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in der Strafsache gegen * H* wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Schöffengericht vom 29. März 2023, GZ 15 Hv 9/22b 115, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wider die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht bewilligt.

Text

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 29. März 2023, GZ 15 Hv 9/22b 115 , wurde * H* – soweit hier relevant – mehrerer Verbrechen und Vergehen schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

[2] Nachdem der Wahlverteidiger des Angeklagten am 29. März 2023 unter anderem die Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde rechtzeitig angemeldet hatte (ON 1 S 193 verso; ON 114 S 23), wurde ihm das Urteil mit Wirksamkeit (§ 89d Abs 2 GOG) vom 13. Juni 2023 zugestellt (RS bei ON 115). Nach der am 23. Juni 2023 erfolgten Bekanntgabe der Auflösung des Vollmachtsverhältnisses (ON 120) wurden dem vom Gericht bestellten Verfahrenshilfeverteidiger (ON 1 S 203, 205; ON 123, 124, 125) das Urteil sowie das Hauptverhandlungsprotokoll mit einer vollständigen Aktenkopie zugestellt (ON 1 S 204; ON 126 S 1).

[3] Die vom Verfahrenshilfeverteidiger am 25. Juli 2023 schriftlich ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten (ON 126) wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 3. Oktober 2023 gemäß § 285d Abs 1 Z 1 StPO iVm § 285a Z 2 StPO zurück (GZ 11 Os 106/23g 4), weil die Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde bereits mit Ablauf des 11. Juli 2023 abgelaufen war.

[4] Vor dieser Entscheidung war dem Verfahrensh ilfeverteidiger mit Wirksamkeit vom 21. September 2023 eine Stellungnahme der Generalprokuratur (GZ 11 Os 106/23g 3 ) zugestellt worden (§ 24 StPO), in welcher diese (ohne weitere Begründung) mitgeteilt hatte, dass sich die Nichtigkeitsbeschwerde ihrer Ansicht nach für eine Beschlussfassung gemäß § 285d Abs 1 Z 1 iVm § 285a Z 2 StPO eigne. In der darauffolgenden Äußerung des Angeklagten wurde der Standpunkt vertreten, eine Zurückweisung iVm § 285a Z 2 StPO komme angesichts der Anführung von Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 4 und 5a StPO begründenden Umständen in der Rechtsmittelschrift nicht in Frage (vgl aber Ratz , WK StPO § 285d Rz 4 f; 11 Os 10/22p [Rz 8]; 14 Os 129/20g [Rz 9]; 14 Os 25/23t [Rz 7]).

Rechtliche Beurteilung

[5] Mit Antrag vom 6. November 2023 begehrt der Angeklagte nunmehr die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung. Er bringt dazu vor , dass der zuverlässigen und gewissenhaften, seit dreizehn Jahren in der Kanzlei des Verfahrenshilfeverteidigers tätigen Kanzleileiterin ein Fehler bei der Eintragung des Fristendes mit 27. Juli 2023 (unter Vorwarnung für den 20. Juli 2023) im Handkalender unterlaufen sei und sie es darüber hinaus versehentlich verabsäumt habe, den Akt (wie allgemein vorge sehen ) vor der Ablage im Aktenschrank dem Verteidiger zur Fristenkontrolle vorzulegen, nach welcher sonst üblicherweise die Eintragung der Frist im Handakt und im Datenverarbeitungsprogramm erfolge.

[6] Gemäß § 364 Abs 1 StPO ist den Beteiligten des Verfahrens gegen die Versäumung der Frist zur (hier) Ausführung eines Rechtsmittels die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, sofern sie nachweisen, dass es ihnen durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, die Frist einzuhalten oder die Verfahrenshandlung vorzunehmen, es sei denn, dass ihnen oder ihren Vertretern ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt (Z 1), sofern sie die Wiedereinsetzung innerhalb von vierzehn Tagen nach dem Aufhören des Hindernisses beantragen (Z 2) und sofern sie die versäumte schriftliche Verfahrenshandlung zugleich mit dem Antrag nachholen (Z 3).

[7] D ie Auflösung des Vollmachtsverhältnisses zum Wahlverteidiger gemäß § 63 Abs 2 StPO hat keinen Einfluss auf eine bereits laufende Frist im Sinn des § 285 Abs 1 StPO. Vielmehr hat der Wahlverteidiger weiterhin die Interessen des Angeklagten zu wahren und innerhalb der Frist erforderliche Prozesshandlungen vorzunehmen, es sei denn, der Angeklagte hätte ihm dies ausdrücklich untersagt (§ 63 Abs 2 zweiter Satz StPO; Fabrizy/Kirchbacher , StPO 14 § 63 Rz 2; Murschetz , WK StPO § 84 Rz 4; RIS Justiz RS0125686 , RS0116182 [T8, T11, T12]). Dass Letzteres der Fall gewesen wäre, ist hier – nach Lage der Akten – ebenso wenig ersichtlich wie sonstige Umstände, die den Wahlverteidiger von seinen diesbezüglichen Pflichten entbunden hätten. Hiervon ausgehend wäre es schon Sache des Wahlverteidigers gewesen, die angemeldeten Rechtsmittel (rechtzeitig) zur Ausführung zu bringen.

[8] Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war somit in Bezug auf die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde nicht zu bewilligen ( Lewisch , WK StPO § 364 Rz 24, 28) .

[9] In Bezug auf die verspätete Ausführung einer (rechtzeitig angemeldeten) Berufung kommt eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht, weil die Versäumung der Frist nicht zur Präklusion des entsprechenden Vorbringens führt (RIS Justiz RS0101176; Lewisch , WK StPO § 364 Rz 6, 8).

[10] Losgelöst von der Frage der Handlungspflicht des (ehemaligen) Wahlverteidigers wäre aber auch das (im Übrigen nicht durch Bescheinigungsmittel [vgl § 364 Abs 1 Z 1 StPO; Lewisch , WK StPO § 364 Rz 43 f] untermauerte) Vor bringen zu den Abläufen beim Verfahrenshilfeverteidiger nicht geeignet gewesen, eine Wiedereinsetzung zu erreichen:

[11] Spätestens bei der Ausführung der Rechtsmittel hätte dem – einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegenden (RIS Justiz RS0101272 [T8, T10]) – Verfahrenshilfeverteidiger auffallen müssen, dass sein Handakt keinen (eine bereits erfolgte Kontrolle der Frist belegenden) Fristvermerk aufwies. Bei einer aufgrund dieses besonderen Umstands zu diesem Zeitpunkt konkret indizierten Kontrolle (vgl Lewisch , WK StPO § 364 Rz 37) der (nach dem Vorbringen bloß) im Handkalender vermerkten Frist an Hand der Akten hätte ihm auffallen müssen, dass die vierwöchige Rechtsmittelfrist bereits durch die Zustellung an den Wahlverteidiger ausgelöst worden war.

[12] Ein Vorbringen dazu, weshalb dem Verfahrenshilfeverteidiger bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit die Versäumung der Ausführungsfrist nicht bereits beim Verfassen der Rechtsmittelschrift hätte auffallen müssen (RIS Justiz RS0101427; Lewisch , WK StPO § 364 Rz 48), enthält der Antrag nicht.

[13] Die vierzehntägige Frist nach dem Aufhören des im Antrag behaupteten Hindernisses wurde somit nicht gewahrt (§ 364 Abs 1 Z 2 StPO).

[14] Die (verspätet ausgeführte) Nichtigkeits-beschwerde wurde bereits zu GZ 11 Os 106/23g 4 zurückgewiesen. Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die (angemeldete) Berufung (§ 285i StPO).

[15] Eine Kostenentscheidung unterblieb, weil es durch den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 364 StPO zu keinem Rechtsmittelverfahren im Sinn des § 390a Abs 1 StPO gekommen ist (RIS Justiz RS0101552; Lendl , WK StPO § 390a Rz 19).

Rückverweise