JudikaturOGH

9ObA93/23a – OGH Entscheidung

Entscheidung
Arbeitsrecht
18. Dezember 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Waldstätten sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Stephan Duschel, Mag. Klaus Hanten und Mag. Clemens Kurz, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei „N*“ * GmbH, *, vertreten durch die Dr. Gerhard Rößler Rechtsanwalt KG in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 164.997 EUR) und 102.523,76 EUR brutto zuzüglich 2.076,64 EUR netto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 219.996 EUR sA) sowie der beklagten Partei (Revisionsinteresse 32.726,71 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. September 2023, GZ 10 Ra 72/23s-44, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger , der bei der Beklagten seit 1. September 2002 als technischer Konsulent angestellt war, begehrt die Feststellung seines aufrechten Dienstverhältnisses über den 30. Juni 2021 hinaus und macht Gehaltsansprüche geltend; hilfsweise fordert er eine Kündigungsentschädigung.

[2] Die Beklagte hielt dem entgegen, dass ihr Geschäftsführer bereits mit 18. Februar 2021 für den Fall des Scheiterns einer einvernehmlichen Lösung eine Kündigung zum 30. Juni 2021 ausgesprochen und diese in der Folge auch mehrfach bekräftigt habe.

[3] Das Erstgericht ging von einer wirksamen, aber fristwidrigen Kündigung am 21. Juni 2021 zum 30. Juni 2021 aus und wies daher mit Teilurteil das Feststellungsbegehren ab sowie Ansprüche auf laufendes Entgelt nach diesem Tag. Es verpflichtete die Beklagte zur Zahlung einer Kündigungsentschädigung gemäß § 20 Abs 2 AngG. Den Anspruch auf Urlaubsersatzleistungen erachtete das Erstgericht für noch nicht entscheidungsreif.

[4] Das von beiden Streitteilen angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, wobei es, anders als das Erstgericht, hinsichtlich der Kündigung nicht auf ein übereinstimmendes Parteienverständnis, sondern den objektiven Erklärungswert des Chats vom 21. Juni 2021 abstellte. Eine von der Beklagten im Zusammenhang mit einer Anrechnung nach § 29 Abs 1 AngG behauptete Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens wegen unterlassener Manuduktion nach §§ 182, 182a ZPO verneinte es.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die außerordentlichen Revisionen des Klägers und der Beklagten zeigen keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

1. Zur Revision des Klägers:

[6] 1.1.1 Richtig ist, dass eine Kündigungserklärung nach ständiger Rechtsprechung bestimmt sein und zweifelsfrei erkennen lassen muss, dass und zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis enden soll, wobei Unklarheiten gemäß der allgemeinen Regel des § 915 ABGB zu Lasten des Erklärenden gehen ( RS0028555 [T5, T9]; RS0028521 ; RS0024429 ).

[7] 1.1.2 Soweit der Kläger damit argumentiert, dass der festgestellte Chatverlauf entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nach seinem objektiven Erklärungswert nicht als Kündigung, sondern nur als Androhung einer zukünftigen Kündigungserklärung verstanden werden könnte, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Auslegung von Willenserklärungen und der Erklärungsabsicht im Einzelfall vom Obersten Gerichtshof – von groben Auslegungsfehlern und sonstigen krassen Fehlbeurteilungen abgesehen – nicht zu überprüfen ist ( RS0044358 [ T31]; RS0044298, RS0042769 [T23]). Dies gilt auch im Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen (RS0028612 [T5, T9, T10]).

[8] 1.1.3 Nach den von der Lehre und der Rechtsprechung entwickelten Auslegungsgrundsätzen zu § 914 ABGB (die der Unklarheitenregel des § 915 ABGB vorgehen, vgl RS0017752) sind empfangsbedürftige Willenserklärungen und insbesondere Kündigungserklärungen so auszulegen, wie sie der Empfänger nach ihrem Wortlaut und Zweck unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände bei objektiver Betrachtungsweise sowie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste (RS0053866; RS0028622; RS0028612).

[9] Mit seinen Ausführungen vermag der Kläger aber kein unvertretbares Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts darzustellen. Das Berufungsgericht hat im Sinne der zitierten Rechtsprechung nicht nur isoliert auf den Wortlaut der einzelnen Nachrichten abgestellt, sondern auch die gesamten Begleitumstände berücksichtigt, insbesondere das seit Mitte Februar 2021 vom Geschäftsführer der Beklagten wiederholt geäußerte Ansinnen, das Dienstverhältnis mit dem Kläger wegen der schlechten Auftragslage beenden zu müssen. Davon ausgehend sowie im Hinblick auf die vom Geschäftsführer immer dringlicher urgierte Antwort auf sein Anbot auf einvernehmliche Auflösung bewegt sich die Auslegung des Berufungsgerichts, das die Chat-Nachricht „OK, dann gibt's wohl keine einvernehmliche und ich mache die Kündigung rückwirkend mit 31. März 2021 ...“ als Kündigungserklärung wertete und die nachfolgenden Bemühungen bloß als Anbot, davon wieder einvernehmlich abzugehen, im Rahmen des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums.

[10] 1.2 Auch die Beurteilung, ob eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist sowie, ob sogenannte überschießende Feststellungen unbeachtlich sind, oder in den Rahmen des geltend gemachten Rechtsgrundes fallen und daher nach der ständigen Rechtsprechung zu berücksichtigen sind, ist eine Frage des Einzelfalls ( RS0042828 ; RS0037972 [T15, T18]). Selbst wenn sich die Beklagte primär auf eine (vom Erstgericht nicht feststellbare) Kündigungserklärung am 18. Februar 2021 stützte, ist die Annahme der Vorinstanzen, ihr Vorbringen zu den wiederholten Bekräftigungen umfasse auch eine Kündigung am 21. Juni 2021, nicht unvertretbar.

[11] 1.3 Im Übrigen wendet sich der Kläger nicht mehr gegen die selbständige erstinstanzliche Hilfsb egründung, wonach sein Fortsetzungsanspruch untergegangen sei, sodass seine auf einen Weiterbestand des Dienstverhältnisses gestützten Ansprüche schon daran scheitern (vgl RS0118709).

[12] 1.4 Die Revision des Klägers ist daher mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO als unzulässig zurückzuweisen.

[13] 2. Auch die Revision der Beklagten erfüllt diese Voraussetzung nicht:

[14] Die Beklagte wiederholt in ihrem Rechtsmittel lediglich den Vorwurf, dass das erstinstanzliche Verfahren im Zusammenhang mit einer (allfälligen) Anrechnung nach § 29 Abs 1 AngG wegen einer Verletzung der Manuduktionspflicht nach §§ 182, 182a ZPO mangelhaft geblieben sei.

[15] Ein vom Gericht zweiter Instanz verneinter angeblicher Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens kann aber nach ständiger Rechtsprechung in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963; RS0106371; RS0043051 [T4]). Dies gilt ebenso im Verfahren nach dem ASGG (RS0042963 [T47]).

[16] Es kann hier auch keine Rede davon sein, dass die Berufungsentscheidung nicht durch die Aktenlage gedeckt wäre (s dazu RS0043166, RS0043092).

[17] Somit ist auch die Revision der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen.

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