20Ds12/23d – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 15. Dezember 2023 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras als Richter und die Rechtsanwälte Dr. Angermaier und Dr. Eigner als Anwaltsrichter in Gegenwart der Kontr. Kolar als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen des Disziplinarvergehens der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der * Rechtsanwaltskammer vom 15. November 2022, AZ D 21/01 (1 DV 21 17), ON 30, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Schreiber, und des Beschuldigten zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Berufung wegen Nichtigkeit wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der * Rechtsanwaltskammer verwiesen.
Mit seiner Berufung im Übrigen wird der Beschuldigte auf die aufhebende Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt * des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt schuldig erkannt.
[2] Danach hat er
1) die Bevollmächtigung des Rechtsanwalts * durch * K*, auf die sich dieser in seinem Schreiben vom 10. Juli 2020 beruft, in seinem an Rechtsanwalt * gerichteten Schreiben vom 8. Oktober 2020 in Frage gestellt, ohne dass hierfür ausreichende Anhaltspunkte bestanden hätten, und
2) durch den Inhalt seines Schreibens vom 8. Oktober 2020 in seiner Gesamtheit, insbesondere aber durch die Formulierungen „Sie glauben also zu wissen, was nach den 'einschlägigen Bestimmungen' meine Pflichten sind“, „Darüber hinaus zweifle ich nicht daran, wie Sie sehr geehrter Herr Kollege behaupten, dass Sie den Akt gelesen haben, dennoch erlaube ich mir den Hinweis, dass der Inhalt desselben nicht berücksichtigt wird“, „Ich kann Ihrem geschätzten Schreiben vom 4. August 2020 lediglich eine Frage entnehmen aber kein Angebot, sodass es unter anderem für die Nachvollziehbarkeit und Verständlichkeit mehr als hilfreich ist, dass Sie nunmehr erklärend dargelegt haben, dass Sie mit Schreiben vom 4. August 2020 ein Zahlungsangebot unterbreitet haben“, „Was Sie hingegen mit den weiteren Worten: 'Mit der Bezahlung dieses Betrages könnte ein aufwändiger Räumungsprozess und in weiterer Folge eine aufwändige Zerschlagung der Lebensgemeinschaft … ersparen' meinen, bleibt mir bis heute (sprachlich und inhaltlich) verschlossen“, „Aus meiner Sicht besteht sohin keine Pflicht meinerseits, Ihr geschätztes Schreiben zu beantworten und geht daher Ihre nicht nachvollziehbare 'Aufforderung' auch deshalb ins Leere. Aufgrund Ihrer unrechtmäßigen 'Aufforderung' nehme ich hiemit aber dennoch die Beantwortung vor, halte aber in diesem Zusammenhang ausdrücklich fest, dass ich mir die Geltendmachung der dadurch entstandenen Kosten ausdrücklich vorbehalte. Es ist Ihnen sicherlich bewusst, dass eine rechtswidrige 'Aufforderung' Kostenfolgen auslöst, auf deren Bedienung bestanden werden kann“, die Verpflichtung zur Kollegialität und zu einem höflichen Umgang sowie der angemessenen Begegnung mit Kollegen gegenüber Rechtsanwalt * verletzt und diesen unnötig persönlich in den Streit gezogen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die – (nominell) auch Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 5, Z 7, Z 9 lit a und Z 9 lit b StPO relevierende (vgl RIS Justiz RS0128656 [T1]) – Berufung des Beschuldigten.
[4] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zeigt zutreffend auf, dass die Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses die rechtliche Annahme einer Berufspflichtenverletzung nicht zu tragen vermögen.
[5] In allen Fällen für die Tatbestandsmäßigkeit entscheidenden verbalen Handelns ist es unabdingbar, dass – die rechtliche Beurteilung erst ermöglichende – Tatsachenfeststellungen zum Bedeutungsinhalt (Sinn) der inkriminierten (hier: schriftlichen) Äußerung getroffen werden, während die Wiedergabe des (exakten) Wortlauts lediglich der Begründung dieser Feststellungen dienen kann (RIS Justiz RS0092588, RS0092437 [T4]).
[6] Vorliegend hat der Disziplinarrat keine Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der einzelnen Passagen des „in seiner Gesamtheit“ inkriminierten Schreibens getroffen.
[7] So lässt sich dem Erkenntnis zu 1) nicht entnehmen, mit welcher Aussage – welchen konkreten Sinngehalts – der Beschuldigte in seinem Schreiben vom 8. Oktober 2020 die Bevollmächtigung des Rechtsanwalts * durch * K* infrage gestellt haben soll, sodass – auch mangels entsprechender Annahmen zur subjektiven Tatseite – unklar bleibt, ob der Vorgang der Vollmachtserteilung selbst oder aber die Wirksamkeit dieser Rechtshandlung infolge (bereits im Zeitpunkt der Erteilung dieser Vollmacht; vgl RIS Justiz RS0019873) fehlender Geschäftsfähigkeit der * K* angezweifelt wurde.
[8] Auch der zu 2) festgestellte Sachverhalt ermöglicht infolge Fehlens von Konstatierungen zum Bedeutungsinhalt nicht die Beurteilung, dass durch die inkriminierten Äußerungen gegen das – eine Ausformung der gesetzlichen Pflicht des Rechtsanwalts, durch Redlichkeit und Ehrenhaftigkeit in seinem Benehmen die Ehre und Würde des Standes zu wahren (§ 10 Abs 2 RAO), bildende, in eigener Sache und im Zuge einer Tätigkeit als Parteienvertreter zu beachtende – Verbot verstoßen wurde, andere Rechtsanwälte in den Streit zu ziehen und (unnötig) persönlich anzugreifen (RIS-Justiz RS0056115; Engelhart in Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 21 RL BA 2015 Rz 2).
[9] Schon aufgrund dieses Feststellungsdefizits war in Stattgebung der B erufung wegen Nichtigkeit – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – das angefochtene Erkenntnis aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der * Rechtsanwaltskammer verwiesen. Eines Eingehens auf das weitere Vorbringen bedarf es nicht.
[10] Mit seiner Berufung im Übrigen war der Beschuldigte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.