JudikaturOGH

15Os125/23f – OGH Entscheidung

Entscheidung
Strafrecht
14. Dezember 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Dezember 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Sekljic in der Strafsache gegen * S* wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 28. Juli 2023, GZ 18 Hv 3/23h 30, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Ramusch LL.M. LL.M., des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Sollhart sowie des Privatbeteiligtenvertreters Mag. Sparowitz zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch I./2./ und demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und es wird im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

* S* wird für die ihm weiterhin zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB (I./1./) und das Vergehen der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 Abs 1a StGB (II./), unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 205 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird verworfen.

Mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * S* des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB (I./1./), des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (I./2./) und des Vergehens der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 Abs 1a StGB (II./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er

I./1./ am 23. August 2018 in F* den am 10. Oktober 2003 geborenen * H*, „der sich zunächst im Tiefschlaf befand und sodann schlafend stellte“, sohin eine wehrlose Person, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er mit und an ihm eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vornahm und an sich vornehmen ließ, „indem er ihm seine Unterhose auszog, ihn auf den Mund küsste, seine Hand erfasste und mit dessen Hand seinen eigenen Penis masturbierte, den Penis des * H* masturbierte und an ihm den Oralverkehr bis zum Samenerguss vollzog“;

2./ durch die unter Punkt 1./ beschriebene Handlung mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person eine geschlechtliche Handlung vorgenommen und an sich vornehmen lassen;

II./ nachts zum 25. August 2019 in M* * Sc* durch intensive Berührungen einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle in ihrer Würde verletzt, indem er ihre Hose herunterzog, ihr Gesäß entblößte und betastete.

Rechtliche Beurteilung

[3] Der auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 10 und 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – teilweise Berechtigung zu.

[4] Die gegen den Schuldspruch I./1./ gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde versagt:

[5] Vorauszuschicken ist, dass Tatsachenfest-stellungen nur insoweit mit Mängelrüge (Z 5) bekämpfbar sind, als sie die Frage der rechtlichen Kategorie einer oder mehrerer strafbarer Handlungen beantworten und solcherart im Sinn der Z 5 entscheidend sind (RIS Justiz RS0117499).

[6] Das Schöffengericht stellte fest , dass der sich im Tiefschlaf befindliche H* aufwachte, „als er die Berührungen [im Intimbereich] wahrnahm“, […] er sich – noch schlaftrunken – nicht traute, sich zu bewegen oder aufzustehen, und er wie erstarrt war (US 3 f), sodass ihm die Leistung eines Widerstands unzumutbar und aussichtslos erschien (US 7).

[7] Für die rechtliche Annahme von Wehrlosigkeit iSd § 205 Abs 1 StGB kommt es darauf an, dass ein Widerstand für das Opfer aus körperlichen oder geistigen Gründen unmöglich, aussichtslos oder unzumutbar ist. Sowohl eine schlafende als auch eine im Erwachen begriffene Person kann sich in einem Zustand befinden, der sie zum Widerstand unfähig macht (RIS Justiz RS0119550 [T3], RS0095097, RS0102727; Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari , S tGB 14 § 205 Rz 1; Philipp in WK 2 StGB § 205 Rz 7).

[8] Nicht entscheidend ist hingegen, ob das – nach den Feststellungen im Urteil nach dem Erwachen weiterhin widerstandsunfähige – Opfer bereits durch das Herunterziehen der Hose und Unterhose durch den Angeklagten oder (erst) durch dessen Berührungen im Intimbereich aufwachte, ob es sich im Tiefschlaf oder einer anderen Schlafphase befunden hatte, und ob es eine Hose und eine Unterhose oder bloß eine Unterhose anhatte.

[9] Das diesbezügliche Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 zweiter, vierter und fünfter Fall) verfehlt daher von vornherein den Bezugspunkt der unternommenen Anfechtung ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 391).

[10] Die Tatsachenrüge (Z 5a) soll nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern (RIS Justiz RS0118780). Indem der Beschwerdeführer jedoch bloß auf Basis einer eigenständigen Bewertung der – vom Schöffensenat ohnehin gewürdigten (US 6) – Angaben des Zeugen H* für den Angeklagten günstigere Schlüsse zieht, gelingt es ihm nicht, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellungen zur Wehrlosigkeit des genannten Opfers zu erwecken.

[11] Die Subsumtionsrüge (Z 10) zu I./1./ macht nicht klar , weshalb mit Blick auf die bereits zitierten Konstatierungen, nicht vom Vorliegen einer Wehrlosigkeit iSd § 205 Abs 1 StGB auszugehen sein sollte (vgl erneut RIS Justiz RS0119550 [T3], RS0095097, RS0102727). Indem der Rechtsmittelwerber behauptet, aus dem erstgerichtlichen Ausspruch, dass H* beim Auskleiden aufgewacht sei und sich schlafend gestellt habe (US 3 f), sei abzuleiten, dass er sich bewusst schlafend gestellt habe und bei den Tathandlungen nicht wehrlos gewesen sei, bekämpft er bloß unzulässig die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung. Der Nichtigkeitswerber argumentiert – prozessordnungswidrig – nicht auf Basis des festgestellten Sachverhalts (RIS Justiz RS0099810).

[12] In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher zu verwerfen.

[13] Im Recht ist hingegen die Subsumtionsrüge (Z 10) zu I./2./ in Bezug auf die Unterstellung der zu I./1./ geschilderten Tathandlungen unter § 212 Abs 1 Z 2 StGB. Die „Ausnützung“ einer Autoritätsstellung gegenüber dem iSd § 205 Abs 1 erster Fall StGB wehrlosen Tatopfer ist bereits begrifflich ausgeschlossen, weshalb eine Subsumtion des festgestellten Sachverhalts auch nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB nicht in Betracht kommt (RIS-Justiz RS0106294 [T4]).

[14] Dieser aufgezeigte Subsumtionsfehler zwingt zur Aufhebung des Schuldspruchs I./2./ und daraus folgend auch des Strafausspruchs, womit sich ein Eingehen auf die Sanktionsrüge (Z 11) erübrigt.

[15] Bei der Strafneubemessung war unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB nach § 205 Abs 1 StGB von einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe auszugehen.

[16] Dabei wertete der Oberste Gerichtshof das Zusammentreffen von zwei strafbaren Handlungen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) sowie die Vor v erurteilung wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender Taten (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB) erschwerend. Besondere Milderungsgründe lagen nicht vor. Von einem längeren Zurückliegen der Taten iSd § 34 Abs 1 Z 18 StGB kann entgegen dem Berufungsvorbringen nicht gesprochen werden (vgl Fabrizy/Michel Kwapinski/Oshidari , StGB 14 § 34 Rz 15). Davon ausgehend ist die im Spruch ersichtliche Freiheitsstrafe schuldangemessen.

[17] Eine teilbedingte Strafnachsicht (§ 43a Abs 4 StGB) kommt mangels hoher Wahrscheinlichkeit künftigen Wohlverhaltens nicht in Betracht.

[18] Mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe war der Angeklagte auf die Strafneubemessung zu verweisen.

[19] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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