JudikaturOGH

2Ob178/23z – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Dezember 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Kikinger und die Hofrätinnen Mag. Fitz und Mag. Waldstätten als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch BRANDL TALOS Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei COVID 19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH, Taborstraße 1–3/OG 14, Wien 2, vertreten durch ALTHUBER SPORNBERGER PARTNER Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 100.000 EUR sA, aus Anlass des Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Juni 2023, GZ 2 R 63/23h 17, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 15. Februar 2023, GZ 14 Cg 30/22d 11, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Der Oberste Gerichtshof stellt den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge nachstehende Bestimmung des Anhangs zur Verordnung des Bundesministers für Finanzen gemäß § 3b Abs 3 ABBAG Gesetz betreffend Richtlinien über die Gewährung eines Verlustersatzes durch die COVID 19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (COFAG) (VO über die Gewährung eines Verlustersatzes), BGBl II 568/2020 idF BGBl II 75/2021, als gesetzwidrig aufheben:

Pkt 7.6 [...] „Auf Gewährung eines Verlustersatzes besteht kein Rechtsanspruch.“

II. Mit dem Verfahren über den Rekurs der beklagten Partei wird bis zur Zustellung der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin wurde 2016 – noch unter anderem Firmenwortlaut – als bloße Vorratsgesellschaft ohne operative Tätigkeit im Firmenbuch eingetragen. Die R* AG beabsichtigte bereits im April 2018, in Korneuburg einen Produktionsstandort für hochwertige Cannabisprodukte aufzubauen. Zur Umsetzung dieses Vorhabens übernahm sie mit 18. 4. 2018 die Klägerin als Alleingesellschafterin. Mit Beitritts- und Übernahmeerklärung vom 4. 9. 2018 traten drei natürliche Personen der Klägerin als Gesellschafter bei. Zum 7. 9. 2018 wurde der Firmenwortlaut geändert. Im Gewerbeinformationssystem erfolgte mit 19. 9. 2018 die Eintragung der Gewerbeberechtigung für das freie Gewerbe „Handelsgewerbe mit Ausnahme der reglementierten Handelsgewerbe“, mit 29. 10. 2019 für das reglementierte Gewerbe „Herstellung von Arzneimitteln und Giften und Großhandel mit Arzneimitteln und Giften“. Spätestens seit Ende des Jahres 2018 begann die Klägerin mit Mitteln aus dem Konzernverband, den Produktionsbetrieb (Lagerhalle samt zur Produktion erforderliche Doppelzellen) in Korneuburg aufzubauen. Die Serienproduktion sollte ursprünglich Anfang des Jahres 2020 aufgenommen werden. Bereits im Jahr 2019 waren jedenfalls zeitweise mehr als zehn Personen (neben technischen Experten auch Arbeitspersonal) bei der Klägerin angestellt. In diesem Zeitraum wurden erste Testchargen zur Überprüfung des Produktionsvorgangs und zur Kalibrierung durchgeführt. Die Klägerin erwarb bereits 2019 die für die spätere Herstellung der Produkte erforderlichen Materialien. Eine Serienproduktion oder ein tatsächlicher Verkauf der Waren an Kunden erfolgte im Jahr 2019 noch nicht. Die Klägerin erzielte im Geschäftsjahr 2019 (1. 1. 2019 bis 31. 12. 2019) lediglich ganz geringfügige, sonstige betriebliche Erträge in Höhe von 880,01 EUR.

[2] Aufgrund lieferbedingter Verzögerungen hätte die Klägerin ihre Serienproduktion schließlich nicht wie geplant bereits im Jänner 2020, sondern erst rund zwei Monate später starten können. Sie nahm von diesem Vorhaben jedoch aufgrund der COVID 19 Maßnahmen (Lockdown) Abstand. Tatsächlich erzielte sie im gesamten Jahr 2020 (ausschließlich im Oktober) Umsätze in Höhe von nur 3.232 EUR.

[3] Die Klägerin beantragte am 6. 4. 2021 nach der auf Grundlage des § 3b Abs 3 des ABBAG Gesetzes erlassenen Verordnung „Richtlinien über die Gewährung eines Verlustersatzes durch die COVID 19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (COFAG) (Verordnung über die Gewährung eines Verlustersatzes)“ (VEVO) samt im Anhang befindlicher Richtlinien (RL VEVO; BGBl II 568/2020 idF BGBl II 75/2021) in der Tranche 1 Verlustersatz in Höhe von 876.140,37 EUR für den Betrachtungszeitraum 16. 9. 2020 bis 30. 6. 2021. Als neu gegründetes Unternehmen könne sie mangels vergleichbarer Umsätze im Vergleichszeitraum 2019 den Verlustersatz gemäß Pkt 4.5.1 RL VEVO anhand einer Planungsrechnung berechnen. Diese nahm für den Betrachtungszeitraum einen Umsatz von 4.610.701 EUR an. Tatsächlich erwirtschaftete die Klägerin in diesem Zeitraum lediglich 74.418 EUR.

[4] Die Beklagte lehnte den Antrag unter Hinweis darauf ab, dass es sich bei der Klägerin um keine Neugründung handle und daher die Voraussetzungen für die Erstellung einer Planungsrechnung nicht vorlägen.

[5] Über den am 31. 3. 2022 im Rahmen der Tranche 2 abermals auf eine Planungsrechnung gestützten Antrag der Klägerin auf Verlustersatz hat die Beklagte noch nicht entschieden.

[6] Die Klägerin begehrt die Zahlung von 100.000 EUR als Teilbetrag des von ihr beantragten Verlustersatzes der Tranche 1. Die Ablehnung ihres Antrags sei aus unsachlichen Gründen erfolgt. Unter Zugrundelegung der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise handle es sich bei der Klägerin um eine Neugründung gemäß Pkt 4.5.1 RL VEVO, weil sie erst im Jahr 2019 begonnen habe, ihr Unternehmen aufzubauen. Voraussetzung für den Nachweis des Verlusts durch eine Planungsrechnung sei aber ohnehin lediglich das Fehlen vergleichbarer umsatz- oder ertragssteuerlicher Daten aus dem Jahr 2019 sowie das Lukrieren von Umsätzen vor dem 1. 11. 2020. Die Beklagte selbst verweise in Pkt 1.15 ihrer öffentlich abrufbaren Website in den FAQ auf die Möglichkeit der analogen Anwendung von Pkt 4.5.1 RL VEVO auf Unternehmen, deren Rechtsträger nicht neu gegründet worden seien.

[7] Die Beklagte wendet – soweit im Re kur sverfahren relevant – im Wesentlichen ein, nur nach dem 31. 12. 2019 gegründete Unternehmen seien Neugründungen iSd Pkt 4.5.1 RL VEVO. Pkt 1.15 der als AGB der privatrechtlichen Förderverträge zu wertenden FAQ beziehe sich nur auf Unternehmen, die bereits vor 2020 Umsätze erzielt hätten, bei denen jedoch die Umsatzdaten nicht vergleichbar seien. Die Klägerin habe aber gar nicht geplant, im Jahr 2019 schon Umsätze zu erzielen.

[8] Das Erstgericht wies die Klage ab. Die nachträglich durch die Beklagte erstellten FAQ seien keine über den Richtlinien der Verordnung stehende, diese verändernde Rechtsquelle. Bei der Klägerin handle es sich um keine Neugründung iSd Pkt 4.5.1 der RL VEVO, weil die Gründung jedenfalls schon mit der Übernahme der Vorratsgesellschaft anzunehmen sei. Es lägen ohnehin vergleichbare Daten für das Geschäftsjahr 2019 vor, die aber keinen Anspruch auf Verlustersatz begründeten.

[9] Das Berufungsgericht hob das von der Klägerin angefochtene Urteil auf und trug dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Dem Begriff der Neugründung komme keine maßgebliche Bedeutung zu. Entscheidend sei lediglich, dass das Unternehmen vor dem 1. 11. 2020 Umsätze erzielt habe und keine vergleichbaren umsatz- oder ertragssteuerlichen Daten für 2019 vorlägen. Mangels „normalen“ Geschäftsbetriebs im Jahr 2019 seien aber noch keine vergleichbaren Daten vorhanden. Die Klägerin könne daher ihre Umsätze anhand einer Planungsrechnung plausibilisieren. Da sie erstmals im Oktober 2020 Umsätze erwirtschaftet habe, scheide eine Antragstellung für die Monate September und Oktober 2020 jedoch aus, was noch zu erörtern sei. Das Erstgericht habe im weiteren Verfahren die Planungsrechnung einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zur Auslegung des Pkt 4.5.1 der RL VEVO zu, weil Rechtsprechung zu dieser über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Frage fehle.

[10] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben, in eventu, die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Klägerin beantragt, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

[12] 1. Nach Ausbruch der Corona-Pandemie wurde mit dem COVID 19 Gesetz ( BGBl I 2020/12 ) das ABBAG Gesetz (Stammfassung BGBl I 2014/51 ) zur Ermöglichung finanzieller Hilfen an Unternehmen in mehreren Punkten ergänzt. Insbesondere wurde der Bundesminister für Finanzen in § 3b Abs 3 ABBAG Gesetz ermächtigt, mit Verordnung Richtlinien zur Gewährung finanzieller Unterstützungen zu erlassen. Diese Bestimmung war auch die Grundlage für die hier relevante Verordnung.

[13] Gemäß § 6a Abs 2 ABBAG Gesetz wurde – auf Basis von § 2 Abs 2a dieses Gesetzes – über Auftrag des Bundesministers für Finanzen die Beklagte gegründet und dieser die Erbringung der Dienstleistungen und finanziellen Maßnahmen gemäß § 2 Abs 2 Z 7 ABBAG Gesetz übertragen. Der Bund stattet die Beklagte so aus, dass diese in der Lage ist, die ihr übertragenen kapital- und liquiditätsstützenden Maßnahmen bis zu einem Höchstbetrag von 19 Milliarden Euro zu erbringen und ihre finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen.

[14] Gemäß § 3b Abs 2 ABBAG Gesetz besteht auf die Gewährung von finanziellen Maßnahmen kein Rechtsanspruch.

[15] 2. Die im vorliegenden Fall anzuwendenden Bestimmungen der gemäß § 3b Abs 3 ABBAG Gesetz erlassenen RL VEVO lauten wie folgt (Hervorhebungen durch den Senat):

„1 Präambel

1.4 Der Verlustersatz hat der Erhaltung der Zahlungsfähigkeit, Vermeidung einer insolvenzrechtlichen Überschuldung und Überbrückung von Liquiditätsschwierigkeiten von Unternehmen im Zusammenhang mit der Ausbreitung von COVID-19 zu dienen.

2.4 Die COFAG hat den Verlustersatz nach diesen Richtlinien zu gewähren. Innerhalb dieser Richtlinien sind die Organe der COFAG bei den Entscheidungen über den Verlustersatz weisungsfrei.

3. Begünstigte Unternehmen

3.2 Ausgenommen von der Gewährung eines Verlustersatzes sind:

3.2.6 Neu gegründete Unternehmen, die vor dem 1. November 2020 noch keine Umsätze gemäß Punkt 4.4.1 (Waren- und/oder Leistungserlöse) erzielt haben. …

4 Ermittlung und Höhe des Verlustersatzes

4.1 Der Verlustersatz wird ab einem Umsatzausfall von mindestens 30% und unter der Voraussetzung, dass der gesamte Verlustersatz mindestens EUR 500 beträgt, gewährt.

4.2 Ausgangspunkt für die Ermittlung des Verlustersatzes ist der Verlust, den der Antragsteller in den antragsgegenständlichen Betrachtungszeiträumen aufgrund seiner operativen Tätigkeit im Inland erleidet.

4.4 Umsätze und Umsatzausfall

4.4.1 Für die Berechnung der Umsätze eines Unternehmens im Sinne dieser Richtlinien ist auf die für die Einkommen- oder Körperschaftsteuerveranlagung oder in der Feststellung gemäß § 188 BAO maßgebenden Waren- und/oder Leistungserlöse abzustellen.

4.4.2 Bei der Berechnung des Umsatzausfalls sind ein oder mehrere der folgenden Betrachtungszeiträume zu wählen, wobei sich der Umsatzausfall aus dem Vergleich zu den jeweils entsprechenden Zeiträumen des Jahres 2019 (Vergleichszeiträume ) ergibt:

(a)

Betrachtungszeitraum 1: 16. September 2020 bis

30. Septe mber 2020;

(b)

Betrachtungszeitraum 2: Oktober 2020;

(c)

Betrachtungszeitraum 3: November 2020;

(d)

Betrachtungszeitraum 4: Dezember 2020;

(e)

Betrachtungszeitraum 5: Jänner 2021;

(f)

Betrachtungszeitraum 6: Februar 2021;

(g)

Betrachtungszeitraum 7: März 2021;

(h)

Betrachtungszeitraum 8: April 2021;

(i)

Betrachtungszeitraum 9: Mai 2021;

(j)

Betrachtungszeitraum 10: Juni 2021.

Jene neu gegründeten Unternehmen , die erstmalig zwischen dem 16. September 2020 und dem 1. November 2020 Umsätze gemäß Punkt 4.4.1 (Waren- und/oder Leistungserlöse) erzielt haben, dürfen die Betrachtungszeiträume gemäß lit. a und lit. b nicht auswählen.

...

4.5 Neugründungen, Erwerbe von (Teil-)Betrieben oder Mitunternehmeranteilen und Umgründungen

4.5.1 Unternehmen, die vor dem 1. November 2020 bereits Umsätze gemäß Punkt 4.4.1 (Waren- und/oder Leistungserlöse) erzielt haben, für die aber keine vergleichbaren umsatz- oder ertragsteuerlichen Daten für das Jahr 2019 vorliegen, können die Umsatzausfälle anhand einer Planungsrechnung plausibilisieren und auf dieser Grundlage einen Verlustersatz beantragen.

4.5.2 Bei der Ermittlung des Umsatzausfalls ist im Fall des Erwerbs oder der Veräußerung von (Teil-)Betrieben oder Mitunternehmeranteilen oder im Falle von Umgründungen auf die jeweilige vergleichbare wirtschaftliche Einheit abzustellen. In diesen Fällen ist durch einen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Bilanzbuchhalter zu bestätigen, dass

7.6 Der Verlustersatz wird auf Grundlage einer privatrechtlichen Vereinbarung gewährt. Auf die Gewährung eines Verlustersatzes besteht kein Rechtsanspruch.“

3. Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs

[16] 3.1 Mit Erkenntnis vom 5. 10. 2023, G 265/2022 , hob der Verfassungsgerichtshof § 2 Abs 1 Z 3, § 2 Abs 2 Z 7, § 2 Abs 2a, § 3b Abs 2 und § 6a des ABBAG Gesetzes mit Ablauf des 31. 10. 2024 als verfassungswidrig auf. Er ging davon aus, dass der Gesetzgeber (nach wie vor) Aufgaben der Privatwirtschaftsverwaltung im Sinne des Art 20 Abs 1 B VG auf die Beklagte überträgt bzw übertragen hat (Rz 62), die Ausgliederung aber dem Sachlichkeitsgebot widerspricht (Rz 85). Ebenso qualifizierte er den (generellen) Ausschluss eines Rechtsanspruchs als Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot (Rz 118). Er ging davon aus, dass die einschlägigen Regelungen des ABBAG Gesetzes und die auf deren Grundlage erlassenen Verordnungen keine (bloßen) – nur die Vollzugsorgane im internen Verhältnis bindenden und die Rechtssphäre von Einzelpersonen nicht berührenden – Selbstbindungsregelungen sind, weil sich diese nicht an den Bundesminister (für Finanzen), sondern an die Beklagte als außerhalb der Staatsorganisation stehende Einrichtung richten (Rz 115). Überdies ist Adressat der Förderregelung der gesamte Kreis der in Frage kommenden Leistungswerber. Die Ausgleichsleistungen werden vom Gesetzgeber offenkundig zumindest zum Teil auch als funktionelles Äquivalent für (hoheitlich zu gewährende) Entschädigungen nach dem Epidemiegesetz angesehen, sodass der kategorische Ausschluss eines Rechtsanspruchs – trotz Fiskalgeltung der Grundrechte – einen Verstoß gegen das aus dem Gleichheitsgrundsatz erfließende Sachlichkeitsgebot darstellt (Rz 121 f).

[17] Der Verfassungsgerichtshof hielt fest, dass durch die Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen die Beklagte nicht ihre Rechtspersönlichkeit verliert und auch nicht gehindert ist, weiterhin – bis zur gesetzlichen Neuregelung – die ihr bisher übertragenen Tätigkeiten auszuüben (Rz 126). Die Aufhebung der Bestimmungen hindert nicht die gerichtliche Fortsetzung von anhängigen Verfahren (vgl VfGH V 139/2022, G 108/2022 Rz 79). Hat der Verfassungsgerichtshof – wie im vorliegenden Fall – gemäß Art 140 Abs 5 B VG eine Frist für das Außerkrafttreten bestimmt, dann gehört bis zu diesem Zeitpunkt – verfassungsrechtlich unangreifbar – die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung dem Rechtsbestand an und ist daher anzuwenden (RS0054001). Die aufgehobenen Gesetzesbestimmungen sind auch keine materiell- oder verfahrensrechtliche Grundlage der hier anzuwendenden RL VEVO (vgl VfGH V 236/2022 Rz 49 [Fixkostenzuschuss VO]).

[18] 3.2 Mit Erkenntnis vom 5. 10. 2023, V 236/2022 , hob der Verfassungsgerichtshof ua auch Pkt 2.4 zweiter Satz der hier anzuwendenden RL VEVO idF BGBl II 75/2021, wonach die Beklagte bei Entscheidungen über einen Verlustersatz innerhalb der Richtlinien weisungsfrei ist, als gesetzwidrig auf.

[19] 4. Die vom Verfassungsgerichtshof bereits dargelegten Bedenken gegen den Ausschluss eines Rechtsanspruchs in § 3b Abs 2 ABBAG Gesetz (vgl Pkt 3.1) gelten nach Ansicht des Senats in gleicher Weise in Bezug auf den im vorliegenden Fall unmittelbar anzuwendenden (vgl zum Erfordernis der Präjudizialität: RS0054015) zweiten Satz des Pkt 7.6 RL VEVO, der ebenfalls einen Rechtsanspruch auf Verlustersatz ausschließt.

[20] Die einschlägigen Regelungen des ABBAG Gesetzes und die auf deren Grundlage erlassene RL VEVO idF BGBl II 75/2021 sind keine (bloßen) – nur die Vollzugsorgane im internen Verhältnis bindenden und die Rechtssphäre von Einzelpersonen nicht berührenden – Selbstbindungsregelungen, weil sie sich nicht an den Bundesminister (für Finanzen), sondern an die Beklagte als außerhalb der Staatsorganisation stehende Einrichtung richten. Adressat der Förderregelung ist der gesamte Kreis der in Frage kommenden Leistungswerber. Die Ausgleichsleistungen werden vom Gesetzgeber zumindest zum Teil auch als funktionelles Äquivalent für (hoheitlich zu gewährende) Entschädigungen nach dem Epidemiegesetz angesehen, sodass der kategorische Ausschluss eines Rechtsanspruchs – trotz Fiskalgeltung der Grundrechte – einen Verstoß gegen das aus dem Gleichheitsgrundsatz erfließende Sachlichkeitsgebot darstellt.

[21] Es wird daher auch die Aufhebung des zweiten Satzes des Pkt 7.6 RL VEVO durch den Verfassungsgerichtshof beantragt.

[22] Die Bestimmung ist auch nicht wie § 3b Abs 2 ABBAG Gesetz bis zur Neureglung immunisiert, weil sie noch nicht Gegenstand der Prüfung des Verfassungsgerichtshofs war. Da Gesetzwidrigkeit iSd Art 139 B VG nicht nur Gesetze im formellen Sinn, sondern jede übergeordnete Rechtsquelle und daher auch die Verfassung meint ( Bußjäger in Kahl/Khakzadeh/Schmid , Kommentar zum Bundesverfassungsrecht B VG und Grundrechte Art 139 B VG Rz 5), schadet es nicht, dass sie dem bis zum Außerkrafttreten verfassungsrechtlich unangreifbaren § 3b Abs 2 ABBAG Gesetz entspricht.

[23] Gesetzliche Grundlage der Verordnung ist § 3b Abs 3 ABBAG Gesetz, der – wie der Verfassungsgerichtshof bereits festgehalten hat (VfSlg 20.518/2021 ) – nicht gegen das Bestimmtheitsgebot des Art 18 B VG verstößt. Dadurch, dass die angefochtene Verordnungsbestimmung gleichheitswidrig einen Rechtsanspruch ausschließt, verstößt sie (auch) gegen § 3b Abs 3 ABBAG Gesetz, indem sie diesem einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt (vgl V 145/2022 ua Pkt IV.2.8. [Punkt 3.1.7 des Anhangs 1 zur VO Lockdown-Umsatzersatz]).

[24] 5. Mit dem Verfahren über den Rekurs ist bis zur Zustellung der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs innezuhalten (§ 62 Abs 3 VfGG).

Rückverweise