4Nc21/23k – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen M*, geboren am *2006, AZ 9 Pg 101/18f des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien, infolge Vorlage zur Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 3. April 2023, GZ 9 Pg 101/18f 88, ausgesprochene Übertragung der Zuständigkeit zur Führung des Pflegschaftsverfahrens an das Bezirksgericht Mattighofen wird nicht genehmigt.
Text
Begründung:
[1] Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien führt aufgrund seiner Auffangzuständigkeit gemäß § 109 Abs 2 JN wegen des unbekannten Aufenthalts des Minderjährigen ein Pflegschaftsverfahren. Mit der Obsorge für ihn im Umfang der Vermögensverwaltung und der Vertretung seiner erbrechtlichen Interessen nach dem Großvater väterlicherseits ist das Land Oberösterreich (BH Braunau) als zuständiger Kinder und Jugendhilfeträger betraut. Einem im Namen des Minderjährigen geschlossenen Erbteilungsübereinkommen wurde die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung versagt. Dem Minderjährigen wurde der (gegen Null tendierende) Nachlass nach dem Großvater zu 2/45 eingeantwortet. Nachlasszugehörig ist auch ein Anteil an einer Liegenschaft im Sprengel des Bezirksgerichts Mattighofen.
[2] Mit Beschluss vom 3. 4. 2023 übertrug das Bezirksgericht Innere Stadt Wien die Zuständigkeit an das Bezirksgericht Mattighofen, da für den Minderjährigen nun die Bezirkshauptmannschaft Braunau die teilweise Obsorge des Landes Oberösterreich wahrnehme, sich die erbrechtlichen Ansprüche des Minderjährigen auch auf eine Liegenschaft in S* bezögen und es daher zweckmäßig erscheine, die Zuständigkeit dem örtlich nächstgelegenen Gericht zu übertragen, bei dem auch das Verlassenschaftsverfahren geführt worden sei.
[3] Das Bezirksgericht Mattighofen verweigerte die Übernahme, weil das örtlich nächstgelegene Gericht zur Bezirkshauptmannschaft Braunau nicht das Bezirksgericht Mattighofen, sondern das Bezirksgericht Braunau am Inn sei.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die Übertragung ist nicht zu genehmigen.
[5] 1. Wenn dies im Interesse eines Minderjährigen oder einer sonst schutzberechtigten Person gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird, kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen (§ 111 Abs 1 JN). Ausschlaggebendes Kriterium für die Zuständigkeitsübertragung nach dieser Gesetzesstelle ist das Kindeswohl (RS0047074). Dabei ist in der Regel das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht von wesentlicher Bedeutung, sodass im Allgemeinen das Gericht am Besten geeignet ist, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat und der Mittelpunkt seiner Lebensführung liegt (RS0047300).
[6] 2. Im vorliegenden Fall besteht kein Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und dem Bezirksgericht Mattighofen. Der Pflegebefohlene ist unbekannten Aufenthalts. Dies führt nach § 109 Abs 2 JN zur (Auffang )Zuständigkeit des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien. Inwiefern durch eine Übertragung der Zuständigkeit an ein anderes Gericht eine wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes gefördert werden könnte, ist nicht ersichtlich. Mangels eines nachvollziehbaren Interesses des Minderjährigen an einer Zuständigkeitsübertragung hat es daher bei der gesetzlichen Zuständigkeitsregel zu bleiben.