JudikaturOGH

2Nc88/23y – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. November 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, die Hofräte Hon. Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger sowie die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei M*, vertreten durch Dr. Wolfgang Renner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien und Gegner der gefährdeten Partei 1. S*, 2. K*, 3. D*, 4. M*, 5. D*, und 6. D*, alle vertreten durch bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Nichtigerklärung von Beschlüssen, hier wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung, über die Befangenheitsanzeige des * vom 17. November 2023 im Revisionsrekursverfahren zu AZ * den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Es besteht ein zureichender Grund, die Unbefangenheit * in der zu AZ * anhängigen Rechtssache in Zweifel zu ziehen.

Text

Begründung:

[1] Das im Spruch genannte Verfahren ist im *. Senat des Obersten Gerichtshofs angefallen, dessen Mitglied * ist. Gegenstand des Verfahrens ist die Bekämpfung mehrerer, im Juni 2023 in der Hauptversammlung der Erstbeklagten gefasster Beschlüsse über die Erhöhung und Herabsetzung des Grundkapitals. Mit ihrem Sicherungsantrag möchte die Klägerin die Ausführung der gefassten Beschlüsse aufschieben.

[2] Die Vorinstanzen wiesen den Sicherungsantrag übereinstimmend ab. Die Klägerin strebt mit ihrem Revisionsrekurs die Stattgebung des Sicherungsantrags an.

[3] * führt in seiner Anzeige möglicher Befangenheit aus, dass er seit längerer Zeit (in einem Umfang, der ihm keine Einflussmöglichkeit auf die Geschäftsführung ermögliche) Aktien der Erstbeklagten halte und daher rechtlich und wirtschaftlich von den nunmehr angefochtenen Beschlüssen vom Juni 2023 betroffen sei. Er habe sich „durchaus im Interesse der beabsichtigten ,Verwässerung‘ der Anteile der Klägerin im Sinn der von der EU beschlossenen Sanktionsmaßnahmen“ für die Variante „Bezug neuer Aktien“ entschlossen. Er fühle sich zwar im Sinn der „Massenverfahrens Judikatur“ subjektiv nicht befangen, zeige aber an, dass seine Unbefangenheit objektiv in Zweifel gezogen werden könnte.

Rechtliche Beurteilung

Die Befangenheitsanzeige ist begründet :

[4] 1. Ein zureichender Grund, die Unbefangenheit eines Richters iSv § 19 Z 2 JN in Zweifel zu ziehen, liegt nach ständiger Rechtsprechung schon dann vor, wenn bei objektiver Betrachtungsweise der äußere Anschein der Voreingenommenheit – also der Hemmung einer unparteiischen Entschließung durch unsachliche Motive (RS0045975) – entstehen könnte (RS0046052 [T2, T10]; RS0045949 [T2, T6]), dies auch dann, wenn der Richter tatsächlich (subjektiv) unbefangen sein sollte (RS0045949 [T5]). Dabei ist zur Wahrung des Vertrauens in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Rechtsprechung ein strenger Maßstab anzuwenden (vgl RS0045949).

[5] 2. Auch wenn einem Richter in einem Massenverfahren – etwa im Zusammenhang mit sogenannten Klauselprozessen – im Allgemeinen zugesonnen werden muss, dass er in der Lage sein wird, trotz einer gewissen (allfälligen) persönlichen Betroffenheit eine objektive und von unsachlichen Überlegungen freie Entscheidung zu treffen (6 Nc 29/19w Punkt 3.2.4.; vgl auch 8 Nc 34/16s ecolex 2017/187 und 2 Nc 36/19w), ist im hier zu beurteilenden Einzelfall doch Folgendes zu berücksichtigen:

[6] Der seine mögliche Befangenheit anzeigende Richter hat in seiner Äußerung zur von ihm getroffenen Entscheidung für den Bezug neuer Aktien ausgeführt, damit „durchaus im Interesse der beabsichtigten ,Verwässerung‘ der Anteile der Klägerin“ gehandelt zu haben. Die darin liegende inhaltliche Positionierung führt im Zusammenhalt mit dem im vorliegenden Fall engen Konnex zwischen dem Verfahrensgegenstand (Nichtigerklärung von in der Hauptversammlung gefassten Beschlüssen) und der rechtlichen Betroffenheit des Richters (Auswirkung der Entscheidung auf den Aktionär) bei objektiver Betrachtungsweise zur Bejahung des äußeren Anscheins der Voreingenommenheit.

[7] 3. Daher ist auszusprechen, dass ein zureichender Grund vorliegt, die Unbefangenheit des Richters in Zweifel zu ziehen. Das schließt seine Mitwirkung an der Entscheidung in der im Spruch genannten Rechtssache aus.

Rückverweise