JudikaturOGH

1Ob141/23a – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. November 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Peter Lessky, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, und die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. Dr. W*, vertreten durch Mag. Klaus Ainedter, Rechtsanwalt in Wien, und 2. R*, vertreten durch Dr. Alfred Steinbuch, Rechtsanwalt in Neunkirchen, wegen 1.450.026,50 EUR, über den Rekurs des 2. Neben-intervenienten auf Beklagtenseite gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 19. Juni 2023, GZ 14 Nc 10/23m 29, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 4.157,16 EUR (darin 692,86 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin macht im Verfahren 25 Cg 120/22b des Landesgerichts Wiener Neustadt Amtshaftungsansprüche geltend, die sie aus diversen Vorgängen in einem (ihre Rechtsvorgängerin betreffenden) Pflegschaftsverfahren in Zusammenhang mit einem Verlassenschaftsverfahren (nach deren Ehegatten) ableitet.

[2] Die Beklagte bestritt ebenso wie der auf ihrer Seite beigetretene 1. Nebenintervenient (Gerichtskommissär im Verlassenschaftsverfahren) und 2. Nebenintervenient (Sachwalter bzw Erwachsenenvertreter im Pflegschaftsverfahren) das Begehren.

[3] Nach Erörterung in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung legte das Landesgericht Wiener Neustadt den Akt am 9. 6. 2023 dem Oberlandesgericht Wien gemäß § 9 Abs 4 AHG vor.

[4] Mit der angefochtenen Entscheidung lehnte das Oberlandesgericht als Erstgericht eine Delegierung ab, weil kein Fall des § 9 Abs 4 AHG vorlieg e . Zwar habe die Klägerin ihre Ansprüche zunächst auch auf eine Rekursentscheidung des Landesgerichts Wiener Neustadt gestützt, gleich darauf aber vorgebracht, dass diese Rekursentscheidung in keinem sachlichen Zusammenhang mit den geltend gemachten Schadenersatzansprüchen stehe, und das Klagebegehren entsprechend eingeschränkt. Damit leite sie ihre Ansprüche nicht (mehr), auch nicht teilweise, aus einer Entscheidung des Landesgerichts Wiener Neustadt ab, sodass dieses auch nicht im Sinn des § 9 Abs 4 AHG von der Entscheidung über die Klage ausgeschlossen sei.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der gegen diese Entscheidung erhobene und von der Klägerin beantwortete Rekurs des 2. Nebenintervenienten ist zulässi g ( siehe Beschluss vom 20. 9. 2023, 1 Ob 141/23a). Er ist aber nicht berechtigt .

[6] 1. Vorauszuschicken ist, dass das Erstgericht den angefochtenen Beschluss zwar nicht in der vorschriftsgemäßen Besetzung in einem Senat von drei Richtern gefällt hat (§ 8 Abs 1 JN). Nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung bezieht sich die Heilungsvorschrift des § 260 Abs 2 ZPO aber nicht ausschließlich auf die mündliche Verhandlung (RS0040259 [T4]). D as Rechtsmittelgericht darf den Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 2 ZPO daher auch dann nicht amtswegig aufgreifen, wenn die Parteien den Besetzungsfehler außerhalb der mündlichen Verhandlung hätten rügen können (4 Ob 60/15z mwN). Im Rekursverfahren wurde der Besetzungsfehler nicht geltend gemacht.

[7] 2. Nach § 9 Abs 4 AHG ist ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung zu bestimmen, wenn der Ersatzanspruch unter anderem aus der Entscheidung eines Gerichtshofs abgeleitet wird, der nach den Bestimmungen des AHG unmittelbar oder im Instanzenzug zuständig wäre. Es handelt sich um einen Fall notwendiger und der Parteiendisposition entzogener Delegierung (RS0050131). Der Delegierungstatbestand ist erfüllt, wenn Richter eines Gerichtshofs über Amtshaftungsansprüche zu erkennen hätten, die ein Verhalten auch nur irgendeines Mitglieds desselben Gerichtshofs oder auch des im Instanzenzug übergeordneten Gerichtshofs zum Gegenstand haben ( RS0056449 [T32]). Zweck de r Regelung ist es, dass alle betroffenen Gerichte, aus deren Verhalten ein Amtshaftungsanspruch abgeleitet wird, von der Entscheidung über diesen Anspruch ausgeschlossen sein sollen (RS0056449). Es kommt somit darauf an, aus der Entscheidung welchen Gerichtshofs der Anspruch „abgeleitet“ wird (1 Nc 8/07b).

[8] 3. Der Rekurswerber argumentiert, dass sich das Landesgericht Wiener Neustadt nicht nur anlässlich des Rekurses vom 13. 2. 2020 (Rekursentscheidung vom 22. 5. 2020) im Pflegschaftsverfahren mit den Ansprüchen der Klägerin auseinandergesetzt , sondern auch eine n A ntrag der Klägerin auf Fortführung eines Strafverfahrens gegen ihn abgewiesen habe, und daher eine Befangenheit dieses Gerichts anzunehmen wäre. Damit zeigt er aber in keiner Weise auf, dass die Klägerin ihre Amtshaftungsansprüche aus Entscheidungen dieses Gerichts ableitet:

[9] Die Klägerin hat ihre Ansprüche über Erörterung in der Tagsatzung vom 7. 6. 2023 zwar zunächst zum Teil auch auf eine unvertretbare Rechtsansicht des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht im Pflegschaftsverfahren gestützt. Sie hat aber gleich anschließend klargestellt, die Entscheidung dieses Gerichts vom 22. 5. 2020 über die Entlohnung des vormaligen Erwachsenenvertreters stehe in keinem sachlichen Zusammenhang mit den geltend gemachten Ansprüchen, und das Klagebegehren dementsprechend eingeschränkt. Folgerichtig behauptet die Klägerin auch nicht die Unrichtigkeit dieser Entscheidung. Die „Involvierung“ des Landesgerichts Wiener Neustadt in das klagsgegenständliche Verfahren durch Fällung einer Rechtsmittelentscheidung, auf die allerdings keine Amtshaftungsansprüche gestützt werden, ist ohne Relevanz (vgl 1 Nc 8/07b).

[10] Daher trifft die Beurteilung des Erstgerichts zu, dass die Klägerin ihre Ansprüche im derzeitigen Verfahrensstadium nicht (mehr) aus einer Entscheidung des Landesgerichts Wiener Neustadt ableitet, sodass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Delegierung der Rechtssache nach § 9 Abs 4 AHG an ein anderes Landesgericht im Sprengel des Oberlandesgerichts Wien nicht erfüllt sind.

[11] Dem Rekurs war aus diesem Grund nicht Folge zu geben.

[12] 4 . Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 letzter Satz iVm § 41 Abs 1 ZPO. Der Rechtssatz, dass keine Kosten für Rechtsmittel betreffend eine amtswegige Delegierung zuzusprechen sind (RS0036032), gilt jedenfalls nicht für – wie hier – zweiseitige Rekursverfahren, durch die ein Zwischenstreit begründet wird.

[13] Der Klägerin waren daher die (nur) nach TP 3b RATG verzeichneten Kosten zuzusprechen. Allerdings stand ihr im Zwischenstreit nur eine Partei – der 2. Nebenintervenient – gegenüber, sodass kein Streitgenossenzuschlag für die Rekursbeantwortung gebührt.

[14] Für die Kosten der Beantwortung eines erfolglosen Rechtsmittels des Nebenintervenienten haftet die von ihm unterstützte Hauptpartei (RS0036057).

Rückverweise