JudikaturOGH

11Os111/23t – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. November 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. November 2023 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gindl als Schriftführerin in der Strafsache gegen * M* wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3, Abs 3a Z 3, Abs 4 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 15. Juni 2023, GZ 13 Hv 77/22v 156.4, weiters über dessen Beschwerde gegen einen Beschluss nach § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * M* der Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster, dritter und vierter Fall, Z 3 StGB (I), der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II), des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 (erster Fall) StGB (III) und zweier Vergehen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a Abs 1 StGB (IV) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er – soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant gekürzt wiedergegeben – in St. L* und andernorts

I) zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten im Zeitraum 2014 bis 5. November 2021 A* durch gefährliche Drohungen zu Handlungen und Unterlassungen genötigt, die teilweise besonders wichtige Interessen der genötigten Person betreffen, und zwar

B) im Frühjahr 2021 dazu, in der Öffentlichkeit immer ein Kopftuch zu tragen, durch die gegenüber * I* in Anwesenheit der A* getätigte sinngemäße Äußerung, er werde sie töten, sollte sie sich ohne Kopftuch zeigen, wobei er die Äußerung durch die Geste des Halsabschneidens unterstrich,

II) A* durch nachstehende Handlungen vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar

1) im Oktober 2015 durch Versetzen eines Faustschlages, wodurch diese eine Hämatom mit Schwellung an der Oberlippenschleimhaut und ein Hämatom am rechten Unterlid erlitt, und

2) im März [richtig:] 2021 (US 6), indem er einen Aschenbecher aus Glas gegen sie warf, wodurch sie eine Abschürfung am Ellbogen erlitt;

IV) zu nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkten im Juli 2019 gegen den Willen der A* den Beischlaf vorgenommen, indem er einmal den analen und einmal den vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr durchführte, obwohl sie ausdrücklich erklärt hatte, dies nicht zu wollen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung in der Hauptverhandlung (ON 156.3 S 33 f; ON 156.3 S 35 [ON 147.3 S 70]) gestellter Anträge Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt. D er Antrag auf Vernehmung des Zeugen * Mo* ließ nicht erkennen, warum der Genannte während des mehrere Jahre umfassenden Tatzeitraums die Möglichkeit gehabt haben sollte, das Verhalten des Angeklagten und der Zeugin sowie deren (verletzungsfreies) Aussehen lückenlos wahrzunehmen. Auch blieb offen, weshalb der weitere Antrag auf „Vorlage einer Transkription und das Abspielen eines Telefongesprächs zwischen dem Opfer und einem ihrer Verwandten vom 22. 12. 2022 zum Beweis dafür, dass der Angeklagte wortwörtlich nur einen Fehler gemacht hat, nämlich, dass er sie und die Kinder beim Jugendamt angezeigt hat“, das behauptete Ergebnis erwarten lasse, weswegen beide solcherart auf im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung hinausliefen (RIS Justiz RS0099353, RS0118444; Ratz , WK StPO § 281 Rz 330).

[5] Die in der Beschwerde nachgetragenen Gründe sind angesichts des auf Nachprüfung der erstgerichtlichen Vorgangsweise angelegten Konzeption dieses Nichtigkeitsgrundes verspätet und daher unbeachtlich (RIS Justiz RS0099618, RS0099117).

[6] Die Mängelrüge (Z 5) orientiert sich mit der Kritik, das Urteil lasse zum Schuldspruch zu IV) nicht erkennen, ob „das innere Vorliegen einer Ablehnung nach außen hin erkennbar geworden“ sei, nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (US 7, 15; RIS Justiz RS0119370) und spricht unter Hervorkehrung einer einzigen Passage der Aussage einer Zeugin (wonach das Opfer „den Sex ... [gelegentlich] toll“ gefunden hätte) kein Begründungsdefizit im Sinn des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes an, sondern übt lediglich Beweiswürdigungskritik nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (siehe dazu RIS Justiz RS0119422 [T2 und T4], RS0106588, RS0099419).

[7] Die gegen den Schuldspruch zu I)B) gerichtete Rechtsrüge übergeht die aus dem Gesamtkontext hinreichend deutlichen Konstatierungen des Erstgerichts zur Wahrnehmung des Opfers bezüglich der Drohung ebenso wie jene zur Intention des Angeklagten und verfehlt demnach die prozessordnungsgemäße Ausführung des Nichtigkeitsgrundes (US 6 ff, 12 ff; siehe auch ON 83 S 17, 22; RIS Justiz RS0099810).

[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

[9] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rückverweise