JudikaturOGH

3Ob196/23d – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. November 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J* B*, vertreten durch Dr. Martin Neuwirth und Dr. Alexander Neurauther, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei I* B*, vertreten durch Dr. Wolf Heinrich Heistinger, Rechtsanwalt in Mödling, wegen Ehescheidung, über den Rekurs des Klägers ON 27 gegen den (richtig) Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 14. Februar 2023, GZ 16 R 392/22v 21, mit dem (richtig) die Berufung des Klägers zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

[1] Der im Jahr 1951 geborene Kläger erhob am 13. 7. 2022 durch Erklärung zu gerichtlichem Protokoll Ehescheidungsklage.

[2] In der (ersten) Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung vom 9. 8. 2022 hielt die Richterin fest, „ dass der [damals anwaltlich unvertretene; Anm] Kläger sehr schwer hört und man wirklich sehr laut mit ihm sprechen muss und es fast unmöglich ist, sich mit ihm zu unterhalten “. Die Verhandlung wurde kurz unterbrochen, weil der Kläger sich beim gegenüberliegenden Geschäft ein Hörgerät ausborgen wollte, was aber scheiterte, weil das Geschäft zu hatte. Nach Fortsetzung der Verhandlung sagte der Kläger zu, sich möglichst rasch ein Hörgerät zu organisieren. Die Verhandlung wurde hierauf auf den 7. 9. 2022 – später verlegt auf den 19. 9. 2022 – erstreckt. Der Kläger wurde – wie ebenso im Protokoll vermerkt – von der Richterin „ ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er mit Hörgerät zu erscheinen hat oder mit anwaltlicher Vertretung, ansonsten nicht mit ihm verhandelt werden kann “.

[3] Eingangs der Tagsatzung vom 19. 9. 2022 hielt die Richterin fest, „ dass der [wieder anwaltlich unvertretene; Anm] Kläger heute mit zwei Hörgeräten erscheint und es mit lauter Stimme möglich ist, sich mit ihm zu unterhalten “.

[4] Ausweislich des Protokolls stellte sich die weitere Verhandlung am 19. 9. 2022 wie folgt dar:

„Der Kläger bringt vor wie in der Klage ON 1 und ON 5 und beantragt wie dort.

Beklagtenvertreter bestreitet und beantragt kostenpflichtige Klagsabweisung und bringt vor, dass das überwiegende Verschulden beim Kläger selbst liege, weil er selbst ein Verhalten gesetzt habe, dass er gegenüber der Beklagten unzumutbar und respektlos gewesen sei. Für den Fall, dass die Ehe als zerrüttet qualifiziert werde, werde daher der Mitverschuldensantrag dahingehend gestellt, dass den Kläger das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung treffe.

Im Übrigen sei die eheliche Lebensgemeinschaft seit mehr als drei Jahren aufgehoben, sodass offensichtlich auch der Tatbestand des § 55 EheG erfüllt sei.

B e w e i s : Parteieneinvernahme.

Festgehalten wird, dass ausführliche Vergleichsgespräche geführt werden und auch der Kläger von der Richterin ausführlich manudiziert wird. Es wird auch über das Gold der beklagten Partei gesprochen, das sie aus einer Erbschaft ihrer Eltern erhalten habe und dass dieses nicht der ehelichen Aufteilung unterliegt.

Beide Parteien schränken nunmehr ihre vorgebrachten Ehescheidungsgründe auf ein jeweils lieb- und interesseloses Verhalten des jeweils anderen ein, das wird dann von der gegnerischen Partei außer Streit gestellt. Beide Parteien beantragen die Fällung eine s Ehescheidungsurteils aus dem überwiegenden Verschulden der klagenden Partei.

Die Parteien stellen weiters außer Streit, dass die eheliche Lebensgemeinschaft seit mehr als drei Jahren aufgehoben ist.

Sämtliche von den Parteien gestellte Beweisanträge werden zurückgezogen.

Keine weiteren Anträge.

Kein weiteres Vorbringen.

Die Parteien verzichten darauf, Kostennote zu legen.

Sodann verkündet die Richterin das

URTEIL IM NAMEN DER REPUBLIK

1. Die zwischen den Streitteilen am * 2017 vor dem Standesamt Mödling zu Familienbuchnummer 0* geschlossene Ehe wird mit der Wirkung geschieden, dass sie mit Rechtskraft des Urteils aufgelöst ist.

2. Das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft gemäß § 61 Abs 3 EheG die klagende Partei.

3. Die Prozesskosten werden gegeneinander aufgehoben.

Die Richterin begründet das Urteil.

Beide Parteien verzichten auf Rechtsmittel nach Rechtsmittelbelehrung.“

[5] Der Kläger erhob gegen das Urteil Berufung. Zum Rechtsmittelverzicht führte er aus, dieser sei „unwirksam bzw unbeachtlich“, was er im Wesentlichen damit begründete, an einer Hörschwäche zu leiden und deshalb die Rechtsmittelbelehrung akustisch nicht verstanden zu haben. Aufgrund seiner Schwerhörigkeit sei er postulationsunfähig gewesen.

[6] Zufolge deren Spruchs wurde mit der – in Urteilsform ergangenen – angefochtenen Entscheidung die Berufung wegen Nichtigkeit verworfen und ihr im Übrigen nicht Folge gegeben. In den Entscheidungsgründen führte das Berufungsgericht aus, aufgrund des Rechtsmittelverzichts des Berufungswerbers seien zunächst ausschließlich jene Argumente zu hinterfragen, die allenfalls Auswirkungen auf die Gültigkeit dieser Prozesserklärung haben könnten. Aus dem Protokoll vom 9. 8. 2022 ergebe sich unmissverständlich, dass der Kläger selbst der Ansicht gewesen sei, mit Hörgerät verhandeln zu können. Für die Annahme einer Postulationsunfähigkeit trotz Hörgerätes ergäben sich keine Anzeichen. Aus dem Protokoll vom 19. 9. 2022 ergebe sich, dass das Erstgericht die Verhandlung mit lauter Stimme geführt habe. Dass der Rechtsmittelverzicht auf fehlender Manuduktion gründe werde nicht behauptet. Damit stelle der Rechtsmittelverzicht des Klägers aber die Erklärung einer postulationsfähigen Partei dar und stehe einer erfolgreichen Berufung entgegen. Auf die „übrigen Berufungsgründe“ sei damit nicht einzugehen. Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision mit der Begründung, es mangle an einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, für nicht zulässig.

[7] Die gegen diese Entscheidung vom Kläger erhobene „außerordentliche Revision“ (richtig: Rekurs) wies der erkennende Senat mit Beschluss vom 19. 4. 2023, 3 Ob 67/23h, auf den – auch in Hinsicht auf die Qualifikation der angefochtenen Entscheidung als Beschluss – zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, wegen Verspätung zurück.

[8] Der Kläger stellte hierauf einen Wiedereinsetzungsantrag und holte zugleich mit diesem den versäumten Rekurs nach.

[9] Das Erstgericht gab mit Beschluss vom 5. 9. 2023 dem Wiedereinsetzungsantrag statt und stellte diesen Beschluss sowie (neuerlich) den Rekurs der Beklagten zu.

[10] Eine Rekursbeantwortung wurde nicht eingebracht (zur Zweiseitigkeit eines Rekurses gegen einen Beschluss, mit dem eine Berufung zurückgewiesen wurde, zB 9 ObA 132/22k [Rz 11]; A. Kodek in Rechberger/Klicka , ZPO 5 § 519 ZPO Rz 7).

Rechtliche Beurteilung

[11] Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO ohne Rücksicht auf den Streitwert und ungeachtet des Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zulässig (RS0043882 [T3]; iglS RS0043861 [T1] ua; zum Rechtmittelverzicht s RS0098745 [T9]); er ist aber nicht berechtigt .

[12] 1. Nach § 211 Abs 1 ZPO (idF ZVN 2022) liefert, soweit nicht ein ausdrücklicher Widerspruch einer Partei vorliegt, „das in Entsprechung der vorstehenden Vorschriften errichtete Protokoll über den Verlauf und Inhalt der Verhandlung vollen Beweis“. Der Inhalt des Verhandlungsprotokolls ist nach § 213 ZPO (idF ZVN 2022) von Amts wegen zu beachten. Dies gilt auch für die Instanzgerichte ( Ziehensack in Höllwerth/Ziehensack , ZPO TaKom [2019] § 217 Rz 1 [noch zu den Protokollierungsvorschriften vor der ZVN 2022]).

[13] Die Konstatierung des Erstgerichts eingangs des Protokolls vom 19. 9. 2022, der Kläger sei mit zwei Hörgeräten erschienen und es sei mit lauter Stimme möglich, sich mit ihm zu unterhalten, kann nur dahin verstanden werden, dass der Kläger in dieser Verhandlung ein Hörgerät verwendet und die Richterin die Verhandlung „mit lauter Stimme“ durchgeführt hat. Das Berufungsgericht durfte entgegen der Ansicht des Klägers in seinem Rekurs aufgrund des Protokollinhalts ohne Weiteres davon ausgehen, dass der Kläger (auch) die Erklärungen der Richterin in der Verhandlung vom 19. 9. 2022 hörte.

[14] 2. Wenn der Kläger in seinem Rekurs meint, dem Protokoll sei nicht zu entnehmen, dass das Gericht ihm gegenüber Belehrungen vorgenommen habe, ist er auf die protokollierte Rechtsmittelbelehrung, welche seinem Rechtsmittelverzicht vorausging, hinzuweisen. Auch insofern gibt das Protokoll „vollen Beweis“ nach § 211 Abs 1 ZPO.

[15] 3. Der Kläger vertritt in seinem Rekurs weiters die Ansicht, der abgegebene Rechtsmittelverzicht könne deshalb nicht wirksam sein, weil nach § 73a ZPO ein Gebärdendolmetscher beigezogen werden hätte müssen.

[16] Nach § 73a ZPO ist, wenn eine Partei gehörlos, hochgradig hörbehindert oder sprachbehindert ist, dem Verfahren ein Dolmetscher für die Gebärdensprache beizuziehen, sofern sich die Partei in dieser verständigen kann. Die Bestimmung zielt auf Menschen ab, die so hochgradig schwerhörig sind, dass ihnen eine Verständigung allein über das Gehör auch mit Hörhilfen kaum möglich ist (idS ErläutRV 89 BlgNR 24. GP 8; Kloiber , Gebärdensprache: Besonderheiten im zivilgerichtlichen Verfahren, RZ 2015, 26). Der Kläger verfügte in der Verhandlung vom 19. 9. 2022 über ein Hörgerät und es war wie aus dem Protokoll ersichtlich mit lauter Stimme möglich, sich mit ihm zu unterhalten. Er war daher nicht „gehörlos“ oder „hochgradig hörbehindert“ iSd § 73a ZPO. Die Vorschrift war daher auf ihn nicht anzuwenden.

[17] 4. Ebenso wenig anwendbar ist entgegen dem Rekurs die Bestimmung des § 185 Abs 1 ZPO, war der Kläger doch sehr wohl einer verständlichen Äußerung über den Gegenstand des Rechtsstreits oder der mündlichen Verhandlung fähig. Die Anwendbarkeit der Vorschrift setzte eine Verneinung dessen voraus.

[18] 5. Der Rechtsmittelverzicht ist eine Prozesshandlung (3 Ob 602/90). Er kann als unbedingte Prozesserklärung dem Gericht gegenüber zu Protokoll oder durch Schriftsatz erklärt werden (3 Ob 291/99m). Wird trotz eines gültigen Rechtsmittelverzichts Berufung erhoben, so ist diese gemäß § 472 ZPO zurückzuweisen.

[19] Vor dem Erstgericht herrschte keine (absolute) Anwaltspflicht (§ 27 Abs 2 ZPO iVm § 49 Abs 2 Z 2a JN). Weil der Kläger damit einen gültigen Rechtsmittelverzicht abgab, ist seinem Rekurs gegen die angefochtene – wie bereits zu 3 Ob 67/23h (dazu Schindl , Neues zur verfehlten Entscheidungsform: 10. Senat am Zug – Eine Standortbestimmung anlässlich 3 Ob 67/23h und 1 Ob 63/23f, ecolex 2023, 835 ff) ausgeführt als Beschluss auf Zurückweisung der Berufung zu qualifizierende – berufungsgerichtliche Entscheidung der Erfolg zu versagen.

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