2Ob56/23h – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Hon. Prof. PD. Dr. Rassi, MMag. Sloboda, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragstellerin G*, vertreten durch die KREISSL PICHLER WALTHER Rechtsanwälte GmbH in Liezen, wider die Antragsgegner 1. G *, 2. C*, beide vertreten durch Dr. Norbert Bergmüller, Rechtsanwalt in Liezen, 3. A*, 4. M*, vertreten durch Dr. Norbert Bergmüller, Rechtsanwalt in Liezen, 5. G* und 6. D*, beide vertreten durch MMag. Johannes Pfeifer, Rechtsanwalt in Liezen, wegen Ersetzung einer Zustimmung (§ 835 ABGB), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Fünft- und Sechstantragsgegner gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 14. Februar 2023, GZ 1 R 325/22v-26, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Liezen vom 3. November 2022, GZ 18 Nc 52/21m-21, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Antrag auf Ersetzung der Zustimmung aller Antragsgegner zur Errichtung einer Zufahrtsstraße auf dem Grundstück *, nach Maßgabe der Mehrheitsbeschlussfassung vom 22. 9. 2021 der Antragstellerin zu Plan Nr 43/18 des DI M* vom 6. 4. 2018 abgewiesen wird.
Die Antragstellerin ist schuldig, den Fünft- und Sechstantragsgegnern ihre mit jeweils 5.719,92 EUR (darin enthalten 833,74 EUR USt und 717,50 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die antragstellende Mehrheitseigentümerin und die Antragsgegner sind Miteigentümer des G rundstücks *. An das Gemeinschaftsg rundstück grenzen weitere Grundstücke der Antragstellerin und der Erst-, Zweit- sowie Viert- und Fünftantragsgegner unmittelbar an. Der Sechstantrags gegner ist Pächter von Grundstücken der Erst , Viert und Fünftantragsgegner, die südlich des Gemeinschaftsg rundstücks liegen und die er im Rahmen seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit betreut.
[2] Die Antragstellerin erwarb ihre, an das Gemeinschaftsg rundstück unmittelbar angrenzenden Grundstücke von den Fünft und Sechstantragsgegnern. Sie beabsichtigt, diese (Bau )Grundstücke mit vier Wohnhäusern samt Parkplätzen zu bebauen. Zur Aufschließung dieser Grundstücke konzipierte sie die Errichtung einer Zufahrtsstraße auf dem Gemeinschaftsg rundstück. Geplant ist die Asphaltierung eines Wegs, die Errichtung einer Oberflächenentwässerung, eines Schmutzwasserkanals, einer Wasserleitung, einer Leerverrohrung für Gasleitungen, eines Anschlusses für Telekom/Strom/Kabel TV und einer Straßenbeleuchtung. Die geschätzten Kosten des Projekts belaufen sich auf 286.167 EUR.
[3] Die Antragstellerin begehrt die Ersetzung der Zustimmungen der Antragsgegner zur Errichtung der Zufahrtsstraße. Im Rahmen des Erwerbs ihrer Grundstücke vo n den Fünft und Sechstantrag sgegnern sowie von Miteigentumsanteilen am Gemeinschaftsgrundstück sei dieses ausdrücklich als Weggrundstück definiert worden. Die übrigen Miteigentümer hätten sich gegen die von der Antragstellerin als Mehrheitseigentümerin beabsichtigte, widmungsgemäße Verwendung und Bebauung samt technischer Infrastruktur zur Aufschließung der von ihr erworbenen Grundstücke ausgesprochen . Eine andere Zufahrt zu ihren Grundstücken sei nicht möglich. Die Straßenbaumaßnahme sei für die Gesamtheit der Miteigentümer von Vorteil, weil es sich auch bei den angrenzenden Grundstücken der Antragsgegner um Baugrundstücke handle. Sie sei bereit, den Großteil der Errichtungskosten zu tragen und die Instandhaltungskosten im Ausmaß von 10/14-tel Anteilen zu übernehmen.
[4] Von Antragsgegnerseite wurde im Wesentlichen eingewendet , in der Natur bestehe überhaupt keine Weganlage oder Schotterung. Es handle sich vielmehr um eine Wiese. Die geplante Zufahrtsstraße stelle eine Substanzveränderung dar, die nicht für die Gesamtheit der Miteigentümer von Vorteil sei. Eine Zufahrt von Westen wäre möglich und zweckmäßiger als die geplante Zufahrt im Osten. Sie seien bei der Veräußerung der Grundstücke nicht davon ausgegangen, dass die Zufahrt zu den geplanten Mehrfamilienhäusern über das Gemeinschaftsg rundstück erfolgen würde. Die jedenfalls der außerordentlichen Verwaltung zuzurechnende Maßnahme beeinträchtige aufgrund des zu erwartenden Anrainerverkehrs die landwirtschaftliche Bewirtschaftung der Grundstücke des Sechstantragstellers. Es sei mit erhebliche n Immissionen (Geruch, Lärm, etc) und einer Behinderung bei der Nutzung des Gemeinschaftsgrundstücks mit landwirtschaftlichen Geräten zu rechnen. Teilweise sei eine Einzäunung der für Weidetiere genutzten angrenzenden Liegenschaften notwendig. Überdies würde sie eine Haftung gemäß § 1319a ABGB für den Wegzustand treffen. Eine Vorteilhaftigkeit der Maßnahme für die Gesamtheit der Miteigentümer werde auch nicht behauptet.
[5] Das Erstgericht ersetzte die Zustimmung. Die geplante Straßenerrichtung stelle eine Maßnahme der außerordentlichen Verwaltung dar, die Einstimmigkeit erfordere. Die fehlende Zustimmung der Minderheitseigentümer sei jedoch aufgrund der Vorteilhaftigkeit der Maßnahme gemäß § 835 ABGB zu ersetzen . Der umfangreiche Ausbau und die Aufschließung des Grundstücks führe nicht nur zu einer Wertsteigerung des Gemeinschaftsg rundstücks , sondern auch der angrenzenden Grundstücke der Miteigentümer. Gegenteilige Interessen, die diese Vorteile überwögen, lägen nicht vor. Eine wesentliche Beeinträchtigung der landwirtschaftlichen Nutzung sei nicht anzunehmen.
[6] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und verwarf den erstmals im Rekurs erhobenen Einwand, es liege eine § 828 ABGB zu unterstellende Sachverfügung vor.
[7] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Fünft- und Sechstantragsgegner mit dem Abänderungsantrag, den Antrag der Antragstellerin ihnen gegenüber abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[8] Die Antragstellerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
[9] Der Revisionsrekurs ist zulässig , weil dem Rekursgericht eine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Er ist im Sinn einer Abänderung im antragsabweisenden Sinn auch berechtigt .
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Fünft- und Sechstantragsgegner argumentieren, es liege eine Sachverfügung vor, bei der die fehlende Zustimmung der Miteigentümer nicht durch Entscheidung des Gerichts ersetzt werden könne. Jedenfalls sei eine Maßnahme der außerordentlichen Verwaltung anzunehmen, die aber – aus den bereits in erster Instanz dargelegten Gründen – nicht zum Vorteil der Gesamtheit der Miteigentümer sei.
[11] 1. Gegenstand der richterlichen Beschlussfassung nach § 835 ABGB ist die Frage, ob die (wichtige) Veränderung ohne Einschränkung oder unter Bedingungen (Sicherstellung) bewilligt oder überhaupt abgelehnt wird. Das Gesetz stellt für diese richterliche Ermessensentscheidung keine bindenden Richtlinien auf; die Entscheidung hängt vielmehr davon ab, ob die Veränderung offenbar (also eindeutig) vorteilhaft, bedenklich oder nachteilig ist. Ob dies der Fall ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls und vom Standpunkt der Gesamtheit aller Miteigentümer und nicht allein von jenem des Mehrheitseigentümers aus zu beurteilen (RS0013703).
[12] 2. Der Beschluss des Außerstreitrichters ist eine im Wesentlichen von Billigkeitserwägungen getragene Ermessensentscheidung (RS0013650 [T2]). In die bei der Entscheidung über die beabsichtigte wichtige Veränderung vorzunehmende Abwägung der Gesamtinteressen der Eigentumsgemeinschaft sind auch die persönlichen und familiären Verhältnisse und Bedürfnisse der einzelnen Teilhaber, also deren subjektive Lage, angemessen miteinzubeziehen. Das folgt schon aus der innerhalb eines Gemeinschaftsverhältnisses bestehenden Treuepflicht, die auch die Rücksichtnahme auf die Interessen der übrigen Teilhaber erfordert. Es kommt auch nicht nur auf finanzielle Interessen an; vielmehr sind die gesamten Umstände des Falls zu berücksichtigen, allenfalls auch ein persönliches (immaterielles) Interesse eines Miteigentümers (5 Ob 244/21z Rz 39 mwN).
[13] 3. Auch in außerstreitigen Verfahren, in denen sich die Parteien – wie hier – in gegenläufigen Rollen gegenüberstehen, sind ganz allgemein die Behauptungs- und Beweislastregeln, die das streitige Verfahren beherrschen, heranzuziehen. Demnach trägt jede Partei die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen aller tatsächlichen Voraussetzungen der ihr günstigen Rechtsnorm (RS0124141). Die Antragstellerin hat daher jene Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, aus denen sich die – für die von ihr begehrte Ersetzung der Zustimmung der anderen Miteigentümer erforderliche – Vorteilhaftigkeit der beabsichtigten Errichtung der Aufschließungsstraße vom Standpunkt der Gesamtheit aller Miteigentümer ergibt. Dazu hat hat sie aber nur vorgebracht, dass es sich bei den angrenzenden Grundstücken „samt und sonders“ um Baugrundstücke handle. Dieser Umstand allein vermag aber schon deshalb kein Interesse der Gesamtheit der Miteigentümer zu begründen, weil nicht alle Miteigentümer des Gemeinschaftsgrundstücks auch Eigentümer (unmittelbar) angrenzender Baugrundstücke sind, deren Erschließung durch die Zufahrtsstraße verbessert würde.
[14] 4. Dass die Antragstellerin keine (ausreichende) Vorteilhaftigkeit der geplanten Maßnahme für die Gesamtheit der Miteigentümer behauptet hat, wurde von den Revisionsrekurswerbern schon in erster Instanz vorgebracht, sodass es insoweit keiner weiteren Erörterung im Sinn des § 14 AußStrG iVm § 182a ZPO bedarf (vgl 1 Ob 243/11h Pkt 10.; Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG I² § 14 Rz 31).
[15] 5. Ob die begehrte Maßnahme eine dem richterlichen Eingriff entzogene Verfügung im Sinn des § 828 ABGB darstellt, bei der die Zustimmung durch den Außerstreitrichter schon deshalb nicht ersetzt werden könnte (RS0117159), kann daher dahinstehen.
[16] 6. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 78 Abs 1 AußStrG. Da § 54 Abs 1a ZPO im außerstreitigen Verfahren nach zutreffender herrschender Ansicht keine Anwendung findet, ist das Kostenverzeichnis der Fünft- und Sechstantragsgegner umfassend zu prüfen (2 Ob 239/22v Rz 27). Die Replik vom 10. 12. 2021, die Urkundenvorlage vom 13. 12. 2021 sowie die Beweisanträge vom 1. 3. 2022 und 12. 5. 2022 sind nicht zu honorieren, weil das Vorbringen bzw die Anträge auch in der vorhergehenden oder nächsten Tagsatzung erstattet bzw gestellt werden hätten können. Der Einheitssatz beim Schriftsatz vom 18. 11. 2021 steht nur einfach zu. Die Pauschalgebühr im Rekursverfahren beträgt gemäß TP 12 GGG nur 574 EUR.