19Ob4/23m – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Weixelbraun Mohr sowie die Anwaltsrichter Dr. Buresch und Dr. Klaar als weitere Richter in der Rechtssache des Mag. H* M* L*, ehemaliger Rechtsanwalt, *, vertreten durch DAX WUTZLHOFER PARTNER RECHTSANWÄLTE GMBH in Eisenstadt, wegen Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte, über die Berufung des Mag. H* M* L* gegen den Bescheid des Ausschusses der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 25. Jänner 2023 (Plenum), nach öffentlicher mündlicher Verhandlung folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Berufung wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an den Ausschuss der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer zurückverwiesen.
Text
Begründung:
[1] Der am 23. Juni 1970 geborene Berufungswerber war Rechtsanwalt, zuletzt seit 15. September 2004 geschäftsführender Gesellschafter der damaligen D* Rechtsanwälte GmbH (FN *, nunmehr D* RECHTSANWÄLTE GMBH) mit dem Sitz in Eisenstadt. Per 12. November 2017 verzichtete er auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft und ist seither als juristischer Mitarbeiter in dieser Anwaltsgesellschaft beschäftigt.
[2] Mit dem am 16. April 2021 beim Ausschuss der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer (RAK) eingelangten Antrag begehrte der Berufungswerber die (Wieder )Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte mit dem Kanzleisitz in Bregenz.
[3] Die Vorarlberger RAK führte ein Ermittlungsverfahren durch, in dessen Zuge der Berufungswerber am 25. Jänner 2023 vom Ausschuss einvernommen wurde.
[4] Mit dem angefochtenen Bescheid vom 25. Jänner 2023 wies der Ausschuss der Vorarlberger RAK (Plenum) den Antrag des Berufungswerbers auf (Wieder )Eintragung ab. Er traf dabei im Wesentlichen die folgenden Feststellungen:
[5] Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Disziplinarrats der RAK Burgenland zu AZ D 4/08 vom 23. Februar 2010 wurde der Berufungswerber zu einer Geldbuße von 1.000 EUR und zum Kostenersatz verurteilt.
[6] Zwischen Juni und September 2016 wurde die RAK Burgenland davon verständigt, dass mindestens 23 Personen gegen die D* Rechtsanwälte GmbH Schadenersatzansprüche in der Höhe von rund 1.150.000 EUR außergerichtlich geltend gemacht hatten. Diese Schadenersatzansprüche wurden aus behaupteten rechts- und treuwidrigen Abwicklungen von Treuhandschaften im Zusammenhang mit Bauprojekten abgeleitet, in welche Baugesellschaften aus Bratislava und aus Wien involviert waren. Für die Abwicklung dieser Treuhandschaften war der Berufungswerber zuständig. Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt leitete daher gegen den Berufungswerber zu 13 St 252/16k ein Strafverfahren wegen des Verdachts nach den §§ 146, 147 Abs 3, 153 Abs 1 und Abs 3 StGB ein, wobei dem Berufungswerber insbesondere zur Last gelegt wurde, Auszahlungen aus Treuhanderlägen ohne Vorlage entsprechender Gutachten und vereinbarter Abnahmen getätigt zu haben; außerdem sei es zu im Geschäftsverkehr unüblichen Barauszahlungen gekommen.
[7] In zumindest vier Fällen sind Treuhandschaften nicht dem Treuhandbuch der RAK Burgenland gemeldet worden. Weiters ist in mindestens 16 Fällen über Treuhandgelder verfügt worden, obwohl die jeweiligen Treuhandschaften im Zeitpunkt der Verfügung noch nicht bei der RAK Burgenland registriert waren.
[8] Aufgrund von gegen den Berufungswerber bei der RAK Burgenland eingelangten Disziplinaranzeigen hat deren Kammeranwalt die einstweilige Maßnahme der Überwachung der Kanzleiführung des Berufungswerbers gemäß § 19 Abs 1a (1. Fall) DSt durch den Ausschuss beantragt. Noch vor der Beschlussfassung durch den Disziplinarrat gab der Berufungswerber den Verzicht auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft per 12. November 2017 bekannt, weshalb die Anordnung der einstweiligen Maßnahme unterblieb.
[9] Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt hat ihr Ermittlungsverfahren gegen den Berufungswerber eingestellt.
[10] Bei seiner Einvernahme am 25. Jänner 2023 durch den Ausschuss der Vorarlberger RAK gab der Berufungswerber eingangs (fälschlich) an, strafrechtlich und disziplinarrechtlich unbescholten zu sein. Erst über Vorhalt der rechtskräftigen disziplinarrechtlichen Verurteilung vom 23. Februar 2010 räumte er ein, dass dies sein könne. Weiters verwies der Berufungswerber bei seiner Einvernahme am 25. Jänner 2023 auf seine Angaben im Zuge der polizeilichen Befragung vor dem LPD Niederösterreich am 25. Juli 2017; er erklärte, diese Angaben zu einem integrierenden Bestandteil seiner Aussage vor dem Ausschuss zu erheben. Zu den in diesem Protokoll erwähnten 16 Fällen, in denen es zu Auszahlungen ohne oder mit verspäteten Treuhandmeldungen gekommen ist, gab der Berufungswerber jedoch keine Antwort. Für die Durchführung der elektronischen Treuhandmeldungen war nach den Angaben des Berufungswerbers eine offenbar überlastete Sekretärin zuständig, wobei er es unterlassen hat, diese zu überwachen. Schließlich gab der Berufungswerber in seiner Einvernahme am 25. Jänner 2023 an, zum damaligen Zeitpunkt seien Barauszahlungen aus Treuhandgeldern nicht verboten gewesen und er habe dies immer dann gemacht, wenn Baufortschrittsbestätigungen vorlagen und es schnell gehen musste.
[11] In rechtlicher Hinsicht kam der Ausschuss der Vorarlberger RAK zum Ergebnis, dass die nach § 5 Abs 2 RAO erforderliche Vertrauenswürdigkeit des Berufungswerbers nicht gegeben sei. Der Berufungswerber habe unvollständige Angaben über seine disziplinarrechtlichen Vorstrafen gemacht. Er habe zu keinem Zeitpunkt die Verantwortung für die unterbliebenen registrierungspflichtigen Treuhandschaften sowie die verspätet erfolgten Treuhandmeldungen übernommen und die Schuld dafür seiner Sekretärin zugewiesen. Außerdem sei ihm nicht bekannt gewesen, dass Barverfügungen über Treuhandgelder auch im Burgenland seit Bestand des Treuhandbuches nicht zulässig seien. Insgesamt seien die vom Berufungswerber gesetzten Verfehlungen bei den Treuhandschaften über einen längeren Zeitraum als schwerwiegend zu qualifizieren und nicht entschuldbar.
Rechtliche Beurteilung
[12] Gegen diesen Bescheid richtet sich die rechtzeitige Berufung aus dem Berufungsgründen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung sowie der Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag, dem Antrag auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte stattzugeben, in eventu die Sache zur neuerlichen Entscheidung an die Vorarlberger RAK zurückzuverweisen.
[13] Der Oberste Gerichtshof hat den zu 13 St 252/16k der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt und zu 42 Hv 53/19s des Landesgerichts Wiener Neustadt anhängig gewesenen Strafakt beigeschafft und trifft daraus ergänzend folgende Feststellungen:
[14] Der Berufungswerber brachte in seinem Einstellungsantrag vom 4. November 2019 (ON 93) vor, dass er schon deshalb keine Untreue begangen habe, weil er nicht mit den anderen Beschuldigten kollusiv zusammengewirkt habe, um die Bauherren oder die begünstigten Bauunternehmen zu schädigen. Auch sei der Großteil der gegen die Kanzlei des Berufungswerbers anhängigen Zivilverfahren inzwischen durch Vergleich beendet worden, wobei die vereinbarten Zahlungen lediglich einen Bruchteil der zunächst geforderten, bei weitem zu hoch angesetzten Schadenersatzansprüche betragen hätten.
[15] In ihrem Nachtragsbericht vom 12. April 2019 (ON 94) teilte die ermittelnde LPD Niederösterreich der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt mit, dass nicht festgestellt werden könne, ab wann der Berufungswerber davon hätte wissen müssen, dass der mit der Erstellung der Baufortschrittsgutachten beauftragte Ing. E. H. kein Sachverständiger sei. Am 6. Mai 2019 erfolgte daher die Einstellung des bis dahin auch gegen den Berufungswerber geführten Ermittlungsverfahrens gemäß § 190 Z 2 StPO aus Beweisgründen.
[16] In ihrer Anklageschrift vom 6. Mai 2019 (ON 95) legte die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt Ing. E. H. und W. M. (dem Geschäftsführer des slowakischen Bauunternehmens) zur Last, sie hätten in der Zeit zwischen 17. Juni 2014 und 31. März 2016 im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, eine Vielzahl von Bauherren durch Täuschung über Tatsachen, nämlich der Vorspiegelung, Ing. E. H. sei ein in Österreich zugelassener, allgemein beeideter zertifizierter Sachverständiger für das Bauwesen, der den Baufortschritt im Sinn der Errichtungsverträge gegenüber dem vorsatzlos handelnden Berufungswerber als Treuhänder bestätigte, zur Zahlung von Sachverständigenhonoraren verleitet. Die Anklage wurde unter anderem damit begründet, dass die vom Berufungswerber als Treuhänder nach den mit den Bauherren vereinbarten „Errichtungsverträgen“ zu leistenden Auszahlungen jeweils nach „Vorlage eines Baufortschrittsgutachtens, erstellt von einem allgemein beeideten, zertifizierten Sachverständigen für das Baufach, welcher in Österreich zugelassen ist“, erfolgen sollten. Tatsächlich sei Ing. E. H. aber kein Sachverständiger gewesen. Den Bauherren sei durch diese im vereinbarten Gesamtpreis für die Bauvorhaben enthaltenen Honorare von Ing. E. H. ein Schaden in der Größenordnung von rund 100.000 EUR entstanden. Der durch Baumängel entstandene Schaden wurde den Angeklagten nicht angelastet.
[17] In seiner Zeugenaussage am 9. September 2019 vor dem Schöffensenat des Landesgerichts Wiener Neustadt gab der Berufungswerber zu, dass er nicht überprüft habe, ob Ing. E. H. in die Sachverständigenliste eingetragen sei (Protokoll ON 123, S 59).
[18] Die wiederholt von der Vorsitzenden gestellte Frage nach der Sinnhaftigkeit einer treuhändigen Abwicklung, bei welcher der Bauherr nicht den gesamten Kaufpreis bzw Werklohn vorab beim Treuhänder, sondern erst „tranchenweise“ nach Baufortschritt zu erlegen habe, beantwortete der Berufungswerber ausweichend dahin, dass es sich dabei um ein Entgegenkommen des Bauunternehmens gehandelt habe, ihm dieses Modell schon bekannt gewesen sei und er sich darüber keine Gedanken gemacht habe (Protokoll ON 123, S 61).
[19] Auf die Frage der Vorsitzenden, warum die Treuhandschaften nicht dem Treuhandbuch gemeldet wurden, gab der Berufungswerber an, dies sei offenbar im Sekretariat übersehen worden und das habe auch nicht immer dieselbe Mitarbeiterin gemacht (Protokoll ON 123, S 63).
[20] Die Frage, warum es zu Barabhebungen gekommen sei, beantwortete der Berufungswerber dahin, dass dies im Burgenland zulässig sei. Vom Geschäftsführer des Bauunternehmens sei dies gewünscht worden, weil dieses günstige Skontovereinbarungen mit den Lieferanten habe und diese dann gleich bezahlt werden könnten (Protokoll ON 123, S 68).
[21] Der mehrere geschädigte Bauherren vertretende Rechtsanwalt Mag. J. P. sagte in der Verhandlung vor dem Schöffensenat des Landesgerichts Wiener Neustadt aus, dass es in den von ihm gegen das slowakische Bauunternehmen geführten Zivilverfahren zu keinen Klagsabweisungen gekommen sei, sondern dass die meisten Verfahren verglichen worden seien (ON 124, S 40).
[22] Mit Urteil vom 23. September 2019 wurden die beiden Angeklagten von den Vorwürfen laut Anklageschrift (rechtskräftig) freigesprochen; dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass die von Ing. E. H. erbrachten Leistungen für die mutmaßlichen Opfer nicht wertlos waren und die dafür von diesen in die Pauschalpreise einberechneten Honorare weit unter den marktüblichen Honoraren lagen, sodass der Tatbestand des Betrugs gemäß § 146 StGB nicht erfüllt war.
[23] Die Berufung ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags im Recht:
[24] 1.1. Für die Erlangung der Berufsbefugnis als Rechtsanwalt genügt es nicht, nur die Voraussetzungen für einen sachkundigen Rechtsberater zu erfüllen; der Eintragungswerber muss auch Gewähr dafür bieten, ein charakterlich integrer Rechtsfreund zu sein, dem die rechtsuchende Bevölkerung vertrauen darf (Bkv 1/91 AnwBl 1992, 739; Lohsing/Braun , Österreichisches Anwaltsrecht, 23).
[25] 1.2. Für die Frage der Vertrauenswürdigkeit kommt es darauf an, ob das gesamte berufliche und charakterliche Verhalten geeignet ist, Vertrauen in die korrekte Berufsausübung zu erwecken (VwSlg 8915 A/1975; Bkv 4/00 AnwBl 2001).
[26] 1.3. Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen. Es ist unmaßgeblich, in welchen Bereichen die Ursachen für den Verlust der Vertrauenswürdigkeit liegen, weil es nur darauf ankommt, ob das erforderliche Maß an Vertrauenswürdigkeit dem Rechtsanwalt überhaupt zukommt (VfGH 28. 11. 2006, B 1009/06; 19 Ob 3/19h AnwBl 2020/109, 260 [ Buresch ]). Der Rechtsanwaltsstand verlangt, dass sich Standesangehörige eines einwandfreien, absolut verlässlichen Verhaltens befleißigen und insbesondere in Geldangelegenheiten Sauberkeit walten lassen (OBDK Bkv 2/77 AnwBl 1978/972, 515).
[27] 1.4. Dieses Verhalten hat keineswegs ausschließlich den Schutz der Ehre und Würde des Berufsstandes, sondern auch den Schutz der rechtsuchenden Bevölkerung zum Ziel (Bkv 4/00 AnwBl 2001/7755).
[28] 2.1. Gemäß § 73 Abs 2 DSt dürfen getilgte Verurteilungen in einem Disziplinarverfahren weder berücksichtigt, noch in Erkenntnissen oder Beschlüssen erwähnt werden. Dies gilt nach Ansicht des erkennenden Senats auch im Verfahren über die (Wieder )Eintragung. Bei einer Geldbuße beträgt die Tilgungsfrist fünf Jahre ab der vollständigen Zahlung oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit (§ 74 Z 2 DSt).
[29] 2.2. Der angefochtene Bescheid enthält keine Feststellungen darüber, wann die über den Berufungswerber verhängte Geldbuße bezahlt oder deren Uneinbringlichkeit festgestellt wurde. Falls die Verurteilung im Sinn des § 74 Z 2 DSt als getilgt anzusehen ist, was im fortgesetzten Verfahren zu klären sein wird, war der Berufungswerber nicht verpflichtet, sie bei seiner Einvernahme vor dem Ausschuss zu erwähnen. Mit der unterbliebenen Angabe der Verurteilung könnte dann auch nicht seine Vertrauensunwürdigkeit begründet werden.
[30] 3.1. Entgegen der Auffassung des Ausschusses der Vorarlberger RAK bestand in den Jahren 2015 und 2016 im Rahmen des Statuts des Treuhandbuchs der RAK Burgenland kein Verbot der Barabhebung von Treuhandgeldern:
[31] 3.2. Aufgrund des durch das BRÄG 2010 in die RAO eingefügten § 10a RAO sind Treuhandschaften jedenfalls über eine von der RAK zu führende Treuhandeinrichtung abzuwickeln, wenn der Treuhanderlag einer Treuhandschaft den Betrag von 40.000 EUR übersteigt oder für die Treuhandschaft eine Absicherung in einer Treuhandeinrichtung der RAK in einer anderen gesetzlichen Vorschrift angeordnet ist. Außerdem hat der Rechtsanwalt gemäß § 43 Abs 4 RL BA 2015 über Fremdgelder Aufzeichnungen zu führen, die es ihm ermöglichen, jederzeit darüber Rechnung zu legen. Die Konten des Rechtsanwalts, auf die Fremdgelder eingezahlt wurden, müssen immer ein Guthaben ausweisen, das mindestens der Summe der dem Rechtsanwalt anvertrauten Fremdgelder entspricht. Weder § 10a RAO noch § 43 RL BA 2015 enthalten ein Verbot der Barbehebung von Treuhandgeldern.
[32] 3.3. Gemäß § 23 Abs 6 RAO haben die Rechtsanwaltskammern Treuhandeinrichtungen zum Schutz der Abwicklung von Treuhandschaften nach § 10a Abs 2 RAO zu errichten und zu führen sowie die Einhaltung der Pflichten der Rechtsanwälte nach § 10a RAO und nach den Richtlinien gemäß § 27 Abs 1 lit g RAO zu überprüfen. Die Landeskammern haben auf dieser Grundlage Treuhandeinrichtungen geschaffen, die zwar weitgehend ähnlich, im Detail aber doch unterschiedlich ausgestaltet sind: So sehen die Treuhandstatuten einiger Bundesländer ausdrücklich vor, dass Verfügungen des Rechtsanwalts über den Treuhanderlag auf dem Anderkonto ausschließlich in Form der Überweisung zulässig sind (etwa Punkt 9.2.2 des Statuts der Treuhand-Revision der Vorarlberger RAK; Punkt 8.2.2 des Statuts 2017 der Treuhandeinrichtung der RAK Wien [„elektronisches anwaltliches Treuhandbuch – eATHB“]). In den Treuhandstatuten anderer Länderkammern fehlt hingegen ein ausdrückliches Verbot von Barabhebungen. So regeln etwa das Statut des Treuhandbuchs der RAK Burgenland (in der hier anzuwendenden Fassung vom 12. Juni 2014) in § 7 „Verfügungsbeschränkungen“ nur: „Die gänzliche oder teilweise treuhändische Verfügung über den Treuhanderlag durch den Rechtsanwalt ist erst nach erfolgter Registrierung zulässig.“ Ein ausdrückliches Verbot von Barabhebungen fehlt hingegen im Statut des Treuhandbuchs der RAK Burgenland. Allerdings ist im Formular „Meldung einer Treuhandschaft“ (Anlage ./9 zum Treuhandbuch der RAK Burgenland) die Bankverbindung der aus dem Treuhandvertrag begünstigten Person(en) anzugeben. Wird in einer solchen Treuhandmeldung ein Konto des Begünstigten angegeben (wie in der vom Berufungswerber in seinem Einstellungsantrag vom 4. November 2019 [ON 93] angeschlossenen Treuhandmeldung), könnte dies auf die im Treuhandvertrag vereinbarte Verwendung der angegebenen Bankverbindung hinweisen, wonach dann eine Barabhebung nicht zulässig wäre.
[33] 3.4. Anders als etwa das eATHB der RAK Wien enthält das Treuhandbuch der RAK Burgenland aber keine effektiven Verfügungsbeschränkungen über Treuhandgelder: Während nach dem eATHB der RAK Wien Überweisungen von Treuhandgeldern schon rein faktisch nur im Electronic Banking an die dem Treuhandbuch mit der Treuhandmeldung bekannt gegebene Bankkonten der Begünstigten nach elektronischer Freigabe durch das eATHB erfolgen können, sieht das Treuhandbuch der RAK Burgenland zwar eine elektronische Meldung der Treuhanddaten an die RAK, nicht aber eine elektronische Verfügungsbeschränkung vor.
[34] 3.5. In seiner in einem Disziplinarverfahren ergangenen Entscheidung vom 24. August 2021, 28 Ds 5/20d, hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass sich ein prinzipielles Verbot, treuhändig verwahrte Fremdgelder von einem Anderkonto bar zu beheben bzw den betreffenden Betrag bar auszufolgen, aus der Bestimmung des § 43 Abs 4 RL BA 2015 nicht ableiten lasse. Ein solches Vorgehen verstoße demnach nicht gegen Standesrecht, solange die ordnungsgemäße Erfüllung des Treuhandauftrags tatsächlich garantiert sei. Dieser Fall betraf die RAK Niederösterreich, deren Treuhandstatut ebenfalls kein Verbot von Barbehebungen vorsieht. In diesem Fall hatten die Parteien aber ausdrücklich die Abwicklung über die Treuhandrevision gemäß dem damals geltenden § 10a Abs 3 RAO abgelehnt (was seit dem BRÄG 2020 nicht mehr möglich ist [ Buresch , AnwBl 2021, 609]).
[35] 3.6. Laut den umfangreichen, beim Berufungswerber im Zeitraum 8. bis 14. November 2016 durchgeführten Erhebungen der Treuhandrevision der RAK Burgenland liegen „für sämtliche vom Treuhänder getätigten Barabhebungen die Kontobelege, auf denen jeweils der genaue Verwendungszweck angeführt ist, und immer auch schriftliche Empfangsbestätigungen desselben Tages der BM (begünstigtes slowakisches Bauunternehmen) über die erfolgte Übergabe des Barbetrages (ebenso mit genau definiertem identem Verwendungszweck) an diese vor“.
[36] Eine Schädigung der aus den Treuhandaufträgen Begünstigten ist daher nicht aktenkundig. Vielmehr konnte auf der Grundlage dieses Revisionsberichtes der Verdacht einer widmungswidrigen Verwendung der Treuhandgelder nicht erhärtet werden.
[37] 3.7. Die unterlassene bzw verspätete Meldung übernommener Treuhandschaften an das Treuhandbuch und die Durchführungen von Barabhebungen (entgegen den Meldungen an das Treuhandbuch) rechtfertigen nach der Spruchpraxis der Disziplinarsenate des Obersten Gerichtshofs zwar die Verhängung erheblicher Geldbußen, bei einem Ersttäter in der Regel aber (noch) nicht die Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste. Unter diesem Aspekt erscheinen die Feststellungen des Ausschusses somit nicht ausreichend, um das Eintragungshindernis der Vertrauensunwürdigkeit zu begründen.
[38] 4. Die Rechtssache ist allerdings noch nicht spruchreif, weil aufgrund des bisher aktenkundigen Sachverhalts nicht alle Bedenken hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit des Berufungswerbers ausgeräumt sind:
[39] 4.1. Zunächst ist auffällig, dass die einzelnen Überweisungen jeweils knapp unter der Grenze von 40.000 EUR liegen, die Auftragssummen der „Errichtungsverträge“ diese Grenze aber erheblich übersteigen, was die Absicht der Umgehung der Wertgrenze des § 10a Abs 2 RAO indiziert.
[40] 4.2. Auch ist dem bisherigen Akteninhalt nicht zu entnehmen, dass die nach § 10a Abs 1 RAO erforderlichen, vom Berufungswerber unterschriebenen Treuhandverträge vorliegen, welche die vom Rechtsanwalt zu besorgenden Aufgaben vollständig festlegen.
[41] 4.3. Ungewöhnlich ist überdies, dass die „Errichtungsverträge“ keine wirksame Sicherung des Bauunternehmens vorsahen, weil nicht (wie üblich) der gesamte Werklohn vorab beim Treuhänder zu erlegen oder zu besichern und von diesem nach Baufortschritt auszubezahlen war, sondern erst nach Baufortschritt beim Kunden abzuberufen war. Unter diesen Voraussetzungen hätte sich die Einschaltung eines Treuhänders erübrigt. Es ist daher die Sinnhaftigkeit der gesamten Konstruktion gerade auch im Hinblick auf die nachfolgend durchgeführten Barauszahlungen zu hinterfragen.
[42] 4.4. Schließlich erscheint dem erkennenden Senat die Verantwortung des Berufungswerbers im Strafverfahren, die Barabhebungen hätten nur einer beschleunigten Auszahlung gedient, im Hinblick auf die im Zahlungsverkehr bestehende Möglichkeit einer Eilüberweisung wenig überzeugend, zumal die Durchführung einer elektronischen Überweisung oder die Unterfertigung eines Überweisungsauftrags für den Rechtsanwalt mit deutlich geringerem Zeitaufwand verbunden ist als eine Barabhebung bei der Bank und dessen anschließende Ausfolgung an den Begünstigten.
[43] 4.5. Bei lebensnaher Betrachtung könnte daher der Verdacht naheliegen, dass die Barauszahlungen möglicherweise dazu dienten, es dem begünstigten Bauunternehmen bzw in weiterer Folge dessen Lieferanten zu ermöglichen, diese Einnahmen nicht ordnungsgemäß zu verbuchen. Dieses Risiko musste einem auch nur einigermaßen versierten Rechtsanwalt bewusst sein. Der Sinn und Zweck der mit den Barbehebungen verbundenen Gesamtkonstruktion wird daher mit dem Berufungswerber konkret zu erörtern und zu klären sein.
[44] 4.6. Vor allem wird aber zu klären sein, ob und inwieweit das Verhalten des Berufungswerbers für das Entstehen der im Raum stehenden und den Bauherren offenbar vergleichsweise abgegoltenen Schäden kausal war. Dabei wird zu berücksichtigen sein, ob und inwieweit der Berufungswerber ihn treffende Aufklärungspflichten gegenüber den Kunden der Bauunternehmen verletzt hat und ob auf die „Errichtungsverträge“ die Sicherungspflichten des BTVG anwendbar waren, weil diese eine wirtschaftliche Einheit im Sinn des § 2 Abs 4 BTVG mit dem jeweiligen Liegenschaftskaufvertrag bildeten, was laut dem Bericht der Treuhandrevision zumindest auf die Treuhandcausen Böhm , Keller und Wallner Kotrba zutreffen dürfte. Gegebenenfalls würden die in den „Errichtungsverträgen“ enthaltenen Auszahlungsvoraussetzungen wesentlich zu Lasten der Bauwerber von den Auszahlungsvoraussetzungen gemäß § 10 Abs 2 Z 2 BTVG („Ratenplan B“) abweichen. Demnach ist zumindest nicht auszuschließen, dass bei einem BTVG konformen Vorgehen Schäden hätten vermieden werden können.
[45] 4.7. Für den Anwendungsbereich des BTVG gilt (im Regelfall), dass der Treuhänder von einer persönlichen Haftung für fehlerhafte Baufortschrittsbestätigungen des Baufortschrittsprüfers nur dann befreit ist, wenn dieser ein „allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger“ ist (§ 13 Abs 2 BTVG). Dem Treuhänder obliegt dabei eine Überprüfungspflicht ( Gartner , Bauträgervertragsgesetz 5 [2022] § 13 BTVG Rz 11; H. Böhm/Höllwerth in GeKo Wohnrecht III § 13 BTVG Rz 23). Da die Auszahlungsvoraussetzungen in den „Errichtungsverträgen“ ganz offensichtlich den Bestimmungen des BTVG nachgebildet wurden („Vorlage eines Baufortschrittsgutachtens, erstellt von einem allgemein beeideten, zertifizierten Sachverständigen für das Baufach, welcher in Österreich zugelassen ist“) könnte den Berufungswerber eine Überprüfungspflicht hinsichtlich der Qualifikation des (vereinbarten) Baufortschrittsprüfers auch hinsichtlich jener Verträge getroffen haben, die nicht zwingend den Bestimmungen des BTVG unterlagen, und er könnte dieser – zumindest fahrlässig – nicht nachgekommen sein.
[46] 4.8. Für Mängel und Schäden, die aufgrund von Planungs- und Ausführungsmängeln des Bauunternehmens auch bei Einhaltung der Bestimmungen der §§ 10, 13 BTVG eingetreten wären, wird der Berufungswerber hingegen auch in standesrechtlicher Hinsicht nicht verantwortlich zu machen sein.
[47] 4.9. Schließlich wird zu erheben sein, wie die von den Kunden gegen die D* Rechtsanwälte GmbH angestrengten Gerichtsverfahren ausgegangen sind (siehe dazu das Schreiben von RA Dr. K* vom 17. November 2017 samt Beilagen), ob diese entschädigt wurden und ob bzw welchen Beitrag der Berufungswerber zur Schadensgutmachung geleistet hat.
[48] 5.1. Für die Frage, ob beim Berufungswerber künftig die erforderliche Vertrauenswürdigkeit vorausgesetzt werden kann, werden auch seine widersprüchlichen Aussagen zu beurteilen sein, wonach er einerseits einer offenbar überlasteten, also ihren Aufgaben nicht gewachsenen Sekretärin die Durchführung der Treuhandmeldungen übertragen habe (Einvernahme vor dem Ausschuss am 25. Jänner 2023, S 4), während nach seiner Aussage vor dem Schöffengericht mehrere Sekretärinnen dafür zuständig gewesen sein sollen (Strafakt Protokoll ON 123, S 63). Hier wird der Sachverhalt im Detail aufzuklären sein, ob den Berufungswerber als vormals geschäftsführender Gesellschafter der D* Rechtsanwälte GmbH ein Organisationsverschulden daran trifft, dass den Verpflichtungen zur Einrichtung einer effizienten, die Einhaltung der Standesvorschriften wahrnehmenden Kanzleiorganisation nicht nachgekommen wurde und die Durchführung der Treuhandmeldungen einem den Aufgaben nicht gewachsenen Sekretariat übertragen wurde.
[49] 5.2. Entscheidungswesentlich wird auch sein, welche Umstände zur allfälligen Vernachlässigung von Berufspflichten durch den Berufungswerber führten, ob dies auf ein bloß einmaliges Versehen oder mangelnde Charaktereigenschaften zurückzuführen ist. Vor allem wird die nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs erforderliche Zukunftsprognose zu erstellen sein (vgl 19 Ob 1/14g); dies auch unter dem Aspekt, durch welche Vorkehrungen des Berufungswerbers die Einhaltung der ihn treffenden Standespflichten künftig gewährleistet ist oder ob eine habituelle Nachlässigkeit gegenüber Berufspflichten und damit eine neuerliche Schädigung der rechtsuchenden Bevölkerung zu befürchten ist.
[50] 5.3. Nach Klärung der zu Punkt 2.2. und 4.1. bis 4.9. bezeichneten Tatfragen wird neuerlich über den Eintragungsantrag des Berufungswerbers zu entscheiden sein.