17Ob10/23d – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende, die Hofrätinnen Mag. Malesich und Dr. Kodek und die Hofräte Dr. Stefula und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. V*, als Masseverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der F* GmbH, vertreten durch Dr. Stefan Gloß und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagte Partei M*, vertreten durch Mag. Volkan Kaya, Rechtsanwalt in Wien, wegen 88.976,50 EUR sA (Revisionsinteresse 67.200 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 15. Februar 2023, GZ 3 R 179/22y-78, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 17. August 2022, GZ 24 Cg 104/20x-68, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil, das im Umfang eines Zuspruchs von insgesamt 21.776,50 EUR sA unbekämpft in Rechtskraft erwachsen ist, wird im Übrigen, also im Umfang der Stattgebung des weiteren Begehrens auf Zahlung von 67.200 EUR sA aufgehoben und die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Mit Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 21. Februar 2020 wurde über das Vermögen der F* GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Masseverwalter bestellt.
[2] Die Schuldnerin betrieb eine Kfz-Werkstätte. Der (vormalige Erst-)Beklagte war neben seiner selbständigen Tätigkeit als Inhaber eines Autohauses gewerberechtlicher Geschäftsführer der Schuldnerin, wobei er formal 20 Wochenstunden als Werkstättenmeister zu absolvieren hatte, tatsächlich aber nicht so viele Stunden anwesend war. Er kümmerte sich jedoch um „Versicherungssachen und formale Dinge“ vor Ort, weshalb „davon auszugehen ist, dass auch er inhaltlich in die Firmenbelange der Schuldnerin eingebunden war, zumal er auch Kfz-Vermögen und Anlagevermögen der Schuldnerin bewerten ließ“.
[3] Die Geschäfte der Schuldnerin führte faktisch nicht der im Firmenbuch eingetragene handelsrechtliche Geschäftsführer (der vormalige Zweitbeklagte), sondern sein Sohn, der vormalige Drittbeklagte. Dieser trat gegenüber Kunden und Vertragspartnern stets als Handlungs- und Vertretungsbefugter der Schuldnerin auf. Er schloss Verträge für die Schuldnerin, nahm Zahlungen entgegen und war inhaltlich in alle relevanten Geschäfte eingebunden.
[4] Die Schuldnerin erwarb laut Rechnung vom 27. Juni 2019 von der M* KG, über deren Vermögen in der Folge mit Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 5. Dezember 2019 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, Kraftfahrzeuge und Anlagevermögen um einen Gesamtkaufpreis von 304.138,56 EUR brutto. Komplementär der M* KG war ein (weiterer) Sohn des vormaligen Zweitbeklagten. Dieser Kaufpreis ist allerdings tatsächlich nicht geflossen.
[5] Sämtliche Fahrzeuge laut der Rechnung vom 27. Juni 2019 sind in einer von der Schuldnerin an den (Erst-)Beklagten ausgestellten Rechnung vom 29. August 2019 (Beilage ./C) im Betrag von 67.200 EUR enthalten.
[6] Darüber hinaus gibt es weitere Rechnungen der Schuldnerin an den Beklagten, nämlich vom 5. September 2019 im Betrag von 14.316 EUR brutto über diverses Betriebsinventar (Beilage ./D), vom 9. September 2019 im Betrag von 1.986 EUR brutto (Beilage ./E) und vom 13. September 2019 im Betrag von 5.474,50 EUR brutto über verschiedene Autoreifen (Beilage ./F).
[7] Es gibt diverse Zahlungsbestätigungen, wonach insgesamt der Betrag von 88.976,50 EUR (also die Summe der Rechnungen Beilagen ./C bis ./F) „vom Autohaus [des Beklagten] eingenommen“ worden sei. Allerdings waren die Rechnungen Beilagen ./C bis ./F in der Buchhaltung der Schuldnerin gegenüber dem (Erst-)Beklagten als offen ausgewiesen und es gab weder einen Zahlungseingang am Konto der Schuldnerin noch einen entsprechenden Vermerk in ihrem Kassabuch.
[8] Der Kläger begehrte von allen drei Beklagten zur ungeteilten Hand den Betrag von 88.976,50 EUR sA. Die Rechnungen Beilagen ./C bis ./F seien vom (Erst-)Beklagten nicht bezahlt worden. Zusätzlich zur Nichtzahlung werde das Klagebegehren auch auf eine Anfechtung nach § 28 Z 4 IO und § 29 IO und auf eine Haftung wegen strafrechtswidrigen Verhaltens gestützt.
[9] Der Beklagte wendete ein, es habe sich um gültige Kaufverträge gehandelt und er habe sämtliche Kaufpreise (bar) bezahlt. Er habe keinen Einblick in die Geschäftsgebarung der Schuldnerin gehabt.
[10] Das Erstgericht gab (vom vormaligen Zweit- und Drittbeklagten unbekämpft) dem Klagebegehren gegen alle drei Beklagten statt.
[11] Es traf – über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus – insbesondere folgende weitere Feststellungen:
Ein vom Masseverwalter der M* KG beauftragter Sachverständiger kam zum Ergebnis, dass die laut Rechnung vom 27. Juni 2019 verkauften Fahrnisse einen Verkehrswert von (nur) rund 49.400 EUR netto (59.280 EUR brutto) gehabt hätten und der Rechnungsbetrag von 304.138,56 EUR illusorisch und technisch und marktmäßig nicht nachvollziehen sei. Der Kaufpreis laut Rechnung vom 27. Juni 2019 wurde von der Schuldnerin tatsächlich nicht bezahlt.
Der Masseverwalter der M* KG kam im Zuge seiner Recherchen zum Ergebnis, dass es sich bei dieser Rechnung um eine Scheinrechnung gehandelt habe, der kein Leistungsaustausch zugrunde gelegen sei. Im Unternehmen der M* KG wurden immer wieder Scheinrechnungen zur Verschleierung ausgestellt.
Die in der Rechnung vom 27. Juni 2019 angeführten Anlagevermögen, Kraftfahrzeuge und sonstigen Vermögensteile wurden bei der Schuld nerin eingebucht, es blieb jedoch bis zuletzt unklar, wo die Vermögensteile tatsächlich hingekommen sind.
Der Kläger hat die vom Masseverwalter der M* KG im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin angemeldete Forderung aufgrund der Rechnung vom 27. Juni 2019 anerkannt, weil er davon ausging, dass eine solche Forderung tatsächlich bestehe.
Der Kläger und der Masseverwalter der M* KG gelangten im Zuge ihrer Recherchen letztlich zur Überzeugung, dass es sich bei den Rechnungen Beilagen ./C bis ./F um bloße Scheinrechnungen handle, weil nie ein Kaufpreis an die Schuldnerin geflossen war. Sie nahmen an, dass kurz vor der Konkurseröffnung Vermögen aus der Schuldnerin verbracht wurde.
Sechs der in Beilage ./B genannten Fahrzeuge waren auch Gegenstand eines Kaufvertrags zwischen einer GmbH, deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer ein weiterer Sohn des vormaligen Zweitbeklagten war, als Verkäuferin und einem (angeblichen) Käufer, der jedoch bei seiner Einvernahme durch die Polizei dezidiert bestritt, diese Fahrzeuge gekauft zu haben.
Insgesamt ergeben sich zwei mögliche Szenarien: Entweder wurden – wie von den beiden Masseverwaltern angenommen – die in der Rechnung vom 27. Juni 2019 angeführten Fahrnisse an den Beklagten weder verkauft noch übergeben, sondern es handelte sich um Scheingeschäfte ohne tatsächlichen Leistungsaustausch. Oder aber es wurden die Fahrnisse tatsächlich an den Beklagten veräußert; in diesem Fall aber wäre der Kaufpreis nicht wirksam an die Schuldnerin geflossen. Sollten nämlich die Fahrnisse laut Rechnungen Beilagen ./C bis ./E tatsächlich an den Beklagten verkauft und übergeben worden sein, wurde insgesamt ein Betrag von 88.976,50 EUR vom (Erst-)Beklagten an den vormaligen Drittbeklagten in bar übergeben. Allerdings ist dieses Geld nie auf das Unternehmenskonto der Schuldnerin gelangt. Vielmehr hat der Drittbeklagte das Geld an seinen Vater, den Zweitbeklagten, weitergegeben, der damit in der Türkei Schulden bezahlt hat.
Die Reifen laut Rechnung Beilage ./F wurden jedenfalls nicht an den Beklagten ausgefolgt. Auch die Fahrnisse laut den Rechnungen Beilagen ./C und ./E wurden nicht an den Beklagten übergeben.
Insgesamt ist von Scheingeschäften auszugehen.
Sollte tatsächlich der Kaufpreis in Höhe von 88.976,50 EUR vom (Erst-)Beklagten an den vormaligen Drittbeklagten in bar übergeben worden sein, dann wusste der Beklagte nichts darüber, dass das Geld in die Türkei verbracht wurde. Ausgehend von den vorliegenden Rechnungen und Zahlungsbestätigungen wäre von einem seriösen Geschäftsmann zu erwarten gewesen, dass die Beträge nachweislich auf ein Firmenkonto überwiesen werden oder zumindest seriöse, inhaltlich richtige Belege und Rechnungen vorliegen.
Unabhängig davon, ob tatsächlich ein Kaufpreis seitens des Beklagten an den vormaligen Drittbeklagten geflossen ist, liegt inhaltlich jedenfalls ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken der drei Beklagten vor, um so anderen Gläubigern Betriebs- und Anlagevermögen zu entziehen.
[12] In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht, soweit in dritter Instanz noch von Interesse, es sei davon auszugehen, dass es sich bei den der Klage zugrunde liegenden Rechnungen um zur Verschleierung dienende Scheinrechnungen handle. Durch die Verschleuderung des Gesellschaftsvermögens und das Ausstellen von Scheinrechnungen seien Gläubigerinteressen beeinträchtigt worden. Selbst wenn man aber davon ausginge, dass der (Erst-)Beklagte tatsächlich den eingeklagten Betrag bezahlt habe, sei dieser nicht der Schuldnerin zugute gekommen, weil er in die Türkei verbracht worden sei und allenfalls der Begleichung persönlicher Verbindlichkeiten des vormaligen Zweitbeklagten gedient habe. Es sei davon auszugehen, dass der (Erst-)Beklagte in die Machenschaften eingebunden gewesen sei. Jedenfalls habe er eine tatsächliche rechtswirksame Zahlung des Kaufpreises an die Schuldnerin aufgrund der dubiosen Zahlungsbestätigungen und Rechnungen nicht nachweisen können.
[13] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge und ließ die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu. Es übernahm die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen, soweit sie sich auf ein angebliches Scheingeschäft beziehen, mit der Begründung nicht, dass sie mangels zugrunde liegenden Klagevorbringens überschießend seien. Auszugehen sei deshalb (nur) von der Feststellung, dass der Beklagte die Kaufpreise jedenfalls nicht (wirksam) an die Schuldnerin gezahlt habe. Auch aus der „Eventualfeststellung“, dass der Beklagte den eingeklagten Betrag in bar an den vormaligen Drittbeklagten übergeben habe, sei für ihn nichts zu gewinnen, weil der Drittbeklagte als lediglich faktischer Geschäftsführer kein vertretungsbefugtes Organ der Schuldnerin gewesen sei, weshalb eine Barzahlung an ihn keine schuldbefreiende Wirkung gehabt hätte. Auf eine (Anscheins-)Vollmacht des Drittbeklagten, die ihn zur Entgegennahme von Kaufpreiszahlungen für die Schuldnerin berechtigt hätte, habe sich der Beklagte nicht berufen.
[14] Gegen dieses Urteil, soweit dem auf die Rechnung Beilage ./B gestützten Zahlungsbegehren (67.200 EUR sA) stattgegeben wurde, richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten, mit der er primär die vollinhaltliche „Stattgebung“ (gemeint: Abweisung) des Klagebegehrens anstrebt; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[15] Der Kläger beantragt in seiner ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung , die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[16] Die Revision ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt .
[17] 1. Die Vorgangsweise des Berufungsgerichts, weite Teile der erstgerichtlichen Feststellungen als überschießend nicht zu übernehmen, hat zur Folge, dass überhaupt keine tragfähige Basis für eine Entscheidung mehr vorliegt:
[18] 1.1. Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen sind in sich widersprüchlich. Allerdings lässt sich dem Ersturteil in seiner Gesamtheit doch eindeutig entnehmen, dass der Erstrichter in Wahrheit vom Vorliegen bloßer Scheingeschäfte ausging, hat er doch die (damit in Widerspruch stehende) „Eventualfeststellung“, wonach die Rechnungen (bar) bezahlt wurden, wie sich seiner Beweiswürdigung entnehmen lässt, ausschließlich für den Fall getroffen, „dass Instanzgerichte den Sachverhalt anders bewerten“.
[19] 1.2. Die vom Berufungsgericht allein übernommenen „hilfsweisen“ Feststellungen des Erstgerichts wären also richtigerweise gar nicht zu treffen gewesen, sodass sie auch der Berufungsentscheidung nicht zugrunde gelegt werden können.
[20] 2. Bei dieser Sachlage wird das Berufungsgericht im fortgesetzten Verfahren – nach Beweiswiederholung – selbst taugliche Feststellungen zu treffen (oder aber das Ersturteil aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen) haben.
[21] 3. Bereits jetzt ist festzuhalten, dass auch der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach es auf die vom Beklagten bekämpften Feststellungen zu seiner Einbindung in die Firmenbelange der Schuldnerin und zum bewussten und gewollten Zusammenwirken der drei Beklagten gar nicht ankomme, weil der Beklagte das Vorliegen einer Anscheinsvollmacht gar nicht behauptet habe, nicht beigetreten werden kann. Der Kläger hat sich nämlich von Anfang an darauf gestützt, dass der vormalige Drittbeklagte faktischer Geschäftsführer der Schuldnerin gewesen sei, also für diese aufgetreten sei und Zahlungen für sie entgegengenommen habe. Unter diesen Umständen war der Beklagte aber nicht gehalten, sich im Zusammenhang mit seiner Behauptung, er habe die der Klage zugrunde liegenden Rechnungen ohnehin in bar an den Drittbeklagten bezahlt, ausdrücklich auf das Vorliegen einer Anscheinsvollmacht (vgl dazu RS0019609) zu stützen. Es ist daher von entscheidungswesentlicher Bedeutung, ob der Beklagte, wie vom Erstgericht (bekämpft) festgestellt, in die Belange der Schuldnerin eingebunden war und im Zusammenwirken mit den beiden weiteren Beklagten vorging, um anderen Gläubigern Betriebs- und Anlagevermögen der Schuldnerin zu entziehen.
[22] 4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.