1Ob141/23a – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Peter Lessky, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, und die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. Dr. W*, vertreten durch Mag. Klaus Ainedter, Rechtsanwalt in Wien, und 2. R*, vertreten durch Dr. Alfred Steinbuch, Rechtsanwalt in Neunkirchen, wegen 1.450.026,50 EUR sA, im Verfahren über den Rekurs des 2. Nebenintervenienten auf Beklagtenseite gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 19. Juni 2023, GZ 14 Nc 10/23m-29, mit welchem eine Delegierung nach § 9 Abs 4 AHG abgelehnt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Akten werden dem Oberlandesgericht Wien mit dem Auftrag zurückgestellt, eine Gleichschrift des Rekurses an die klagende Partei zuzustellen und den Rekurs nach Einlangen einer Rekursbeantwortung oder nach Verstreichen der hierfür vorgesehenen Frist wieder vorzulegen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin macht in dem Verfahren 25 Cg 120/22b des Landesgerichts Wiener Neustadt Amtshaftungsansprüche geltend, die sie aus diversen Vorgängen in einem (ihre Rechtsvorgängerin betreffenden) Pflegschaftsverfahren in Zusammenhang mit einem Verlassenschaftsverfahren (nach deren Ehegatten) ableitet.
[2] Die Beklagte bestritt ebenso wie der auf ihrer Seite beigetretene 1. Nebenintervenient (Gerichtskommissär im Verlassenschaftsverfahren) und 2. Nebenintervenient (Sachwalter im Pflegschaftsverfahren).
[3] Nach Erörterung in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung legte das Landesgericht Wiener Neustadt den Akt dem Oberlandesgericht Wien gemäß § 9 Abs 4 AHG vor.
[4] M it Entscheidung vom 19. 6. 2023 stellte der Vorsitzende des Senats 14 des Oberlandesgerichts Wien den Akt „unerledigt“ an das Landesgericht Wiener Neustadt zurück, „da kein Fall des § 9 Abs 4 AHG vorlieg t“ . Zwar habe die Klägerin ihre Ansprüche auch auf eine Rekursentscheidung des Landesgerichts Wiener Neustadt gestützt, gleich darauf aber vorgebracht, dass diese Rekursentscheidung in keinem sachlichen Zusammenhang mit den geltend gemachten Schadenersatzansprüchen stehe und das Klagebegehren entsprechend eingeschränkt. Damit leite sie ihre Ansprüche nicht (mehr), auch nicht teilweise, aus einer Entscheidung des Landesgerichts Wiener Neustadt ab, sodass dieses auch nicht im Sinn des § 9 Abs 4 AHG von der Entscheidung über die Klage ausgeschlossen sei. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt könne nur jener der „Entscheidung“ durch das übergeordnete Gericht sein.
[5] Den vom 2. Nebenintervenienten auf Beklagtenseite dagegen eingebrachten Rekurs legte das Oberlandesgericht Wien dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor.
Rechtliche Beurteilung
[6] Die Aktenvorlage ist verfrüht .
[7] 1. Das Oberlandesgericht wird bei Entscheidungen über eine Delegierung als Erstgericht tätig (RS0046243). Damit im Zusammenhang stehende Beschlüsse sind ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO mit Rekurs bekämpfbar (RS0046269 [T2]; RS0116349). Das gilt auch im Fall einer notwendigen Delegierung nach § 9 Abs 4 AHG (RS0046269 [T 1 ]; RS0105631), und zwar auch für die Ablehnung einer Delegierung durch das Oberlandesgericht (1 Ob 69/21k; 1 Ob 12/03a).
[8] 2. Voraussetzung der Rekurszulässigkeit ist, dass die angefochtene Entscheidung tatsächlich den Charakter eines Beschlusses hat, also einer Willenserklärung des Gerichts, mit der es eine verfahrensrechtliche Entscheidung oder eine Entscheidung über ein Rechtsschutzbegehren trifft (RS0106917 [T16]). Ob ein anfechtbarer Beschluss oder eine bloße Mitteilung des Gerichts vorliegt, ist durch Auslegung des strittigen Ausspruchs zu ermitteln. Von Bedeutung ist dabei nicht nur dessen Bezeichnung, sondern auch die Rechtsgrundlage. Erfordert sie – bei richtigem Verständnis – keinen anfechtbaren Beschluss, so ist im Zweifel nicht anzunehmen, dass das Gericht einen solchen Beschluss fassen wollte (RS0106917 [T6]).
[9] Im vorliegenden Fall kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass das Erstgericht im Aktenvorlageverfahren nach § 9 Abs 4 AHG nicht nur eine Entscheidung über eine Delegierung zu treffen hatte, sondern auch getroffen hat, indem es eine Delegierung mit inhaltlichen Argumenten abgelehnt hat, auch wenn es diese nicht als Beschluss bezeichnet hat.
[10] Es liegt daher ein mit Rekurs an den Obersten Gerichtshof anfechtbarer Beschluss vor.
[11] 3. D a das Rekursverfahren im Delegierungsverfahren (nach Streitanhängigkeit) zweiseitig ist (vgl RS0119172 [T1]), wird eine Gleichschrift des Rekurses an die Gegenseite zuzustellen sein .