14Os66/23x – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 6. September 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Maringer in der Strafsache gegen * P* und einen anderen Angeklagten wegen Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten P* und Mag. * W* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 19. Jänner 2023, GZ 26 Hv 122/22w 26, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden * P* (dieser iVm § 12 zweiter Fall StGB) und Mag. * W* jeweils eines Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
[2] Danach haben zwischen dem 26. Juni und dem 19. September 2020 in D*
I/ Mag. W* als Bürgermeister der gleichnamigen Gemeinde, mithin als Beamter, seine Befugnis, im Namen dieser Gemeinde als deren Organ Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er
1/ mit dem Vorsatz, dadurch die Nachbarschaft des Lokals „D*“ an ihren Rechten, insbesondere auf Schutz vor Lärmbelästigung, zu schädigen, gestützt auf § 113 Abs 3 Gewerbeordnung 1994 (kurz: GewO) jeweils ohne Prüfung der Schutzinteressen der Nachbarschaft sechs Bescheide mit der Bewilligung einer späteren Sperrstunde des von diesem Lokal betriebenen Gastgartens erließ, obwohl die rechtlichen Voraussetzungen nicht vorlagen, „insbesondere das Lokal 'D*' mangels Anzeige bei der Bezirkshauptmannschaft (§ 76a Abs 3 GewO) überhaupt keinen Gastgarten betreiben durfte, demnach auch keine Verlängerung der Sperrstunde desselben zulässig war“;
2/ mit dem Vorsatz, dadurch die Gemeinde D* an ihrem Vermögen zu schädigen, es unterließ, P* Gebühren von jeweils 18,20 Euro anlässlich der Erlassung von drei der zu Punkt 1/ genannten Bescheiden vorzuschreiben;
II/ P* als Betreiber des Lokals „D*“ Mag. W* zu den zu Punkt I/1 beschriebenen Handlungen bestimmt, indem er ihn aufforderte die Bescheide zu erlassen, obwohl er wusste, dass die Voraussetzungen dafür nicht vorlagen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die von den Angeklagten jeweils aus den Gründen der Z 5, 9 lit a und 10a des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden sind nicht im Recht.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten P*:
[4] Die Mängelrüge macht zunächst keinen der nominell angeführten Mängel (Z 5 erster und zweiter Fall) der kritisierten Feststellungen (samt Begründung) zur subjektiven Tatseite des Beschwerdeführers (vgl US 10 und 15) deutlich und bestimmt geltend (vgl aber RIS Justiz RS0116879).
[5] Gleiches gilt für die Kritik an der Feststellung, Mag. W* habe die inkriminierten Bescheide jeweils ohne Prüfung der Schutzinteressen der Nachbarschaft erlassen (US 5, 6, 7 und 9).
[6] Soweit die weitere Rüge die Ableitung der Feststellungen zur Wissentlichkeit des Beschwerdeführers in Bezug auf vorsätzlichen Fehlgebrauch der Befugnis durch den Mitangeklagten aus dem „festgestellten objektiven Tatgeschehen“ (US 15) der Sache nach als offenbar unzureichend (Z 5 vierter Fall) kritisiert, verfehlt sie die gebotene (RIS Justiz RS0119370) Bezugnahme auf die dazu angestellten tatrichterlichen Überlegungen. Nach diesen ergebe sich die Wissentlichkeit unter anderem „aus der Verantwortung“ des Beschwerdeführers selbst in Verbindung „mit der offenkundigen Eile seiner Antragstellung“ („Ansuchen unmittelbar vor dem Termin“). Dass den inkriminierten Bewilligungen eine Prüfung von Schutzinteressen (der Nachbarschaft) hätte vorausgehen müssen, habe der Beschwerdeführer auf Grund seiner „langjährigen Tätigkeit und Erfahrung als Gastwirt“, der einen weiteren Gastgarten betreibe und Veranstaltungen abgehalten habe, gewusst (US 15). Der Beschwerdeführer vermag nicht darzulegen, dass diese Erwägungen gegen die Denkgesetze oder grundlegende Erfahrungssätze sprächen (RIS Justiz RS0118317).
[7] Indem er „erhebliche Bedenken hinsichtlich der Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde gelegten, entscheidenden Tatsachen“ behauptet, dabei jedoch den erstgerichtlichen Erwägungen lediglich eine Antithese in Form eigener Spekulationen ohne konkreten Aktenbezug gegenüberstellt, spricht er ein weiteres Mal keinen Nichtigkeit bewirkenden Umstand deutlich und bestimmt an (vgl RIS Justiz RS0117446 [insbesondere T4]).
[8] Im Übrigen erschöpft sich das Vorbringen der Mängelrüge in (rechtlichen) Ausführungen zu (teils nicht entscheidenden) verwaltungsrechtlichen (Vor )Fragen und in Beweiswürdigungskritik nach Art einer im kollegial-gerichtlichen Verfahren unzulässigen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung.
[9] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) verfehlt mit dem Einwand, der Beschwerdeführer habe nie um Bewilligung einer Verlängerung der Sperrstunde für einen Gastgarten vor seinem Lokal „D*“ angesucht, weshalb er „schon aus diesem Grund niemanden dazu anstiften“ habe können, die gebotene (RIS Justiz RS0099810) Bezugnahme auf den Urteilssachverhalt (US 5 ff).
[10] Das weitere Vorbringen, es habe sich einerseits beim gegenständlichen Ausschank im Freien nicht um einen Gastgarten (gemeint ersichtlich: im Sinn der GewO), sondern um „einzelne Veranstaltungen“ gehandelt, und andererseits seien die Genehmigungsvoraussetzungen für gewerbliche Betriebsanlagen nach § 74 Abs 2 GewO für Gastgärten mit Blick auf die für diese bestehende Spezialnorm des § 76a GewO nicht anwendbar, bleibt unklar und lässt ebenso wenig Relevanz für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage erkennen wie der Hinweis auf die Voraussetzungen für die Durchführung einer Veranstaltung nach dem stmk VeranstaltungsG. Letzteres gilt auch für die Behauptung, es sei „bei einer Verlängerung Sperrstunde … trotz Verlängerung der Emissionssituation nicht von einer Lärmbelästigung der Nachbarn“ auszugehen gewesen, weil „einerseits keinerlei Beschwerden bei der Gemeinde … wegen Lärmerregung vor dem Lokal 'D*' aktenkundig sind und waren“ (vgl allerdings die im Urteil wiedergegebene [US 4 f und 12] Aussage des als Zeuge vernommenen Gemeindemitarbeiters * K*, er habe Mag. W* vor Bescheiderlassung auf Anrainerbeschwerden wegen Lärmbelästigung durch dieses Lokal aufmerksam gemacht [ON 25 S 18 f]) und andererseits „keine Bestrafung“ des Beschwerdeführers „wegen einer Lärmbelästigung von Anrainern“ festgestellt worden sei.
[11] Davon abgesehen bekämpft die Rechtsrüge mit dem Hinweis, der Beschwerdeführer habe „zwei bis drei Türsteher“ eingesetzt, um im Außenbereich für „Ruhe und Ordnung“ zu sorgen, bloß unzulässig die Feststellungen zu seinem auf Schädigung der Nachbarschaft durch Lärmbelästigung gerichteten Vorsatz (US 10).
[12] Aus Z 10a ist ein Urteil dann nichtig, wenn die darin enthaltenen Feststellungen bei richtiger Rechtsansicht die Nichtanwendung der Diversion nicht zu tragen vermögen oder wenn Ergebnisse der Hauptverhandlung auf einen Umstand hindeuten, der für die positive Beurteilung der diversionellen Voraussetzungen den Ausschlag gäbe, das Gericht dazu aber keine Feststellungen getroffen hat (RIS Justiz RS0119091). Schon weil die Diversionsrüge keinen dieser Umstände behauptet, sondern lediglich reklamiert, der Beschwerdeführer sei vom Erstgericht „nicht gefragt“ worden, „ob er in dieser Hinsicht Verantwortung übernimmt“, verfehlt sie die prozessordnungsgemäße Darstellung. Davon abgesehen vermag sie eine von Unrechtsbewusstsein getragene Verantwortungsübernahme des Beschwerdeführers (zu dieser Diversionsvoraussetzung vgl RIS Justiz RS0126734) nicht zu argumentieren (vgl ON 25 S 11 f und 21).
[13] Angesichts der Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens sämtlicher Diversionsvoraussetzungen (RIS Justiz RS0124801) erübrigt sich eine inhaltliche Erörterung, ob die übrigen Kriterien für das begehrte Vorgehen erfüllt gewesen wären (vgl nur zum Erfordernis eines atypisch geringen Schuldgehalts bei Missbrauch der Amtsgewalt 14 Os 150/21x mwN).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Mag. W*:
[14] Die Rüge erschöpft sich großteils darin, undifferenziert auf die Z 5 und 9 lit a gestützt (zur wesensmäßigen Verschiedenheit der Nichtigkeitsgründe und dem daraus folgenden Gebot zu deren gesonderter Ausführung vgl aber RIS Justiz RS0115902) „falsche rechtliche Beurteilung aufgrund fehlender und widersprüchlicher Feststellungen“ zu behaupten, ohne einen Mangel entscheidende Tatsachen betreffender Feststellungen im Sinn der Z 5 oder einen Rechtsfehler auf Basis des Urteilssachverhalts deutlich und bestimmt aufzuzeigen. Sie entzieht sich daher schon deshalb einer inhaltlichen Beantwortung.
[15] Indem die Diversionsrüge (Z 10a) diversionelles Vorgehen (nur) in Bezug auf den zu I/2 gegenständlichen Vorwurf unter der (gerade nicht gegebenen) Voraussetzung erfolgreicher Bekämpfung des Schuldspruchs zu I/1 für „zweifellos zulässig“ erklärt, bedarf auch sie keiner näheren Erörterung. Im Übrigen wird auf die Beantwortung der Diversionsrüge des Mitangeklagten verwiesen.
[16] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[17] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).
[18] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
[19] Bleibt der Vollständigkeit halber mit Blick auf § 290 StPO anzumerken:
[20] Die tatrichterliche Annahme eines (objektiven) Fehlgebrauchs der Befugnis, weil P* den Gastgarten des Lokals „D*“ mangels Anzeige an die Gewerbebehörde (§ 76a Abs 3 GewO) gar nicht hätte betreiben dürfen, ist verfehlt, weil das Unterlassen der Anzeige zwar eine Verwaltungsübertretung (nach § 367 Z 24a GewO) darstellt, jedoch per se weder die Unzulässigkeit des Betriebs nach sich zieht noch einen eigenständigen Grund für dessen – im Übrigen auch nicht festgestellte – Untersagung durch die Gewerbebehörde bildet (vgl § 76a Abs 4 GewO). Die verfehlte Rechtsansicht blieb jedoch ohne Auswirkung auf die Schuldfrage, weil das Erstgericht auch (unbekämpft) feststellte, dass Mag. W* es jeweils vor Bescheiderlassung unterlassen habe, (neben dem Vorliegen rechtskräftiger Bestrafungen des Mitangeklagten wegen Überschreitung der Sperrstunde [US 23]) Schutzinteressen der Nachbarschaft zu prüfen (US 5 ff), somit entgegen § 113 Abs 3 GewO auf öffentliche Interessen Bedacht zu nehmen (vgl Stolzlechner/Müller/Seider/Vogelsang/Höllbach GewO 4 § 113 Rz 14), weshalb die Sachverhaltsgrundlage für die (rechtliche) Annahme eines Befugnisfehlgebrauchs ausreicht.