3Ob33/23h – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) F* F*, und 2) S* F*, ebendort, beide vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, Deutschland, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 20.532 EUR sA, infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. November 2022, GZ 15 R 118/22s 43, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 25. Mai 2022, GZ 6 Cg 117/20s 39, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art 2 Nr 6 und Anhang III Abs 3.13.4. Durchführungs VO 692/2008/EG (iVm Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG) dahin auszulegen, dass eine emissionsmindernde Einrichtung (Steuerprogramm zur Regenerierung des Speicherkatalysators im Vorbereitungszyklus), die als kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem gilt, weil eine Regeneration (Reinigungsvorgang) mindestens einmal während einer Prüfung Typ I erfolgt, nachdem sie bereits mindestens einmal während des Zyklus zur Vorbereitung des Fahrzeugs stattgefunden hat (Precon bzw Vorkonditionierung), eine Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG ist?
2. a) Ist Art 5 Abs 2 lit c VO 715/2007/EG (iVm Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG sowie Art 2 Nr 6 und Anhang III Abs 3.13.4. Durchführungs VO 692/2008/EG) dahin auszulegen, dass (gegebenenfalls) eine solche Abschalteinrichtung zulässig ist, weil die Bedingungen im maßgebenden Verfahren zur Prüfung der Emissionen im Wesentlichen eingehalten sind?
b) Ist Art 5 Abs 1 VO 715/2007/EG (iVm Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG sowie Art 2 Nr 6 und Anhang III Abs 3.13.4. Durchführungs VO 692/2008/EG) dahin auszulegen, dass (gegebenenfalls) eine solche Abschalteinrichtung zulässig ist, wenn die emissionsrelevante Wirkungsweise, die sie im Prüfverfahren (Zulassungstest) aufweist, in 80 % der Fälle auch unter normalen Betriebsbedingungen (im Realbetrieb) gegeben ist?
3. Ist Abs 2.20 und Anhang 13 Abs 3 UNECE (iVm Anhang III Abs 3.13.1. und Art 2 Nr 6 Durchführungs-VO 692/2008/EG) dahin auszulegen, dass die in Anhang 13 Abs 3 Satz 2 UNECE normierte Anordnung, wonach der Schalter (zur Verhinderung oder Ermöglichung des Regenerierungsvorgangs) während der Vorkonditionierungszyklen nur betätigt werden darf, um die Regenerierung zu verhindern, nur für das besondere Prüfverfahren nach Anhang 13 UNECE und damit für die Emissionsprüfung bei einem Fahrzeug mit einem periodischen Regenerierungssystem, nicht aber auch für ein Fahrzeug mit einem kontinuierlichen Regenerationssystem maßgebend ist?
II. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Text
Begründung:
Zu I.:
A. Sachverhalt
[1] Die Kläger erwarben am 3. 4. 2015 bei einem KFZ-Händler einen von der Beklagten hergestellten PKW VW Golf Sportsvan Lounge BMT TDI DSG als Neuwagen um den Kaufpreis von 26.100 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem Motor vom Typ EA 288 (EU 6 NSK) ausgestattet; für das Fahrzeug ist die Abgasnorm EU 6 maßgebend. Dieser Motor ist aufgrund seiner bau- und programmtechnischen Ausstattung nicht von der Problematik im Zusammenhang mit den NOx Werten bei der Motorreihe EA 189 (EU 5) betroffen. Die EU Typengenehmigung für das Fahrzeug ist nach wie vor aufrecht.
[2] Im Fahrzeug ist zur Abgasreinigung eine Niederdruck-Abgasrückführung (ND AGR) verbaut. Die Abgasrückführung wird zur innermotorischen Verminderung des Stickoxydausstoßes verwendet. Das Fahrzeug weist ein Thermofenster für Außentemperaturen zwischen 24 Grad Celsius und + 70 Grad Celsius auf. Für die Dauerhaltbarkeit des AGR Ventils, des AGR Kühlers und der AGR Kühlerklappe sowie auch für den Dieselpartikelfilter und den Turbolader ist die Implementierung dieses Thermofensters technisch erforderlich.
[3] Durch die kontinuierliche Reduktion der AGR im Rahmen des Thermofensters steigen zwangsläufig die innermotorisch entstehenden NOx Werte. Um diesen Schadstoffausstoß möglichst gering zu halten, ist im Fahrzeug ein NOx Speicherkatalysator (NSK) verbaut. Dieser Katalysator kann zwischen 50 und 70 % der Stickoxyde während der Normalfahrt chemisch speichern. Er muss durch Verbrennung regelmäßig regeneriert werden, um seine Funktionsfähigkeit zu erhalten. Die Regenerierung dauert ungefähr 3 bis 10 Sekunden und erfolgt je nach Hersteller unterschiedlich in Abständen von ungefähr 5 bis 10 km während laufendem Betrieb. Beim Klagsfahrzeug erfolgt die Regenerierung etwa alle 5 km bzw bei vollständiger Sättigung des Katalysators. Während der Regenerierung kommt es zu einem kurzfristig (über eine Dauer von 3 bis 10 Sekunden) erhöhten NOx Ausstoß.
[4] Im Klagsfahrzeug ist eine „Precon“ (Vorkonditionierung) mit Fahrkurvenerkennung implementiert. Dieses Steuerprogramm erkennt, wenn das Fahrzeug für die Abgasmessung auf dem Prüfstand vorbereitet wird. In diesem Fall wird unabhängig von der seit der letzten Regenerierung erfolgten Laufleistung und unabhängig vom Sättigungsgrad des Katalysators eine Regenerierung ausgelöst. Dadurch wird bewirkt, dass der eigentliche Prüfzyklus immer mit regeneriertem Katalysator beginnt.
[5] Bei Prüfung der Abgaswerte am Prüfstand wird entsprechend den europäischen Prüfvorschriften durch einen genormten Prüfzyklus (NEFZ) ein bestimmtes Fahrverhalten des Fahrzeugs simuliert, das über einen Zeitraum von 1.180 Sekunden und einer Strecke von etwa 11 km Phasen der Beschleunigung, des konstanten Fahrens und der Verzögerung im städtischen und außerstädtischen Bereich entspricht. Aufgrund der Precon kommt es bei einer simulierten Fahrt über 11 km immer zwei Mal und nie drei Mal zu einer Regenerierung des Katalysators und der damit verbundenen kurzfristigen Schadstofferhöhung. Dies entspricht nicht immer den Abläufen im Realbetrieb, weil eine Fahrt über 11 km auch mit einem nahezu gesättigten Katalysator begonnen werden kann. Rein rechnerisch kommt es im Realbetrieb bei Regenerierungsintervallen von 5 km auf einer Strecke von 11 km 2,2 Mal zu einer Regenerierung. Ohne Fahrkurvenerkennung in der Precon könnte während eines Prüfzyklus die Regenerierung auch drei Mal erfolgen, dies rein rechnerisch in einem von fünf Fällen.
B. Prozessstandpunkte der Parteien und bisheriges Verfahren
[6] Die Kläger begehrten (primär) die Zahlung von 20.532 EUR sA Zug um Zug gegen Rückstellung des Fahrzeugs. Zunächst brachten sie vor, dass das Fahrzeug mit dem Motortyp EA 189 und daher in einem gesetzwidrigen Zustand ausgeliefert worden sei. Nach entsprechendem Einwand der Beklagten stützten sich die Kläger darauf, dass im Fahrzeug der Motortyp EA 288 verbaut sei. Nach eigenen Angaben der Beklagten sei auch dieser Motortyp vom Abgasskandal betroffen, zumal auch dieser Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sei. Konkret seien zwei Abschalteinrichtungen programmiert, nämlich eine temperaturabhängige und gleichzeitig eine vom Prüfstand bzw Realbetrieb abhängige Einrichtung. Durch die vorsätzliche Manipulation der Vertreter der Beklagten seien sie in die Irre geführt worden, weshalb sie gemäß § 874 ABGB einen Anspruch auf Schadenersatz im Weg der Naturalrestitution hätten. Die Beklagte hafte auch deliktisch wegen sittenwidriger Schädigung iSd § 1295 Abs 2 ABGB.
[7] Die Beklagte entgegnete, dass der vorliegende Motortyp EA 288 mit keiner (unzulässigen) Abschalt-einrichtung versehen sei. Das Thermofenster umfasse den Temperaturbereich von 24 Grad Celsius bis + 70 Grad Celsius und sei daher derart weit gefasst, dass die Abgasrückführung in Österreich zu 100 % funktioniere. Um vergleichbare Messwerte zu erzielen, bewirke die Fahrkurvenerkennung in der Precon, dass die sonst alle 5 km regelmäßig stattfindende Regenerierung des NOx Speicherkatalysators während der Vorkonditionierung stattfinde, damit der eigentliche Prüfzyklus repräsentativ sei.
[8] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise statt. Beim vorliegenden Motortyp EA 288 liege keine unzulässige Abschalteinrichtung vor, weil aufgrund des weiten Thermofensters eine Abschaltung der Abgasrückführung nur im Ausnahmefall zur Verhinderung von Gefahrensituationen erfolge. Anders sei jedoch die implementierte Fahrkurvenerkennung (Precon) auf dem Prüfstand zu beurteilen, weil die vom Fahrverhalten unabhängige Differenzierung bei der Regenerierung im Prüfmodus einerseits und im Realbetrieb andererseits nicht der Gefahrenabwehr diene, auch wenn aus rein technischer Sicht nichts „abgeschaltet“ werde.
[9] Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Das Klagsfahrzeug sei mit einem Motor vom Typ EA 288 ausgestattet, dessen Thermofenster den Temperaturbereich von 24 Grad Celsius bis + 70 Grad Celsius umfasse. Da dieser Temperaturbereich in Europa das ganze Jahr in der Regel nicht über- oder unterschritten werde, sei gewährleistet, dass die Abgasreinigungsanlage während des gesamten Fahrbetriebs in Funktion sei. Bei diesem Thermofenster handle es sich daher um keine unzulässige Abschalteinrichtung.
[10] Das Precon Programm könnte bei isolierter Betrachtung als (unzulässige) Abschalteinrichtung beurteilt werden, weil durch die der Prüfung vorgezogene Regenerierung des Katalysators ein Parameter des Emissionskontrollsystems so verändert werde, dass damit dessen Wirksamkeit verringert werden „könnte“. Eine Verringerung in diesem Sinn sei jedoch keineswegs zwingend, weil eine Regenerierung des Katalysators auch real am Ende der zuletzt vor der Prüfung durchgeführten Fahrt stattfinden könne, sodass die anschließende Realfahrt ebenso mit gereinigtem Katalysator begonnen werde, was einer Prüffahrt nach der Precon am Prüfstand entspreche. In diesem Fall wären die Verhältnisse genau gleich mit jenen beim Prüfzyklus, weil jeweils mit gereinigtem Katalysator begonnen werde.
[11] In rechtlicher Hinsicht sei jedoch entscheidend, dass nach Art 2 Nr 6 der auf den Anlassfall anwendbaren Durchführungs VO (iVm Anhang III Abs 3.13. dieser Durchführungs VO und Anhang 13 Abs 3 UNECE) sowohl ein periodisch arbeitendes Regenerationssystem als auch ein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem vorgesehen sei; für Letzteres sei kein besonderes Prüfverfahren erforderlich. Diese Bestimmungen zeigten, dass die Implementierung derartiger Systeme zulässig sei, was im Konkreten für eine Regenerierung im Rahmen der Vorbereitung des Fahrzeugs auf den Prüfzyklus gelte, solange mindestens ein Mal während der Prüfung eine weitere Regenerierung stattfinde. Damit sei in der Fahrkurvenerkennung (Precon) zur Vorbereitung des Fahrzeugs auf den Prüfzyklus keine unzulässige Abschalteinrichtung zu erblicken, weil dieser Vorgang vom EU Verordnungsgeber ausdrücklich zugelassen werde. Durch die Regenerierung in der Precon werde sichergestellt, dass im Prüfzyklus zu den dabei ausgestoßenen Emissionen keine weiteren, im Katalysator aus einer vorangegangenen Fahrt gespeicherten NOx Werte erfasst würden, weil dies eine Verzerrung der erhobenen Werte bedeute.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Revision sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zu der in Rede stehenden Fahrkurvenerkennung (Precon) beim Motortyp EA 288 bisher nicht Stellung genommen habe.
[13] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Kläger, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.
[14] Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu diesem den Erfolg zu versagen.
C. Relevante Rechtsvorschriften
VO 715/2007/EG über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge:
„Art 3 Nr 10:
Im Sinne dieser Verordnung und ihrer Durchführungsmaßnahmen bezeichnet der Ausdruck:
'Abschalteinrichtung' ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.“
VO 692/2008/EG der Kommission zur Durchführung und Änderung der VO 715/2007/EG (kurz Durchführungs VO):
„Art 2 Nr 6:
Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:
'periodisch arbeitendes Regenerationssystem' Katalysatoren, Partikelfilter oder andere emissionsmindernde Einrichtungen, bei denen nach weniger als 4000 km bei normalem Fahrzeugbetrieb ein periodischer Regenerationsvorgang erforderlich ist.
Anhang III: Prüfung der durchschnittlichen Abgasemissionen bei Umgebungsbedingungen
...
3. Technische Vorschriften
...
3.13. Technische Vorschriften für ein Fahrzeug mit einem periodisch arbeitenden Regenerationssystem
3.13.1. Die technischen Vorschriften entsprechen denen von Anhang 13 Absatz 3 der UNECE Regelung Nr 83 mit den in den Absätzen 3.13.2. bis 3.13.4. beschriebenen Ausnahmen.
...
3.13.4. Bei einer periodisch arbeitenden Regenerationseinrichtung können die Emissionsgrenzwerte während der Zyklen überschritten werden, in denen eine Regeneration erfolgt. Erfolgt bei einer emissionsmindernden Einrichtung eine Regeneration mindestens einmal während einer Prüfung Typ 1, nachdem sie bereits mindestens einmal während des Zyklus zur Vorbereitung des Fahrzeugs stattgefunden hat, so gilt das System als kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem, für das kein besonderes Prüfverfahren erforderlich ist.“
Regelung Nr 83 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa [UNECE] – Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Fahrzeuge hinsichtlich der Emission von Schadstoffen aus dem Motor entsprechend den Kraftstofferfordernissen des Motors (kurz UNECE):
„Abs 2.20.:
Für die Zwecke dieser Verordnung bedeutet
'System mit periodischer Regenerierung' eine emissionsmindernde Einrichtung (z. B. einen Katalysator oder einen Partikelfilter), bei der nach weniger als 4000 km bei normalem Fahrzeugbetrieb ein periodischer Regenerierungsvorgang erforderlich ist. Während der Zyklen, in denen eine Regenerierung erfolgt, können die Emissionsgrenzwerte überschritten werden. Erfolgt bei einer emissionsmindernden Einrichtung eine Regenerierung mindestens einmal während einer Prüfung Typ I, nachdem sie bereits mindestens einmal während des Zyklus zur Vorbereitung des Fahrzeugs vorgenommen wurde, dann gilt das System als System mit kontinuierlicher Regenerierung, für das kein besonderes Prüfverfahren erforderlich ist. Anhang 13 dieser Regelung gilt nicht für Systeme mit kontinuierlicher Regenerierung.
Anhang 13: Verfahren für die Emissionsprüfung an einem Fahrzeug mit einem System mit periodischer Regenerierung
...
3. Prüfverfahren
In dem Fahrzeug darf ein Schalter vorhanden sein, mit dem der Regenerierungsvorgang verhindert oder ermöglicht wird, allerdings darf dies keine Auswirkungen auf die ursprüngliche Motoreinstellung haben. Dieser Schalter darf nur dann betätigt werden, wenn die Regenerierung während der Beladung des Regenerierungssystems und während der Vorkonditionierungszyklen verhindert werden soll. Bei der Messung der Emissionen während der Regenerierungsphase darf er jedoch nicht betätigt werden; in diesem Fall ist die Emissionsprüfung mit dem unveränderten Erstausrüster-Steuergerät durchzuführen.“
D. Vorbemerkungen
[15] Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt maßgebend von der Auslegung von Art 3 Nr 10, Art 5 Abs 1 und 2 VO 715/2007/EG, Art 2 Nr 6 und Anhang III Abs 3.13.1. und 3.13.4. Durchführungs VO sowie Abs 2.20. und Anhang 13 Abs 3 UNECE ab. Nach der Beurteilung des Obersten Gerichtshofs besteht im Hinblick auf die Vorlagefragen kein „acte clair“, weshalb die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung geboten ist.
[16] Im Verfahren ist nicht mehr strittig, dass im Fahrzeug der Kläger in Wirklichkeit ein Dieselmotor vom Typ EA 288 verbaut ist, für den die Abgasnorm EU 6 maßgebend ist. Dieser Motor ist mit einem Thermofenster für Außentemperaturen zwischen 24 Grad Celsius und + 70 Grad Celsius ausgestattet. Dazu ist unstrittig, dass es sich dabei um keine Abschalteinrichtung handelt, die iSd Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EG jedenfalls (unabhängig von der Frage des Motorschutzes im konkreten Einzelfall) unzulässig ist, weil sie aufgrund der vorherrschenden Außentemperaturen den überwiegenden Teil des Jahres in Funktion ist. Aus dem Vorhandensein des Thermofensters leiten die Kläger auch keine Ansprüche mehr ab.
[17] Im Revisionsverfahren ist aber vor allem fraglich, ob es sich bei der implementierten Precon mit Fahrkurvenerkennung (Steuerprogramm zur Regenerierung des Katalysators im Vorbereitungszyklus) um eine unzulässige Abschalteinrichtung iSd Art 3 Nr 10 iVm Art 5 VO 715/2007/EG handelt.
E. Begründung der Vorlage
[18] 1.1 Frage 1 bezieht sich darauf, ob ein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem (im Unterschied zu einem bloß periodisch arbeitenden Regenerationssystem) überhaupt eine Abschalteinrichtung sein kann. Der Oberste Gerichtshof geht nämlich davon aus, dass es sich bei der in Rede stehenden Precon (Steuerprogramm zur Regenerierung des Speicherkatalysators im Vorbereitungszyklus, sodass der eigentliche Prüfzyklus Typ 1 mit regeneriertem Katalysator beginnt) um ein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem handelt. Nach den Feststellungen sind sowohl die Voraussetzungen nach Art 2 Nr 6 Durchführungs VO als auch jene nach Anhang III Abs 3.13.4. Durchführungs VO für ein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem erfüllt.
[19] 1.2 Art 2 Nr 6 Durchführungs VO (inhaltsgleich mit Abs 2.10. Satz 1 UNECE) definiert das periodisch arbeitende Regenerationssystem. An diese Bestimmung knüpft Anhang III Abs 3.13.4. Durchführungs VO an; Satz 1 entspricht dabei Abs 2.10. Satz 2 UNECE. Satz 2 (inhaltsgleich mit Abs 2.10. Satz 3 UNECE) definiert das kontinuierlich arbeitende Regenerationssystem als besondere Form eines periodisch arbeitenden Regenerationssystems und normiert, dass für ein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem kein besonderes Prüfverfahren erforderlich ist.
[20] Es ist somit zwischen einem periodisch arbeitenden und einem kontinuierlich arbeitenden Regenerationssystem zu unterscheiden. Die Besonderheit eines kontinuierlich arbeitenden Regenerationssystems besteht darin, dass eine Regeneration mindestens einmal während einer Prüfung Typ 1 erfolgt, nachdem sie bereits mindestens einmal während des Zyklus zur Vorbereitung des Fahrzeugs stattgefunden hat.
[21] Die Anordnung, dass für ein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem kein besonderes Prüfverfahren erforderlich ist, bedeutet, dass Anhang 13 Abs 3 UNECE (iVm Anhang III Abs 3.13.1. Durchführungs VO) nicht anzuwenden ist. Das Prüfverfahren nach Anhang 13 Abs 3 UNECE gilt daher nur für Fahrzeuge mit einem periodisch arbeitenden Regenerationssystem, nicht aber für Fahrzeuge mit einem kontinuierlich arbeitenden Regenerationssystem. Diese Zusammenhänge werden zweifelsfrei durch (die inhaltsgleichen Regelungen des) Abs 2.20. UNECE bestätigt. Darin wird explizit festgehalten, dass Anhang 13 UNECE für Systeme mit kontinuierlicher Regenerierung nicht gilt. Für ein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem gilt damit das Prüfverfahren nach Anhang 4A UNECE. In diesem Fall erfolgen die Abgasmessungen nur im eigentlichen Prüfzyklus. Demgegenüber gibt es bei periodisch arbeitenden Regenerationssystemen weitere Prüfzyklen (Vorbereitungszyklus; Regenerationszyklus).
[22] 1.3 Aufgrund der rechtlichen Fiktion nach Anhang III Abs 3.13.4. Satz 2 Durchführungs VO, wonach die beschriebene besondere Form eines periodisch arbeitenden Regenerationssystems als kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem gilt, ist für den Prüfbetrieb (am Prüfstand) zu unterstellen, dass sich das Regenerationssystem laufend (durchgehend) in Funktion befindet. Die Steuerung des Regenerationsvorgangs ist für die Abgasmessung damit unberücksichtigt zu lassen, sodass nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs von einer gleichbleibenden (einheitlichen) messrelevanten Funktionsweise (und Wirkungsweise) des Motors auszugehen ist.
[23] Wenn die einheitliche Funktionsweise des Motors aufgrund der beschriebenen rechtlichen Fiktion für den Prüfbetrieb gilt, muss dies auch für den Realbetrieb gelten, weil ein aussagekräftiger Vergleich zum Realbetrieb (mit nachteiligen rechtlichen Konsequenzen bei emissionsrelevanten Veränderungen) nur bei Vorliegen derselben Ausgangsbedingungen in Bezug auf die Funktionsweise des Emissionskontrollsystems möglich ist. Aus diesem Grund liegt es nahe, bei einem kontinuierlich arbeitenden Regenerationssystem auch für den Realbetrieb von einem durchgehend in Funktion befindlichen Regenerationssystem auszugehen.
[24] Dies würde bedeuten, dass durch ein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem kein Teil des Emissionskontrollsystems in seiner Funktion aktiviert, verändert, verzögert oder deaktiviert wird, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems im Realbetrieb verringert wird. Folgt man diesem Ansatz, so würde es sich bei einem solchen kontinuierlichen Regenerationssystem um keine Abschalteinrichtung iSd Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG handeln.
[25] 2.1 Die Fragen 2. a) und b) betreffen das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes, selbst wenn vom Vorliegen einer Abschalteinrichtung ausgegangen werden solle.
[26] 2.2 Art 5 Abs 2 lit c VO 715/2007/EG sieht einen ausdrücklichen (geschriebenen) Rechtfertigungsgrund vor, wenn trotz Abschalteinrichtung die Bedingungen für das jeweilige Prüfverfahren im Wesentlichen eingehalten sind. Anhang III Abs 3.13.4. Durchführungs VO sieht die Verwendung einer Precon (Steuerprogramm zur Regenerierung des Katalysators im Vorbereitungszyklus) ausdrücklich vor und normiert, dass unter bestimmten, im Anlassfall gegebenen Voraussetzungen das Regenerationssystem als kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem gilt, was dazu führt, dass eine Prüfung Typ 1 stattzufinden hat. Die hier fraglichen Prüfungsbedingungen sehen demnach für die Anwendbarkeit eines bestimmten Zulassungstests (Typ 1) vor, dass während des Vorbereitungszyklus mindestens einmal eine Regeneration der emissionsmindernden Einrichtung (Katalysator) stattfinden muss. Wenn diese Bedingung in den Normen für das maßgebende Prüfverfahren vorgeschrieben ist, so muss auch der Ausnahmetatbestand nach Art 5 Abs 2 lit c VO 715/2007/EG erfüllt sein.
[27] 2.3 Nach Art 5 Abs 1 VO 715/2007/EG müssen die das Emissionsverhalten beeinflussenden Bauteile sicherstellen, dass das Fahrzeug auch unter normalen Betriebsbedingungen der VO 715/2007/EG entspricht, insbesondere also die Grenzwerte eingehalten werden. In diesem Zusammenhang hat der Europäische Gerichtshof in der Entscheidung zu C 693/18, CLCV , Rn 99, ausgesprochen, dass Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG dahin auszulegen ist, dass eine Software, die die Höhe der Fahrzeugemissionen anhand der von ihr ermittelten Fahrbedingungen verändert und die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte nur unter Bedingungen gewährleistet, die denen der Zulassungstests entsprechen, eine Abschalteinrichtung ist, und zwar auch dann, wenn die Verbesserung der Leistung des Emissionskontrollsystems punktuell auch unter normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs beobachtet werden kann. Dies bedeutet e contrario, dass eine Abschalteinrichtung zulässig sein muss, wenn das Emissionsverhalten, das im Prüfzyklus vorliegt, zum überwiegenden Teil bzw in der Mehrzahl der Fälle auch im Realbetrieb gegeben ist.
[28] Dies ist bei der zu beurteilenden Precon der Fall. Nach den Feststellungen findet während des eigentlichen Prüfzyklus eine zweimalige Regenerierung statt, während im Realbetrieb rein rechnerisch – bei den gegebenen Regenerierungsintervallen von 5 km auf einer (mit dem Prüfzyklus vergleichbaren) Strecke von 11 km – 2,2 Mal eine Regenerierung erfolgt. Im Realbetrieb kann die Regenerierung demnach auch dreimal erfolgen, und zwar rein rechnerisch in einem von fünf Fällen. Davon ausgehend können im Realbetrieb (im Vergleich zum Prüfbetrieb) keineswegs regelmäßige dreimalige Regenerierungen angenommen werden. Solche sind – in Abhängigkeit vom Ladezustand des Katalysators – zwar möglich, allerdings sind lediglich zweimalige Regenerierungen wesentlich häufiger, nämlich in 80 % der Fälle. In der Mehrzahl der Fälle erfolgt somit auch im Realbetrieb eine Regenerierung des Katalysators derart, dass die Verhältnisse gleich wie im Prüfzyklus sind.
[29] Bei einer zu 80%igen gleichen Wirkungsweise der emissionsmindernden Einrichtung (Katalysator) im Realbetrieb wie im Prüfbetrieb kann nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs nicht davon gesprochen werden, dass die Emissionsminderung lediglich punktuell auch im Realbetrieb beobachtet werden kann.
[30] 3. Frage 3 bezieht sich auf den Einwand der Kläger, dass es sich bei der Precon um kein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem handle, weil der vorhandene Schalter zur Verhinderung oder Ermöglichung des Regenerationsvorgangs während des Vorbereitungszyklus betätigt werde, um die Regeneration des Katalysators auszulösen und nicht nur dazu, um diese zu verhindern. Dies sei nach Anhang 13 Abs 3 UNECE (siehe auch Abs 3.2.3.) untersagt.
[31] Anhang 13 Abs 3 UNECE gilt zwar für ein periodisch arbeitendes Regenerationssystem (mit den besonderen Prüfverfahren nach Anhang 13 UNECE), nicht aber für ein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem (Prüfung Typ I nach Anhang 4A UNECE). Für ein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem ist nach Anhang III Abs 3.13.4. Durchführungs VO (inhaltsgleich mit Abs 2.20. Satz 3 UNECE) nämlich ausdrücklich vorgesehen, dass auch im Vorbereitungszyklus mindestens einmal eine Regeneration des Katalysators stattfinden muss. Dass diese Regeneration bewusst ausgelöst wird und der eigentliche Prüfzyklus daher mit leerem Katalysator beginnt, ist daher vorgeschrieben und nicht schädlich.
Zu II.:
[32] Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens gründet sich auf § 90a Abs 1 GOG.