6Ob94/23a – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer Zeni Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Wallner Jorthan Rechtsanwalts GmbH in Wien, wider die beklagte Partei W* GmbH, *, vertreten durch CERHA HEMPEL Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 900 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. Juli 2022, GZ 15 R 93/22i 40, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Das mit Beschluss vom 17. 10. 2022, AZ 6 Ob 180/22x, unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.
II. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Zu I.:
Rechtliche Beurteilung
[1] Mit Beschluss vom 17. 10. 2022, AZ 6 Ob 180/22x, wurde das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über den vom Obersten Gerichtshof am 15. 4. 2021 zu AZ 6 Ob 35/21x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen. Der EuGH hat mit Urteil vom 4. 5. 2023, C 300/21, die Vorabentscheidung getroffen. Das Revisionsverfahren ist daher von Amts wegen fortzusetzen.
Zu II.:
[2] Die Beklagte ist Netzbetreiberin. Zwischen ihr und dem Kläger besteht ein aufrechter Netznutzungsvertrag. Am 17. 9. 2019 wurde beim Kläger der Stromzähler getauscht und ein „intelligentes“ Messgerät („Smart Meter“) installiert.
[3] Der Kläger, der die Montage und Inbetriebnahme eines Smart Meter bereits mit Fax vom 26. 6. 2015 gegenüber der Beklagten „in welcher Bauart und Ausführung auch immer“ und auch später nach Information über den Zählertauschtermin mit Schreiben vom 9. 9. 2019 (insgesamt) abgelehnt, aber keinen „Opt Out Wunsch“ (Einstellung der Opt-Out-Konfiguration) geäußert hatte, bemerkte nach Installation des neuen Zählers umgehend, dass dieser in der Standard-Variante (und nicht in der „Opt Out Version“) konfiguriert war. Da er auch die Umstellung auf die Opt Out Konfiguration nicht wollte, wandte er sich auch nicht mehr an die Beklagte. Tatsächlich erfolgte ein Beginn der Anbindung bzw Kommunikation („Echtbetrieb“) des Zählers mit der Beklagten erst am 29. 11. 2019. Erst ab diesem Tag (und bis zur Opt-Out-Konfiguration des Zählers am 6. 12. 2019) konnte der Stromlieferant über die Beklagte Daten beziehen.
[4] Der Kläger möchte nicht, dass ein Profil von ihm erstellt wird. Er fühlt sich beeinträchtigt, sollte das Gerät ein Profil von ihm erstellen. Er ist besorgt, dass auch das ausgeschaltete Messgerät jederzeit eingeschaltet werden kann. Diese Sorge hat der Kläger sowohl bei einem Messgerät in Standardkonfiguration als auch in der Opt Out Konfiguration. Die Sorge ist allgemeiner Natur. Konkrete Auswirkungen auf seinen Alltag oder sein Befinden sind damit nicht verbunden. Es steht nicht fest, dass der Kläger aufgrund des Messgeräts unter einem Überwachungsdruck leidet.
[5] Der Kläger begehrt von der Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes Zahlung in Höhe von 900 EUR und darüber hinaus die Beseitigung des an seiner Messstelle installierten intelligenten Messgeräts sowie dessen Ersetzung durch ein Ferraris Messgerät.
[6] Das Erstgericht wies die Klage zur Gänze ab.
[7] Das Berufungsgericht gab der nur gegen die Abweisung des Schadenersatzbegehrens gerichteten Berufung nicht Folge.
[8] In seiner dagegen erhobenen außerordentlichen Revision kann der Kläger keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen:
[9] 1. Dass die Beklagte gesetzlich verpflichtet ist, die Messgeräte auf sogenannte intelligente Zähler umzustellen, und der Kläger diese in der Opt Out Konfiguration dulden muss, sodass ein Beseitigungsanspruch nicht besteht, bezweifelte der Kläger schon nach dem Ersturteil zurecht nicht mehr (vgl 6 Ob 36/22w).
[10] 2. Selbst wenn man mit dem Kläger, der sich insgesamt gegen den Austausch der Messeinrichtung (in jeder Konfiguration) gewandt hatte (ohne den Wunsch nach der Opt Out-Konfiguration zu äußern), davon auszugehen hätte, dass die gänzliche Ablehnung des neuen Messgeräts den Wunsch nach Installation der minimalinvasivsten Konfiguration miteinschließt und die Beklagte dadurch, dass sie nicht von Beginn an beim Gerät des Klägers die Opt Out Konfiguration eingestellt hatte, gegen die DSGVO verstoßen hat, ist durch die Entscheidung des EuGH vom 4. 5. 2023, C 300/21, klargestellt, dass der bloße Verstoß gegen die Bestimmungen der DSGVO für sich nicht ausreicht, um einen Schadenersatzanspruch zu begründen.
[11] Die von einem Verstoß gegen die DSGVO betroffene Person ist nicht von ihrer Nachweispflicht für den Schaden befreit (EuGH C-300/21 [Rn 50]). Die Ausgestaltung von Klageverfahren und die Festlegung der Kriterien für die Ermittlung des Umfangs eines Schadenersatzes richten sich in Ermangelung einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften nach dem nationalen Recht, wobei Äquivalenz und Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind (EuGH C-300/21 [Rn 54]). Auch der EuGH fordert für das Bestehen eines Schadenersatzanspruchs, dass zwischen dem fraglichen Verstoß und dem der betroffenen Person entstandenen Schaden ein Kausalzusammenhang bestehen muss (EuGH C 300/21 [Rn 37]).
[12] 3.Wenn die Vorinstanzen dem Kläger auf Basis des festgestellten Sachverhalts, wonach dessen (ohne Auswirkungen auf seinen Alltag oder sein Befinden bleibenden) Sorgen allgemeiner Natur sind und sowohl bei einem Messgerät in Standardkonfiguration als auch in der Opt Out Konfiguration bestehen, mangels Kausalität des Verstoßes durch Installation ohne Konfiguration in der Opt Out Variante bis 6. 12. 2019 einen Ersatz für den von ihm behaupteten vermeintlichen Schaden verweigerten, steht diese Entscheidung im Einklang mit der zuvor zitierten Rechtsprechung des EuGH. Sind die Sorgen des Klägers nämlich von der Konfiguration unabhängig und vielmehr in Zusammenhang mit dem – von ihm aber zu duldenden – Austausch des Messgeräts per se zu sehen, ist durch die Installation ohne Opt Out Konfiguration kein nicht bereits durch die Installation des Messgeräts selbst verursachter (weiterer) Schaden entstanden. Fehlt aber der Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem Eintritt des behaupteten Schadens, ist kein Ersatz zu gewähren (vgl RS0022664).