11Os77/23t – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 29. August 2023 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Mair als Schriftführerin in der Strafsache gegen * M* wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Geschworenengericht vom 26. April 2023, GZ 11 Hv 9/23p 83, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen unbekämpften Freispruch wegen des Vorwurfs eines von der Anklagebehörde als Vergehen der Störung der Totenruhe nach § 190 StGB beurteilten Verhaltens (ON 61) enthält, wurde * M* des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am 24. September 2022 in T* * D* getötet, indem er ihr zahlreiche wuchtige Faustschläge gegen den Kopf versetzte und sie im Halsbereich würgte bzw drosselte, wodurch sie infolge des Einatmens von Blut und Erbrochenem durch Sauerstoffmangel verstarb.
[3] Die Geschworenen bejahten die Hauptfrage 1 in Richtung des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und verneinten die Zusatzfrage 1 nach dem Schuldausschließungsgrund der Zurechnungsunfähigkeit ( § 11 StGB). Z ahlreiche Eventualfragen (1 bis 11) und damit verknüpfte Zusatzfragen (2 bis 6) blieben demzufolge unbeantwortet . Die (ua) für den Fall der Bejahung der Hauptfrage 1 gestellte (kumulative) Zusatzf rage 7 nach den Strafausschließungsgründen der Notwehr (§ 3 Abs 1 StGB), der Notwehrüberschreitung (§ 3 Abs 2 StGB), der Putativnotwehr (§ 8 StGB), und des Putativnotwehrexzesses (§ 3 Abs 2 StGB analog) wurde verneint. Daran anknüpfende Eventualfragen ( 12 bis 14) blieben konsequenterweise unbeantwortet. Die Hauptfrage 2 in Richtung des Vergehens der Störung der Totenruhe nach § 190 StGB (durch sexuelle Handlungen am Leichnam der D*) wurde verneint. Die daran anknüpfende Zusatzfrage 8 in Richtung Zurechnungsunfähigkeit ( § 11 StGB) und die für den Fall deren Bejahung gestellte Eventualfrage 15 wurden demzufolge nicht beantwortet .
Rechtliche Beurteilung
[4] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4, 5, 9 und 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[5] Die Verfahrensrüge (Z 4 iVm § 434d Abs 2 StPO) moniert, dass die am 26. April 2023 (in der Zeit von 8:55 bis 9:55 Uhr; ON 82 S 1) anwesende psychiatrische Sachverständige (die aus medizinischer Sicht zu Fragen zum Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 11 und 21 StGB Stellung bezog) nicht für die gesamte Dauer der insgesamt zweitägigen Hauptverhandlung (ON 81, 82) beigezogen wurde. Da fallkonkret eine Unterbringung nach § 21 Abs 1 oder Abs 2 StGB weder beantragt (§ 434 StPO; Anklageschrift ON 61) noch eine solche amtswegig vom Gericht ausgesprochen wurde (§ 434b Abs 1 StPO; vgl auch § 434b Abs 4 StPO), geht dieser Einwand von vornherein ins Leere.
[6] Soweit die Beschwerde vorbringt, die Sachverständige hätte wegen ihrer bloß begrenzten Anwesenheit in der Hauptverhandlung nicht sämtliche Ergebnisse der Vernehmung des Angeklagten und des Beweisverfahrens berücksichtigen und sich insbesondere keinen persönlichen Eindruck von der Aussage des Angeklagten in der Hauptverhandlung verschaffen können, weshalb nicht auszuschließen sei, dass sie ihre gutachterliche Einschätzung geändert hätte, erschöpft sie sich in reiner Spekulation über – in der Hauptverhandlung nicht thematisierte – (hypothetische) Mängel des Gutachtens (vgl aber ON 82 S 7 f, 21, 23 wonach der Sachverständigen die Aussage des Angeklagten zur Kenntnis gebracht wurde und sie auch mehrfach darauf einging). Mit der Kritik an der Gutachtenserstattung trotz vorangegangener Abwesenheit der Sachverständigen während der Vernehmung des Angeklagten und der übrigen Beweisaufnahmen in der Hauptverhandlung wird im Übrigen ausschließlich die allein der Sachverständigen obliegende Methode der Befundaufnahme in Frage gestellt, aber kein in § 127 Abs 3 erster Satz StPO beschriebener Mangel von Befund oder Gutachten dargetan (RIS-Justiz RS0097355).
[7] Bleibt anzumerken, dass sich für den Obersten Gerichtshof aus dem Beschwerdevorbringen keine erheblichen Bedenken (§ 362 Abs 1 Z 1 StPO) gegen die Richtigkeit des Wahrspruchs der Geschworenen über entscheidende Tatsachen ergeben.
[8] Der Versuch, die relevierten Vorgänge inhaltlich als Verstoß (des Gerichts) gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens (Art 6 MRK) zu monieren, scheitert schon daran, dass in der Hauptverhandlung nicht einmal ein Antrag auf Beiziehung der Sachverständigen während der gesamten Hauptverhandlung oder auf Wiederholung der Hauptverhandlung im Beisein der Sachverständigen gestellt wurde (vgl § 345 Abs 1 Z 5 StPO; RIS Justiz RS0099250 [T10, T13]) und – unter dem Aspekt einer Aufklärungsrüge (§ 345 Abs 1 Z 10a StPO) betrachtet – auch nicht dargetan wird, wodurch der Angeklagte an sachgerechter Antragstellung gehindert gewesen wäre (RIS Justiz RS0115823).
[9] Entgegen dem Vorbringen der Verfahrensrüge (Z 5) wurde der Angeklagte auch nicht durch die Abweisung (ON 82 S 32) von tatsächlich gestellten Beweisanträgen in seinen Verteidigungsrechten verletzt.
[10] Der in der Hauptverhandlung am 24. April 2023 mündlich ausgeführte (ON 81 S 32 f) und am 26. April 2023 modifizierte (ON 82 S 31) Antrag auf Einholung einer Haaranalyse wurde zum Beweis dafür gestellt, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt unter einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Einfluss von (erkennbar gemeint: psilocin-, psilotin- oder psilocybinhältigen) „Magic Mushrooms“ stand. Der Angeklagte habe nämlich angegeben, dass er weder in den Monaten vor oder nach der Tat solche Pilze konsumiert habe, sodass im Fall der Nachweisbarkeit von solchem Pilzkonsum „im Zeitraum des Tatmonats“ auch der (vom Angeklagten in den Raum gestellte) Pilzkonsum am Tattag nachgewiesen wäre.
[11] Das Begehren auf Einholung eines Gutachtens „eines Sachverständigen in Form einer Begleitstoffanalyse“ wurde zum Beweis dafür gestellt, „dass der Angeklagte den Großteil der Biere vor der Tat konsumiert hat“ und zielte damit (erkennbar) gleichfalls auf den Nachweis einer Zurechnungsunfähigkeit zur Tatzeit ab.
[12] Die Anträge ließen aber angesichts der im Antragszeitpunkt vorliegenden Beweisergebnisse zum Zustand des Angeklagten während des Tatgeschehens (vgl ON 82 S 7 f, 13 bis 17, 20 bis 23, 25 ff, 27 ff) und seiner Gewöhnung an Alkohol (ON 82 S 12 bis 15, 24) nicht erkennen, weshalb die beantragten Gutachten fallkonkret geeignet sein sollten, einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand des Angeklagten iSd § 11 StGB nachzuweisen (RIS-Justiz RS0119248; RS0099453).
[13] Nichtigkeit aus Z 9 des § 345 Abs 1 StPO liegt vor, wenn die Antwort der Geschworenen auf die gestellten Fragen – also der Wahrspruch – undeutlich, unvollständig oder in sich widersprechend ist (RIS-Justiz RS0123182; RS0101005; RS0101195). Der Beschwerdeführer wendet ein (Z 9) , mit ihrer Antwort auf die Hauptfrage 1 hätten die Geschworenen bloß die objektiven, nicht aber die subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 75 StGB „dokumentiert“ und somit zu letzteren keine Feststellungen getroffen. Er lässt aber nicht erkennen, weshalb die uneingeschränkte Bejahung der dem Text des § 75 StGB („Wer einen anderen tötet“...) entsprechenden Hauptfrage 1 mit Blick auf § 7 Abs 1 StGB und die erteilte Rechtsbelehrung (ON 82.2 S 30 bis 32, 36 bis 38, 55 f) nicht unmissverständlich zum Ausdruck bringen sollte, dass der Angeklagte das Opfer durch die beschriebenen Tathandlungen vorsätzlich getötet hat (RIS Justiz RS0113270).
[14] Die Sanktionsrüge (Z 13 zweiter Fall) reklamiert eine Verletzung der Unschuldsvermutung (§ 8 StPO; Art 6 Abs 2 MRK), weil das Erstgericht bei der Strafbemessung sexuelle Handlungen erwähnt habe und diesen „augenscheinlich eine wertende Rolle zukommen“ habe lassen. Die Unschuldsvermutung ist (im gegebenen Kontext) aber nur verletzt, wenn das Gericht bei der Strafbemessung auf die Begehung einer Straftat als tatsächlichen Anknüpfungspunkt abstellt, die nicht Gegenstand des im angefochtenen Urteil gefällten oder eines sonstigen, rechtskräftigen Schuldspruchs ist (RIS Justiz RS0132357).
[15] Fallkonkret brachte das Erstgericht hingegen klar zum Ausdruck, dass es die verhängte Strafe schon allein aufgrund der mit einem Martyrium des Opfers verbundenen („bestialischen“) Gewalthandlungen, die zum Tod führten, für angemessen erachtete (US 8 f: „selbst bei Außerachtlassung der zudem vorgenommenen sexuellen Handlungen“). Mit der kritisierten Formulierung – die nach ihrem Sinngehalt („sexuelle Handlungen“) überdies gar keine Schuldannahme iSd Art 6 Abs 2 MRK bedeutet (vgl RIS Justiz RS0128232) – wurde also gerade nicht (zusätzlich) auf am Opfer vollzogene sexuelle Handlungen abgestellt , sondern sinnfällig zum Ausdruck gebracht, dass solche im Zuge der Strafbemessung ausgeblendet wurden, mit anderen Worten keinerlei Ausschlag gaben.
[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 258d, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
[17] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.